e-Portfolio von Michael Lausberg
Besucherzäler

Die Gründung der BRD

2. Weltkrieg

Den deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 erwiderten Großbritannien und Frankreich am 3. September mit ihrer Kriegserklärung an Deutschland. Damit war jener "große" Krieg entfesselt, den Hitler eigentlich

vermeiden wollte. Dennoch konnte von einem Weltkrieg noch keine Rede sein, weil das Kampfgeschehen vorerst fast völlig auf den europäischen Kontinent beschränkt blieb. Mit dem britischen Empire und dem französischen Kolonialreich waren allerdings sofort große Teile der Welt einbezogen. Als baldige Bündnispartner der Kriegsparteien erschienen im Hintergrund bereits die Großmächte Japan und die Vereinigten Staaten, die ihrerseits auf einen Konflikt zusteuerten. Der europäische Krieg trug somit von Beginn an den Keim eines Weltkrieges in sich.

Wegen der Gefahr eines Zweifrontenkrieges wollte Deutschland einen schnellen Sieg über Polen erringen. Entsprechend stellte es seine Streitkräfte auf. An der Rheingrenze beließ man relativ wenige Truppen, die einen französischen Angriff möglichst lange aufhalten sollten. Drei Viertel des Feldheeres, darunter alle motorisierten und gepanzerten Verbände, traten zum Angriff gegen Polen an. Zwei Heeresgruppen mit etwa 1,5 Millionen Soldaten drangen aus Nord- bzw. Südwesten in Richtung Warschau vor. Schnell errang die überlegene deutsche Luftwaffe die Luftherrschaft. Der Zangenangriff des Heeres stieß auf die Masse der polnischen Armee und brach deren teils heftigen Widerstand in mehreren Schlachten. Am 18. September war der Gegner geschlagen, der Feldzug im Wesentlichen beendet. Die polnische Armee war vom deutschen Angriff nicht überrascht worden. Er traf sie aber noch im Aufmarsch und deshalb nicht ganz verteidigungsbereit. Die polnische Regierung hatte die Mobilmachung verzögert, um keinen deutschen Angriff zu provozieren.

Das Schicksal Polens war endgültig besiegelt, als auf deutschen Druck hin am 17. September 1939 die Rote Armee nach Polen eindrang und innerhalb weniger Tage den schwach verteidigten Osten des Landes besetzte. In der Mitte war die Hauptstadt Warschau bald von deutschen Truppen eingeschlossen. Nach heftigen Bombardements aus der Luft und durch Artillerie kapitulierten ihre Verteidiger am 27. September. Zu einer polnischen Gesamtkapitulation kam es nicht. Bereits am 19. September hatte der polnische Oberbefehlshaber seinen restlichen Truppen den Rückzug nach Ungarn und Rumänien befohlen. Dort zunächst interniert, wurde aus ihnen später eine Exilarmee formiert, die auf alliierter Seite kämpfte. Sie unterstand der polnischen Exilregierung in Frankreich, die später nach London wechselte.

Das polnische Territorium wurde am 28. September von den Besatzungsmächten neu aufgeteilt. Deutschland fiel die westliche Hälfte mit Warschau zu. Die Militärverwaltung wurde dort bald von einem nationalsozialistischen Besatzungsregime abgelöst, das mit brutaler Gewalt die Polen, vor allem die Juden, unterdrückte. Als Vorboten dieses Terrors hatten "Einsatzgruppen" der SS bereits während der Kämpfe einen Vernichtungskrieg gegen die polnische Zivilbevölkerung begonnen. Ihren gezielten Mordaktionen fielen bis Ende 1939 mehrere zehntausend Menschen, hauptsächlich Juden sowie Angehörige der geistig und politisch führenden Schichten, zum Opfer.

Die NS-Propaganda feierte mit großem Aufwand den deutschen "Blitzkrieg"-Erfolg und verdrängte, dass die Wehrmacht 45.000 Tote und Verwundete zu beklagen hatte. Darüber hinaus waren erhebliche Mengen an Kriegsgerät zerstört worden oder ausgefallen, was die Kampfkraft der Wehrmacht über Monate deutlich verringerte. Auf der anderen Seite waren über 200.000 polnische Soldaten im Kampf gegen die Wehrmacht getötet oder verwundet worden, 700.000 gingen in deutsche Kriegsgefangenschaft.

Eher harmlos war inzwischen der Krieg im Westen verlaufen. Großbritannien und Frankreich brachten keine Entlastungsoffensive zugunsten ihres bedrängten polnischen Verbündeten zuwege, obwohl die deutsche Westgrenze im Herbst 1939 militärisch nur schwach verteidigt war. Gedämpft durch eine pazifistische Stimmung im eigenen Land, verharrte die starke französische Armee in der Defensive, genauer: in und hinter den Befestigungen der Maginot-Linie. So lieferte man sich an der deutsch-französischen Grenze noch monatelang einen weitgehend kampflosen "Sitzkrieg". Großbritannien entsandte im Herbst 1939 ein Expeditionskorps nach Frankreich und unternahm kleinere Luftangriffe gegen militärische Ziele in Deutschland.

Stark herausgefordert war es durch deutsche Kriegsschiffe und U-Boote, die seit Kriegsbeginn weltweit seine Handelsschifffahrt schädigten. Sofort nach Ende des Feldzuges in Polen verlegte die Wehrmacht alle verfügbaren Kräfte an die Rheingrenze, um einen möglichen Angriff der Westmächte abzuwehren. Schon bald wurde hieraus der Aufmarsch für eine deutsche Offensive nach Westen ("Fall Gelb"). Den Auftrag, diese vorzubereiten, erteilte Hitler Anfang Oktober 1939, nachdem die britische Regierung ein "Friedensangebot" abgelehnt hatte. Um Großbritannien endlich zu unterwerfen, sollten zunächst Frankreich und die neutralen Benelux-Staaten erobert werden. Die Militärführung war hiervon wenig begeistert, einige hohe Offiziere dachten sogar an Staatsstreich. Vor dem großen und wohl vorbereiteten Gegner hatte man – auch in Erinnerung an den Ersten Weltkrieg – einigen Respekt.

Der Generalstab des Heeres tat sich mit dem Entwurf eines Offensivplans lange Zeit schwer. Ein frontales Durchstoßen der Maginot-Linie wurde bald verworfen. Schließlich sollte ein Angriff über die Niederlande und Belgien nach Nordfrankreich die Kanalküste in Besitz bringen. Doch viele erinnerte dies an den unglückseligen Schlieffen-Plan des Ersten Weltkriegs. Gezwungenermaßen verschob Hitler den Angriff immer wieder, zuletzt bis in das Frühjahr 1940. So erhielt Generalleutnant Erich von Manstein die Gelegenheit, ihn für eine andere Operationsidee zu gewinnen. Demnach sollte ein nördlicher Angriff auf Belgien die Masse der britisch-französischen Streitkräfte dorthin ziehen. In deren Rücken würde dann der Hauptstoß weiter südlich über Luxemburg und die Ardennen erfolgen. Das unwegsame Gelände dort machte den später "Sichelschnitt" genannten Plan sehr riskant, bot aber den Vorteil der Überraschung und die Möglichkeit, die britisch-französischen Hauptkräfte abzuschneiden und zu vernichten.

Vorher noch kam es zu einer deutschen Intervention in Skandinavien. Ende 1939 wurde die Absicht der Westalliierten bekannt, Finnland in seinem Abwehrkampf gegen die Sowjetunion zu unterstützen und dabei über das neutrale Norwegen und Schweden militärisch vorzugehen. Dies aber hätte Deutschland seiner lebenswichtigen Erzimporte aus Nordschweden beraubt. Um dem zuvorzukommen, ließ Hitler eilig die Besetzung Norwegens vorbereiten. Das Unternehmen "Weserübung" begann am 9. April. Fast kampflos wurde Dänemark besetzt. Gleichzeitig landeten deutsche Truppen per Flugzeug und Schiff in Norwegen, wo sie auf mehr Widerstand stießen. Die Kämpfe verschärften sich, als bald ein alliiertes Landungskorps eingriff. Besonders kritisch wurde die Lage in Narvik, wo die Deutschen von einer gegnerischen Übermacht abgeschnitten wurden. Der Feldzug war gewonnen, als die Alliierten Ende Mai 1940 infolge der deutschen Westoffensive ihre Streitkräfte abzogen und das Land preisgaben. Mit Norwegen hatte Deutschland eine wertvolle Basis für die Seekrieg im Atlantik und den Luftkrieg gegen Großbritannien erobert. Die Kriegsmarine bezahlte den deutschen Erfolg teuer. Ihre eingesetzte Flotte war durch britische Seestreitkräfte und norwegische Küstenverteidigung zum größten Teil versenkt oder schwer beschädigt worden. Noch während der Kämpfe in Norwegen eröffnete die Wehrmacht am 10. Mai 1940 ihre Offensive im Westen. Luxemburg kapitulierte kampflos am selben Tag, die Niederlande nach einigem Widerstand am 14. Mai. Deren Regierung flüchtete, wie kurz darauf die norwegische, ins Exil nach London. Gegen Belgien und Frankreich brachte der "Sichelschnitt"-Plan schnell den erhofften Erfolg.

Der deutsche Hauptstoß, dabei die meisten Panzerdivisionen, durchbrach die schwache französische Verteidigung zwischen Dinant und Sedan. Die Alliierten, deren Hauptkräfte weiter nördlich in Belgien gebunden waren, hatten nicht mehr genügend Reserven, um den anschließenden deutschen Vorstoß nach Westen aufzuhalten. Der schloss Ende Mai die alliierte Hauptmacht – 200.000 britische und 120.000 französische Soldaten – bei Dünkirchen am Ärmelkanal ein. Ein überraschender Haltebefehl Hitlers bescherte dem Gegner das "Wunder von Dünkirchen": Als die Wehrmacht am 4. Juni die Stadt endlich einnahm, waren fast

alle Eingeschlossenen auf die britische Insel evakuiert worden. Dort bildeten sie den Grundstock der britischen Heimatarmee bzw. einer französischen Exil-Armee.

Bereits am 28. Mai 1940 hatte Belgien kapituliert. Für Frankreich wurde die Lage aussichtslos, als es seiner Armee nicht mehr gelang, eine neue, wirksame Verteidigung aufzubauen.

In kurzer Zeit zerschlug die Wehrmacht jeden Ansatz hierzu und eroberte die Nordhälfte sowie die gesamte Atlantikküste Frankreichs. Am 14. Juni besetzte sie kampflos die Hauptstadt Paris, aus der die Regierung geflohen war. Der neue Ministerpräsident, Marschall Philippe Pétain, suchte sofort um Waffenstillstand nach, der am 22. Juni 1940 bei Compiègne unterzeichnet wurde. Demnach blieb der eroberte Teil Frankreichs weitgehend deutsch besetzt. Das restliche Frankreich wurde unter Auflagen dem autoritären Regime von Pétain überlassen, das sich in Vichy niederließ. Im deutschen Interesse sollte es auch die Kontrolle über das französische Kolonialreich behalten. Dies machte ihr sogleich die frei-französischen Exil-Regierung streitig, die sich in London unter dem jungen General Charles de Gaulle bildete.

Am Rande des Geschehens trat Italien, das dem Kampf an der Seite seines Verbündeten zunächst ausgewichen war, am 10. Juni 1940 doch noch in den Krieg ein, um den absehbaren militärischen Erfolg nicht ganz Deutschland überlassen zu müssen. Bei dem Versuch, die relativ schwache französische Verteidigung der Alpengrenze zu überwinden, blamierte sich die italienische Armee gehörig. Hitlers Vertrauen in die militärische Stärke Italiens war beschädigt. Nach dem Erfolg gegen den "Erbfeind" Frankreich genoss Hitler in Deutschland ein Ansehen wie nie zuvor. Nicht nur die NS-Propaganda feierte ihn als "größten Feldherrn aller Zeiten", was seine Selbstüberschätzung als militärischer Führer weiter förderte. Kaum im Besitz der französisch-belgischen Kanalküste, wandte er sich dem einzig verbliebenen Gegner zu: Großbritannien. Weil die neue britische Regierung unter Winston Churchill noch weniger geneigt war, sich ihm zu beugen, wies er am 16. Juli 1940 die Wehrmacht an, bis September eine Invasion der Insel vorzubereiten. Doch gelang es nie, die entscheidende Voraussetzung für das "Unternehmen Seelöwe" zu schaffen: Vergeblich versuchte die Luftwaffe im Sommer und Herbst 1940, die Luftherrschaft über Südengland und dem Ärmelkanal zu erringen. Gegen die unerwartet starke, radargestützte britische Luftverteidigung erlitt sie so hohe Verluste, dass sie schließlich ihre Einsätze deutlich einschränken musste. Stillschweigend wurde die Invasionsabsicht bis zum Jahresende aufgegeben. Die "Luftschlacht um England" endete für die Wehrmacht mit ihrer ersten großen Niederlage. Hauptziel waren die britische Luftwaffe und Luftfahrtindustrie gewesen. Zuletzt griff die Luftwaffe verstärkt Zielen in englischen Städten an. Obwohl ihre Angriffe primär der militärischen und wirtschaftlichen Infrastruktur galten, verursachten sie Tausende zivile Todesopfer und provozierten hierdurch Gegenschläge durch britische Bomber auf deutsche Städte. Der Fehlschlag gegen Großbritannien zwang Hitler dazu, seine Strategie zu überdenken. Er entschloss sich, seiner eigentlichen Zielsetzung folgend, zum baldmöglichen Angriff auf die Sowjetunion. In diesem Sinn hatte er sich bereits am 31. Juli 1940 im engsten militärischen Kreis geäußert. Nachdem er seine britischen Pläne vorerst zurückstellen musste, beauftragte er die Wehrmacht am 18. Dezember damit, den Angriff bis zum 15. Mai 1941 vorzubereiten . Gleichzeitig baute Deutschland seine bündnispolitische Position aus. Hitlers Initiative führte am 27. September 1940 zum Dreimächtepakt, der die "Achse Rom-Berlin" um ein strategisches Bündnis mit Japan erweiterte. Das sollte vor allem die Vereinigten Staaten, die sich bereits für Großbritannien stark machten, von einem Kriegseintritt abschrecken. Dem Pakt traten im November 1940 Ungarn, Rumänien und die Slowakei bei, gefolgt von Bulgarien und Jugoslawien im März 1941. Finnland schloss sich faktisch an. Damit formierte Deutschland frühzeitig eine Koalition und sicherte sich das Aufmarschgebiet für den Krieg gegen die Sowjetunion.

Erheblich gestört wurde die Vorbereitung des Unternehmens "Barbarossa" durch Deutschlands wichtigsten Verbündeten Italien. Dem "Führer" nacheifernd, versuchte der "Duce", den italienischen Machtbereich gewaltsam auszudehnen. Schnell wurde deutlich, dass seine Armee damit überfordert war. Vom italienischen Libyen aus kaum nach Ägypten eingedrungen, wurde sie im Dezember 1940 von einer kleinen britischen Armee vernichtend geschlagen. Als diese im Gegenzug bereits halb Libyen erobert hatte, sah sich Hitler zum Eingreifen genötigt. Er entsandte im Januar 1941 das Deutsche Afrikakorps unter Generalleutnant Erwin Rommel, der die Briten zurückschlug. Seiner Offensive ging erst im Sommer an der ägyptischen Grenze vorerst die Luft aus.

Desaströs endete im November 1940 auch der italienische Überfall auf Griechenland. Eine griechische Gegenoffensive schlug die Italiener weit nach Albanien zurück. Als Schutzmacht entsandten die Briten eine Armee nach Griechenland. Unruhe, gar Gegner auf dem Balkan wollte Hitler wegen seines Vorhabens gegen die Sowjetunion nicht dulden. Als Ende März 1941 die deutschfreundliche Regierung in Belgrad gestürzt wurde, gab er den Befehl zum Losschlagen. Am 6. April überfielen deutsche, italienische und ungarischen Armeen Jugoslawien und erzwangen nach wenigen Tagen die Kapitulation. Gleichzeitig warf ein deutscher Angriff (Unternehmen "Marita") von Bulgarien aus Griechenland nieder. Den Abschluss bildete Ende Mai die Eroberung von Kreta in einer verlustreichen See- und Luftlandeaktion ("Unternehmen Merkur"). Den Briten gelang es gerade noch, die Masse ihres Expeditionskorps von dort zu evakuieren.Auf diese Weise hatten sich kurz vor dem beabsichtigten Überfall auf die Sowjetunion eher ungewollt neue Kriegsschauplätze für Deutschland eröffnet, die erhebliche Kräfte der Wehrmacht dem großen Vorhaben entzogen. Außerdem verzögerte sich dessen Beginn um wichtige sechs Wochen.

Zu den ideengeschichtlichen Bedingungen des Zweiten Weltkrieges zählte nicht nur in Deutschland ein Kriegsbild, das aus dem 19. Jahrhundert stammte. Es verherrlichte den Tod auf dem Schlachtfeld, erklärte die Gefallenen als Opfer des Vaterlandes zu Helden und überhöhte den Weltkrieg zu einem völkischen Existenzkampf. Mit seiner rassenideologischen Konstruktion einer nationalsozialistischen "Volksgemeinschaft" bildete der radikale Nationalismus einen zentralen Bestandteil der ideologischen Mixtur des Nationalsozialismus. Die Vorstellung von einem fortwährenden Kampf zwischen den "Volksgenossen" und ihren Feinden im Inneren wie außerhalb der Reichsgrenzen konnte an bekannte Deutungsmuster anknüpfen. Zu den "Feinden" der Nation zählten insbesondere Juden, Sozialdemokraten und Kommunisten; der "jüdische Bolschewismus" bildete ein zentrales Feindbild im Krieg an der Ostfront. Nach innen führte dieses Weltbild zu einem zentralen Element der NS-Ideologie: dem Kult um die Gefallenen. Die NS-Bewegung hatte ihren Aufstieg nicht zuletzt der Anerkennung zu verdanken, die sie den toten "Kameraden" des Ersten Weltkriegs und zugleich den Veteranen von 1914/18 zollte. Der massenhafte Soldatentod gab nicht länger Anlass zu Trauerkundgebungen, sondern zu Veranstaltungen, auf denen die Weltkriegstoten – aber auch die Parteigenossen, die in der "Kampfzeit" vor 1933 ums Leben gekommen waren – als Helden gefeiert wurden. In der neuen Gedenkpraxis, die ältere Traditionen aufgriff, galten die "toten Helden" den Lebenden als Vorbilder, hatten sie doch ihre Bereitschaft bewiesen, ihr Leben für die Volksgemeinschaft einzusetzen, zu "opfern".

Der Heldenkult des Dritten Reiches spiegelte sich in mythischen Erzählungen, in Riten und in der Architektur. 1934 wurde der bisherige Volkstrauertag zu einem "Heldengedenktag" umgewidmet. 1939 ordnete Hitler an, diesen Feiertag auf den 16. März, den Jahrestag der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935, zu verlegen und damit aus dem Kirchenjahr herauszulösen. Nach der Machtübernahme war der Heldenkult zu einem pseudo-religiösen Massenphänomen geworden: In Filmen, Theaterstücken oder auch Thingspielen wurden die Toten gefeiert. Deshalb konnten viele Menschen in den Kriegsjahren auf diese Heldenerinnerungen zurückgreifen, um am Kriegsalltag nicht zu verzweifeln. Angesichts der persönlichen Erfahrung des Verlustes eigener Angehöriger erschien das Ideal des "toten Helden" jedoch zunehmend unangemessen.

Eine ausgefeilte Propaganda sorgte dafür, dass den Deutschen in der Heimat und an der Front Botschaften vermittelt wurden, die nicht zuletzt das Kriegsgeschehen im Sinne des NS-Regimes interpretierten. Im Kriegsalltag entwickelten sich vermeintlich unpolitische Formen der Unterhaltung, die nicht nur der Ablenkung dienten. Das betrifft die nationalsozialistische Kulturpolitik ebenso wie die Medien. Zu den Lektionen, die Hitler im Ersten Weltkrieg von den Alliierten gelernt hatte, gehörte die Einsicht, dass die "Heimatfront" durch die Mobilisierung und Manipulation der Bevölkerung gestärkt werden musste – und konnte. Ihm und seinen Helfershelfern war von Anfang an klar: Der "totale Krieg" ließ sich ohne eine "geistige Kriegführung" nicht gewinnen. Bereits ihren Aufstieg verdankten die Nationalsozialisten nicht nur dem Einsatz von Terror, sondern auch von Propaganda. "Unser Krieg wird in der Hauptsache mit Plakaten und Reden geführt", hatte Goebbels am 1. März 1932 in seinem Tagebuch notiert.

Ein eigenes Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) unter Joseph Goebbels kontrollierte die Medien des Reiches – Presse, Rundfunk, Film und später auch Fernsehen – und lenkte ab 1939 die deutsche Propaganda im Ausland. Zum einen ging es konkret darum, das aktuelle Programm der Hoch- und Massenkultur zu regeln. So manche Theaterstücke wurden abgesetzt, andere ins Programm genommen. Goebbels Ministerium ordnete Spielfilm-Produktionen an, zensierte Buchmanuskripte und kontrollierte die "Truppenbetreuung". Zum anderen suchte das "Promi" – wie das RMVP im Volksmund hieß –, die Grundideen des Nationalsozialismus massenwirksam zu verbreiten: die Selbst- und Feindbilder ebenso wie die Vorstellungen von Rassismus, Heldentum und Opferbereitschaft. Doch die NS-Propaganda steckte in einem Dilemma: Auf der einen Seite sollte das Denken und Fühlen der Menschen so manipuliert werden, dass diese von sich aus im Sinne des Regimes handelten. Auf der anderen Seite schränkte die totale Kontrolle die Möglichkeiten eigenständigen Handelns weitgehend ein. Wer sich nicht mehr ernstgenommen fühlte, war kaum motiviert, sich für die Ziele des politischen Systems einzusetzen, das ihm diesen Einsatz offenbar nicht zutraute. Maximale Mobilisierung und Kontrolle bildeten deshalb einen Zielkonflikt. Um den Bogen nicht zu überspannen, war das NS-Regime auch deshalb darauf angewiesen, über die "Stimmung" der Bevölkerung zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Krieges auf dem Laufenden zu sein. Schließlich setzte der Kriegserfolg einen starken "Wehrwillen" voraus. Das Regime setzte daher alle Hebel in Bewegung, die eigenen "Volksgenossen" auszuhorchen. Zahllose Spitzel, die sich unauffällig in eine Warteschlange reihten, bei Luftalarm im Bunker die Ohren spitzten oder im Hausflur lauschten, schrieben eifrig Berichte. Brach die "Haltung" ein, wollte man rechtzeitig gegensteuern können.

Ein besonders wirkungsvolles Propagandainstrument bildete die neue Massenkultur, die allein der Unterhaltung diente. Radio und Kino vor allem waren im Alltag der Deutschen gegenwärtig. Diese Populärkultur, deren "Waren" in der Freizeit konsumiert wurden, öffnete daher ein größeres Einfallstor für die geistige Kriegführung als die sogenannte Hochkultur, die auf einen kleineren Kreis beschränkt blieb. In Goebbels' Augen sollte die Propaganda nicht nur gedankliche Impulse im Sinne des nationalsozialistischen Weltbildes setzten. Sie sollte auch unterhalten. Denn was bereits vor 1939 galt, traf während des Krieges erst recht zu: Die Menschen sollten von ihrem harten Alltag abgelenkt werden. Um die Volksgenossen trotz Bombenkrieg, Zerstörung und Verlusten bei Laune zu halten, setzte der Propagandaminister immer mehr auf den Spaßfaktor – mit Erfolg. Bis zum Ende des Kriegs hielt eine Mehrheit der Deutschen dem untergehenden Regime die Treue. Wer im Krieg ins Kino ging, erlebte ein mehrteiliges Spektakel. Nach der Werbung folgte eine "Wochenschau", dann ein Kulturfilm ("Ostraum – deutscher Raum" beispielsweise), schließlich der Hauptfilm. Die populäre und professionell gemachte Wochenschau – ab November 1940 gab es nur noch eine: die Deutsche Wochenschau – informierte das Publikum mit aufregenden Bildern. Spezielle Propaganda-Kompanien der Wehrmacht lieferten Bild- und Tonmaterial von der Front, das die Kriegsrealität idealisierte. Etwa seit dem Angriff auf die Sowjetunion waren die Spielfilme auf den Krieg abgestimmt. Neben Kriegsfilmen wie U-Boote westwärts (1941) zeigten die Kinos weiterhin Krimis, Melodramen und Revuefilme wie Der weiße Traum (1943).

Dem Rundfunk kam im Krieg besondere Bedeutung zu, weil er allein die zeitnahe Berichterstattung ermöglichte. Diese "Live-Berichte" von der Front erreichten 1943 16,2 Millionen Empfänger. Seit 1938 zu einem internationalen Werkzeug der Propaganda erweitert, beteiligte sich der Deutsche Rundfunk an der Schlacht, die im Äther gegen die Londoner BBC, die Stimme Amerikas oder Radio Moskau ausgefochten wurde. Ausländische Rundfunksender zu hören war streng verboten; die "Volksgenossen" sollten nicht von außen beeinflusst werden. Ab Juli 1940 übertrugen alle Reichssender dasselbe standardisierte Programm.

