e-Portfolio von Michael Lausberg
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„Hurra, die Jüdde trecke fott!” Antisemitismus im Kölner Karneval
1 Einverleibung des Karnevals durch die NSDAP
Zu Beginn der 1930er Jahre wurden fast an jedem Tag in Köln die Fassaden jüdischer Geschäfte, Schulen oder öffentliche Einrichtungen mit antisemitischen Parolen beschmiert oder auf den jüdischen Friedhöfen Gräber geschändet. Seit der „Machtergreifung” der NSDAP am 31.01.1933 verstärkte der in der Domstadt von Robert Ley herausgegebene völkische „Westdeutsche Beobachter” die antisemitische Hetze.
[1] Dies erfasste neben anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens auch den Kölner Karneval. Im November 1933 wurde angeordnet, dass die kirchlichen Bezüge zum Karneval in der rheinischen Metropole geleugnet werden sollten und stattdessen Karneval im Zusammenhang mit der dämonischen „Vasenacht” als deutsches „Volksgut” zu betrachten sei. Politische Anspielungen oder Witze zu Lasten der NSDAP wurden den Karnevalisten untersagt. Der Rosenmontagsumzug lag nicht mehr in der Zuständigkeit der Karnevalsgesellschaften, sondern wurde vom neu gegründeten „Bürgerausschuss für den Kölner Karneval” unter Vorsitz des NS-Beigeordneten Wilhelm Ebel organisiert.
[2]
2 Antisemitische Hetze bei den Rosenmontagszügen und
Karnevalssitzungen

Die Maßnahmen der NSDAP wurden zunächst von den Verantwortlichen der großen Kölner Karnevalsvereine begrüßt. Die „Kölle alaaf” Rufe wurden schnell mit dem Ausspruch „Heil Hitler” verbunden. Bei den „Roten Funken” spielte die Kapelle der Kölner SS-Standarte und die Korps-Aufmärsche wurden von den Musikern einer SA-Brigade bestimmt. Nach dem Rosenmontagszug 1933 war im Westdeutschen Beobachter zu lesen:
[3] „Der Kölner Karneval war wieder ein echter Volkskarneval, keine Konfektionsware aus dem jüdischen Warenhaus (…).” Ein Jahr später machte sich die Einverleibung des Karnevals durch die NSDAP am Rosenmontagszug besonders bemerkbar. Auf einem „Palästina-Wagen” befanden sich als „Juden” verkleidete Karnevalisten, die unter einem Pappschild mit dem Slogan „Die Letzten ziehen ab” in Richtung Palästina ziehen. Die am Wagen angebrachten Reiseziele waren Jerusalem und Jaffa. Am Ende des Wagens war ein Schild angebracht, auf dem in kölscher Mundart stand: „Mer mache nur e kleines Ausflügchen noh Liechtenstein und Jaffa.”
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Das antisemitische Karnevalslied „Hurra, die Jüdde trecke fott!” erfreute sich großer Beliebtheit:
[5]
Es däht sich alles freue,
Mir sinn jetzt bahl su wick,
Mer wedde jetzt in Deutschland,
De Jüdde endlich quitt,
En jedder Stroß, do hat mer,
Ne Jüddelade stonn,
Et jitt noh immer Domme,
Die dabei kaufe jonn
Met de Jüdde es jetzt Schluss,
Se wandern langsam uss.
Refrain
Hurra, mer wedde jetzt die Jüdde loss,
De janze koschere Band,
Treck nohm jelobte Land.
Mer laache uns für Freud noh halv kapott,
Der Itzig un die Sarah, die trecke fott!
Wenn de Jüdde bei uns kumme,
Met ne lange Rock un Flüh,
Fingen die an, ze hausiere,
Arbeite däht de Jüdde nie.
Met Knoche, Lumpe, Iser,
Un wat es söns noh jitt,
Un met nem Sack om Röcke,
Hä durch de Stroße treck.
Met dem Handel ess jetzt Schluss,
Dröm wandern die jetzt uss.
Refrain (…)”
Neben dem Straßenkarneval wurden in Büttenreden Juden als „Jordanplanscher” und als „Halunken” beschimpft, die vor dem NS-Regime geflohenen Juden wurden als „Semigranten” verspottet.