Ein eigenes Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) unter Joseph Goebbels kontrollierte die Medien des Reiches – Presse, Rundfunk, Film und später auch Fernsehen – und lenkte ab 1939 die deutsche Propaganda im Ausland. Zum einen ging es konkret darum, das aktuelle Programm der Hoch- und Massenkultur zu regeln. So manche Theaterstücke wurden abgesetzt, andere ins Programm genommen. Goebbels Ministerium ordnete Spielfilm-Produktionen an, zensierte Buchmanuskripte und kontrollierte die "Truppenbetreuung". Zum anderen suchte das "Promi" – wie das RMVP im Volksmund hieß –, die Grundideen des Nationalsozialismus massenwirksam zu verbreiten: die Selbst- und Feindbilder ebenso wie die Vorstellungen von Rassismus, Heldentum und Opferbereitschaft. Doch die NS-Propaganda steckte in einem Dilemma: Auf der einen Seite sollte das Denken und Fühlen der Menschen so manipuliert werden, dass diese von sich aus im Sinne des Regimes handelten. Auf der anderen Seite schränkte die totale Kontrolle die Möglichkeiten eigenständigen Handelns weitgehend ein. Wer sich nicht mehr ernstgenommen fühlte, war kaum motiviert, sich für die Ziele des politischen Systems einzusetzen, das ihm diesen Einsatz offenbar nicht zutraute. Maximale Mobilisierung und Kontrolle bildeten deshalb einen Zielkonflikt. Um den Bogen nicht zu überspannen, war das NS-Regime auch deshalb darauf angewiesen, über die "Stimmung" der Bevölkerung zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Krieges auf dem Laufenden zu sein. Schließlich setzte der Kriegserfolg einen starken "Wehrwillen" voraus. Das Regime setzte daher alle Hebel in Bewegung, die eigenen "Volksgenossen" auszuhorchen. Zahllose Spitzel, die sich unauffällig in eine Warteschlange reihten, bei Luftalarm im Bunker die Ohren spitzten oder im Hausflur lauschten, schrieben eifrig Berichte. Brach die "Haltung" ein, wollte man rechtzeitig gegensteuern können.

Ein besonders wirkungsvolles Propagandainstrument bildete die neue Massenkultur, die allein der Unterhaltung diente. Radio und Kino vor allem waren im Alltag der Deutschen gegenwärtig. Diese Populärkultur, deren "Waren" in der Freizeit konsumiert wurden, öffnete daher ein größeres Einfallstor für die geistige Kriegführung als die sogenannte Hochkultur, die auf einen kleineren Kreis beschränkt blieb. In Goebbels' Augen sollte die Propaganda nicht nur gedankliche Impulse im Sinne des nationalsozialistischen Weltbildes setzten. Sie sollte auch unterhalten. Denn was bereits vor 1939 galt, traf während des Krieges erst recht zu: Die Menschen sollten von ihrem harten Alltag abgelenkt werden. Um die Volksgenossen trotz Bombenkrieg, Zerstörung und Verlusten bei Laune zu halten, setzte der Propagandaminister immer mehr auf den Spaßfaktor – mit Erfolg. Bis zum Ende des Kriegs hielt eine Mehrheit der Deutschen dem untergehenden Regime die Treue. Wer im Krieg ins Kino ging, erlebte ein mehrteiliges Spektakel. Nach der Werbung folgte eine "Wochenschau", dann ein Kulturfilm ("Ostraum – deutscher Raum" beispielsweise), schließlich der Hauptfilm. Die populäre und professionell gemachte Wochenschau – ab November 1940 gab es nur noch eine: die Deutsche Wochenschau – informierte das Publikum mit aufregenden Bildern. Spezielle Propaganda-Kompanien der Wehrmacht lieferten Bild- und Tonmaterial von der Front, das die Kriegsrealität idealisierte. Etwa seit dem Angriff auf die Sowjetunion waren die Spielfilme auf den Krieg abgestimmt. Neben Kriegsfilmen wie U-Boote westwärts (1941) zeigten die Kinos weiterhin Krimis, Melodramen und Revuefilme wie Der weiße Traum (1943).

Dem Rundfunk kam im Krieg besondere Bedeutung zu, weil er allein die zeitnahe Berichterstattung ermöglichte. Diese "Live-Berichte" von der Front erreichten 1943 16,2 Millionen Empfänger. Seit 1938 zu einem internationalen Werkzeug der Propaganda erweitert, beteiligte sich der Deutsche Rundfunk an der Schlacht, die im Äther gegen die Londoner BBC, die Stimme Amerikas oder Radio Moskau ausgefochten wurde. Ausländische Rundfunksender zu hören war streng verboten; die "Volksgenossen" sollten nicht von außen beeinflusst werden. Ab Juli 1940 übertrugen alle Reichssender dasselbe standardisierte Programm.

Auch im Radio gingen Unterhaltungssendungen und politische Propaganda nahtlos ineinander über – Goebbels setzte auf den Mitnahmeeffekt. Zum Nachrichtenblock gehörte der Wehrmachtbericht; "Sondermeldungen" informierten über militärische Erfolge. Die Volksgemeinschaft fand sich nicht nur vor den Rundfunkgeräten, den "Volksempfängern", zusammen. Die Sendungen selbst verbanden Front und Heimat zu einer "Kampfgemeinschaft". Zur Themenpalette gehörten etwa Filme, die Feindbilder verstärken sollten: vor allem die antisemitischen Hetzfilme, die 1940 ins Kino kamen, darunter der Kassenschlager "Jud Süß" (R: Veit Harlan) und "Der Ewige Jude" (R: Fritz Hippler) oder der anti-polnische Propagandafilm "Heimkehr" (1941). Andere Filme wie "Bismarck", "Ohm Krüger" oder "Carl Peters" (alle 1941) sollten das nationale Selbstbild stärken und Leitbilder des Führertums bieten. Wieder andere sollten Optimismus verbreiten und den Glauben an den Endsieg kräftigen; "Die große Liebe" (1942) verband dazu den Kriegsablauf mit Heldentum und privatem Schicksal; Zarah Leander sang "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen".

Am Ende stand die Verklärung des heldenhaften Untergangs im Historienfilm "Kolberg" von Veit Harlan, der Anfang 1945 noch in einigen Kinos gezeigt wurde. Rund 400 Kinowagen ließen auch die Soldaten an der Front an dem Filmerlebnis der NS-Propaganda teilhaben. Auf den Kriegsschauplätzen sollte die "Truppenbetreuung" mit Fronttheatern, Musikorchestern und Varietés die Moral der Soldaten stärken. Mit dem Schlager "Lili Marleen", den der deutsche Besatzungssender Belgrad ausstrahlte, landete Lale Andersen gar einen internationalen Hit. Das Rundfunkprogramm der beliebten "Wunschkonzerte" vereinte regelmäßig die Soldaten an der Front mit ihren Angehörigen im Reich. Das Oberkommando der Wehrmacht gab eigene Propagandazeitungen und -zeitschriften für die Truppe heraus. Bis September 1944 erschien beispielsweise Die Wehrmacht mit teilweise farbigen Fotos im gleichnamigen Verlag. Zur Bildpropaganda gehörten schließlich die Gemälde und Grafiken, mit denen deutsche Kriegsmaler und -zeichner dem heimischen Publikum Eindrücke von der Ostfront vermittelten, etwa von Land und Leuten, von Waffentechnik und Kameradschaft. Die Medien inszenierten die deutsche Kriegsgesellschaft als eine Erlebnisgemeinschaft. Die Propagandamaschine lief freilich nicht immer reibungslos. Widersprüche gingen auf das Kompetenzgerangel zurück, das für das nationalsozialistische Herrschaftssystem typisch war. Ein krasses Beispiel: Die Meldungen von einem unmittelbar bevorstehenden Sieg in Russland, die der Reichspressechef Otto Dietrich herausgegeben hatte, standen im Gegensatz zu dem vorsichtigeren Ansatz von Goebbels, der im Falle von Enttäuschungen um die Glaubwürdigkeit der Propaganda fürchtete. Die überraschende Niederlage der 6. Armee in Stalingrad Anfang 1943 war deshalb für die NS-Propaganda ein Flopp. Rasch deutete sie den sinnlosen Tod zum heroischen Opfer um.

Auch sollte man nicht auf das Trugbild hereinfallen, das Goebbels selbst von der durchschlagenden Wirkung seiner Propaganda entworfen hatte – deren Produkte bis heute als Quelle für die Geschichte des Dritten Reiches genutzt wird. Gleichwohl ist der Propagandaeffekt auch zum Kriegsende hin nicht zu unterschätzen. Die Menschen haben die Botschaften sicher nicht eins zu eins übernommen. Auf eine diffuse Weise schufen und stärkten sie jedoch eine emotionale Bereitschaft, sich der rassisch definierten Volksgemeinschaft zugehörig zu fühlen. Doch im Unterschied zur Vorkriegszeit geriet das Verhältnis von Propaganda, Terror und "Kompromiss" im Krieg, vor allem nach Stalingrad, aus dem Gleichgewicht. Das NS-Regime musste nun noch stärker auf Terror setzen, um seine Herrschaft zu garantieren. Dass der Krieg bis in den Mai 1945 dauerte, zeigt nicht zuletzt, wie sich die Nationalsozialisten die Folgebereitschaft der Bevölkerung auch ohne breite Zustimmung sichern und Menschen mobilisieren konnten, die alles andere als kriegsbegeistert waren.

Auch in der Diktatur drehte sich die Kommunikation nicht nur um Propaganda und Inszenierung. Neben diesen auffälligen Instrumenten der Medienpolitik trug eine eher unauffällige Sprachpolitik zur Weltsicht im Sinne des Regimes bei. Gegen eine vielstimmige Öffentlichkeit setzten die Nationalsozialisten den offiziellen Sprachgebrauch. Die einfache, gefühlsbetonte und häufig appellierende Rede sollte an die Stelle der sachlichen Argumentation treten. Die Bedeutung bestimmter Begriffe wurde eingeschränkt: Aus einem "Führer" wurde der Führer. Andere Wörter wurden ersetzt. Statt von Partisanen war im Krieg von Banditen die Rede, der alliierte Luftangriff galt als "Terrorangriff". Wieder andere, eigentlich negative Ausdrücke wie "fanatisch" und "rücksichtslos" wurden ins Positive gewendet. Die Militarisierung der Sprache erweckte den Eindruck, als fände der Krieg auch außerhalb der Kriegshandlungen statt, etwa in der "Erzeugungsschlacht" der Landwirtschaft. Schließlich lag eine wichtige Funktion der Sprachpolitik darin, Verbrechen zu verschleiern. Schlüsselbegriffe wie "Konzentrationslager", "Schutzhaft" und "Sonderbehandlung" sollten über den wahren Sachverhalt ebenso hinwegtäuschen wie das beschönigende "Frontbegradigung" im Wehrmachtbericht. Doch die Sprache im Nationalsozialismus war nicht allein die Sprache des Nationalsozialismus. In den eigenen vier Wänden konnten die Dinge beim Namen genannt werden – weshalb das Regime wiederum seine Spitzel auf die Privatgespräche ansetzte.

Krieg und Genozid lassen sich nicht voneinander trennen. Das Regime führte den Krieg, um seine verbrecherischen Ziele zu erreichen, und ohne den Krieg wären die Massenverbrechen unmöglich gewesen. Kaum hatte der Angriff auf Polen begonnen, musste Hitler, der lange bemüht war, sich außenpolitisch als friedliebender Politiker darzustellen, keine Rücksicht mehr auf das Ausland nehmen. Die militärische Besetzung vor allem Ost- und Südosteuropas war die Voraussetzung für die Verfolgung und Ermordung von Millionen dort ansässiger Menschen, vor allem der Juden. Nun war es zudem möglich, entlegene, schwer zugängliche Konzentrations- und Vernichtungslager außerhalb des Reiches zu errichten. Mit der Kriegsanstrengung ließ sich zudem die Gewalt im Inneren des Reiches zusätzlich legitimieren.

Der radikale Antisemitismus wurde mit dem Sozialdarwinismus verbunden, der die Lehre von Charles Darwin, dass sich die Evolution der Arten mit ihrer natürlichen Auslese erklären lässt, auf die menschliche Gesellschaft anwandte. Deren Entwicklung wurde nun als ein ewiger Existenzkampf der Rassen gedeutet. Der "Bolschewismus" (so lautete der antikommunistische Kampfbegriff seit der Russischen Revolution) ließ sich in dieses Weltbild durch eine antisemitische Wendung einordnen. Insbesondere die NS-Propaganda griff das aus Russland stammende Feindbild des "jüdischen Bolschewismus" auf, das die Gegner der Revolution prägten, um diese mit einer Verschwörung der Juden zum Kampf für die Weltherrschaft zu erklären. Aus diesen Schlüsselelementen setzte sich das Weltbild der nationalsozialistischen Machthaber zusammen. Das gilt insbesondere für Hitler selbst. Ohne ihn wäre der Genozid an den Juden in Europa ebenso wenig denkbar gewesen wie ohne die direkte oder indirekte Beteiligung von Millionen von Menschen – keineswegs allesamt radikale Antisemiten –, die ihrem "Führer" bereitwillig "entgegenarbeiteten" (Ian Kershaw). Die Konsequenz der Grundannahmen des Nationalsozialismus war klar: Der "Lebensraum", der im Osten für ein deutsches Kontinentalimperium gewonnen werden sollte, musste "judenfrei" sein – wie Europa insgesamt.

Bereits in den ersten Monaten der Eroberung Polens kam es im Zuge der Vernichtung der "polnischen Intelligenz" zu Massakern. Charakteristischer für diese frühe Kriegsphase sind gleichwohl zwei andere Konsequenzen der nationalsozialistischen Volkstumspolitik: die Deportationen und die Ghettoisierung der Juden. Noch im Oktober 1939 begannen die Verschleppungen aus den annektierten Gebieten in den östlichen Teil des neuen deutschen Herrschaftsbereichs. Als deutlich wurde, dass eine großangelegte systematische Abschiebung nicht, wie geplant, realisierbar war, gingen die deutschen Besatzer dazu über, in den jeweiligen Gebieten Ghettos einzurichten. Durch den Krieg verschlimmerte sich auch die Lage der Juden im Reich und in den anderen europäischen Staaten, die seit 1939/40 im Herrschaftsbereich des NS-Regimes lagen. Im Reich hatten die Juden ja bereits seit sechs Jahren unter wachsendem Verfolgungsdruck gelitten. Nun wurden sie weitestgehend ausgegrenzt und immer häufiger in "Judenhäusern" isoliert. Bereits für diese Frühphase des Krieges 1939 bis 1941 lässt sich von einem Völkermord reden. Schließlich verloren zehntausende Juden ihr Leben.

Mit den Angriff auf die Sowjetunion (UdSSR) am 22. Juni 1941 ging die genozidale Judenpolitik in ihre schrecklichste Phase über: den systematischen industriellen Massenmord an den europäischen Juden. Auf dem sowjetischen Territorium, das die Wehrmacht 1941/42 besetzte, lebten drei bis vier Millionen Juden, darunter die Bewohner der von der Sowjetunion nach dem Hitler-Stalin-Pakt annektierten baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, Ostpolens und Bessarabiens.

Je weiter das Ostheer vorrückte, desto größer wurde das System von SS, Polizei und militärischen Sicherungstruppen im Hinterland. Auch die Wehrmacht gehörte fallweise zum Mordapparat in diesem rasseideologischen Vernichtungskrieg. Denn ohne die logistische Unterstützung der Wehrmacht-Kommandanturen hätten SS- und Polizei die Massenverbrechen oft kaum begehen können. Zum Teil, etwa gleich zu Beginn des Feldzugs, waren Soldaten an Massenerschießungen auch direkt beteiligt. Insgesamt fielen den Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD (des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS) rund eine Million Menschen zum Opfer; davon 500.000 bereits in den ersten Monaten, im Baltikum allein 320.000 Juden. Zu den anfangs meist männlichen Opfern zählten auch jene jüdischen Rotarmisten, die in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten waren: Schätzungsweise 50.000 wurden aufgrund ihrer jüdischen Herkunft erschossen oder der SiPo ausgeliefert. Dass vor allem in Litauen, der Ukraine und Polen auch nationalistische und antisemitische Milizen mit Duldung der Besatzungsmacht zur mörderischen Treibjagd auf Juden bliesen, verschlimmerte deren Lage weiter. Für den systematischen Massenmord an den Juden in ganz Europa stellte Hitler im Herbst 1941 die Weichen. Ende 1941 begann sein Angriff auf das "Weltjudentum", wie er ihn 1939 vorhergesagt hatte. Während weit im Osten kaum ein Jude die deutsche Besetzung überlebt hatte, begann die "Endlösung".

Um dieses umfassende Verbrechen besser zu koordinieren, rief der Leiter des RSHA (des Reichssicherheitshauptamtes) Reinhard Heydrich zu einer Konferenz am Berliner Wannsee. Auf der sog. Wannsee-Konferenz saßen Vertreter der beteiligten Institutionen an einem Tisch, um künftig Reibungsverluste durch Kompetenzstreitigkeiten zu vermeiden. Für die "Endlösung der europäischen Judenfrage" sollte "Europa vom Westen nach Osten durchgekämmt" werden; im Protokoll vom 20. Januar 1942 war die Rede von elf Millionen Juden. In der Villa am Wannsee wurde die "Endlösung" nicht beschlossen – der Massenmord fand ja längst statt – sie sollte vielmehr europaweit abgesprochen werden. "Die Völkerwanderung der Juden werden wir in einem Jahr bestimmt fertig haben", verkündetet Himmler vor SS-Führern in Berlin am 9. Juni 1942, "dann wandert keiner mehr. Denn jetzt muß eben reiner Tisch gemacht werden". ext. Ref. 

Seit September 1941 waren Juden aus dem Reich und dem Protektorat in Städte im Osten für den "Arbeitseinsatz" deportiert worden. Ab März/April 1942 dann fielen auch die letzten moralischen Barrieren gegenüber den deutschen Juden. Die bereits deportierten Deutschen wurden im Osten ebenso erschossen wie die einheimischen Juden. Weitere Deportationen aus dem Reich folgten, teils in Ghettos, in denen zuvor polnische Juden gelebt hatten. Schließlich führten die ersten Transporte auf direktem Weg in ein Vernichtungslager, ab Ende 1942 vor allem nach Auschwitz. Im Juni 1943 hatten die Nationalsozialisten ihr Ziel erreicht. Im Reich lebten offiziell nur noch etwa 20.000 Juden: vor allem Ehepartner in "Mischehen", die allerdings wie die "Mischlinge" von der Gestapo drangsaliert wurden. Nur einigen tausenden Juden gelang es, unterzutauchen und sich bis zu ihrer Befreiung 1945 versteckt zu halten. In Berlin tauchte 1941 beispielsweise die 19-jährige Inge Deutschkron mit ihrer Mutter in die Illegalität ab; unter falscher Identität und in ständiger Lebensgefahr lebten sie (und ihre Beschützer) bis zur Befreiung 1945.

Auf dem ehemals polnischen Gebiet spielte sich binnen kurzer Zeit der größte Teil des industrialisierten Massenmords ab. Als sich abzeichnete, dass Deportationen nach Osten wegen des Kriegsverlaufs in absehbarer Zeit nicht möglich sein würden, forderten NS-Funktionäre schnelle Lösungen, um die verbliebenen Juden loszuwerden, insbesondere die arbeitsunfähigen. Die Seuchengefahr, die von den Ghettos ausging, das Versorgungsproblem und das vermeintliche Sicherheitsrisiko im Rücken der Wehrmacht, dazu die Bereitschaft der Berliner Zentralen zur Radikalisierung: Diese Faktoren wirkten derart zusammen, dass der Gauleiter des Warthelandes, Arthur Greiser (1897-1946), im Dorf Kulmhof (Chelmo) ein behelfsmäßiges Vernichtungslager bauen ließ. Hier verloren ab Dezember 1941 insgesamt 152.000 Menschen ihr Leben. Im besetzten Polen, im Generalgouvernement wurden drei weitere Vernichtungslager errichtet: im Distrikt Lublin ab November 1941 Belzec, dazu ab März 1942 Sobibor. Im Distrikt Warschau entstand nordöstlich der Stadt im Mai 1942 mit Treblinka das dritte Vernichtungslager. Güterzüge karrten täglich die Juden, aber auch Sinti und Roma, aus den geräumten Ghettos zu den Orten ihrer Ermordung. Zwischen Ende Juli und Mitte November 1942 verloren über zwei Millionen Menschen ihr Leben. Diese Zahl lag höher als in der Phase der Massenerschießungen durch die Einsatzgruppen bis Frühjahr 1942, höher auch als in der Zeit der größten Tötungsquote von Auschwitz 1943/44.

Die Massenverbrechen in Polen und in den besetzten sowjetischen Gebieten gingen auf dem Zusammenwirken von Initiativen vor Ort einerseits und auf Erwartungen und Forderungen aus Berlin andererseits zurück. Dagegen wurde der Genozid an den Juden im übrigen Europa straff organisiert. Denn für die Deportation und Ermordung der restlichen europäischen Juden lag die Federführung weiterhin im Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Im Referat IV hielt dort Adolf Eichmann (1906-1962), der "Referent für Judenfragen", die Fäden in der Hand. Die Waggons mit den Opfern schickte der Bürokrat ganz pragmatisch zumeist in jene Vernichtungslager, die gerade Kapazitäten frei hatten: in Polen, im Reichskommissariat Ostland oder im Generalgouvernement. Ab Sommer 1942 hieß das Ziel meistens, ab Sommer 1943 fast ausschließlich: Auschwitz. Bis zur Befreiung des Lagers Ende Januar 1945 durch die Rote Armee fand etwa eine Million Menschen in Auschwitz den Tod. ext. Ref.  Eichmann organisierte nicht nur die Deportation aus dem Reich, sondern auch aus weiteren europäischen Staaten: aus den verbündeten Staaten Kroatien und Slowakei, den besetzten Staaten Belgien und Frankreich einschließlich des zunächst nicht besetzten Territoriums der Kollaborationsregierung in Vichy, den Niederlanden und Griechenland, aus dem ehemals verbündeten Staaten Italien und Ungarn. Aus Ungarn wurden nach dem Einmarsch der Wehrmacht ab Mitte Mai 1944 binnen zwei Monaten 437.000 Juden nach Auschwitz verschleppt. Rund 320.000 wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft getötet. Ihre Überreste wurden auf freiem Feld verbrannt. Das war die letzte und zugleich größte Verschleppung zur Vernichtung.

Im gesamten Zeitraum zählten die Konzentrationslager schätzungsweise zwei Millionen (registrierte) Häftlinge. Bis zu 900.000 kamen infolge der Misshandlung, mangelnden Ernährung, katastrophalen hygienischen Bedingungen, durch Menschenversuche, Massenmorde oder im Zuge der Todesmärsche 1945 zu Tode. Hinzurechnen muss man die Zahl jener Juden, die nach ihrer Ankunft in Auschwitz und Majdanek sofort ermordet wurden und gar nicht erst in den eigentlichen Häftlingsbereich gebracht wurden. Der Kern des Nationalsozialismus zeigte sich im Völkermord an den europäischen Juden. Die systematische, von Staats wegen organisierte und seit 1941 fabrikmäßig betriebene Tötung von sechs Millionen Juden war das spezifische NS-Verbrechen, in dem die nationalsozialistische Rassenpolitik ihren Höhepunkt fand. Doch dass die drakonische Judenverfolgung der Friedensphase nach Kriegsbeginn auf einen Genozid hinauslaufen würde, war nicht von Anfang an ausgemacht. Aber die Radikalität des nationalsozialistischen Weltbildes, die von moralischen Bedenken ungehemmte Gewaltbereitschaft seiner Anhänger, nicht zuletzt die fehlende Bereitschaft zum Widerstand machten den Massenmord zu einer Möglichkeit, die ab 1939 grausame Wirklichkeit wurde. Die Zahl der deutschen Täter im engeren Sinn wird mittlerweile auf 300.000 geschätzt; keine 500 wurden in der Bundesrepublik für ihre Beteiligung am Genozid verurteilt.

Nach Hitlers Machtübernahme 1933 gelang es den Nationalsozialisten mit brutalen Methoden sehr bald, die politischen Gegner in Deutschland "auszuschalten". Andersdenkende wurden auf verschiedene Weise mundtot gemacht. Gleichzeitig bescherten Erfolge in der Wirtschafts- und Außenpolitik dem NS-Regime breiten Rückhalt in der deutschen Bevölkerung. Auch die konservativen Eliten sahen im Nationalsozialismus eher einen Bundesgenossen im Kampf gegen Sozialismus und Kommunismus. Die Gewalttätigkeit des Regimes, die staatliche Verfolgung der deutschen Juden der anderen Minderheiten sowie und die Drangsalierung der christlichen Kirchen erregten deshalb selten offenen Widerspruch.

Auch aus der Wehrmacht kam wenig Kritik am Nationalsozialismus. Das Militär profitierte enorm von Hitlers Aufrüstungspolitik und trug dessen aggressive Außenpolitik jahrelang bereitwillig mit. Diese Eintracht wurde Anfang 1938 gestört, als Hitler den Reichskriegsminister sowie den Oberbefehlshaber des Heeres unter fragwürdigen Umständen entließ, nachdem sie vorsichtig Einwände gegen seine Außenpolitik erhoben hatten. Aber erst der gefährliche Kriegskurs, den Hitler fast gleichzeitig mit der Annexion Österreichs und gegenüber der Tschechoslowakei einschlug, führte zu ernsthaftem Widerspruch, wenigstens in Teilen der Militärführung. Vergebens versuchte der Generalstabschef des Heeres, Ludwig Beck, Hitler zum Einlenken und die Generalität zum gemeinsamen Protest zu bewegen.

Als Beck deshalb im August 1938 zurücktrat, hinterließ er in Berlin einen kleinen Kreis gleichgesinnter Offiziere aus dem Generalstab des Heeres und dem militärischen Nachrichtendienst, der "Abwehr". Diese Keimzelle einer Militäropposition knüpfte bald Verbindung zu Regimekritikern in anderen Teilen des Staatsapparates, vor allem im Auswärtigen Amt. Als sich im September 1938 die Sudetenkrise verschärfte, entstand hieraus eine erste Verschwörung zum Sturz des NS-Regimes. Ihr Motor war Oberstleutnant Hans Oster aus der "Abwehr". Er hatte die Unterstützung von Becks Nachfolger, Franz Halder, sowie des Befehlshabers im Berliner Wehrkreis, Erwin von Witzleben. Zum Staatsstreich kam es dennoch nicht; den Verschwörern fehlte ein Auslöser, als Hitler seine Ziele in der Sudetenkrise ohne Krieg erreichte.

Nach Hitlers neuem außenpolitischem Triumph gaben die Verschwörer ihre Pläne vorerst auf. Ein Regime zu stürzen, das mehr Rückhalt denn je in der Bevölkerung besaß, erschien aussichtslos. Diese Einschätzung lähmte die Militäropposition bis weit in den Krieg hinein. Die anfangs erfolgreiche deutsche Kriegführung ließ Gefolgschaft für einen Staatsstreich gerade in der Wehrmacht nicht erwarten. Eine neue Initiative, die im Herbst 1939 eine Ausweitung des Krieges verhindern wollte, scheiterte daher bereits im Ansatz. Oster ging deshalb so weit, die deutschen Angriffsabsichten im Westen an das Ausland zu verraten.

Mit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 erhielt die Militäropposition neuen Auftrieb. Ihre Motivation bezog sie wesentlich aus der Erkenntnis vom verbrecherischen Charakter des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges in Osteuropa. Zudem wuchs die Einsicht, dass Deutschland den Krieg verlieren werde und mit Hitler zum Untergang verurteilt sei. Die immer noch kleine Militäropposition erhielt Zulauf. An der Ostfront bildete sich eine Widerstandsgruppe um Oberst Henning von Tresckow, eine weitere im besetzten Paris um den Auf der neuen Grundlage wurden ab Frühjahr 1943 mehrmals Attentate auf Hitler vorbereitet. Sein Tod sollte die Voraussetzung für einen Staatsstreich, eine anschließende politische Neuordnung in Deutschland und die schnelle Beendigung des Krieges schaffen. Alle Attentatspläne scheiterten auf unglückliche Weise, wurden aber auch nicht entdeckt. Neue Dynamik kam in die Verschwörung, als Oberstleutnant Claus Schenk Graf von Stauffenberg im Oktober 1943 nach Berlin versetzt wurde. Seine Persönlichkeit und Funktion

machten ihn besonders geeignet dafür, die Umsturzplanungen zu vollenden. Stauffenbergs Bombenattentat am 20. Juli 1944 im "Führerhauptquartier" in Ostpreußen überlebte Hitler leicht verletzt. Der Staatsstreich fand daher nicht die nötige Unterstützung in der Wehrmacht und brach noch am selben Tag zusammen. Stauffenberg und seine engsten Mitverschwörer fielen einem sofortigen Willkürakt zum Opfer. Nur die wenigsten der anderen Beteiligten konnten sich der Gestapo (Geheime Staatspolizei) durch Flucht oder Selbstmord entziehen. Die meisten, etwa 200 Personen, wurden durch den "Volksgerichtshof" zum Tod verurteilt und hingerichtet; unbeteiligte Familienangehörige verschwanden bis Kriegsende in "Sippenhaft". Das NS-Regime wurde durch das Attentat nicht nachhaltig erschüttert. Es ging fortan nur noch brutaler gegen den Feind im Inneren vor. Hitlers Wille zur "totalen" Kriegsführung hielt unvermindert an und kostete mehr Menschenleben denn je. Erst nach dem Krieg konnte sich die große symbolische Wirkung des "20. Juli" entfalten: Die Gründerväter der Bundesrepublik Deutschland beriefen sich auf sein geistig-moralisches Vermächtnis und machten ihn dadurch zu einem Gründungsmythos des westdeutschen Staates. In der deutschen Bevölkerung fand der "20. Juli" dagegen erst sehr spät überwiegende Anerkennung.   Attentat und Staatsstreich des 20. Juli 1944 wurden von Offizieren durchgeführt. Ihre Tat beruhte jedoch auf einem Netzwerk militärischer und ziviler Widerstandsgruppen. Ohnehin fällt, gerade mit Blick auf die an der Verschwörung beteiligten Reserveoffiziere, in einer Kriegsgesellschaft die Abgrenzung zwischen Zivil und Militär schwer. Insofern war der "20. Juli 1944" das Werk einer zivil-militärischen Verschwörung.

Allein die Überlegungen und Vorbereitungen für die politische Neuordnung nach Hitler bedurften der Mitwirkung ziviler Fachleute. Vor allem zwei Gruppierungen nahmen sich dieser Aufgabe an: zum einen der liberal-konservative "Kreisauer Kreis" um Helmuth James Graf von Moltke, der sich 1940 formierte, zum anderen national-konservative Honoratiorenzirkel, die sich schon vor dem Krieg um Carl Goerdeler gebildet hatten. Auch Sozialdemokraten und Gewerkschafter wie Julius Leber, Wilhelm Leuschner und Jakob Kaiser beteiligten sich. Die politische Vielfalt fand in unterschiedlichen Ideen und Entwürfen ihren Ausdruck; dabei konkurrierten moderne demokratische mit eher autoritären Vorstellungen von Politik und Gesellschaft. In ihrem Willen zum Sturz des NS-Regimes einten alle zwei Hauptziele: die schnelle Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung des Rechtsstaates.

Von den zivilen Verschwörern des "20. Juli" überlebten ebenfalls nur wenige die anschließende Verfolgungswelle. Nicht anders erging es den allermeisten Angehörigen von Widerstandsgruppen außerhalb der zivil-militärischen Verschwörung. Zahlenmäßig relativ stark und aktiv war der kommunistische Widerstand. Mitglieder der 1933 verbotenen KPD hatten eine relativ weit verzweigte Untergrundorganisation in Deutschland schaffen können, die vor allem im Arbeitermilieu wurzelte. Ihre Gruppen kämpften mit Propaganda und Sabotageaktionen gegen das NS-Regime. Die bekanntesten von Ihnen bildeten sich um Bernhard Bästlein in Hamburg, um Wilhelm Knöchel im Ruhrgebiet sowie um Robert Uhrig und Anton Saefkow in Berlin; fast alle wurden vor und während des Krieges von der Gestapo nach und nach zerschlagen, ihre Mitglieder in großer Zahl hingerichtet. Im Unterschied zu KPD und Sozialisten waren die Sozialdemokraten strukturell weniger gut auf Illegalität und konspirative Arbeit vorbereitet, in die sie von den NS-Machthabern 1933 gedrängt wurden. Einige führende Sozialdemokraten flüchteten ins Ausland und bauten dort eine neue Parteiorganisation auf, ohne jedoch nennenswerten Einfluss auf die Verhältnisse in Deutschland zu gewinnen. Andere blieben im Land und verschwanden – wie Kurt Schumacher – die längste Zeit im KZ oder schlossen sich – wie Leber oder Leuschner – nach zeitweiliger Inhaftierung der Verschwörung des 20. Juli an und bezahlten dafür mit ihrem Leben. ext. Ref.  Ideologisch schwerer einzuordnen ist ein Berliner Widerstandskreis, die heute unter dem Namen "Rote Kapelle" bekannt ist. Sie umfasste Menschen verschiedenster sozialer Herkunft und politischer Prägung, die sich bereits während der 1930er Jahre fanden, weil sie das NS-Regime ablehnten. Ihr privater politischer Meinungsaustausch führte sie bald zu vielfältigen Widerstandsaktivitäten, von der Hilfe für politisch Verfolge über Flugblattaktionen bis hin zur Kontaktierung ausländischer Zwangsarbeiter. Erst Anfang der 1940er Jahre schlossen sich die etwa 150 Personen zählenden Kreise enger um ihre führenden Köpfe zusammen: den Oberleutnant im Reichsluftfahrtministerium Harro Schulze-Boysen und den Oberregierungsrat im Reichswirtschaftsministerium Arvid Harnack. Zum Verhängnis wurde der Gruppe schließlich ihr Kontakt mit dem sowjetischen Nachrichtendienst, dem sie kriegswichtige Informationen übermittelte. Die Gestapo fahndete deshalb nach ihr unter dem Sammel-Decknamen "Rote Kapelle" für alle sowjetischen Spionagegruppen in Westeuropa. Von der deutschen Spionageabwehr aufgeklärt, konnte die Gestapo 1942/43 die meisten Mitglieder des Kreises um Harnack und Schulze-Boysen verhaften; etwa die Hälfte von ihnen wurde hingerichtet.

Studenten der Universität München bildeten 1942, die Weiße Rose. Den Anstoß gaben Medizinstudenten, die den Schrecken des Krieges und deutsche Verbrechen an der Ostfront erlebt hatten. Die Gruppe um Hans und Sophie Scholl, der sich auch Professor Kurt Huber anschloss, wendete sich mit Flugblättern hauptsächlich an gebildete Schichten. Eine solche Aktion führte 1943 zur Verhaftung der Hauptbeteiligten. Sie und andere wurden hingerichtet oder ermordet; etwa 60 Beteiligte überlebten den Krieg. Daneben organisierte sich Widerstand zuweilen spontan. So demonstrierten Anfang 1943 mehrere hundert Menschen vor einem Sammellager in der Berliner Rosenstraße tagelang – und erfolgreich – gegen die Verhaftung und Deportation ihrer jüdischen Ehepartner und Angehörigen. In den letzten Kriegstagen sagten sich bayerische Patrioten um den Reserveoffizier Rupprecht Gerngroß vom NS-Regime los. Der Aufstand der "Freiheitsaktion Bayern" wurde nach Anfangserfolgen blutig niedergeschlagen. )

Weitgehend regimetreu zeigten sich die beiden großen christlichen Kirchen. Nur vereinzelt protestierten hohe Amtsträger wie der evangelische Bischof Theophil Wurm oder der katholische Bischof Clemens August Graf von Galen öffentlich gegen NS-Unrecht. Um sich von den nationalsozialistischen "Deutschen Christen" abzugrenzen, solidarisierten sich evangelische Christen in der "Bekennenden Kirche" gegen Judenverfolgung, Euthanasie und Krieg. Einige Geistliche wie Pfarrer Dietrich Bonhoeffer und Pater Alfred Delp schlossen sich sogar dem zivil-militärischen Widerstand an; beide wurden kurz vor Kriegsende ermordet. Die "Zeugen Jehovas" wiederum verweigerten sich aus religiösen Gründen vielfach dem totalitären Staat und dabei speziell der Einziehung zum Kriegsdienst; Hunderte von ihnen wurden deshalb wegen "Wehrkraftzersetzung" mit dem Tode oder übermäßig hart bestraft. Unabhängig von den mehr oder weniger organisierten Widerstandskreisen handelten nicht wenige Einzelpersonen ganz auf sich gestellt absichtsvoll gegen das NS-Regime oder bekämpften es sogar. Unter ihnen sticht der schwäbische Handwerker Georg Elser hervor. Seinem Bombenattentat am 8. November 1939 in München entging Hitler nur durch Zufall. Unmittelbar danach verhaftet, wurde Elser bei Kriegsende auf Befehl Himmlers ermordet.

zu Formen unangepassten Verhaltens, die das NS-Regime unnachsichtig bekämpfte. Vor allem Jugendliche aus dem Arbeitermilieu deutscher Industriegebiete rebellierten gegen den Zwang zur Anpassung, der für sie von nationalsozialistischen Jugendorganisationen wie der „Hitlerjugend“ ausging. Bekannt wurden etwa die so genannten "Edelweißpiraten" im Ruhrgebiet. Selten handelte es sich hierbei um Widerstand im Sinn politisch bewussten, aktiven Handelns. Eine solche Haltung zeigten dagegen oft jene Personen, die couragiert Verfolgten und Opfern des Regimes halfen, etwa jüdische Bürger bei sich versteckten. Gerade an Orten größter NS-Verbrechen wie im besetzten Osteuropa bewiesen manche Deutsche besondere Humanität, meist unter Lebensgefahr.

Weithin bekannt ist der Fall des Fabrikanten Oskar Schindler, der in Polen über 1.000 jüdische Zwangsarbeiter vor der Ermordung bewahrte. Auch in der Wehrmacht gab es einige solche Persönlichkeiten. So retteten Hauptmann Wilm Hosenfeld in Warschau und Feldwebel Anton Schmid in Wilna planvoll zahlreiche Menschenleben. Letzterer wurde entdeckt und 1942 hingerichtet; Ersterer kam dagegen 1952 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft elend ums Leben. Widerstand leisteten nicht zuletzt Personen, die sich durch Verweigerung, Selbstverstümmlung oder Fahnenflucht einem verbrecherischen Krieg entzogen und damit einem Unrechtsregime widersetzen wollten. Dieses Motiv wird man wenigstens einem Teil der weit über 100.000 Deserteure der Wehrmacht unterstellen können. Die deutsche Militärjustiz verhängte in solchen Fällen Tausende von Todesurteilen und andere harte Strafen. Je näher das Kriegende rückte, desto brutaler ging das Regime mit Widerstand um.

Standgerichte vollstreckten zahlreiche Todesurteile an Zivilisten und Soldaten, die vor dem nahen Feind kapitulieren wollten. Schließlich wurden Deutsche auch außerhalb des deutschen Machtbereichs gegen das NS-Regime tätig. Das betrifft zum einen die vielen, teils prominenten Exilanten im freien westlichen Ausland, die im Dienst der alliierten Propaganda oder der alliierten Armeen standen. So etwa wandte sich der Literatur-Nobelpreisträger Thomas Mann während des Kriegs aus seinem amerikanischen Exil über Rundfunk regelmäßig an die deutsche Bevölkerung, um sie über den wahren Charakter des NS-Regimes aufzuklären. Sein Sohn Klaus trat Ende 1941 sogar in die US-Armee ein. Ein anderes Beispiel ist Willy Brandt, der spätere westdeutsche Bundeskanzler und Friedens-Nobelpreisträger. Als Mitglied einer von den NS-Machthabern verbotenen sozialistischen Partei emigrierte er 1933 zuerst nach Norwegen, von dort 1940 nach Schweden. Im Exil engagierte er sich weiter gegen das NS-Regime; unter falscher Identität kehrte er zweitweise sogar nach Deutschland zurück und war hier im politischen Untergrund für seine Partei aktiv. Die sowjetische Seite baute ab 1941 zunächst auf die vor Hitler nach Moskau geflüchteten Führungsmitglieder der KPD, soweit sie den Terror der 1930er Jahre unter Stalin überlebt hatten. Schon bald zeigte sich, dass die alten kommunistischen Klassenkampfparolen in der deutschen Bevölkerung keinen breiten Widerstand gegen das NS-Regime entfachen konnten. Eine neue Chance sah man gekommen, als ab 1943 vermehrt deutsche Soldaten in sowjetische Kriegsgefangenschaft gerieten. Auf Betreiben Stalins schlossen sich im Juli 1943 führende kommunistische Emigranten, darunter Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck, mit deutschen Kriegsgefangenen, unter ihnen hohe Offiziere der in Stalingrad vernichteten 6. Armee, im „Nationalkomitee Freies Deutschland“ (NKFD) zusammen. Obwohl die Propaganda des NKFD stärker deutschnationale Töne anschlug, erreichte auch sie nicht die erhoffte Wirkung, weder unter den deutschen Soldaten an der Front noch in Deutschland selbst. Insgesamt fand der Widerstand Deutscher "von außen" während des Krieges in der deutschen Bevölkerung kaum Resonanz. Größere politische Bedeutung erlangte das deutsche Exil erst nach dem Kriegsende durch die Mitwirkung von Rückkehrern beim politischen Neuaufbau Deutschlands bzw. beider deutscher Staaten. Die allermeisten Rückkehrer aus dem westlichen Exil – überwiegend Personen konservativer, liberaler oder sozialdemokratischer Prägung – engagierten sich in den drei westlichen Besatzungszonen und später für den Aufbau eines demokratischen Westdeutschland. Dagegen setzte sich im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands eine Gruppe von KPD-Funktionären aus dem Moskauer Exil durch. Unter der Leitung von Ulbricht errichteten sie im Auftrag Stalins eine kommunistische Diktatur nach sowjetischem Vorbild, die spätere DDR.

Die Gesamtschau ergibt ein äußerst vielfältiges Bild vom Widerstand Deutscher gegen Hitler und sein Regime während des Krieges. Es zeigt, dass einige tausend Menschen nicht nur anständig geblieben waren, sondern auch mutig dem Regime aktiv die Stirn boten. Freilich bildeten sie eine verschwindende Minderheit in der deutschen Bevölkerung. Sofern nicht ohnehin Parteinahme oder mindestens Sympathie für den Nationalsozialismus vorherrschten, bestimmten politische Resignation und Anpassung das Verhältnis der Deutschen zum nationalsozialistischen Regime.

Die Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft

Am 9. Mai 1945 um 0.01 mitteleuropäischer Zeit ruhten die Waffen. Der 2. Weltkrieg, der nach dem Willen der nationalsozialistischen Regierung und ihrer Helfershelfer in allen Teilen der Bevölkerung Deutschland zur führenden Weltmacht erheben und ein tausendjähriges „Germanisches Reich“ begründen sollte, mündete in einen vollständigen Zusammenbruch des deutsches Staates und die Auflösung aller überkommenen Ordnung. Die deutsche selbsternannte „Herrenrasse“ hatte es nicht geschafft, sich militärisch gegen die „bolschewistischen Untermenschen“ und ihre Verbündeten durchzusetzen.

Während des Zweiten Weltkrieges wurden Schätzungen zufolge über 65 Millionen Menschen getötet. Es kamen mehr Zivilisten um als Soldaten bei Kampfhandlungen. Am stärksten betroffen war die Sowjetunion mit etwa 27 Millionen getöteten Menschen, davon ungefähr die Hälfte als Soldaten, von denen drei Millionen in deutscher Kriegsgefangenschaft starben. In den sowjetischen Opferzahlen sind die ca. 650.000 getöteten Soldaten der 1939/40 von der UdSSR annektierten baltischen Staaten enthalten.[1] Zu den vielen Verwundeten müssen auch zahlreiche als Deserteure verurteilte Soldaten hinzugezählt werden, die depressiv oder geisteskrank und deshalb unfähig zum Militärdienst waren, aber trotzdem verurteilt wurden, um die „Moral der Truppe aufrecht“ zu erhalten. Das geschah nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen kriegsbeteiligten Staaten. Sehr viele Zivilisten kamen bei den Schlachten um Stalingrad, Breslau, Königsberg, während der Leningrader Blockade und der Aushungerung von Charkow ums Leben.[2]

Am Ende des 2. Weltkriegs befanden sich 25 Millionen Deutsche – Flüchtlinge, Ausgebombte, Evakuierte, Kriegsgefangene, befreite KZ-Häftlinge – außerhalb ihres ursprünglichen Heimatortes, unzählige Familien waren zerrissen und von der Sorge um das Schicksal ihrer Angehörigen zermürbt.[3] Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen waren unterbrochen, die großen Städte verödet und zerstört. In Köln lebten von ca. 730.000 Einwohnern der Vorkriegszeit nur noch 40.000 in Kellern und notdürftig ausgebesserten Häusern.

Die von den alliierten Truppen befreiten Konzentrationslager enthüllten einen Schrecken, der das ganze Ausmaß der nationalsozialistischen Vernichtungslogik und Menschenverachtung zum Ausdruck brachte.[4] Nach der Befreiung der KZ-Gefangenen und deren medizinischer Versorgung sahen die Alliierten die Notwendigkeit, die deutsche Bevölkerung mit den unter ihren Augen begangenen Verbrechen zu konfrontieren. In den Konzentrationslagern wurden die unglaublichen Verbrechen sichtbar – auch für Menschen, die nicht bereits Augenzeugen der Verbrechen gewesen waren. Die örtliche Bevölkerung aus der Nachbarschaft der KZs wurde gezwungen, Lagerteile und Leichen der dort Ermordeten anzusehen. Sie wurde mehrfach gezwungen, Tote in würdigen Gräbern zu bestatten. Dabei ging es um unbestattete Leichen oder Umbettungen von Leichen aus Massengräbern.

Das Grauen des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau übertraf alles, was man sich bisher vorstellen konnte: Einige Krematorien und Gaskammern des KZ Birkenau wurden schon ab November 1944 abgerissen. Die Verbrennungsöfen wurden demontiert und sollten jüngsten Studien zufolge in dem noch als sicher geltenden KZ Mauthausen wieder aufgebaut werden. Das letzte Krematorium sprengten die Nationalsozialisten kurz vor der Befreiung des Lagers durch die anrückenden sowjetischen Truppen im Januar 1945. Zwischen dem 17. Januar 1945 und dem 23. Januar wurden etwa 60.000 Häftlinge evakuiert und in Todesmärschen nach Westen getrieben.

In den Lagern und Außenstellen blieben etwa 7500 Häftlinge zurück, die zu schwach oder zu krank zum Marschieren waren. Mehr als 300 wurden erschossen; man nimmt an, dass eine geplante Vernichtungsaktion nur durch das rasche Vorrücken der Roten Armee verhindert wurde.

Zuerst wurde das Hauptlager Monowitz am Vormittag des 27. Januar 1945 durch die 322. Infanteriedivision der 60. Armee der 1. Ukrainischen Front unter dem Oberbefehl von Generaloberst Pawel Kurotschkin befreit. Von den dort zurückgelassenen Gefangenen – die Angaben reichen von 600 bis 850 Personen – starben trotz medizinischer Hilfe 200 in den Folgetagen an Entkräftung.

Das Stammlager und Auschwitz-Birkenau wurden – auch durch die Soldaten der 322. Division – schließlich am frühen Nachmittag des 27. Januar befreit. In Birkenau waren fast 5.800 entkräftete und kranke Häftlinge, darunter fast 4.000 Frauen, unversorgt zurückgeblieben. In den desinfizierten Baracken wurden Feldlazarette eingerichtet, in denen die an Unterernährung und Infektionen leidenden und traumatisierten Häftlinge versorgt wurden.

Einige Tage später wurde die Weltöffentlichkeit über die Gräueltaten informiert. Die Ermittler fanden über eine Million Kleider, ca. 45.000 Paar Schuhe und sieben Tonnen Menschenhaar, die von den KZ-Wächtern zurückgelassen wurden.

In den Jahren 1940 bis 1945 wurden in die Konzentrationslager Auschwitz mindestens 1,1 Millionen Juden, 140.000 Polen, 20.000 Sinti und Roma sowie mehr als 10.000 sowjetische Kriegsgefangene deportiert. Knapp über 400.000 Häftlinge wurden registriert. Von den registrierten Häftlingen sind mehr als die Hälfte aufgrund der Arbeitsbedingungen, Hunger, Krankheiten, medizinischen Versuchen und Exekutionen gestorben.

Die nicht registrierten 900.000 nach Birkenau Deportierten wurden kurz nach der Ankunft ermordet. Als Obergrenze der Todesopfer im Konzentrationslager- und Vernichtungslagerkomplex Auschwitz wird die Zahl von 1,5 Millionen Opfern angegeben.

Eine „Befreiung“ wurde nur in der sowjetischen Besatzungszone öffentlich propagiert[5], in der westdeutschen Erinnerungspolitik und öffentlichen Diskussionskultur tauchte der Begriff erst viel später auf. Eben nicht für die Mehrheit, die ihre Hoffnung eher auf einen deutschen „Endsieg“ gesetzt hatte, aber für kleinere Gruppen war es durchaus eine reale Befreiung gewesen: für die Insassen der Konzentrationslager, für die in der Zeit des Nationalsozialismus politisch Verfolgten wie Sozialdemokraten, Kommunisten, Pazifisten, Christen oder für ausländische Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene.

Eine große Zahl der aus der Haft oder von der Arbeitszwangsverpflichtung befreiten Ausländer – Displaced Persons (DP’s) – drängte darauf, in ihre Heimatländer zurückgebracht zu werden.[6][7] Aus den von den sowjetischen Truppen besetzten Ostgebieten kamen weitere Displaced Persons in die Westzonen – darunter Angehörige der in die Sowjetunion einverleibte baltische Staaten, sowjetische und polnische Staatsbürger, die ihrer alten Heimat den Rücken kehrten. Eisenhower stellte fest:[8] „Von allen betrüblichen Eindrücken aus Europa, welche den amerikanischen Kriegsteilnehmern stets in Erinnerung bleiben werden, wird nichts so deutlich und bleibend sein wie der Gedanke an die DP’s und die von den Deutschen errichteten Lager des Grauens.“

Der Krieg hatte ein Drittel des deutschen Staatsvermögens von 1936 vernichtet, ein Fünftel aller gewerblichen Bauten und Produktionsmittel, zwei Fünftel aller Verkehrsanlagen, 15% des Wohnraumes zerstört sowie das Arbeitskräftepotential der Bevölkerung um annähernd ein Fünftel vermindert. Das Auslandsvermögen, die Handelsflotte und alle deutschen Patente wurden beschlagnahmt.[9]

Mit dem Zusammenbruch der durch Gesetze und Verordnungen gestützten Kriegswirtschaft versiegten die Lebensmittelzufuhren aus den von deutschen Truppen besetzten Ländern, so dass die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln stockte. Ein gewaltiger Geldüberhang ließ den Schwarzmarkt blühen, die Kriminalität stieg rapide an, Seuchen drohten auszubrechen.[10]

Zur gleichen Zeit wanderten Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Osten ein, insgesamt mehr als 12 Millionen Menschen. Im August 1845 kamen täglich 25.000 bis 30.000 Flüchtlinge durch Berlin, vom Juli bis Oktober wurden in den 59 Auffanglagern der besetzen Hauptstadt 1,3 Millionen Flüchtlinge gezählt. Bei den Gebieten, die von Flucht, Umsiedlung oder Vertreibung betroffen waren, handelte es sich um an Polen durch die Alliierten zuerkannte Teile des Deutschen Reiches wie das südliche Ostpreußen, Danzig-Westpreußen, das östliche Pommern und die Neumark Brandenburg sowie Schlesien.[11] Weiterhin ist der nördlichen Teil Ostpreußens zu nennen, der entsprechend dem Potsdamer Abkommen der Sowjetunion zugeschlagen und in die russische Teilrepublik (RSFSR) eingegliedert worden war und das zwischen Deutschland und Litauen lange umstrittene Memelland weitere deutsche Siedlungsgebiete in den baltischen Staaten , was bereits 1939/40 mit der Sowjetunion vertraglich vereinbart wurde.