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Die NS-Organisation „Kraft durch Freude”(KdF) nahm durch „Spenden” immer mehr Einfluss auf den Rosenmontagszug. Sie organisierte den Bau von Tribünen und die touristische Vermarktung des Zuges. Mitglieder des Festkomitees traten bei KdF-Karnevalssitzungen auf verliehen Orden an den Gauleiter Grohé und andere NS-Eliten. Damit wurde der Grundstein dafür geschaffen, dass der Nationalsozialismus in den Kölner Karneval öffentlichkeitswirksam integriert wurde.
3 „Narrenrevolte”
Am 22.05.1935 kündigte der schon oben erwähnte NS-Beigeordnete Ebel die Gründung des „Vereins Kölner Karneval e.V.” an, der aus Vertretern der Stadtverwaltung, der NSDAP, der Polizei und der KdF bestand.
[7] Der Grund für die Gründung lag in „Missständen” der Organisation im Kölner Karneval, denen Ebel außerdem Eigennutz vorwarf. Auf diese Äußerungen reagierte der Präsident der Prinzengarde, das NSDAP-Mitglied Thomas Liessem, zusammen mit den großen Kölner Karnevalsgesellschaften.
[8] In einer Veröffentlichung forderten sie die Rücknahme der Gründung Ebels und seiner Verunglimpfungen. Dieses Problem sollte am 27.05.1935 auf einer Versammlung, an der die Karnevalsgesellschaften, Parteivertreter und andere gesellschaftspolitische Verantwortungsträger der Stadt teilnahmen, erörtert werden. Jedoch wurde kurz vor der Eröffnung bekannt, dass der Gauleiter Grohé sich von den Vorschlägen Ebels distanzierte und sowohl die Auflösung des „Vereins Kölner Karneval e.V.” als auch die eigenständige Verantwortlichkeit der Karnevalsgesellschaften anordnete. Die Karnevalsgesellschaften gründeten daraufhin den „Festausschuss Kölner Karneval”, deren Vorsitzender Thomas Liessem wurde. Danach kam es zu keinem weiteren Versuch der Übernahme im Kölner Karneval durch die NS-Organisation KdF. Diese Geschehnisse wurden in der Nachkriegszeit als „Narrenrevolte” bezeichnet.
4 Widerstand
Widerstand gegen die Infiltration der nationalsozialistischen Ideologie in den traditionellen Kölner Karneval war marginal. Der Büttenredner Karl Küpper machte sich trotz Drohungen und Redeverbots öffentlich über die NS-Eliten lustig. Bis auf einige wenige subversive Versuche der Kritik blieb der Kölner Karneval bis zur Befreiung 1945 kein Hort des Widerstandes gegen das NS-System. In der Nachkriegszeit hielt sich hartnäckig die These, dass die „Narrenrevolte” als Entgegentreten gegen die Vereinnahmungsversuche der NSDAP des Kölner Karnevals und damit als „Widerstand” zu gelten hätte.
[9] Diese Interpretation wurde allerdings ab den 1960er Jahren aufgegeben und lediglich als Verteidigung der traditionellen Organisationsform des Karnevals durch die großen Karnevalsgesellschaften verstanden.
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5 Literatur

Fußnoten
  1.  ↑ Pracht, E.: Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Köln 1997, S. 156
  2.  ↑ Festkomitee des Kölner Karnevals von 1823 e. V. (Hrsg.): Der Kölner Rosenmontagszug 1823-1948, Köln 2007, S. 174f
  3.  ↑ Zitiert aus Serup-Bilfeldt, K.: Zwischen Dom und Davidstern. Jüdisches Leben in Köln von den Anfängen bis heute, Köln 2001, S. 154
  4.  ↑ Ebd., S. 155
  5.  ↑ Ebd., S. 156
  6.  ↑ Ebd., S. 157
  7.  ↑ Meyer, J.: Organisierter Karneval und „Narrenrevolte” im Nationalsozialismus, in: Geschichte in Köln (GiK), Nr. 42, Köln 1997, S. 69-86, hier S. 70ff
  8.  ↑ Der Spiegel, Nr. 9, 1998, S. 80f
  9.  ↑ Brog, H.: Was auch passiert: D’r Zoch kütt! Die Geschichte des rheinischen Karnevals, Frankfurt/M. 2000, S. 219ff
  10.  ↑ Vgl. dazu die WDR-Dokumentation: Heil Hitler und alaaf! Karneval in der NS-Zeit. 20.15 h am 16.01.2008