Dies waren auch Gebiete, die seit 1919 dem Deutschen Reich abgesprochen wurden, in denen aber nach wie vor viele Deutsche lebten beispielsweise Westpreußen und das östliche Oberschlesien. Das Sudetengebiet ,der südliche Böhmerwald sowie Südböhmen und Südmähren, also die nördlichen, südlichen und westlichen Randgebiete der Tschechoslowakei waren genauso betroffen wie Prag, Brünn, Olmütz und deutsche Sprachinseln wie die mährischen Städten Mährisch Trübau, Zwittau und Landskron in Zentralböhmen und -mähren sowie Iglau. Gebiete der Sowjetunion, neben einer weitläufigen Streubesiedlung vor allem die von deutschstämmigen Staatsangehörigen besiedelte „Wolga-Republik“, wo Deutsche Vertreibung 1941 nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion vertrieben wurden oder flüchteten. Mehrere Regionen in Südosteuropa, vor allem in Ungarn, Rumänien (Siebenbürgen, Banat), Kroatien (Slawonien), Serbien (Vojvodina) und Slowenien, wo noch vermehrt Deutsche lebten, waren auch von dem Phänomen betroffen.

In der Nachkriegszeit flohen viele noch einmal – aus der sowjetischen in die amerikanische und die britische Besatzungszone. Die Bundesrepublik und die DDR standen vor einer unlösbar scheinenden Herausforderung. Durch die Bevölkerungsverschiebungen verdoppelten einige Länder und DDR-Bezirke wie Mecklenburg ihre Einwohnerzahl. In vormals konfessionell homogenen Regionen mit starken eigenen Traditionen – zum Beispiel Oberbayern und die Lüneburger Heide– lebten nun große Bevölkerungsgruppen mit anderem Lebensstil und fremder Konfession. Mit Espelkamp, Waldkraiburg, Traunreut, Geretsried, Trappenkamp, Neugablonz und anderen entstanden reine Flüchtlingsgemeinden.

In der englischen Zeitung „Spectator“ veröffentlichte der Bischof von Chichester, zu dem ein Teil der deutschen Widerstandsbewegung während des 2. Weltkrieges Verbindungen unterhalten hatte, einen Bericht:[12] „Die Wahrheit besteht darin, daß die Not im Reich von Tag zu Tag steigt, und daß eine fürchterliche Hungersnot ausbrechen muß, falls nicht schleunigst Hilfe einsetzt. (…) Man muß die Flüchtlinge gesehen haben, um beurteilen zu können, was über sie hereingebrochen ist. Es gibt keine Worte, die ihr Elend beschreiben können. Sie haben noch das, was sie am Körper tragen und besitzen weder physische noch geistige Kraft. Sieben oder acht Millionen Menschen werden in dem schmalen Landstreifen zwischen Oder und Elbe von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf gejagt, weil niemand sie aufnehmen und ernähren kann.“

Der Zweite Weltkrieg veränderte grundlegend die politischen und sozialen Strukturen der Welt. Die Organisation der UN wurde gegründet, deren ständige Mitglieder im Sicherheitsrat die Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkriegs, USA, Sowjetunion, China, Großbritannien und Frankreich, wurden. Die USA und die Sowjetunion wurden zu Supermächten, deren Rivalität zum Kalten Krieg führte. Die europäischen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich verloren ihre Großmachtstellung, und die meisten ihrer afrikanischen und asiatischen wurden de facto unabhängig.

In dieser Lage übernahmen die vier alliierten Siegermächte die politische Verantwortung für die Zukunft Deutschlands.

Alliierte Pläne für die Nachkriegszeit

Bereits während des Krieges hatten sich die Alliierten darüber Gedanken gemacht, wie Deutschland nach seiner bedingungslosen Kapitulation zu behandeln sei.[13]

Sie waren sich darin einig, Deutschland für alle Zeiten als möglichen Kriegsgegner auszuschalten, seinen Militarismus und seine Rüstungsindustrie zu zerstören sowie die Verantwortungsträger der nationalsozialistischen Herrschaft vor ein Kriegsverbrechergericht zu stellen.[14] Auch hinsichtlich der Wiederherstellung der Souveränität Österreichs, Polens sowie anderer von deutschen Truppen besetzter Gebiete gab es breite Zustimmung.

Im Mittelpunkt der Erörterung alliierter Nachkriegspläne für Deutschland stand jedoch die Frage, ob das besiegte Reich als Einheit behandelt oder in mehrere Einzelstaaten aufgeteilt werden sollte. Eine gemeinsame Linie konnte jedoch nicht festgelegt werden. Es stellte sich die Frage, ob Deutschland gewaltsam oder nur in Übereinstimmung mit separistischen Strömungen der Bevölkerung aufzuteilen sei, wie viele verschiedene deutsche Staaten zu schaffen sei und was aus Preußen werden solle.[15]

Schon im Dezember 1940 vertrat Stalin in Moskau dem britischen Außenminister Eden gegenüber die Auffassung, dass Preußen vom Rheinland und Süddeutschland isoliert und Polen durch deutsche Gebiete östlich der Oder für die Anerkennung der Curzon-Linie, d.h für die Abtretung polnischer Ostgebiete an die Sowjetunion, entschädigt werden müsse.[16]

Die USA und Großbritannien hatten zwar in der Atlantik-Charta vom August 1941 versichert, dass sie nach dem Kriege keinen Gebietsveränderungen zustimmen würden, die „den frei geäußerten Wünschen der betroffenen Völker“ widersprächen; sie ließen aber keinen Zweifel daran, dass die Atlantik-Charta sie – wie Winston Churchill im Mai feststellte – in keiner Weise hinsichtlich der Zukunft Deutschlands binde.[17]

Auf der Arcadia-Konferenz, die vom Dezember 1941 bis Januar 1942 in Washington stattfand, vereinbarten Churchill und Roosevelt als wichtigsten Beschluss, zuerst die deutsche Gefahr auszuschalten und die nationalsozialistische Armee in die Knie zu zwingen sowie einen bedingungslosen Frieden durchzusetzen: „Germany first“.

Die Konferenz war die Fortführung der vom 9. bis 12. August 1941 in der Placentia Bay auf Neufundland abgehaltenen geheimen britisch-amerikanischen Atlantikkonferenz. Die dort beschlossene Atlantik-Charta bildete die Grundlage für die Gespräche in Washington. Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor Anfang Dezember waren die USA auf der Seite der Alliierten in den Krieg eingetreten, so dass auch der Krieg im Pazifik thematisiert wurde. Trotzdem war der wichtigste Beschluss die Festlegung des Hauptkriegsschauplatzes in Europa, um zuerst die deutsche Gefahr auszuschalten. Dazu waren eine Durchführung des Friedensprogramms der Rüstungsindustrie notwendig, das zuallererst eine absolute Geheimhaltung der Produktionsstätten erforderte, und zusätzlich die Aufrechterhaltung der Überseekommunikation, was eine unabdingbare Voraussetzung für den Sieg war. Außerdem galt die Bestimmung des europäischen Kriegsschauplatzes und des Atlantik als das ausschlaggebende Gebiet zur Bekämpfung der Achsenmächte und für einen Sieg über Deutschland. Weiterhin sollte der Aufbau einer Verteidigungsposition im Pazifik bis zum Sieg im Atlantik und über Europa mit der Möglichkeit, kleinere Offensivoperationen gegen Japan zu unternehmen. Der Angriff gegen Deutschland sollte offensiv über das Mittelmeer geführt werden mit massiven Bomberangriffen auf das deutsche Kernland und die Festung Europa. Blockade gegen Deutschland und subversive Operationen in deutsch besetzten Gebieten.

Die Casablanca-Konferenz war ein Geheimtreffen von US-Präsident Franklin D. Roosevelt, dem britischen Premierminister Winston Churchill und den Combined Chiefs of Staff (CCS), ein gemeinsamer Operations- und Planungsstab der USA und Großbritanniens während des Zweiten Weltkriegs. Sie fand vom 14. bis 26. Januar 1943 im marokkanischen Casablanca statt.

Auch Stalin war eingeladen, er konnte jedoch wegen des Kampfes um Stalingrad die Sowjetunion nicht verlassen.

Die von Stalin seit langem geforderte zweite Front in Europa war von Roosevelt bereits zugesagt, aber nicht vor Juli/August 1943 in Aussicht gestellt worden. Auf britischen Vorschlag wurde eine Landung auf Sizilien für Juni/Juli 1943 verabredet, um Italien zu besiegen. Mit ihr sollte die Mittelmeerposition der Alliierten gefestigt und der Sprung auf das italienische Festland vorbereitet werden. 

Präsident Roosevelt verkündete auf einer Pressekonferenz als vorrangiges Kriegsziel die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches, Italiens und Japans ("unconditional surrender"). Angestrebt werde nicht die Vernichtung der Völker, sondern die Zerstörung ihrer Kriegsmacht und ihrer auf Eroberung und Unterjochung anderer Länder ausgerichteten Weltanschauung. Mit dieser Formulierung sollte dem misstrauischen Stalin bewiesen werden, dass die Westmächte keinen Sonderfrieden anstrebten, sondern zusammen mit den Sowjets bis zur endgültigen Niederwerfung Deutschlands, Italiens und Japans kämpfen würden.

Die Ergebnisse von Casablanca und die Kapitulation in Stalingrad veranlassten die nationalsozialistische Propaganda zur Ausrufung des "totalen Krieges" in der Sportpalast-Rede von Goebbels[18] am 18. Februar 1943. Trotz des verstärkt einsetzenden Luftkrieges der Westalliierten über Deutschland solidarisierte sich die Bevölkerung mit den Durchhalteparolen der NS-Führung oder war zumindest zur resignativen Hinnahme des immer aussichtsloser erscheinenden Kriegsgeschehens bereit.

Die Invasion Westeuropas wurde im Zeitplan auf das Jahr 1944 verschoben. Während der Quadrant-Konferenz in Québec (August 1943) wurde die Operation Overlord (Invasion in der Normandie) beschlossen und General Frederick E. Morgan beauftragt, einen detaillierten Plan zu entwerfen. In Kairo (November 1943) vereinbarten der amerikanische Präsident Roosevelt, sein Pendant Churchill und der chinesische Befehlshaber Chiang Kai-shek, den Krieg in Ostasien bis zur bedingungslosen Kapitulation Japans, das an der Seite des nationalsozialistischen Deutschlands im 2. Weltkrieg kämpfte, fortzusetzen. Die Alliierten setzten ihre militärischen Operationen bis zur bedingungslosen Kapitulation Japans fort. Es wurde beschlossen, dass Japan müssen alle seit dem Beginn des Ersten Weltkriegs besetzten oder eroberten pazifischen Inseln entzogen werden müssten. Alle von Japan geraubten chinesischen Gebiete wie die Mandschurei, Taiwan oder die Pescadores müssten wieder an die Republik China zurückfallen; Korea solle frei und unabhängig werden.

Im November 1943 einigten sich Präsident Roosevelt, Premierminister Churchill und Stalin in Teheran darauf, die Curzon-Linie als polnisch-sowjetische Grenze anzuerkennen, Polen im Westen bis zur Oder-Linie vorrücken zu lassen und ostpreußisches Gebiet um den eisfreien Hafen von Königsberg der Sowjetunion zu übergeben. Es wurde eingehend eine deutsche Teilung erörtert, nachdem Roosevelt einen Plan für fünf autonome deutsche Staaten vorgelegt hatte. Die Regierungschefs erzielten jedoch keine Einigung und beauftragten die in London tagende Europäische Beratungskonferenz mit der weiteren Prüfung dieser Frage.[19] Für den künftigen Frieden wurde eine Zerstückelung Deutschlands vereinbart.

Churchill schlug eine Zweiteilung Deutschlands bei Abtrennung der Provinz Ostpreußen in eine nördliche und eine südliche Hälfte vor, bei der Teile Süddeutschlands (Bayern, Pfalz, Baden und Württemberg) mit Österreich und Ungarn zu einer „Donauföderation“ zusammengeschlossen werden sollten.

Roosevelt favorisierte die Bildung von fünf autonomen Einzelstaaten. Diese sollten jeweils folgende Gebiete umfassen: Preußen (Brandenburg einschließlich der Gebiete östlich der Oder, Berlin, Mecklenburg, Pommern, Schlesien und das nördliche Sachsen-Anhalt), Hannover mit Gebieten Nordwestdeutschlands, Sachsen (das heutige Sachsen ohne den niederschlesischen Teil sowie das heutige Thüringen), Hessen-Darmstadt vereinigt mit Hessen-Kassel und Gebieten südlich des Mains sowie einem südlichen Teil der Rheinprovinz sowie ein südlicher Staat aus Bayern, Baden, Württemberg und Württemberg-Hohenzollern.

Außerdem schlug er vor, die Gebiete um Kiel und Hamburg sowie das Ruhr- und Saargebiet unter internationale Verwaltung stellen zu lassen.

Die Einsetzung dieser Kommission zum Studium der alliierten Nachkriegspolitik war wenige Wochen vor der Teheraner Konferenz der Regierungschefs von den Außenministern Hull, Eden und Molotow auf ihrer Moskauer Tagung beschlossen worden.[20]

In den USA beschäftigten sich Deutschland-Experten in Jahren 1942 bis 1944 wiederholt mit dem Problem der Aufgliederung des nationalsozialistischen Deutschlands. Eine Mehrheit der Sachverständigen stützte die Überzeugung des amerikanischen Außenministers Hull, dass die gewaltsame Teilung den Aufbau demokratischer Einrichtungen in Deutschland gefährden müsse, während Unterstaatssekretär Welles den Präsidenten stärker für den Plan gewinnen konnte, „die Differenzen und Eifersüchte, die innerhalb Deutschlands alsbald entstehen würden, als separatistische Bewegungen zu begünstigen.“[21]

Der zügige Vormarsch der alliierten Armeen rückte den Tag der deutschen Kapitulation jedoch in greifbare Nähe. So kamen Roosevelt, Churchill und Stalin im Februar 1945 zu weiteren Verhandlungen über die Nachkriegsordnung in Jalta erneut zusammen und kamen zu folgendem Ergebnis::[22] „Gemäß dem im gegenseitigen Einvernehmen festgelegten Plan werden die Streitkräfte der drei Mächte je eine besondere Zone Deutschlands besetzen. Der Plan sieht eine koordinierte Verwaltung und Kontrolle durch eine Zentralkommission mit Sitz in Berlin vor, die aus den Oberbefehlshabern der drei Mächte besteht. Es ist beschlossen worden, daß Frankreich von den drei Mächten aufgefordert werden soll, eine Besatzungszone zu übernehmen und als viertes Mitglied an der Kontrollkommission teilzunehmen, falls es dies wünschen sollte (…) Es ist unser unbeugsame Wille, den deutschen Militarismus und Nationalsozialismus zu zerstören und dafür Sorge zu tragen, daß Deutschland nie mehr imstande ist, den Weltfrieden zu stören. Wir sind entschlossen, alle deutschen Streitkräfte zu entwaffnen und aufzulösen; den deutschen Generalstab (…) für alle Zeiten zu zerschlagen; sämtliche deutschen militärischen Einrichtungen zu entfernen oder zu zerstören; die gesamte deutsche Industrie, die für die militärische Produktion benutzt werden könnte, zu beseitigen oder unter Kontrolle zu stellen; alle Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen (…) eine im gleichen Umfang erfolgte Wiedergutmachung der von den Deutschen verursachten Schäden zu bewirken; die Nationalsozialistische Partei, die nationalsozialistischen Gesetze, Organisationen und Einrichtungen zu beseitigen. (…) Es ist nicht unsere Absicht, das deutsche Volk zu vernichten, aber nur dann, wenn der Nationalsozialismus und Militarismus ausgerottet sind, wird für die Deutschen Hoffnung auf ein würdiges Leben und einen Platz in der Völkergemeinschaft bestehen.“

Stalin forderte in Jalta, einen Beschluss über die Zerstückelung Deutschlands zu fassen und die von der Europäischen Beratungskommission vorbereitete Kapitulationsurkunde entsprechend zu ergänzen. Daraufhin wurde ein geheimer Teilungssauschuss eingesetzt, der in London tagte.[23]

In einer Geheimabsprache verpflichtete sich die Sowjetunion, zwei bis drei Monate nach der deutschen Kapitulation den Krieg gegen Japan zu eröffnen und ein Bündnis mit China einzugehen. Im Gegenzug erhielt sie territoriale Zugeständnisse in den Kurilen und Südsachalin sowie politische Vorrechte in der Mandschurei, Besatzungsrechte in Korea und die Autonomie der Äußeren Mongolei.

Die Sowjetunion verstand es, schon zu diesem Zeitpunkt eigene machtpolitische Interessen durchzusetzen oder zumindest verhandelbar zu machen. Stalin war vor allem daran interessiert, die ost- und südosteuropäischen Länder als sowjetische Interessensphäre anerkennen zu lassen und die Ostgrenze Polens zugunsten der Sowjetunion auf die sogenannte „Curzon-Linie“ festzusetzen. Unter der Voraussetzung, dass an einer provisorischen polnischen Regierung auch Nichtkommunisten und die Londoner Exilregierung beteiligt und freie demokratische Neuwahlen durchgeführt werden würden, stimmten Roosevelt und Churchill dieser Ostgrenze zu. Die Festlegung der polnischen Westgrenze wurde vertagt, allerdings wurde Polen ein „beträchtlicher Gebietszuwachs“ als Kompensation für den Verlust seiner Ostgebiete an die Sowjetunion zugesagt.

Dort einigten sich die Staatschefs auch über die letzten noch strittigen Punkte des Entwurfs zur Charta der Vereinten Nationen. Es ging insbesondere um den Abstimmungsmodus im mächtigsten Gremium der künftigen Organisation, dem Sicherheitsrat. Den ständigen Sicherheitsratsmitgliedern – der UdSSR, den USA, Großbritannien, Frankreich und China – räumte man auf Betreiben der UdSSR ein Vetorecht in allen wichtigen Fragen ein.

Wie bereits die frühere Konferenz von Teheran ließ auch die Konferenz von Jalta viel Auslegungsspielraum offen. Nur über eine bedingungslose Kapitulation und die Entnazifizierung sowie die Entmilitarisierung Deutschlands war man sich von vornherein einig. Definitive Absprachen, Einzelheiten über die Abtretung der deutschen Ostgebiete oder die künftige polnische Westgrenze wurden nicht getroffen. Verabredet war allenfalls, dass Polen im Norden und Westen deutsche Gebiete erhalten solle, nach den Vorstellungen der USA und Großbritanniens jedoch keine westlich der Oder. Keine der teilnehmenden Parteien wollte ein Scheitern der Verhandlungen oder einen nicht mehr zu reparierenden Dissens riskieren und so den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland nicht zu gefährden oder eine mögliche Spaltung der Alliierten herbeizuführen.

Der sowjetische Vertreter Gussjew rückte in diesem Teilungsausschuss im März und April 1945 wieder von dem Jaltaer Teilungsbeschluss ab.[24] Er verhinderte, dass das Wort „Zerstückelung“, wie ursprünglich in Jalta vereinbart, in die Kapitulationsurkunde aufgenommen wurde, indem er der Absicht der USA und Großbritannien widersprach, Frankreich über den Geheimbeschluss der Großen Drei in Jalta zu informieren. Frankreich sollte aber die deutsche Kapitulationserklärung ebenfalls entgegennehmen. So kam es, dass in diesem Dokument schließlich nur der Absatz auftauchte:[25] „Diese Kapitulationserklärung stellt kein Präjudiz für an ihre Stelle tretende allgemeine Kapitulationsbedingungen dar, die durch die Vereinten Nationen oder in deren Namen festgesetzt werden.“

Die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht wurde am 7. Mai 1945 im Obersten Hauptquartier der Alliierten Expeditionsstreitkräfte, untergebracht in den Gebäuden des heutigen Lycée Polyvalent Franklin Roosevelt, in Reims unterzeichnet und trat am 8. Mai um 23:01 Uhr in Kraft. Die Kapitulationserklärung wurde aus protokollarischen Gründen in Berlin-Karlshorst im Hauptquartier der sowjetischen 5. Armee am 8./9. Mai wiederholt. Die deutsche Staats- und Wehrmacht­führung räumte damit den alliierten Siegermächten das Recht ein, alle politischen, militärischen und gesellschaftlichen Angelegenheiten Deutschlands zu regeln.

Der Kurswechsel der Sowjetunion nach der Jalta-Konferenz wurde vollends sichtbar, als Stalin am 8.Mai erklärte:[26] „Die Sowjetunion feiert den Sieg, wenn sie sich auch nicht anschickt, Deutschland zu zerstückeln oder zu vernichten.“

Aus diesen Tatsachen ergibt sich, dass die Kriegsgegner Deutschlands trotz aller Beratungen und Erwägungen in den vergangenen vier Jahren keine einheitliche Konzeption für den nun gemeinsam zu beschreitenden Weg besaßen. Es herrschte bei den Alliierten immer noch die Angst, der Krieg könnte noch nicht vorbei sein und es könnten sich neonazistische Untergrundbewegungen bilden, die in Form von Anschlägen oder Straßenkämpfen die Auseinandersetzungen nochmals suchen würden.

Die USA hatten zwar durch ihre Vereinigten Stabschefs an den Oberbefehlshaber ihrer Besatzungstruppen im April 1945 eine Weisung – die Direktive JCS 1067 – ergehen lassen, in dem es unter anderem hieß:[27] „Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als besiegter Feindstaat.“ Bald sollte sich jedoch herausstellen, dass die detaillierten Anweisungen der Wirklichkeit nicht gerecht zu werden vermochten und die Sowjetunion andere Vorstellungen durchsetzen wollte.[28]

Das Potsdamer Abkommen

Die in der Kapitulationsurkunde angekündigten allgemeinen Bedingungen wurden Anfang Juni von den Oberbefehlshabern der Besatzungstruppen – dem amerikanischen General Eisenhower, dem Marshall der Sowjetunion Shukow, dem britischen Feldmarschall Montgomery und dem französischen Armeegeneral Lattre de Tassigny – verkündet, nachdem am 23. Mai die Geschäftsführende Reichsregierung des Großadmirals Dönitz in der Nähe von Flensburg verhaftet worden war.[29]

In der „[Berliner Deklaration] Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands durch die Regierungen des Vereinigten Königreichs, der Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken und durch die Provisorische Regierung der Französischen Republik“ in Anbetracht der Niederlage Deutschlands vom 5. Juni 1945 teilten die vier Siegermächte mit, dass sie „hiermit die oberste Regierungsgewalt in Deutschland übernehmen, einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden.[30] Die Übernahme zu den vorstehend genannten Zwecken der besagten Regierungsgewalt und Befugnisse bewirkt nicht die Annektierung Deutschlands.“[31]

Die fünfzehn Artikel dieser Erklärung regelten im Einzelnen die Entwaffnung und Gefangennahme aller deutschen Streitkräfte und die Verhaftung der nationalsozialistischen Rädelsführer. In einer am gleichen Tage veröffentlichten Feststellung über das Kontrollverfahren in Deutschland hieß es:[32]

„1. Während der Zeit, in der Deutschland die sich aus der bedingungslosen Kapitulation ergebenden grundlegenden Forderungen erfüllt, wird in Deutschland die oberste Gewalt von den Befehlshabern Großbritanniens, der Vereinigten Staaten, Sowjetrusslands und Frankreichs auf Anweisung ihrer Regierungen ausgeübt, von jedem in seiner eigenen Besatzungszone und gemeinsam in allen Deutschland als ein Ganzes zu betreffenden Angelegenheiten. Die vier Oberbefehlshaber bilden zusammen den Kontrollrat. Jeder Oberbefehlshaber wird von einem politischen Berater unterstützt.

2. Der Kontrollrat, dessen Entscheidungen einstimmig getroffen werden müssen, trägt für eine angemessene Einheitlichkeit des Vorgehens der einzelnen Oberbefehlshaber in ihren entsprechenden Besatzungszonen Sorge. (…)

3. Unter dem Kontrollrat sind ein ständiger Koordinationsausschuss, der sich aus einem Vertreter der vier Oberbefehlshaber zusammensetzt, und ein Kontrollstab tätig, der aus folgenden Abteilungen besteht: Heer, Marine, Luft, Transport, Politik, Wirtschaft, Finanzen, Reparationen und Wiedererstattung, Innere Angelegenheiten und Nachrichtenwesen, Rechtswesen, Kriegsgefangene und Zwangsverschleppte, Arbeitseinsatz. Jede Abteilung hat vier Leiter, von denen einer von jeder der vier Mächte ernannt wird.“

Berlin sollte von einer Interalliierten Behörde, bestehend aus den vier Stadtkommandanten, unter Aufsicht des Kontrollrates verwaltet werden. Den übrigen Kriegsgegnern Deutschlands wurde die Ernennung von Militärmissionen beim Kontrollrat empfohlen. Zwei weitere Dokumente, die das Datum des 5. Juni trugen, bestimmten, dass Deutschland in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 in vier Besatzungszonen, Berlin in vier Sektoren aufgeteilt und dass die übrigen verbündeten Regierungen gelegentlich von den vier Besatzungsmächten konsultiert würden.[33]

Weiterhin regelte die Erklärung die Freilassung der in deutscher Kriegsgefangenschaft befindlichen Personen (Art. 6), Verbot des Vernichtens von offiziellen Dokumenten (Art. 8), Einstellung des Rundfunks (Art. 9), Gefangennahme der Kriegsverbrecher (Art. 11) und Stationierung der alliierten Streitkräfte in Deutschland (Art. 12).

Die geplanten Grenzen der Besatzungszonen stimmten nicht mit dem Verlauf der Fronten am Ende des Krieges überein. Britische und US-amerikanische Truppen mussten sich aus Teilen Mecklenburgs, Thüringens und Sachsens zurückziehen, die der sowjetischen Besatzungszone zugeteilt worden waren. Anfang Juli rückten die sowjetischen Truppen vor und besetzten strategische Städte wie z.B. Schwerin, Halle, Leipzig, Weimar und Erfurt, während die drei Westmächte ihre Berliner Sektoren übernahmen.

Zu dieser Zeit hatten sich aber bereits starke politische Spannungen zwischen den Westmächten und der Sowjetunion offenbart – vor allem wegen des sowjetischen Vorgehens in Polen, aber auch wegen der Einflussnahme der Sowjetunion auf die Regierungsbildungen in den Balkan-Staaten und Österreich.

So hatte Churchill bereits am 4. Juni der amerikanischen Regierung mitgeteilt:[34] „Ich sehe dem im Mittelabschnitt unserer Front beabsichtigten Rückzug der amerikanischen Armee auf unsere Zonengrenzen mit größtem Unbehagen entgegen, ist doch damit der Vormarsch der Sowjetmacht im Herz Westeuropas und die Senkung eines eisernen Vorhangs zwischen uns und dem ganzen Osten verbunden. Ich hatte gehofft, dieser Rückzug würde, falls er überhaupt erfolgen muß, von der Regelung vieler wesentlicher Dinge begleitet sein, die allein eine echte Grundlage des Weltfriedens darstellen könnten. Noch ist nichts von Bedeutung geregelt.“

Die nach der Jalta-Konferenz entstandenen Meinungsverschiedenheiten sollten beigelegt, die Voraussetzungen für eine gemeinsame Nachkriegspolitik geschaffen werden, als die drei Regierungschefs vom 17.7-02.08 im Cäcilienhof bei Potsdam zusammenkamen. Die Leiter der Delegationen waren Präsident Truman, der an die Stelle des im April verstorbenen Franklin D. Roosevelt getreten war, unterstützt von seinem Außenminister Byrnes, Stalin und sein Außenminister Molotow, Premierminister Churchill und Außenminister Eden, die Ende Juli – nach dem Sieg der Labour-Party bei den britischen Unterhauswahlen – durch den neuen Regierungschef Attlee und Außenminister Bevin ersetzt wurden.[35]

Auf der Tagesordnung der Potsdamer Konferenz stand nicht nur das Deutschland-Problem. Im Fernen Osten dauerte der Krieg mit Japan an. Bis zu ihrer Politik gegenüber Spanien und der Türkei hatten die drei Mächte eine Fülle internationaler Probleme zu erörtern. „Als wir nach Potsdam gekommen waren, sahen wir uns hinsichtlich der polnisch-deutschen Grenze einer vollendeten Tatsache gegenüber“, berichtete Byrnes.[36] Die Sowjetunion hatten das deutsche Gebiet östlich der Oder und Neiße, das eigentlich zur sowjetischen Besatzungszone gehören sollte, polnischer Verwaltung unterstellt, ohne sich vorher mit den Regierungen in London und Washington abzustimmen:[37] „Die Sowjets hatten damit praktisch eine weitere Zone errichtet; sowohl Präsident Truman wie Premierminister Churchill baten sofort um eine Erklärung dieser einseitigen Handlungsweise. Die Sowjets rechtfertigten sich, indem sie sagten, die Deutschen seien vor den russischen Truppen geflohen.“

Die Westmächte beharrten darauf, dass die deutsch-polnische Grenze erst in einem Friedensvertrag festgelegt werden könne. Churchill warnte vor einer Hungersnot, wenn man Deutschland kurzfristig seiner landwirtschaftlich wichtigen Ostgebiete beraube. Truman erwähnte das schlesische Industriegebiet, ohne dass die von der Sowjetunion geforderten Reparationen – 20 Milliarden Dollar, von denen die Hälfte Russland zugute kommen sollte – nicht aufgebracht werden könnten. Ohnehin warnte die USA davor, Deutschland zu hohe Reparationen aufzuerlegen, die nur – wie nach dem 1. Weltkrieg - durch amerikanische Anleihen gesichert würden.

Erst in der Schlussphase der Potsdamer Konferenz gingen die westlichen Regierungen von ihrer Forderung ab, dass die östliche Neiße als vorläufige Grenze gelten, mithin Breslau und außerdem Stettin zu dem vom Kontrollrat verwalteten deutschen Gebiet gehören sollen. Stalins Machtpolitik setzte die Anerkennung der westlichen Neiße als Grenzlinie durch.[38] Auf der Konferenz wurde keine konkrete Festlegung des nördlichsten Grenzabschnittes bei und seewärts von Stettin getroffen. Allerdings waren sich die Westalliierten und die Sowjetunion politisch insoweit darin einig, als der Hafen von Stettin dem polnischen Territorium zugeschlagen werden sollte. Polen hatte dies gegenüber den Alliierten im Vorfeld der Konferenz stets angeregt.

Dies galt auch für die Gegend um Königsberg. Im Artikel VI über die „Stadt Königsberg und das anliegende Gebiet“, hieß, dass die (…) Westgrenze der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, [die] an die Ostsee grenzt, von einem Punkt an der östlichen Küste der Danziger Bucht in östlicher Richtung nördlich von Braunsberg-Goldap und von da zu dem Schnittpunkt der Grenzen Litauens, der Polnischen Republik und Ostpreußens verlaufen soll.“[39]

Die Regierungschefs kamen überein, einen Rat der Außenminister mit einem in London ansässigen Sekretariat zu bilden, dem Frankreich und in bestimmten Fragen China angehören sollten. Diesem Rat wurde aufgetragen, rasch die Friedensverträge mit Italien, Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Finnland vorzubereiten – anschließend ein ähnliches Dokument für Deutschland.

Über die bis zum Abschluss eines Friedensvertrages zu verfolgende gemeinsame Politik hieß es im Potsdamer Abkommen:[40] „Das deutsche Volk fängt an, die furchtbaren Verbrechen zu büßen, die unter der Leitung derer, welche es zur Zeit ihrer Erfolge offen gebilligt hat und denen es blind gehorcht hat, begangen wurden.“

Unter Berufung auf die Jalta-Beschlüsse bekräftigten die Regierungschefs erneut ihren Willen, Deutschland vollständig zu entmilitarisieren und alle nationalsozialistischen Organisationen und Einflüsse zu beseitigen:[41] „Die Verwaltung Deutschland muß in Richtung auf eine Dezentralisation der politischen Struktur und der Entwicklung einer örtlichen Selbstverwaltung durchgeführt werden. In ganz Deutschland sind alle demokratischen Parteien zu erlauben und zu fördern. Bis auf weiteres wird keine zentrale deutsche Regierung errichtet werden. Jedoch werden einige wichtige zentrale deutsche Verwaltungsabteilungen errichtet werden, an deren Spitze Staatssekretäre stehen, und zwar auf den Gebieten des Finanzwesens, des Transportwesens, des Verkehrswesen, des Außenhandels und der Industrie. Diese Abteilungen werden unter der Leitung des Kontrollrates tätig sein.“

Die wirtschaftlichen Grundsätze des Abkommens verpflichteten den Kontrollrat, Deutschland als ein einziges wirtschaftliches Ganzes zu betrachten, das Wirtschaftsleben so rasch wie möglich zu dezentralisieren – mit dem Ziel der Vernichtung der bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, dargestellt insbesondere durch Kartelle, Syndikate, Trusts und andere Monopolvereinigungen – und schließlich mit Hilfe eines deutschen Verwaltungsapparates eine Kontrolle des Wirtschaftslebens zu gewährleisten:[42] „Nach der Bezahlung der Reparationen sind dem deutschen Volke genügend Mittel zu belassen, um ohne eine Hilfe von außen zu existieren.“

Wie hoch diese Reparationen sein würden, blieb in der Erklärung unerwähnt. Die Mächte sollten ihre Reparationsansprüche jeweils aus ihrer eigenen Besatzungszone und den von ihnen beschlagnahmten Auslandsguthaben auftreiben, wobei der Sowjetunion zusätzlich Lieferungen aus den westlichen Zonen zugesagt wurden.[43]

Die für Deutschland folgenschwersten Bestimmungen betrafen das Schicksal der Ostgebiete:[44] „Die Konferenz hat grundsätzlich dem Vorschlag der Sowjetregierung hinsichtlich der endgültigen Übergabe der Stadt Königsberg und des anliegenden Gebietes an die Sowjetunion (…) zugestimmt. Der Präsident der USA und der britische Premierminister haben erklärt, dass sie den Vorschlag der Konferenz bei der bevorstehenden Friedensregelung unterstützen werden. (…) Die Häupter der drei Regierungen bekräftigten ihre Auffassung, dass die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zu der Friedenskonferenz zurückgestellt werden soll. Die Häupter der drei Regierungen stimmen darin überein, daß bis zur endgültigen Festlegung der Westgrenze Polens die früheren deutschen Gebiete östlich der Linie, die von der Ostsee unmittelbar westlich von Swinemünde und von dort die Oder entlang bis zur Einmündung der westlichen Neiße, und die westliche Neiße entlang bis zur tschechoslowakischen Grenze verläuft, einschließlich des Teiles Ostpreußens, der nicht unter die Verwaltung der UdSSR (…) gestellt wird, und einschließlich des Gebietes der früheren Freien Stadt Danzig unter die Verwaltung des polnischen Staates kommen und in dieser Hinsicht nicht als Teil der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland betrachtet werden sollen.“

Byrnes berichtete, die Konferenz habe in guter Stimmung geendet, obwohl die US-amerikanische Delegation weniger zuversichtlich abgereist sei als nach der Konferenz in Jalta:[45] „Wir waren fest davon überzeugt, daß die erzielten Beschlüsse eine Grundlage für die baldige Wiederherstellung dauerhafter Verhältnisse in Europa bildeten. Tatsächlich haben die Beschlüsse die Konferenz zu einem Erfolg gemacht, aber die Verletzung dieser Beschlüsse verwandelte den Erfolg in einen Fehlschlag.“

Frankreich, das seine Vertreter in die Europäische Beratungskommission entsandt und die Deklarationen vom 5. Juni mit unterzeichnet hatte, war zur Potsdamer Konferenz nicht hinzugezogen worden. Die französische Regierung unter dem Vorsitz von General de Gaulle beschränkte sich darauf, das Potsdamer Abkommen zur Kenntnis zu nehmen und nur Teile davon offiziell zu akzeptieren (z.B. die Beschlüsse über die deutschen Ostgebiete). Frankreich erhob Vorbehalte hinsichtlich der geplanten Zentralverwaltung, sperrte seine eigene Zone für Flüchtlinge und Vertriebene und begann, auf eine Abtrennung des Saargebietes und eine Internationalisierung der Ruhr zu drängen. Vornehmlich am französischen Widerstand sollte in den folgenden zwei Jahren die Bildung einer dem Kontrollrat unterstellten deutschen Zentralgewalt scheitern.

Diese Vereinbarungen dienten der UdSSR in den folgenden Jahren als Legitimation, um stufenweise ihre veränderte Politik in Deutschland durchzusetzen.[46]

Ein Fernziel der UdSSR bestand wohl darin, in Deutschland ihr eigenes System zu installieren. Nur dadurch glaubte sie Faschismus und Militarismus beseitigen zu können, die nach der sowjetischen Ideologie Folgen des Kapitalismus und der bürgerlichen Staatsform waren.[47] Die aktuellen Interessen der UdSSR verlangten 1945 jedoch eine andere Taktik. Die Sowjetunion wollte eben nicht nur ihren Machtbereich erweitern und ihr internationales Gewicht zu verstärken, sie benötigte auch nach den schweren Kriegsverlusten Ruhe für den Wiederaufbau und sie brauchte Reparationen.

Zunächst war also die Zusammenarbeit mit den westlichen Alliierten notwendig. Daher sollte jeder Anschein einer kommunistischen Entwicklung oder einer Übertragung des Sowjetsystems in Osteuropa und erst recht im gemeinsam besetzten Deutschland vermieden werden. Ideologisch gestand Stalin deshalb allen kommunistischen Parteien einen eigenen Weg zum Sozialismus zu und verzichtete auf eine sofortige Sowjetisierung, was die Westmächte provoziert und die sowjetischen Reparationsansprüche gefährdet hätte.[48]

In Bezug auf den Pazifikkrieg legte die Potsdamer Erklärung vom 26. Juli 1945 die offiziellen amerikanisch-britisch-chinesischen Bedingungen für die Kapitulation des Kaiserreichs Japan fest. Die Potsdamer Erklärung wurde von Präsident Harry S. Truman und Premierminister Winston Churchill im Rahmen der Potsdamer Konferenz formuliert, von Generalissimo Chiang Kai-shek telegrafisch mitunterzeichnet.

Die Gliederung des besetzten Deutschland

Deutschland in den Grenzen, die es von 1919 bis 1937 besessen hatte, zerfiel in den Monaten, die der Potsdamer Konferenz folgten, in acht Teile:[49]

  1. das von der Sowjetunion besetzte Gebiet um Königsberg, in dem nur wenige tausend Deutsche zurückblieben, wurde als Gebiet Kaliningrad in die russische Sozialistische Förderative Sowjetrepublik einbezogen, während das Memelgebiet zur Litauischen Sowjetrepublik gehören sollte.
  2. in dem unter polnische Verwaltung gestellten Gebiet, das verwaltungsrechtlich in sechs Woiwodschaften aufgegliedert wurde, wohnten weiterhin mehrere hunderttausende Deutsche, die nach und nach die polnische Staatsangehörigkeit annahmen. Die Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie umfassten ein Viertel des Reichsterritoriums. Ein weiteres Viertel des Staatsgebietes von 1937 wurde von der Roten Armee verwaltet.
  3. die sowjetische Besatzungszone. Ende Oktober lebten in dieser Zone und dem Sowjetsektor von Berlin 18,35 Millionen Menschen. Die Sowjetische Militäradministration (SMAD) in Berlin-Karlshorst gliederte ihre Zone in die Länder Mecklenburg, Sachsen, Thüringen und die Provinzen Brandenburg und Sachsen-Anhalt (letztere wurden nach dem Kontrollratsbeschluss über die Liquidierung des preußischen Staates am 21.7.1947 in Länder umgewandelt). Unter der Aufsicht der örtlichen Kommandanten der Roten Armee, deren Verbände während des Einmarsches häufig der Kontrolle ihrer Befehlshaber entglitten waren, entstanden in den Gemeinden deutsche Verwaltungsämter. Im Juli 1945 setzte die SMAD Provinzial- und Landesverwaltungen ein. Noch vor Abschluss der Potsdamer Konferenz schuf sie durch den Befehl Nr. 17 am 25.7. elf Deutsche Verwaltungen – für Transport, Post- und Telegraphenwesen, Brennstoff und Energieerzeugung, Handel und Versorgung, Industrie, Landwirtschaft, Finanzen, Arbeit und Sozialwesen, Volksbildung, Justiz, Gesundheitswesen im Bereich der gesamten sowjetischen Zone.

Auch in den westlichen Besatzungszonen begann eine Neustrukturierung. Die Ermordung des von den Alliierten eingesetzten Aachener Bürgermeisters durch unerkannt entkommende deutsche Täter im März 1945 ließ die Besorgnis der Alliierten wachsen, eine deutsche Untergrundbewegung könne die Bevölkerung terrorisieren. Diese Befürchtungen erwiesen sich jedoch nach der Kapitulation als unbegründet. Das Oberkommando der westlichen Streitkräfte musste auf Geheiß der Regierungen – gegen den Willen General Eisenhowers – seine gemeinsamen Stäbe auflösen und seine Kompetenzen an die drei neuen Militärregierungen abtreten. Eine Neugliederung der deutschen Länder und Provinzen erschien vor allem angesichts der Auflösung des preußischen Staates notwendig. Im Jahre 1946 bildete sich die verwaltungsrechtliche Gestalt der westlichen Hälfte Deutschlands endgültig heraus. Danach gehörten zur# amerikanischen Besatzungszone die Länder Bayern, Groß-Hessen, Württemberg-Baden und die Enklave Bremen, der Zugang der amerikanischen Truppen zum Meer. In Bayern wurde bereits am 28.5. 1945 Fritz Schäffer, der letzte Vorsitzende der Bayerischen Volkspartei in der Weimarer Republik, zum Ministerpräsidenten ernannt. Ihn löste allerdings schon nach drei Monaten der Sozialdemokrat Wilhelm Hoegner ab, in dessen Kabinett Ludwig Erhard das Wirtschaftsministerium übernahm.

In Württemberg-Baden wurde der Liberale Reinhold Maier Ministerpräsident. Hessens erster Ministerpräsident wurde Karl Geiler, ein Heidelberger Historiker. Im Oktober 1945 schlossen sich die drei Regierungschefs in Stuttgart zu einem Länderrat zusammen, der durch einstimmige Beschlüsse eine Rechts- und Verwaltungsgleichheit der drei Länder sichern sollte. Die Ministerpräsidenten verabredeten, sich an jedem ersten Dienstag eines Monats zu treffen und ein Direktorium (bestehend aus je einem Regierungsmitglied, einem Bevollmächtigten der Ministerpräsidenten und dem Generalsekretär) zu berufen. Ein Sekretariat mit neun Fachabteilungen und zahlreichen Ausschüssen sollte seinen ständigen Sitz in Stuttgart haben und mit dem Coordinating Office der amerikanischen Militärregierung zusammenwirken. Bremen, zu dessen Senatspräsident der Sozialdemokrat Kaisen berufen wurde, konnte erst ab Februar 1947 zum Länderrat gehören.

  1. Die britische Zone bestand aus den Ländern Schleswig-Holstein (erster Ministerpräsident der christlich-demokratische Theodor Steltzer), Hamburg (Bürgermeister Petersen), Nordrhein-Westfalen (Ministerpräsident der parteilose Rudolf Amelunxen) und Niedersachsen. Zu diesem neuen Land schlossen die Briten die Länder Hannover, Braunschweig und Oldenburg zusammen; Niedersachsens Ministerpräsident wurde im Oktober der Sozialdemokrat Kopf.

Mitte Februar 1946 schuf die britische Militärregierung eine beratende deutsche Körperschaft – den Zonenbeirat in Hamburg. Seine mindestens einmal monatlich tagenden, mit einfacher Stimmenmehrheit beschließenden 32 Mitglieder sollten der Militärregierung fachliche Ratschläge vor allem in jenen Bereichen erteilen, die der Kompetenz der Landesregierungen entzogen waren (Währungsfragen, Verkehrsprobleme, Außenhandel, Strafrecht und Strafverfahrensrecht).

  1. Das Saargebiet gehörte ursprünglich zur französischen Zone. Frankreich schickte sich jedoch bald an, die Saar aus der Besatzungszone herauszulösen, einem Sonderstatut zu unterstellen, das nicht von allen vier Mächten gebilligt wurde, und schließlich wirtschaftlich eng mit dem französischen Staatsgebiet zu verbinden. Frankreich hoffte, auf diese Weise vollendete Tatsachen zu schaffen, die durch den Friedensvertrag nur noch sanktioniert werden sollten. Im Unterschied zu dem sowjetisch-polnischen Vorgehen im Osten konnte die knapp eine Million Menschen umfassende Saarbevölkerung jedoch in ihrer Heimat bleiben. Grenzveränderungen vergrößerten in den folgenden Jahren das Saargebiet, so wie es im Versailler Vertrag umrissen worden war, um etwa ein Drittel auf Kosten des rheinland-pfälzischen Territoriums. Politische Kräfte, die sich einem Anschluss der Saar an Frankreich widersetzten, durften sich nicht entfalten. Der Vorsitzende der Christlichen Volkspartei des Saargebietes, Johann Hoffmann, der bereits am 09.05.1945 die wirtschaftliche Angliederung an Frankreich gefordert hatte, übernahm 1947 die Regierungsgeschäfte.
  2. Berlin, die Hauptstadt Deutschlands, wurde – gemäß alliierten Vereinbarungen vom 12.09 und 14.11.1944 – in vier Sektoren aufgeteilt und von einer Alliierten Kommandantur verwaltet:[50] „Es ist aufschlußreich, daß in allen diesen Dokumenten die gemeinsame Besetzung Berlin stand, daß aber in keinem der Zugang garantiert oder besondere Rechte zum Verkehr auf den Straßen-, Schienen- oder Luftwege festgelegt wurden.“

Die westlichen Diplomaten in der Europäischen Beratungskommission hatten zwar über diese Unterlassung beraten, waren aber zu dem Ergebnis gelangt, „das Recht in Berlin zu sein, schließe das Zugangsrecht mit ein; es werde nur Verwirrung stiften, die Angelegenheit in Zusammenhang mit der Vereinbarung zur Sprache zu bringen, (…) man würde damit sowjetisches Misstrauen erregen und die Verständigung noch schwieriger machen.“ Unmittelbar vor der Verlegung der westlichen Truppen nach Berlin kam es zu einer ersten „lebhaften Auseinandersetzung über die Verkehrswege von der englischen und amerikanischen Zone zu den entsprechenden Sektoren in Berlin (…) daraufhin erklärten sich die Russen bereit, eine Straße und eine Eisenbahnlinie zuzuteilen, auf denen Engländer und Amerikaner das uneingeschränkte Verkehrsrecht haben sollten; die Verantwortung für die Instandhaltung und Kontrolle behielten dagegen die Russen.“[51] – so berichtete Montgomery, während General Clay das Ergebnis der nicht protokollierten Besprechung am 29. Juni in einer Notiz festhielt:[52] „Es wurde vereinbart, daß aller Verkehr – Luft, Straße, Schiene (…) frei sein sollte von Grenzkontrollen oder der Kontrolle durch Zollbeamte oder militärischen Behörden. Unmöglich konnte ich voraussehen, daß die Sowjets eines Tages auf Grenz- und Zollkontrollen bestehen würden, um sie als Vorwand für die einleitenden Maßnahmen zur Verhängung der Blockade über Berlin zu benutzen.“

Der sowjetische Sektor umfasste acht Bezirke (Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Treptow, Köpenick, Lichtenberg, Weißensee, Pankow) mit 45,6 Prozent der Fläche und 36,8 Prozent der Einwohner Berlins, das im August 1945 2,8 Millionen Menschen zählte. Zum amerikanischen Sektor gehörten sechs Bezirke (Kreuzberg, Zehlendorf, Schöneberg, Steglitz, Tempelhof, Neukölln), zum britischen vier (Tiergarten, Charlottenburg, Spandau, Wilmersdorf) und zum französischen zwei Bezirke (Wedding, Reinickendorf).[53]

Noch vor dem Einzug der westlichen Truppen ging der sowjetische Stadtkommandant Bersarin, mit großer Energie daran, eine deutsche Verwaltung zu errichten.[54] Am 17. Mai gab der neu ernannte Oberbürgermeister Arthur Werner die Zusammensetzung des Magistrats bekannt: neun der 18 Stadträte, darunter die Abteilungsleiter für Personalfragen, Volksbildung und Arbeitseinsatz waren Kommunisten, die sich eines schon im Mai geschaffenen Systems von Straßen-, Block- und Vertrauensleuten bedienten, um sowjetische Befehle und eigene Absichten durchzusetzen. Dem Magistrat hatten sich aber auch Männer aus den früheren demokratischen Parteien angeschlossen – so der für das Berliner Ernährungswesen verantwortliche Andreas Hermes. Der Architekt Professor Scharoun war Stadtrat für Bau- und Wohnungswesen, der Chirurg Ferdinand Sauerbruch Stadtrat für Gesundheitswesen geworden.

In allen Bezirken ernannten die Sowjets rasch Bezirksbürgermeister als Leiter der jeweils aus neun Abteilungen bestehenden Bezirksämter. Schon im August sahen sich die Kommandanten in den Westsektoren gezwungen, gegen die von den Sowjets eingesetzten Obleute einzuschreiten und die Zusammensetzung der ihnen unterstellten Bezirksämter zu verändern.

Berlin war nicht nur Sitz der Alliierten Kommandantur und des Kontrollrates, sondern auch Residenz von 37 Militärmissionen, über 30 Konsulaten und den 11 Zentralverwaltungen der Sowjetzone.[55]

Bereits am 6. September 1946 verkündete der amerikanische Außenminister Byrnes, man wolle dem deutschen Volk die Regierung wiedergeben und es wieder in die Reihe freien Völker aufnehmen. Dieses Versprechen hatte durchaus richtungsweisenden Charakter: Durch die Schaffung der Bizone und wirtschaftliche Unterstützung in Form des Marshall-Plans war die Spaltung Deutschlands vorprogammiert.

Das amerikanische Volk wünscht, dem deutschen Volk die Regierung zurückzugeben. Das amerikanische Volk will dem deutschen Volk helfen, seinen Weg zurückzufinden zu einem ehrenvollen Platz unter den freien und friedlichen Nationen der Welt." Mit diesen Worten schloss der amerikanische Außenminister James F. Byrnes eine Rede, die er am 6. September 1946 in Stuttgart hielt. An ihr war vieles ungewöhnlich. Das begann damit, dass zu dieser Veranstaltung im Großen Haus des Württembergischen Staatstheaters auch deutsche Politiker eingeladen waren. Zwar waren die meisten Anwesenden Amerikaner-Offiziere der Besatzungsmacht, Funktionäre der Militärregierung, Diplomaten und sogar zwei Senatoren aus Washington. Aber in der vordersten Reihe waren die Ministerpräsidenten der Länder der amerikanischen Zone, Reinhold Maier (Württemberg-Baden), Wilhelm Hoegner (Bayern) und Karl Geiler (Hessen), plaziert worden, dazu - mit einigem Abstand - deutsche Minister, Abgeordnete und Oberbürgermeister. Noch erstaunlicher war der entgegenkommende Tonfall dieser ersten Rede eines Außenministers der Besatzungsmächte in Deutschland nach der Kapitulation. Die Schlusssätze aber machten die Ansprache zu einer Sensation. Die Rede weckte Hoffnungen. Sie wurde als Abkehr von der bisherigen Besatzungspolitik verstanden und als Zeichen eines Neubeginns. Zwar änderte sich an der Besatzungspolitik, wie sie von den Alliierten schon vor Kriegsende vereinbart worden war, im Grundsatz nichts. Die Stuttgarter Rede war insofern keine Zäsur. Aber sie markierte vor der Weltöffentlichkeit eine Wende im Verhältnis der Amerikaner zu den Deutschen. Diese hatte, für die meisten nicht wahrnehmbar, schon einige Monate vorher eingesetzt. Wenige Wochen nach dem Stuttgarter Auftritt des amerikanischen Außenministers, am 22. Oktober 1946, betonte sein britischer Kollege Ernest Bevin vor dem Unterhaus des Parlaments die "fast völlige Übereinstimmung" Londons mit dem Inhalt der Rede. Im ersten Besatzungsjahr hatten die westlichen Alliierten großen Wert darauf gelegt, die Deutschen spüren zu lassen, dass mit der Besatzung weitreichende Absichten verbunden waren: Entmilitarisierung, Entnazifizierung, Bestrafung der Schuldigen am Weltkrieg und an den Greueltaten des NS-Regimes, Wiedergutmachung der von Deutschland verursachten Schäden und Demokratisierung durch "Umerziehung". Die US-Truppen beispielsweise hatten Weisung, "gerecht, aber fest und unnahbar" zu sein. Verbrüderung mit Deutschen (darunter fiel schon Händeschütteln) war verboten.

In Amerika hatten kirchliche und karitative Organisationen sowie Privatleute freilich schon vor der offiziellen Trendwende begonnen, "Care-Pakete", gefüllt mit Gebrauchs- und Nahrungsmitteln des täglichen Bedarfs, in das notleidende Nachkriegsdeutschland zu senden. Die Amerikaner erweckten wegen ihres Reichtums, ihrer Prinzipientreue, ihrer Generosität und Naivität bald die Bewunderung und Sympathie der Deutschen, die Briten und Franzosen traten dagegen eher wie Kolonialtruppen auf. Politisch allerdings gaben die Amerikaner, schon wegen ihrer wirtschaftlichen Potenz, im Westen den Ton an. Die Rote Armee hatte bei der deutschen Bevölkerung den schlechtesten Ruf und war besonders wegen der Willkür ihrer Besatzungsherrschaft gefürchtet.

Die französischen Sonderwünsche und die auf die Durchsetzung ihrer Reparationsforderungen konzentrierte sowjetische Politik hatten sich im ersten Besatzungsjahr als die stärksten Hindernisse für eine Verwirklichung der Beschlüsse der Konferenz von Potsdam erwiesen. Nach den Vereinbarungen vom Sommer 1945 sollte wenigstens die wirtschaftliche Einheit der vier Besatzungszonen so lange aufrechterhalten werden, bis in einem Friedensvertrag die deutsche Frage eine endgültige Lösung fände. Diesen Friedensvertrag sollten die Außenminister der vier alliierten Mächte gemeinschaftlich vorbereiten. Auf der Pariser Außenministerkonferenz, dem zweiten Treffen dieses Gremiums, drängte US-Außenminister Byrnes Ende April 1946 entschieden auf die Realisierung der Potsdamer Vereinbarungen; er hatte sogar einen Termin für den Beginn der Friedensverhandlungen mit Deutschland vorgeschlagen, den 12. November 1946. Aber die Außenministerkonferenz zeigte sich dazu nicht in der Lage. Sie schleppte sich (mit einer Pause von vier Wochen) von April bis Juli 1946 dahin und erschöpfte sich in ergebnislosen Debatten mit dem sowjetischen Außenminister Molotow, der auf seinen Reparationsforderungen beharrte. Am vorletzten Tag der Pariser Konferenz, dem 11. Juli 1946, lud Byrnes die drei anderen Besatzungsmächte ein, ihre Zonen mit der amerikanischen wirtschaftlich zu verschmelzen. In Paris und Moskau wurde das amerikanische Angebot abgelehnt; London stimmte erwartungsgemäß zu. Als Minimallösung ergab sich daraus die Fusion des amerikanischen und britischen Besatzungsgebiets zur "Bizone".ext. Ref. 

Maßgeblichen Anteil an dem Projekt hatte General Lucius D. Clay. Er war, obwohl damals erst Stellvertreter des US-Militärgouverneurs, der entscheidende Mann in der US-Zone. Um Deutschland lebensfähig zu erhalten, hatte er frühzeitig dafür plädiert, Schritte zugunsten der Wirtschaftseinheit und sogar einer provisorischen Regierung Deutschlands zu tun. So weit wollten die Regierungen in Washington und London aber noch nicht gehen, als am 2. Dezember 1946 die beiden Außenminister Bevin und Byrnes in New York das Fusionsabkommen unterzeichneten. In Kraft trat es am 1. Januar 1947. Die beiden Besatzungsmächte waren sehr darauf bedacht, das Provisorische des Zonenzusammenschlusses und seine ausschließlich wirtschaftlichen und administrativen Zwecke zu betonen. Ziel war es, bis Ende 1949 die ökonomische Unabhängigkeit der Doppelzone herzustellen. Die Vereinbarung sollte jährlich überprüft werden und gelten, bis eine Einigung der Alliierten über die Behandlung ganz Deutschlands als Wirtschaftseinheit zustande käme. Tatsächlich erwies sich der Zusammenschluss der amerikanischen und britischen Zone jedoch als der erste Schritt zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland: Die Bizone entwickelte sich in drei Phasen im Laufe von zweieinhalb Jahren zum Modell des künftigen Weststaats. Das offenkundige Unvermögen der Großmächte, sich über die deutsche Frage zu einigen, zeigte sich bei der Außenministerkonferenz in Moskau im Frühjahr 1947. Die Sowjets beharrten wieder auf ihren Reparationsforderungen und verlangten unter anderem die Auflösung der Bizone, die Franzosen wünschten weiterhin die Abtrennung des Ruhr- und des Saargebiets von Deutschland. Dass der Konferenzbeginn mit der Verkündung der "Truman-Doktrin" (12. März 1947) zusammenfiel, war symptomatisch für das Verhältnis der beiden Weltmächte USA und UdSSR und programmierte das Scheitern der Gespräche. Die im Blick auf die kommunistische Infiltration Griechenlands und der Türkei formulierte Erklärung des amerikanischen Präsidenten, dass Amerika entschlossen sei, "freien" Ländern materielle Hilfe bei einer Bedrohung ihrer Freiheit zu leisten, markierte den Beginn der amerikanischen "Containment-Politik", mit der kommunistische Offensiven "eingedämmt" und Moskau langfristig bewogen werden sollte, von seiner unnachgiebigen Statusquo-Politik abzurücken. Die Partnerschaft im Kampf gegen Hitler war der Konfrontation im "Kalten Krieg" gewichen. Am Ende der gescheiterten Moskauer Konferenz verständigten sich Amerikaner und Briten dahin, die Bizone zu einem lebensfähigen Gebilde auszubauen, das sich selbst versorgen könne. Im Juni 1947 erfolgte die Zusammenfassung der bizonalen Organe in Frankfurt am Main. Als Lenkungsorgan der "Verwaltungen" der Bizone (für Ernährung und Landwirtschaft, Verkehr, Post- und Fernmeldewesen, Finanzen, Wirtschaft) mit jeweils einem Direktor an der Spitze fungierte ein Exekutivrat aus Vertretern der acht Länder der Bizone, und mit dem "Wirtschaftsrat" gab es ein Parlament, dessen 52 Abgeordnete von den Landtagen der Länder gewählt wurden. Nach einer weiteren Reform (bei der der Wirtschaftsrat auf 104 Abgeordnete vergrößert wurde) war ab Anfang 1948 diese gemeinsame Organisation der beiden Zonen perfekt. Die "Vorform" der Bundesrepublik war entstanden. Lediglich die Bezeichnungen vermieden noch den politischen Anstrich: Die Direktoren der Verwaltungen hießen nicht Minister, der "Oberdirektor" durfte sich nicht "Kanzler" nennen, und die Gesetzgebung des Parlaments unterstand der Genehmigung der amerikanischen und der britischen Militärregierung. Der Zusammenschluss der beiden Zonen zum "Vereinigten Wirtschaftsgebiet" (so der offizielle Name des Gebildes) vertiefte die Kluft zu den beiden anderen Besatzungszonen. Wie weit auseinander man war, zeigte die Münchener Ministerpräsidentenkonferenz, die zum Symbol der deutschen Teilung wurde. Der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard lud am 7. Mai 1947 seine Kollegen aus allen vier Zonen zu Beratungen nach München ein. Als Ergebnis sollten Vorschläge an die Militärregierungen formuliert werden, "um ein weiteres Abgleiten des deutschen Volkes in ein rettungsloses wirtschaftliches und politisches Chaos zu verhindern". Es ging um das ökonomische und soziale Elend (Wohnungsnot, Hunger, Flüchtlingsprobleme), und der Gastgeber erhoffte auch politische Wirkungen im Sinne einer Zusammenarbeit der Länder, der Stärkung künftiger föderalistischer Strukturen. Die Wiederherstellung des deutschen Nationalstaats durch die Vereinigung der vier Besatzungszonen war nicht beabsichtigt, dazu hatten die Ministerpräsidenten weder die Kompetenz noch die politische Macht. Sie waren 1947 eher Befehlsempfänger als Partner der alliierten Militärgouverneure, bei diesen lag die Macht und die Regierungsbefugnis über Deutschland. Die Amerikaner und Briten hatten keine Einwände gegen den Plan der Ministerpräsidentenkonferenz erhoben, der französische Militärgouverneur aber hatte nur unter der Voraussetzung zugestimmt, dass keine politischen Themen sondern lediglich wirtschaftliche Angelegenheiten erörtert würden. Ein so unpolitisches Konferenzprogramm bedeutete aber von vornherein fastzwangsläufig die Ausgrenzung der sowjetischen Besatzungszone, denn deren Vertreter hatten Ende Mai 1947 vorgeschlagen, den Teilnehmerkreis der Konferenz durch Vertreter von Parteien und Gewerkschaften zu erweitern und "in den Mittelpunkt der Tagesordnung die Schaffung der wirtschaftlichen und politischen Einheit Deutschlands zu stellen". Überdies wollten sie den Tagungsort nach Berlin verlegt wissen. Dieser von der Sowjetischen Militäradministration inspirierte Wunsch entsprach aber weder den föderalistischen Intentionen des bayerischen Gastgebers noch den Vorstellungen der Franzosen. Die gesamtdeutsche Begegnung war also im Grunde schon gescheitert, ehe sie begann und ehe - zur Überraschung der Westdeutschen - die fünf Ministerpräsidenten aus der Ostzone am Abend des 5. Juni in München erschienen (Anstelle des erkrankten sächsischen Ministerpräsidenten kam dessen Stellvertreter). Man setzte längst keine Erwartungen mehr in ihr Kommen und mißtraute ihnen, weil man sie für Handlanger der Sowjets hielt. In stundenlangem Streit um die Tagesordnung kamen sich beide Seiten nicht näher. Das von der westlichen Seite angebotene feierliche Bekenntnis zur deutschen Einheit war der östlichen Delegation zuwenig, sie beharrte auf der sofortigen "Bildung einer deutschen Zentralverwaltung, die selbstverständlich eine Verständigung der demokratischen Parteien und Gewerkschaften zur Schaffung eines deutschen Einheitsstaates mit dezentralisierter Selbstverwaltung beinhalte". Die Vertreter von Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg und Sachsen verließen den Konferenztisch und reisten ab; ihre Kollegen aus den drei Westzonen verfassten daraufhin ein Pressekommuniqué, in dem sie von einem Theatercoup sprachen und den Länderchefs der Ostzone alle Schuld zuwiesen. Die Ministerpräsidenten der drei Westzonen behandelten am 6. und 7. Juni 1947, wie vorgesehen, in ihrer Konferenz die folgenden Themen: "Ernährungsnot, Wirtschaftsnot, Flüchtlingsnot". Rechtfertigungsversuche - auch für die starre Haltung der Westseite - gab es in der Folge reichlich in beiden Lagern, sie bewiesen aber vor allem, dass die Spaltung Deutschlands längst Realität war und dass die Münchener Ministerpräsidentenkonferenz weder das Forum zur Verhinderung noch zur Herbeiführung der deutschen Einheit hätte sein können. Zum außenpolitischen Konzept Amerikas, das nun eindeutig auf Europa zentriert war, gehörte der im Juni 1947 vom neuen amerikanischen Außenminister George C. Marshall entwickelte Plan eines großzügigen wirtschaftlichen Hilfsprogramms (European Recovery Program - vgl. auch S. 46), das auch der Sowjetunion und den Staaten des Ostblocks offeriert wurde. Moskau lehnte - nicht unerwartet - Anfang Juli 1947 auf der Pariser Marshall-Plan-Konferenz die ERP-Hilfe ab und verbot auch den Ländern seines Einflussgebiets (einschließlich der Tschechoslowakei) die Annahme. Andererseits ordnete sich jetzt Frankreich, das dringend auf die amerikanische Hilfe angewiesen war, in die westliche Phalanx ein und ließ die Bereitschaft zu einer konstruktiveren Deutschlandpolitik erkennen. Die Hoffnungen, die in Deutschland an das fünfte Treffen der Außenminister in London (25. November bis 15. Dezember 1947) geknüpft wurden, waren unter diesen Umständen von vornherein aussichtslos gewesen. Die Konferenz war kaum mehr als ein Schlagabtausch, bei dem Molotow den Amerikanern und Briten vorwarf, sie wollten Deutschland mit Hilfe des Marshall-Plans wirtschaftlich versklaven und politisch spalten; die Außenminister Amerikas und Großbritanniens machten dagegen auf die Vorläufigkeit der Grenzen im Osten Deutschlands, insbesondere auf das Provisorium der "polnischen Verwaltung" der deutschen Ostgebiete, aufmerksam. Am Ende der ergebnislos abgebrochenen Konferenz war man gründlich zerstritten und nur darüber einer Meinung, dass die Fortsetzung der in Potsdam beschlossenen Außenminister-Konferenzen vorläufig zwecklos sei.

Die Zusammenarbeit zwischen Ost und West erwies sich schon bald nach Kriegsende aufgrund der machtpolitischen und weltanschaulichen Gegensätze als kompliziert und mühselig. Ein Beispiel dafür war die Entwicklung in Deutschland, wo die Konflikte zwischen den Besatzungsmächten über die gemeinsame Verwaltung rasch zunahmen. Konflikte gab es vor allem wegen der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umgestaltung, die die Sowjetische Militäradministration (SMAD) bereits unmittelbar nach Kriegsende in ihrer Besatzungszone einleitete und bei der schrittweise auch jegliche politische Opposition rigoros ausgeschaltet wurde. Diese Entwicklung, zu der unter anderem im April 1946 die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED gehörte, wurde von den westlichen Besatzungsmächten mit wachsender Sorge beobachtet, zumal die SMAD ihre Politik weitgehend gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzte. Der unaufhörliche Flüchtlingsstrom von Osten nach Westen zeigte dies deutlich.

Die in Potsdam geschaffenen Gremien für eine gemeinsame Besatzungsherrschaft konnten diese zunehmende Entfremdung zwischen der Sowjetunion und den Westmächten in der Deutschlandpolitik nicht aufhalten. Der Alliierte Kontrollrat, die Berliner Alliierte Kommandantur und der Rat der Außenminister waren im Gegenteil kaum mehr als Spiegelbilder der sich allmählich vollziehenden Spaltung. Da alle Beschlüsse einstimmig zu fassen waren, konnte jede der Vier Mächte durch ihr Veto Entscheidungen verhindern. Diese Situation wurde zunächst vor allem von Frankreich, das bei den Konferenzen von Teheran, Jalta und Potsdam nicht beteiligt gewesen war, dazu benutzt, ihre Ablehnung jeglicher Bestrebungen, die auf eine Überwindung der Teilung Deutschlands hinauslaufen konnten, deutlich zu machen. Aber auch die Sowjetunion nutzte das Veto-Recht, indem sie zum Beispiel durch ihr Beharren auf hohen Reparationsleistungen und eine Vier-Mächte-Kontrolle des Ruhrgebietes Fortschritte in der Einigungsfrage verhinderte. Mehr als deutlich wurde die wachsende Konfrontation im Mai 1946, als der amerikanische Militärgouverneur Lucius D. Clay auf eigene Faust die Lieferung von Demontagen aus der amerikanischen Zone an die Sowjetunion einstellen ließ. Hintergrund war das Ausbleiben von Lebensmittellieferungen aus den landwirtschaftlichen Gebieten der Sowjetischen Besatzungszone - dem agrarischen Osten Deutschlands - an die drei Westzonen, wie sie auf der Potsdamer Konferenz vereinbart worden waren. Briten, Amerikaner und Franzosen hatten deshalb die Bevölkerung in ihren Zonen, in denen es keine ausreichenden landwirtschaftlichen Anbaumöglichkeiten gab, durch Einfuhren aus ihren Heimatländern ernähren müssen und damit indirekt die deutschen Reparationen an die Sowjetunion bezahlt. Die Sowjetunion reagierte auf die Maßnahme Clays nicht nur mit einer ersten großen Propagandakampagne gegen die amerikanische Politik, sondern verstärkte auch noch ihre Obstruktion jeglicher Gemeinsamkeit in der Besatzungspolitik. Die USA und Großbritannien sahen sich deshalb veranlaßt, ihre beiden Zonen zum 1. Januar 1947 zur "Bizone" zusammenzulegen und mit dem Aufbau einer neuen politischen Ordnung in Westdeutschland zu beginnen. Die Weichen für die Teilung Deutschlands wurden damit bereits frühzeitig gestellt. Andere Probleme, die die Ost-West-Beziehungen belasteten, traten nun ebenfalls in ein kritisches Stadium: In Osteuropa drängten kommunistische Kräfte, gestützt durch die übermächtige Präsenz der Roten Armee, mittels polizeistaatlicher Methoden und unter Ausschaltung politisch Andersdenkender immer rücksichtsloser an die Macht. Freie Wahlen, wie Stalin sie noch in Jalta versprochen hatte, fanden nicht mehr statt oder wurden manipuliert - wie die Stimmabgabe in Polen im Januar 1947. Offenbar war das Verständnis von "Demokratie", "Freiheit" und "Selbstbestimmung" in Ost und West grundverschieden. Der frühere britische Premierminister Churchill sprach deshalb bereits im März 1946 in einer Rede in Fulton im amerikanischen Bundesstaat Missouri in Anwesenheit Präsident Trumans davon, daß in Europa ein "Eiserner Vorhang" niedergegangen sei. Tatsächlich gerieten Albanien, Bulgarien, Rumänien, Polen, Ungarn und schließlich im Februar 1948 auch die Tschechoslowakei völlig unter sowjetische Kontrolle, während es Ministerpräsident Tito in Jugoslawien gelang, den sowjetischen Einfluß in Grenzen zu halten. Spannungen und Konflikte gab es ebenfalls im Iran, in der Türkei und im Mittelmeerraum. Im Iran weigerte sich die Sowjetunion 1945/46, die während des Krieges besetzten nördlichen Provinzen vertragsgemäß zu räumen, und ließ hier statt dessen eine sowjetfreundliche Republik Persisch-Aserbeidschan ausrufen. Erst die Einschaltung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und starker Druck der USA zwangen Moskau schließlich zum Rückzug. In der Türkei meldete die Sowjetunion Ansprüche auf das Gebiet von Kars und Ardahan an, das früher einmal zum russischen Zarenreich gehört hatte. Und im Mittelmeer forderte Stalin sowohl eine Revision der Konvention von Montreux über die Meerengen (und damit eine sowjetische Mitkontrolle des Bosporus und der Dardanellen) als auch sowjetischen Einfluß in den ehemaligen italienischen Kolonien in Nordafrika. Den 1946 vorgelegten amerikanischen Baruch-Plan, der - ohne einen Zeitpunkt festzulegen - die Übergabe aller Atomwaffen an eine neu zu schaffende internationale Behörde für Atomentwicklung und die anschließende Überwachung sämtlicher Atomenergievorhaben vorsah, lehnte Stalin dagegen als "Trick" zur Aufrechterhaltung des amerikanischen Atombombenmonopols ab. Tatsächlich arbeitete die UdSSR inzwischen längst selbst erfolgreich an einem Programm zur Entwicklung von Atombomben und befürchtete daher, durch eine Verwirklichung des Baruch-Plans am Bau eigener Atombomben gehindert zu werden. Dagegen könnte es den USA gelingen, auf dem Umweg über eine westlich dominierte oder jedenfalls nicht von der Sowjetunion zu kontrollierende internationale Behörde ihr Monopol zu bewahren. Alle diese Vorgänge zusammen lösten in der westlichen Öffentlichkeit Enttäuschung und Ernüchterung aus. Stalin ließ sich offenbar weder durch politischen oder wirtschaftlichen Druck noch durch die Tatsache des amerikanischen Atombombenmonopols dazu bringen, das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu achten, freie Wahlen zuzulassen und seine Politik der "Sowjetisierung" einzuschränken. Die Bereitschaft, weiterhin mit der Sowjetunion zusammenzuarbeiten, wurde deshalb rasch geringer. Der Ton zwischen Ost und West verschärfte sich. Schon im Januar 1946 stellte der amerikanische Außenminister James F. Byrnes inoffizielle Kontakte mit sowjetischen Diplomaten ein. Stalin sprach wenig später, im März 1946, von "Hetzern des Dritten Weltkrieges", die auf westlicher Seite gegen die Sowjetunion agierten. Der Ost-West-Konflikt hatte begonnen. Nach 1945 geriet die Truman-Regierung jedoch nicht nur durch die Politik Stalins unter Druck. Isolationistische Stimmen in den USA, die einen Rückzug der mehr als 2,2 Millionen amerikanischen Soldaten von den Fronten des Zweiten Weltkrieges forderten, wurden immer lauter. Viele Amerikaner hatten das Eingreifen der USA in den Zweiten Weltkrieg ohnehin nur als ein befristetes Engagement außerhalb der eigenen Hemisphäre begriffen und vereinigten sich nun zu dem Ruf: "Bring the boys back home". Die amerikanische Regierung hatte deshalb bereits unmittelbar nach Kriegsende den Truppenrückzug eingeleitet, so daß sich die Zahl der in Europa stationierten amerikanischen Soldaten schon 1946 auf 400000 verringerte. Allerdings wuchsen damit bei Truman und seinen Beratern die Bedenken gegenüber der militärischen Überlegenheit der Sowjetunion, die auf dem europäischen Kontinent weiterhin über mehr als vier Millionen Soldaten verfügte. Ein völliger Abzug der US-Streitkräfte, so schien es, würde das vom Krieg geschwächte Europa der sowjetischen Übermacht ausliefern. Die Vereinigten Staaten besaßen zwar die Atombombe, die sich als Druckmittel gegen die Sowjetunion verwenden ließ. Aber wie wirksam dieses Mittel bei begrenzten Konflikten sein würde, war zumindest ungewiß. Ein vollständiger Rückzug in die "Festung Amerika" war damit für die USA nicht mehr so leicht möglich wie nach dem Ersten Weltkrieg, wenn nach Osteuropa nicht auch noch Westeuropa dem sowjetischen Einfluß preisgegeben werden sollte. In der zweiten Hälfte des Jahres 1946 zeichnete sich deshalb eine Umorientierung in der amerikanischen Außenpolitik ab. Die USA begannen auf die Zusammenarbeit mit Westeuropa zu setzen und sich auf die langfristige Anwesenheit in Europa einzustellen - mit weitreichenden politischen, wirtschaftlichen und militärischen Folgen für die amerikanische und europäische Politik. So sprach sich Außenminister Byrnes in einer Grundsatzrede in Stuttgart am 6. September 1946 sogar für eine Kooperation mit den Deutschen und deren materielle und politische Unterstützung aus. Zum Wegbereiter des Umschwungs wurde der Botschaftsrat an der amerikanischen diplomatischen Vertretung in Moskau, George F. Kennan, der im Februar 1946 die Truman-Administration in einem langen Telegramm vor dem auf Ausdehnung bedachten, autoritären Sowjetregime warnte, dessen Ziel es sei, die "traditionellen Lebensgewohnheiten und das nationale Ansehen" der USA zu zerstören. Kennan, der bald darauf zum Leiter des Politischen Planungsstabs im US-Außenministerium avancierte und seine Analyse im Juli 1947 unter dem Pseudonym "Mr. X" in der Zeitschrift "Foreign Affairs" auch der Öffentlichkeit vorlegte, forderte deshalb eine "Politik der Eindämmung" (containment), um Demokratie und westliche Lebensform gegen den vordringenden Kommunismus zu schützen. Entsprechend den Empfehlungen Kennans wurde die Politik der Truman-Regierung gegenüber der Sowjetunion nun revidiert. Auslöser war die sich zuspitzende Situation in Griechenland und der Türkei, wo nach amerikanischer Auffassung von Moskau gesteuerte Untergrundbewegungen operierten, die einen kommunistischen Umsturz planten. Präsident Truman verkündete deshalb am 12. März 1947 vor dem amerikanischen Kongreß den Grundsatz, daß Griechenland, der Türkei und allen "freien Völkern", die vom Kommunismus bedroht seien, amerikanische Unterstützung zugesichert werde (Truman-Doktrin). Jede Nation, so Truman, müsse in Zukunft zwischen westlicher Demokratie und Kommunismus wählen - also zwischen einer Lebensweise, die sich auf den Willen der Mehrheit, freie Wahlen und Freiheit vor politischer Unterdrückung gründe, und einer Lebensweise, die auf dem Willen einer Minderheit beruhe, welcher der Mehrheit durch Terror und Unterdrückung aufgezwungen werde.ext. Ref. 

Der amerikanische Präsident hatte damit erstmals von einer Zweiteilung der Welt in ein westlich-demokratisches und ein östlich-kommunistisches System gesprochen. Der Konflikt zwischen Ost und West war nun nicht mehr nur ein Kampf um Macht und Einfluß, sondern auch ein Ringen um die Durchsetzung ideologischer Ziele, die miteinander grundsätzlich unvereinbar waren. Es war eine weltanschauliche Auseinandersetzung, für die der amerikanische Publizist Walter Lippmann 1947 den Begriff "Kalter Krieg" prägte. Der Verkündung der Truman-Doktrin folgte am 6. Juni 1947 eine Rede des amerikanischen Außenministers George Marshall an der Harvard-Universität, in der er ein "Europäisches Wiederaufbauprogramm" (European Recovery Program = ERP) vorschlug. Damit sollte Europa finanziell geholfen werden, um die Demokratien unanfälliger gegen sowjetische Einflußnahme zu machen. Dieser sogenannte "Marshall-Plan", wie man das Progamm nach seinem Urheber zumeist nur abgekürzt bezeichnete, war dringend notwendig, weil das wirtschaftliche Überleben Westeuropas nach dem strengen Krisenwinter 1946/47 ernsthaft in Frage gestellt schien. Der Versuch, mit der Sowjetunion zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, war zuvor auf der Moskauer Außenministerkonferenz im März und April 1947 gescheitert. Außenminister Marshall hatte daher nach seiner Rückkehr aus Moskau beschlossen, einen eigenständigen Weg zu gehen. Tatsächlich waren Truman-Doktrin und Marshall-Plan, in den Worten von Präsident Truman, "zwei Hälften derselben Walnuß", obwohl sich das Angebot des Marshall-Plans offiziell auch an die osteuropäischen Länder richtete. Doch die Sowjetunion, die anfänglich sogar gewillt war, im Juli 1947 an der ERP-Konferenz in Paris teilzunehmen, sprach ein Verbot für ihre Verbündeten aus, Marshall-Plan-Hilfe anzunehmen. Der sowjetische Außenminister Molotow brandmarkte den Plan als "imperialistisch" und nannte ihn einen amerikanischen Einmischungsversuch in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. Die Befürchtung, die USA könnten das ERP als Trojanisches Pferd gegen die kommunistischen Länder einsetzen, überwog offenbar die ersehnten wirtschaftlichen Vorteile. Polen und die Tschechoslowakei, die ihre Teilnahme am ERP bereits zugesagt hatten, mußten daraufhin unter sowjetischem Druck ihre Zusage wieder zurückziehen. Am Ende blieben 17 westeuropäische Länder übrig - darunter die drei westlichen Besatzungszonen in Deutschland und die Westsektoren Berlins -, die Marshall-Plan-Hilfe erhielten. Sie schlossen sich 1948 in der Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit (Organization for European Economic Cooperation = OEEC) zusammen, die die Verteilung der Hilfe organisierte. Insgesamt flossen Westeuropa bis 1952 ERP-Mittel in Höhe von rund 13 Milliarden Dollar zu, die vornehmlich dem Bezug von Rohstoffen, Nahrungsmitteln und Investitionsgütern aus den USA dienten. Westdeutschland und Berlin (West) erhielten 1,585 Milliarden Dollar, von denen später eine Milliarde zurückgezahlt wurde. Die letzte Rückzahlungsrate wurde 1966 von der Bundesrepublik vorzeitig überwiesen. Die sowjetische Reaktion auf Truman-Doktrin und Marshall-Plan beschränkte sich allerdings nicht auf verbale Proteste und Verbote. Im September 1947 wurde auf einer Tagung der kommunistischen Parteien aus Ost und West in Schreiberhau im Riesengebirge das "Kommunistische Informationsbüro" (Kominform) gegründet. Es handelte sich dabei um eine Nachfolgeorganisation der 1943 aufgelösten Kommunistischen Internationale (Komintern) und sollte offenbar deren "Kampf für die Weltrevolution" fortsetzen. Mit dem Kominform schuf sich die Sowjetunion wieder eine Organisation, die es ihr ermöglichte, nicht nur auf der diplomatischen Ebene, sondern auch auf der Ebene der kommunistischen Parteien außenpolitisch zu agieren. Und wie die Auflösung der Komintern 1943 als Zeichen für die Zusammenarbeit mit dem Westen im Rahmen der Anti-Hitler-Koalition zu verstehen gewesen war, so konnte die Neugründung des Kominform nun als Demonstration und Kampfansage im Kalten Krieg verstanden werden. Überdies hielt der Leningrader Parteisekretär der KPdSU, Andrej Schdanow, der als einer der ehrgeizigsten Mitarbeiter Stalins galt, in Schreiberhau ein vielbeachtetes Grundsatzreferat, in dem er die sogenannte "Zwei-Lager-Theorie" verkündete, die als Pendant zur Truman-Doktrin gelten konnte. Ähnlich wie Präsident Truman, der von einer Zweiteilung der Welt und von zwei unterschiedlichen Lebensweisen gesprochen hatte, erklärte nun Shdanow, daß sich zwei Lager unversöhnlich gegenüberstünden: das "imperialistische und antidemokratische" unter Vorherrschaft der USA und das "antiimperialistische und demokratische" unter Führung der Sowjetunion. Die Vereinigten Staaten, so Shdanow, seien bestrebt, alle kapitalistischen Länder in einem Block zu organisieren, um aggressive, gegen die Sowjetunion gerichtete Pläne zu verfolgen. Deshalb sei es die Pflicht der "demokratischen" Länder, sich auf einen Kampf für den Sieg des Kommunismus vorzubereiten. Ihr Ziel sei es, den Kampf gegen die Gefahr neuer Kriege und gegen die imperialistische Expansion zu führen, die Demokratie zu festigen sowie die Überbleibsel des Faschismus auszurotten. Dabei falle der Sowjetunion und ihrer Außenpolitik "die führende Rolle" zu. ext. Ref. 

Auch Schdanow diagnostizierte somit eine Zweiteilung der Welt, eine ideologische und politische Spaltung, mit den Hauptgegnern USA und Sowjetunion, die jeweils ihr "Lager" anführten. Dies war, wie von Truman, die klassische Beschreibung der Konstellation des Kalten Krieges, der sich jetzt auch zunehmend institutionell ausprägte und damit die Struktur gewann, die mehr als vier Jahrzehnte bestehen sollte. Flucht und Vertreibung, die bereits am Ende des Zweiten Weltkrieges das Schicksal von Millionen Menschen - vornehmlich in Europa und Asien - verdüstert hatte, erhielten dadurch neuen Auftrieb. Viele Menschen, die bisher noch gehofft hatten, die Ost-West-Konfrontation könne politisch gelöst werden, sahen sich nun vor die Wahl gestellt, in ihrer angestammten Heimat zu bleiben und sich einem ungeliebten Regime zu beugen oder die Konsequenzen zu ziehen und nach einer neuen Heimat zu suchen. Oft blieb nicht einmal diese Wahl: Sie wurden vertrieben. Der Ost-West-Konflikt war jedenfalls nicht nur ein abstrakter politischer und ideologischer Vorgang, sondern auch eine Entwicklung mit weitreichenden Folgen für die Menschen in beiden Teilen der Welt. Das neue Welthandelssystem GATT (General Agreement on Tariffs and Trade = Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen), das am 30. Oktober 1947 in Genf von 23 Staaten vereinbart wurde, war ein weiterer Meilenstein in der institutionellen Verfestigung des Ost-West-Konflikts. Verhandlungen darüber hatte es bereits seit mehreren Jahren gegeben. Ausgangspunkt war - wie schon bei den Vereinbarungen von Bretton Woods - die Atlantik-Charta vom August 1941, mit der der amerikanische Präsident Roosevelt und der britische Premierminister Churchill allen Nationen bessere Handelsbedingungen und leichteren Zugang zu Rohstoffen hatten eröffnen wollen. Das GATT war somit das handelspolitische Gegenstück zum IWF. Es sollte für einen Abbau der Zölle und anderer Handelsschranken sorgen, diskriminierende politische Eingriffe in den internationalen Handel beseitigen und damit zu einer Erschließung von Ressourcen und allgemein zur Produktionssteigerung beitragen. Allerdings war das GATT ursprünglich nur als Zwischenlösung für eine später von der UNO zu schaffende Internationale Handelsorganisation (International Trade Organization = ITO) gedacht. Die ITO war als Sonderorganisation der UNO parallel zur Weltbank und zum Internationalen Währungsfonds geplant und sollte den Wiederaufbau und die Integration der Weltwirtschaft auf handelspolitischem Gebiet fördern, indem sie sich unter anderem mit Kartellfragen, Rohstoffabkommen, Arbeitsmarktpolitik und Auslandsinvestitionen beschäftigte. Tatsächlich wurde von der UNO eine entsprechende Konferenz nach Havanna einberufen, an der 53 Länder aus West und Ost - unter ihnen auch die Sowjetunion - teilnahmen. Bereits am 24. März 1948 konnte die Satzung der ITO, die sogenannte "Havanna-Charta", unterzeichnet werden, in der die Gründung einer Organisation zur Förderung des internationalen Handels und die Überführung des GATT in diese Organisation im Rahmen der UNO vereinbart wurde. Die Ratifizierung der Havanna-Charta scheiterte jedoch wegen des Widerstandes des amerikanischen Kongresses und zahlreicher westlicher Regierungen, die befürchteten, daß sie in der ITO - wie in der Vollversammlung der UNO - von der zunehmenden Zahl der Entwicklungsländer majorisiert werden könnten. Was bei den politischen Entscheidungen der UNO noch angehen mochte, war für sie bei den Handelsfragen der ITO unannehmbar. Die Westmächte - und insbesondere die Abgeordneten des amerikanischen Kongresses - zogen es daher vor, mit dem "ewigen Provisorium" des GATT zu leben, anstatt ein formelles Gremium unter dem Dach der UNO zu erhalten. Das GATT behielt daher seinen Charakter als "vorläufige Dauereinrichtung". Auch organisatorisch betrachtet blieb das GATT ein vergleichsweise lockerer Verbund. Außer der einmal jährlich in Genf tagenden Vollversammlung der Vertragsparteien verfügt das GATT nicht über eigene Organe. Zwischen den jährlichen Tagungen führt ein Ständiger Ausschuß von Vertretern der Hälfte der Mitglieder die Geschäfte. Ungeachtet dieser nur lockeren Organisationsstruktur erwies sich das GATT-Abkommen jedoch als äußerst erfolgreich bei der Reduzierung der Zollschranken und staatlichen Beschränkungen des Welthandels. Binnen fünfzehn Jahren kontrollierten 63 Nationen, die nun zum GATT gehörten, 80 Prozent des Welthandels. Die Sowjetunion und die Staaten im sowjetischen Machtbereich zählten nicht dazu. Sie schlossen sich dem Abkommen vor dem Hintergrund des zunehmenden Ost-West-Gegensatzes nicht an (ausgenommen die Tschechoslowakei), sondern schufen einen eigenen Wirtschaftsblock, der weitgehend auf die Bedürfnisse der UdSSR zugeschnitten war. Die Entwicklung zweier verschiedener Wirtschaftssysteme wurde somit zu einer besonderen Form des Kalten Krieges und führte nicht nur zu einer Verlagerung der Märkte, sondern auch zu einer fast völligen Lähmung des einzelstaatlichen Handels zwischen den beiden Blöcken. Mit dem Streit um Havanna-Charta und GATT, wie zuvor schon mit der Wiederbelebung der kommunistischen Weltbewegung in Gestalt des Kominform und der Verkündung der "Zwei-Lager-Theorie", hatte Moskau den Fehdehandschuh der westlichen Containment-Politik aufgenommen. Das Kominform sollte alle kommunistischen Parteien zu einer großen Kraftanstrengung vereinigen und sie als "Parteien neuen Typs" in ein Blocksystem eingliedern, dessen Hauptmerkmale die unbedingte Unterordnung unter die Vorherrschaft der KPdSU war. Den osteuropäischen Ländern wurden darüber hinaus zweiseitige Beistands- und Freundschaftspakte aufgezwungen, um sie auch vertraglich eng an Moskau zu binden. Jugoslawien, das unter Tito eine eigenständige Linie gegenüber Moskau beibehielt, wurde bereits im Sommer 1948 wieder aus dem Kominform ausgeschlossen. Die Gründung des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) im Januar 1949 war in diesem Zusammenhang ein weiterer logischer Schritt, um in Osteuropa eine auf die Sowjetunion ausgerichtete Großraumwirtschaft zu schaffen. In Mitteleuropa, an der Schnittstelle zwischen Ost und West, weitete sich der Gegensatz, der in diesen Entwicklungen zum Ausdruck kam, bald immer mehr zum offenen Konflikt aus. Dies galt sowohl für den kommunistischen Umsturz, der im Februar 1948 in der Tschechoslowakei stattfand, als auch für die Zuspitzung der Lage in Deutschland. Die kommunistische Machtübernahme in der Tschechoslowakei rief in Westeuropa die Gründung des Brüsseler Paktes hervor, in dem sich Großbritannien, Frankreich, Belgien, Luxemburg und die Niederlande am 17. März 1948 gegenseitigen Beistand für den Fall eines Angriffs zusicherten. In Deutschland scheiterten, ebenfalls im März, Verhandlungen über eine gleichzeitige gemeinsame Währungsreform in allen Zonen, die eine wesentliche Voraussetzung für die Schaffung der wirtschaftlichen Einheit und den Erhalt von Marshall-Plan-Geldern sein sollte. Dies führte zu dem Beschluß der Westmächte, in den drei Westzonen eine separate Währungsreform durchzuführen, die wenig später, im Juni 1948, die erste massive Konfrontation im Kalten Krieg auslöste: die Berlin-Krise. Die östliche Seite hatte allerdings schon vor dem Streit um die Währungsreform ihren Druck auf Berlin vergrößert, der wie ein Fremdkörper in der Sowjetischen Besatzungszone wirkte. Bereits seit Ende 1947 hatte es eine "schleichende Blockade" - fein abgestufte Behinderungen im Berlin-Verkehr - gegeben. Doch jetzt boykottierte die Sowjetunion offen die gemeinsame politische Verwaltung der Vier Mächte, indem sie am 20. März 1948 ihren Vertreter aus dem Alliierten Kontrollrat und am 16. Juni auch ihren Repräsentanten aus der Alliierten Kommandantur zurückzog. Schließlich wurden Ende Juni und Anfang Juli die Bahn-, Straßen- und Binnenschiffahrtsverbindungen zwischen West-Berlin und Westdeutschland unterbrochen und die Stromversorgung West-Berlins gesperrt. Diese Blockade Berlins, bei der nur die Luftverkehrswege offen blieben, wurde von den östlichen Behörden mit dem Vorwand "technischer Störungen" begründet. Der amerikanische Militärgouverneur Lucius D. Clay berichtete später, als er gemeinsam mit seinem britischen und französischen Kollegen am 3. Juli das sowjetische Hauptquartier in Karlshorst aufgesucht habe, sei ihnen dort mitgeteilt worden, "die technischen Schwierigkeiten würden so lange anhalten, bis wir unsere Pläne für eine westdeutsche Regierung begraben hätten". Tatsächlich wollte die Sowjetunion eine westdeutsche Staatsgründung, die mit der Währungsreform vom 20. Juni 1948 in Angriff genommen wurde, verhindern, um die deutsche Frage offenzuhalten und vielleicht doch noch in sowjetischem Sinne durch Erweiterung ihres Einflusses auf ganz Deutschland zu entscheiden. Sie benutzte dazu die prekäre geopolitische Lage Berlins als Hebel, um den Westen zu einer deutschlandpolitischen Kursänderung zu zwingen. Doch die Blockade vergrößerte nur die Solidarisierung im Westen und förderte vor allem die amerikanische Bereitschaft, sich für Deutschland und Berlin - wie für Europa überhaupt - zu engagieren. Zudem war die Versorgung Berlins über eine auf Initiative Lucius D. Clays zustande gekommene "Luftbrücke" der Alliierten so erfolgreich, daß die Sowjetunion sich schließlich im New Yorker Abkommen (nach seinen Urhebern oft auch "Jessup-Malik-Abkommen" genannt) vom 4. Mai 1949 gegenüber den Westmächten verpflichtete, die Beschränkungen auszusetzen. Die Sowjetunion hatte sich der westlichen Entschlossenheit und insbesondere dem Gewicht, das die USA seit dem Herbst 1946 zunehmend in die Waagschale der europäischen Politik warfen, beugen müssen. Die Blockade war jedoch auch in ihrer politischen Zielsetzung ein Fehlschlag, weil sie die Gründung der Bundesrepublik nicht hatte verhindern können. Mit der Annahme des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 entfiel somit auch jeglicher Grund, die Blockade fortzusetzen. Ihre Aufhebung war ein großer Triumph für den Westen. Vergessen wurde dabei leicht, daß die deutsche Teilung sich damit weiter vertiefte. Die Erfahrung der Berlin-Krise verstärkte in den USA die schon nach der Tschechoslowakei-Krise im Februar 1948 vorhandene Entschlossenheit, sich künftig nicht nur politisch und wirtschaftlich, sondern auch militärisch in Europa zu engagieren. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür wurden am 11. Juni 1948 mit der Verabschiedung einer von dem republikanischen Senator Arthur H. Vandenberg eingebrachten Entschließung durch den Kongreß geschaffen ("Vandenberg-Resolution"), die es den USA erstmals in ihrer Geschichte bereits in Friedenszeiten ermöglichte, Verträge über militärische Beistandsverpflichtungen abzuschließen, wie es bald darauf mit dem Nordatlantikvertrag zur Gründung der NATO vom 4. April 1949 geschah. Das entwaffnete Deutschland war in diesem Bündnis noch nicht vertreten. Aber die Spaltung zwischen Ost und West, innerhalb deren sich nun auch die Teilung Deutschlands immer mehr verfestigte, machte bereits wenig später die Einbeziehung der am 23. Mai 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland in das westliche Allianzsystem ebenso unausweichlich wie auf östlicher Seite die Eingliederung der am 7. Oktober 1949 gebildeten Deutschen Demokratischen Republik in den sowjetischen Machtblock.

ext. Ref. 

Auch im Fernen Osten wurden die Interessensphären nun immer schärfer gegeneinander abgegrenzt. Allerdings waren die USA hier mit ihrer Eindämmungspolitik weit weniger erfolgreich als in Europa. Dies galt vor allem für China, wo die nationalchinesische Regierung unter General Tschiang Kai-schek, die bereits von Präsident Roosevelt unterstützt worden war, gegenüber den kommunistischen Kräften unter der Führung Mao Tse-tungs in einem blutigen Bürgerkrieg rasch an Boden verlor und schließlich im Dezember 1949 zum Rückzug auf die Insel Formosa vor dem chinesischen Festland gezwungen wurde. Die Ausrufung der Volksrepublik China im Oktober 1949 konnte als ein glänzender Sieg für die Sowjetunion gelten, die ihrem Lager ein neues und überaus gewichtiges Mitglied hinzugefügt hatte, auch wenn sich der jetzt gewonnene Verbündete später als ernstzunehmender Rivale erweisen sollte. In den USA löste der Zusammenbruch der nationalchinesischen Herrschaft auf dem Festland jedoch große Aufregung aus. Besonders die einflußreiche "China-Lobby" kritisierte die angeblich zu passive Haltung der amerikanischen Regierung, weil mit der Niederlage Tschiang Kai-scheks eine der wichtigsten Bastionen der amerikanischen Politik im pazifischen Raum an den Kommunismus verlorengegangen war. Darüber hinaus weckte die Flucht der Nationalchinesen auch deshalb neue Bedrohungsgefühle, weil die Sowjetunion 1948 eine weitere Aufrüstungswelle eingeleitet und im Sommer 1949 zudem das amerikanische Atomwaffenmonopol durchbrochen hatte. Der politische und ideologische Ost-West-Konflikt hatte sich somit nicht nur institutionell, sondern auch geographisch und psychologisch verfestigt. Zunehmend wurde daraus nun ein Wettlauf um machtpolitischen Einfluß und militärische Überlegenheit, bei dem Feindbilder und Konfrontation auf nahezu allen Gebieten das Verhältnis bestimmten.

Im Dezember 1947, als die fünfte Außenministerkonferenz der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs abgebrochen wurde, war offenbar, dass die Großmächte sich über die deutsche Frage nicht einigen konnten. Als Ersatz für die große Lösung eines aus den vier Besatzungszonen bestehenden deutschen Nachkriegsstaats, wie er seit der Potsdamer Konferenz vom Sommer 1945 erstrebt und verheißen war, forcierten seit Frühjahr 1948 Amerikaner und Briten die Errichtung eines Staats auf dem Gebiet der drei westlichen Besatzungszonen. In langwierigen Verhandlungen der Londoner Sechsmächtekonferenz seit dem 23. Februar 1948 wurden die Franzosen und die drei westlichen Nachbarstaaten Belgien, Niederlande und Luxemburg vom anglo-amerikanischen Konzept überzeugt. Washington und London ging es darum, die drei Westzonen in ein europäisch- atlantisches Staatensystem einzubinden. In Paris bestanden dagegen aber erhebliche Bedenken. Um den französischen Sicherheitsinteressen zu genügen, mussten daher Zugeständnisse, etwa in der Frage der internationalen Kontrolle des Ruhrgebiets, gemacht werden. Dafür nahm Paris Abstriche an seinen extremen Föderalisierungskonzepten hin. Die Franzosen hätten einen möglichst lockeren Bund deutscher Kleinstaaten lieber gesehen als eine mit hinlänglicher Zentralgewalt ausgestattete Bundesrepublik. Das lag jedoch nicht im Interesse von London und Washington, die an der ökonomischen Leistungsfähigkeit des neuen Staats interessiert waren.

Am 7. Juni 1948, zwei Wochen vor der Währungsreform in den drei Westzonen, wurden die "Londoner Empfehlungen" als Kommuniqué der Konferenz veröffentlicht. Sie enthielten die Umrisse des deutschen Weststaats, aber niemand war so recht zufrieden damit. Die Sozialdemokraten meinten, die Empfehlungen seien kaum geeignet, Deutschland bei der politischen und wirtschaftlichen Konsolidierung zu helfen. Noch unzufriedener war zunächst der erste Mann der CDU, Konrad Adenauer, der nicht nur befürchtete, durch die Ruhrkontrolle würden die Deutschen auf Dauer der Verfügung über ihre Wirtschaft und ihren Außenhandel beraubt. Adenauer hielt auch eine Verfassung, die von den alliierten Militärregierungen genehmigt werden müsse, für ein Übel, auf das man wohl mit Verweigerung reagieren müsse. Während der amerikanische und der britische Militärgouverneur auf die Zustimmung des französischen Parlaments zu den Londoner Empfehlungen warteten, versuchten sie, in ihren beiden Besatzungszonen auf die deutschen Politiker, die Ministerpräsidenten und Parteiführer, einzuwirken und die Stimmung für die beabsichtigte Staatsgründung zu verbessern. Wenn der volle Inhalt des Londoner Konzepts erst bekannt sei, würden sich viele Bedenken als gegenstandslos erweisen, hatte Ende Juni 1948 General Robertson, der britische Militärgouverneur, erklärt. Am 1. Juli erfuhren die deutschen Länderchefs im Einzelnen, was geplant war und was sie tun sollten. Die damaligen obersten Repräsentanten der westdeutschen Politik, neun Ministerpräsidenten und die beiden Bürgermeister der Stadtstaaten Hamburg und Bremen, waren für den 1. Juli 1948 nach Frankfurt in das Hauptquartier der Amerikaner, das ehemalige Verwaltungsgebäude der I. G. Farben, bestellt worden. Die drei westlichen Militärgouverneure wollten den Chefs der Länder in den drei Westzonen dort offiziell mitteilen, was über die Gestalt künftiger deutscher Staatlichkeit beschlossen war. Von einer Konferenz zwischen alliierten und deutschen Vertretern kann man eigentlich nicht sprechen, denn wesentliche Elemente einer Konferenz wie partnerschaftliche Diskussion, Austausch von Argumenten, Suche nach Kompromissen fehlten bei der Zusammenkunft. Es handelte sich um die Entgegennahme alliierter Vorstellungen, die den Charakter von Weisungen hatten, wenn man sich nicht einfach verweigern wollte. Die deutschen Länderchefs waren, ohne Angabe des Raums und der Stunde einbestellt worden. Einzelheiten hatten sie erst nach dreitägigem Herumtelefonieren erfahren. Die Stimmung war, als man um 11.30 Uhr versammelt war, alles andere als euphorisch. Aber das Ereignis gehörte, wie man später erkannte, zu den entscheidenden Daten der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Die Frankfurter Konferenz bildete den Wendepunkt vom alliierten Kriegsrecht, nach dem Deutschland regiert wurde, zur deutschen Eigenverantwortung. Die Dokumente, die den deutschen Politikern am 1. Juli 1948 überreicht wurden, enthielten in Form des Gründungsauftrags für einen deutschen Nachkriegsstaat die Chance der Selbstständigkeit nach Jahren der Besatzungsherrschaft. Auf französisches Betreiben geschah die offizielle Übergabe der "Frankfurter Dokumente", wie der Grundriss der westdeutschen Zukunft seither heißt, in zeremonieller Form und frostiger Atmosphäre: Jeder der drei Militärgouverneure verlas in seiner Muttersprache (am Ende der Konferenz erhielten die Deutschen Übersetzungen) eines der drei Dokumente, General Lucius D. Clay das erste, das die verfassungsrechtlichen Bestimmungen enthielt, General Sir Brian Robertson das zweite über die Länderneugliederung, und General Pierre Koenig trug in scharfem Ton das dritte Dokument vor, in dem die Grundzüge eines Besatzungsstatuts fixiert waren. Das erste der Frankfurter Dokumente ermächtigte die Ministerpräsidenten, bis zum 1. September 1948 eine Versammlung zur Ausarbeitung einer demokratischen Verfassung einzuberufen, "die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich wiederherzustellen, und die Rechte der beteiligten Länder schützt, eine angemessene Zentralinstanz schafft und die Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält". Im zweiten Dokument war die Neugliederung der deutschen Länder empfohlen. Eine Territorialreform innerhalb der westlichen Besatzungszonen war angesichts der von den Alliierten geschaffenen Gebilde, vor allem im nordwestdeutschen Raum, aber auch bei den drei südwestdeutschen Ländern (Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern, Baden), erwägenswert, aber nicht dringend. Im dritten Dokument waren die Grundzüge eines Besatzungsstatuts skizziert. Darin wurde deutlich, wie eng der deutsche Spielraum für die Verfassung und für die künftige staatliche Existenz bemessen war. Die Militärgouverneure stellten zwar die Gewährung einiger Befugnisse der Gesetzgebung, Verwaltung und der Rechtsprechung in Aussicht; ausdrücklich ausgenommen blieben aber beispielsweise die Außenbeziehungen des zu gründenden deutschen Weststaats und die Überwachung des deutschen Außenhandels. Die Besatzungsherrschaft würde also mit der Verabschiedung der Verfassung und der Staatsgründung noch nicht enden, sondern lediglich gelockert und juristisch neu definiert werden. Die Militärgouverneure würden, so hatten die deutschen Ministerpräsidenten in Frankfurt vernommen, "die Ausübung ihrer vollen Machtbefugnisse wieder aufnehmen", und zwar nicht nur bei drohendem Notstand für die Sicherheit, sondern auch, "um nötigenfalls die Beachtung der Verfassung und des Besatzungsstatuts zu sichern". Die Einstellung in den Westzonen zu den beabsichtigten Änderungen war, quer durch die Parteien, eher positiv: Nach vier Jahren Besatzungsherrschaft, in denen die vier Besatzungszonen unter dem Regiment der Militärgouverneure gefährlich weit auseinandergedriftet waren, in denen die deutschen Politiker hatten einsehen müssen, dass sich die Dinge von allein kaum zum Besseren wandeln würden, war die Neigung stark, wieder zu einer staatlichen Existenz zu gelangen. Das Angebot einer parlamentarischen Vertretung und einer Exekutive wenigstens für die drei Westzonen war verlockend, aber die Politiker scheuten das Odium einer feierlichen Neugründung, die zu einem Staat unter Ausschluss der sowjetischen Besatzungszone führen musste. Der Verlust der nationalen Einheit schien ein zu hoher Preis für den staatlichen Neubeginn. Vom 8. bis 10. Juli 1948 berieten die Ministerpräsidenten aller Westzonen-Länder ihre Antwort an die Militärgouverneure. Der Tagungsort - das Hotel Rittersturz bei Koblenz - lag in der französischen Zone. Das war eine Premiere, denn bis zum Sommer 1948 hatte das französische Besatzungsgebiet ein abgesondertes Eigenleben geführt, die dortige Militärregierung sah Verbindungen über die Grenzen ihres Einflussgebiets hinaus ungern, ganz im Gegensatz zu den Amerikanern und Briten, die ihre beiden Zonen ab Januar 1947 immer enger zusammenschlossen und das Territorium der "Bizone" allmählich zu einer Art Modellstaat entwickelten. Die Öffentlichkeit nahm, von den ökonomischen und politischen Nachwirkungen der Währungsreform elektrisiert, wenig Notiz von den Ereignissen, die die Staatsgründung einleiteten; die Schlagzeilen blieben der jungen D-Mark und der Luftbrücke ins blockierte Berlin vorbehalten. Vor und während der Rittersturz-Konferenz hatten sich auch die Parteispitzen mit den Frankfurter Dokumenten beschäftigt. CDU und CSU äußerten sich, bei aller Skepsis, die intern herrschte, einstimmig positiv zu den alliierten Vorschlägen, wogegen sich die SPD reservierter gab. Bei den Sozialdemokraten standen sich zweiRichtungen gegenüber. Die Bürgermeister von Hamburg und Bremen und der hessische Regierungschef begrüßten die Entwicklung, die übrigen SPD-Ministerpräsidenten zeigten sich ebenso wie der Parteivorsitzende Kurt Schumacher abwartend bis ablehnend. Tatsächlich unterschied sich die Stimmung in beiden Parteien aber wenig, CDU und CSU argumentierten lediglich geschmeidiger, während die Haltung der SPD wegen ihrer betonten Prinzipientreue unnachgiebiger wirkte als sie in Wirklichkeit war. Führende Verfassungsexperten beider Parteien waren sich einig, dass man das Provisorische der ins Auge gefassten Staatsgründung betonen müsse und dass das angekündigte Besatzungsstatut als Ausdruck alliierter Verantwortung für die deutschen Angelegenheiten im Vordergrund stehen müsse. Die Antwort der westdeutschen Ministerpräsidenten an die Alliierten bestand deshalb nach dreitägigem Ringen in Ja und Nein zugleich. Die Vollmachten wollten sie zwar annehmen, aber nicht in der Form, wie sich die Alliierten das gedacht hatten. Der Primat der drei Westmächte sollte deutlich zum Ausdruck kommen, um den Vorwurf der Preisgabe der nationalen Einheit durch die westdeutschen Politiker zu verhindern. Aus dem gleichen Grund wünschten die Westdeutschen, dass das Besatzungsstatut zuerst erlassen werden sollte. Die Ministerpräsidenten lehnten auch eine "Nationalversammlung" zur Beratung und Verabschiedung einer Verfassung ab, die durch Volksabstimmung in Kraft gesetzt werden sollte. Statt dessen sollten die Landtage ein Gremium wählen, das ein provisorisches "Grundgesetz" ausarbeiten würde. Das sollte die Entwicklung offen halten. Man wollte zu größerer Selbstständigkeit kommen, ohne die Ostzone ausdrücklich preiszugeben. Die Militärgouverneure hatten mit einer solchen Antwort und mit Gegenvorschlägen nicht gerechnet. General Clay war zornig, sein britischer Kollege Robertson nahm es gelassener und der Vertreter Frankreichs, General Koenig, war sogar ganz zufrieden, dass es mit der westdeutschen Staatsgründung nicht so schnell vorwärtsging. Ihre Motive waren unterschiedlich, die Zurückweisung der deutschen Antwort auf die Frankfurter Dokumente durch die drei Militärgouverneure war jedoch einmütig, und die deutschen Ministerpräsidenten mussten sich jetzt, im vollen Bewusstsein ihres begrenzten Handlungsspielraums, abermals entscheiden. Die Alliierten hatten ihnen bedeutet, dass die "Londoner Empfehlungen", die die Grundlage der Frankfurter Dokumente bildeten, als verpflichtende Handlungsanweisungen zu betrachten waren. Die Deutschen konnten sie annehmen oder ablehnen, aber nicht verändern oder deutschen Wünschen anpassen. Die Ministerpräsidenten suchten jetzt nach einer Lösung, die so dicht wie möglich bei ihrer Position liegen, aber auch den alliierten Vorgaben nahe genug sein sollte. Scheitern lassen wollten die Ministerpräsidenten die staatsrechtliche Neuregelung aber auf keinen Fall. Das zeigte sich auch daran, dass sie beschlossen, ein Experten-Kollegium, zusammengesetzt aus Vertretern aller elf Länder der Westzone, als Verfassungsausschuss tagen zu lassen. Der bayerische Ministerpräsident bot dazu einen ebenso idyllischen wie abgeschiedenen Platz, nämlich die Herreninsel im Chiemsee, als Verhandlungsort an. Das war die Geburtsstunde des Herrenchiemseer Verfassungskonvents, der im August 1948 den Grundgesetz-Entwurf erarbeitete. Am 26. Juli sollte den Militärgouverneuren die endgültige deutsche Antwort unterbreitet werden. Dazu mussten Kompromisse gefunden werden, mit denen man den Alliierten soweit entgegenkam, wie es notwendig war, ohne den grundsätzlichen Vorbehalt gegen die Gründung eines deutschen Teilstaats aufzugeben. Der Begriff"Grundgesetz" musste durchgesetzt werden, und weiter erschien es unverzichtbar, dieses Grundgesetz nicht durch Volksentscheid, sondern durch die Landtage ratifizieren zu lassen: Das waren die Positionen, mit denen das Provisoriumskonzept gestützt wurde. Bestandteil dieses Konzepts war die Vorstellung, dass der auf westdeutschem Gebiet zu errichtende "Kernstaat" stellvertretend für die deutsche Nation als Gesamtheit agieren und dass sich eines Tages die sowjetische Besatzungszone anschließen würde. Die Mehrheit der westdeutschen Politiker vertrat überdies die "Magnettheorie", nach der die steigende ökonomische und politische Attraktivität der Westzonen die sowjetische Besatzungszone geradezu magnetisch anziehen werde. Das war eine kühne Konstruktion, die als Weg zur Wiedervereinigung aber vom CDU-Sprecher Konrad Adenauer ebenso wie vom SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher propagiert wurde. Bei den Abschlussverhandlungen mit den Militärgouverneuren am 26. Juli zeichnete sich zunächst eine Ablehnung der deutschen Wünsche und ein Scheitern der Verhandlungen ab. Dem Hamburger Bürgermeister Max Brauer (SPD), Bayerns Ministerpräsident Hans Ehard (CSU) und Wilhelm Kaisen, dem sozialdemokratischen Bürgermeister von Bremen, gelang es jedoch durch geschicktes Taktieren, ein alle Beteiligten befriedigendes glückliches Ende der Konferenz zu befördern. Im Namen der drei westlichen Besatzungsmächte gab General Koenig schließlich das offizielle Einverständnis zur Errichtung der Bundesrepublik. Etliche Hürden waren zu nehmen und eine beträchtliche Menge an Kleinarbeit war auf verschiedenen administrativen Ebenen zu erledigen, ehe ein gutes Jahr später im September 1949 der erste deutsche Nachkriegsstaat ins Leben trat. Zunächst mussten die elf Länderparlamente ein gleichlautendes Gesetz beschließen, das die Zusammensetzung des "Parlamentarischen Rats", wie die Verfassunggebende Versammlung nun endgültig hieß, regelte: In indirekter Wahl wurde für jeweils 750 000 Einwohner (mindestens jedoch einer pro Land) ein Abgeordneter von den Landtagen delegiert. Das ergab 65 Mandate, zu denen noch fünf Vertreter Berlins ohne Stimmrecht kamen. Als Tagungsort wurde die Universitätsstadt Bonn gewählt, beworben hatten sich auch Celle, Düsseldorf, Frankfurt, Karlsruhe und Köln. Die Ministerpräsidenten entschieden sich für Bonn, damit auch die Britische Zone in der Gründerzeit der Nachkriegsrepublik mit einem wichtigen Ort vertreten war. Die Entscheidung über die künftige Hauptstadt sollte damit aber keineswegs vorweggenommen werden. Frankfurt galt wegen seiner verkehrsgünstigen Mittellage, als Sitz des Bizonen-Parlaments und der Bizonen-Administration noch lange Zeit als künftige Bundeshauptstadt. In Bonn wurden in aller Eile Quartiere und Büros für die Abgeordneten geschaffen, und der Neubau der Pädagogischen Akademie - das spätere Bundeshaus am Rheinufer - als Tagungsstätte des Parlamentarischen Rats hergerichtet.

Herrenchiemseer Verfassungskonvent

Unterdessen begannen am 10. August auf der Chiemseeinsel die Sachverständigen mit der Beratung eines Verfassungsentwurfs. Der bayerische Minister Anton Pfeiffer führte den Vorsitz, jedes Land hatte einen Experten delegiert, dazu kamen etwa zwanzig weitere Teilnehmer: Rechtsgelehrte, Politiker und Verwaltungsfachleute. Der "Verfassungskonvent" - so hieß das Gremium offiziell - empfand sich als politisch neutral, die großen Parteien CDU/CSU und SPD waren etwa gleichstark vertreten. Dem Verfassungskonvent war die Aufgabe gestellt, "Richtlinien für ein Grundgesetz" zu erarbeiten, also Lösungen für die einzelnen Verfassungsprobleme zu suchen und darzustellen. Der "Bericht über den Verfassungskonvent", den die Ministerpräsidenten als Ergebnis der Beratungen vom 10. bis 23. August eine Woche später dem Parlamentarischen Rat übergaben, war nicht nur ein imponierendes Kompendium des Verfassungsrechts, gegliedert in eine ausführliche Darstellung der zu lösenden Probleme, den "Entwurf eines Grundgesetzes" mit 149 Artikeln - viele von ihnen in alternativen Versionen formuliert - und schließlich einen Kommentar mit Einzelerläuterungen zu bestimmten Artikeln. Das bescheiden als Tätigkeitsbericht deklarierte Dokument von 95 Druckseiten war für die Debatte der folgenden Monate im Parlamentarischen Rat von kaum zu überschätzender Bedeutung: Die strittigen Probleme von Herrenchiemsee waren wenig später auch die Streitfragen in Bonn. Der Hauptunterschied zwischen Herrenchiemsee und Bonn lag darin, dass hier die Probleme theoretisch erörtert und dargelegt werden konnten, dort aber politische Entscheidungen und Kompromisse gefunden werdenmussten. Die Verfassungsexperten waren sich einig, dass man aus den Konstruktionsfehlern der Weimarer Verfassung, die 1932/33 zum Untergang der ersten Republik erheblich beigetragen hatten, die Nutzanwendung ziehen müsse. Das beherzigten dann auch die Verfassungsmütter und -väter im Parlamentarischen Rat: Die Regierung sollte sich auf das Vertrauen einer arbeitsfähigen Mehrheit des Parlaments stützen, eine arbeitsunfähige Majorität sollte weder eine Regierungsbildung vereiteln noch eine bestehende Regierung stürzen können. Um Präsidialregierungen, wie sie das Ende der Weimarer Zeit bestimmten, zu vereiteln, sollte das Staatsoberhaupt politisch neutral und ohne Macht (also ohne die damaligen Notverordnungsrechte) sein. Von Volksbegehren rieten die Experten dringend ab, Grundgesetzänderungen, "durch die die freiheitliche und demokratische Grundordnung" (diese Formulierung wurde auf der Chiemseeinsel gefunden) beseitigt werden könne, sollten in Zukunft unzulässig sein. Mit der gebotenen Feierlichkeit trat der Parlamentarische Rat am 1. September 1948 in Bonn zur konstituierenden Sitzung zusammen. Die 65 Abgeordneten - je 27 stellten die Unionsparteien und die SPD, die FDP hatte fünf Sitze, und je zwei Mandate hatten die Deutsche Partei, die Zentrumspartei und die KPD - wählten nach dem Festakt den 72-jährigen CDU-Politiker Konrad Adenauer zum Präsidenten. Vorsitzender des Hauptausschusses, in dem die wesentliche Arbeit geleistet wurde, war Carlo Schmid (SPD). AnfangDezember, nach der ersten Lesung im Hauptausschuss, waren die Konturen des Grundgesetzes sichtbar, aber die Meinungen gingen noch bei vielen Problemen auseinander. Nicht einig, und zwar vielfach quer durch die Fraktionen, war man sich über die Funktion des Staatsoberhauptes, über die zweite Kammer des Parlamentes (Bundesrat oder Senat), über die Verteilung der Steuern zwischen Bund und Ländern, über das Verhältnis von Kirche und Staat und insbesondere über das "Elternrecht" zur Bestimmung der religiösen Erziehung. Im Februar 1949 war das Grundgesetz im wesentlichen fertig, aber einige Bestimmungen - vor allem die Finanzverwaltung und die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern - missfielen immer noch den Alliierten, von deren Genehmigung das Verfassungswerk letztlich abhing. Weisungsgemäß pochten sie auf den Wortlaut der Frankfurter Dokumente, dem der Grundgesetzentwurf nicht ganz entsprach. Die Länder sollten einflussreicher, die Zentralgewalt etwas schwächer sein. Aber die Zeit war jetzt auf seiten der Deutschen, und der Widerstand - vor allem in den Reihen der SPD-Fraktion - gegen die meisten alliierten Änderungswünsche zahlte sich aus. Ende April einigte sich die Abordnung des Parlamentarischen Rats mit den Militärgouverneuren. Anfang Mai wurde das Grundgesetz abschließend im Hauptausschuss beraten und am 8. Mai - am vierten Jahrestag der Kapitulation - vom Plenum verabschiedet. Die Militärgouverneure genehmigten am 12. Mai das Verfassungswerk, das in den folgenden Tagen den elf Landtagen zur Ratifizierung vorgelegt wurde. Mit der Ausnahme Bayerns, dessen Parlamentarier sich nach 17-stündiger Debatte mit einer Mehrheit von 101 zu 63 gegen das Grundgesetz aussprachen, wurde die Verfassung in allen Ländern genehmigt. Das bayerische Nein hatte keine Konsequenzen, denn es war nicht in antidemokratischer Absicht gesprochen; man hatte in München lediglich föderalistische Vorbehalte artikulieren wollen und gleichzeitig betont, dass man an der Geltung des Grundgesetzes auch im Freistaat nicht zu rütteln gedächte. Am 23. Mai 1949 konnte daher das Grundgesetz verkündet werden, in einer festlichen Schlusssitzung des Parlamentarischen Rates in Anwesenheit der Ministerpräsidenten, von Vertretern der Militärregierungen und anderen Würdenträgern. Das Grundgesetz trat am Tag nach seiner feierlichen Verkündigung in Kraft, am 24. Mai 1949. Mehr als die Verfassung existierte von der Bundesrepublik zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Vielerorts wurde jedoch angestrengt gearbeitet, um den vorerst nur als Idee existenten Staat auch mit Verfassungsorganen und allen nötigen Einrichtungen der Verwaltung auszustatten. Einer der letzten Beschlüsse des Parlamentarischen Rats hatte am 10. Mai 1949 mit knapper Mehrheit und nicht unumstritten Bonn zur vorläufigen Hauptstadt der Bundesrepublik erkoren. Der erste Bundestag bekräftigte im November 1949 den Beschluss des Rates. Die Besatzungsbürokratie wurde umgebaut. An die Stelle der drei Militärgouverneure sollte mit dem Inkrafttreten des Besatzungsstatuts die Alliierte Hohe Kommission treten, die hoch über Bonn auf dem Petersberg residierte und durch ihren Standort auch das Machtgefälle zwischen den Hohen Kommissaren und der Bundesregierung augenfällig dokumentierte. Denn mit der Konstituierung der Bundesrepublik endete das Besatzungsregime ja noch nicht; die Souveränitätsrechte wurden bis zum Mai 1955 noch auf dem Petersberg verwaltet. Es war freilich kein direktes Besatzungsregime mehr, sondern eine zurückhaltend geübte Kontrolle, die sicherstellen sollte, dass die Westdeutschen auf dem von den Alliierten gewünschten Weg blieben. Bald nach der Verabschiedung des Grundgesetzes setzte der Wahlkampf ein. Die Schlacht um Wählerstimmen wurde mit knappem Ergebnis ausgefochten zwischen der von Kurt Schumacher geführten SPD und der von Adenauer gelenkten Union aus CDU und CSU, die zusammen mit der FDP den Direktor des Wirtschaftsressorts der Bizone und künftigen Bundesminister Ludwig Erhard zum erstenmal als Wahllokomotive einsetzte. Erhard entschied als Verfechter der Sozialen Marktwirtschaft wesentlich das Ergebnis vom 14. August 1949, das Konrad Adenauer die erste Koalitionsabsprache ermöglichte: Der Vorsitzende der FDP, Theodor Heuss, sollte Bundespräsident werden, er selbst wollte sich um das Amt des Kanzlers bewerben. Von den 402 Mandaten des ersten Bundestags hatten CDU und CSU 139 (31 Prozent der Wählerstimmen) errungen; die SPD gewann wider Erwarten nur 131 (29,2 Prozent), 52 Abgeordnete stellte die FDP und 17 die konservative Deutsche Partei. Ebenfalls 17 Vertreter hatte die Bayernpartei. Auch kleinere Parteien wie die "Wirtschaftliche Aufbauvereinigung" (WAV - zwölf Sitze) und die katholische Zentrumspartei (zehn Sitze) waren im Parlament vertreten; die Kommunisten waren mit 15 Abgeordneten (5,7 Prozent) präsent. Rechtsradikale gab es auch, und zwar als Parteilose sowie in den Reihen der Deutschen Konservativen Partei/Deutsche Rechtspartei (DKP/DRP -fünf Mandate). Am 7. September konstituierte sich der erste Deutsche Bundestag, am 12. September wählte die Bundesversammlung Theodor Heuss zum Bundespräsidenten. Am 20. September gab der fünf Tage zuvor gewählte Kanzler Konrad Adenauer seine erste Regierungserklärung ab, nachdem die Bundesregierung vereidigt worden war. Das war juristisch gesehen die Geburtsstunde der Bundesrepublik. Am folgenden Tag machte der Kanzler, begleitet von einigen Ministern, den Antrittsbesuch auf dem Petersberg bei den Hohen Kommissaren, die als letzten Konstituierungsakt das Besatzungsstatut in Kraft setzten. Als Reaktion auf die Ende November 1947 bei der Londoner Außenministerkonferenz erkennbare Tendenz der Westmächte, eine westliche Teillösung des Deutschlandproblems zu suchen, wurde in der Ostzone von der SED der "Deutsche Volkskongress für Einheit und gerechten Frieden" als Sammlungsbewegung initiiert. Die SED wollte damit Druck auf die Londoner Verhandlungen ausüben, die Position des sowjetischen Außenministers in London stärken, sich selbst als treibende Kraft zugunsten der deutschen Einheit profilieren, und der westlichen Seite die Schuld an der Spaltung zuweisen. Bei den anderen Parteien der Ostzone, insbesondere bei der CDU, aber auch bei Teilen der LDP, stieß die SED-Initiative auf Ablehnung. Die CDU-Vorsitzenden Jakob Kaiser und Ernst Lemmer betrachteten die Volkskongressbewegung als Propagandamanöver und weigerten sich, mit der Teilnahme an der Bewegung ihre politische Eigenständigkeit aufzugeben. Sie wurden deshalb im Dezember 1947 auf Druck der SMAD abgesetzt und durchden gefügigeren Otto Nuschke ersetzt. Zum Ersten Deutschen Volkskongress am 6. Dezember lud die SED Vertreter von Parteien und Massenorganisationen, Betriebsräte, Bauernverbände, Künstler und Wissenschaftler aus allen Besatzungszonen nach Berlin. Eine Legitimierung der Delegierten durch Wahl fand nirgendwo statt. Die meisten der 2000 Delegierten kamen aus der SBZ und Berlin, die SED stellte allein 605 Teilnehmer. Die größte Teilnehmergruppe der Westzonen bildeten 244 Vertreter der KPD. Einige wenige andere waren trotz des Verbots durch die Westalliierten nach Berlin gereist. Dem Kongress war die Rolle eines gesamtdeutschen Vorparlaments zugedacht, er forderte von der Londoner Außenministerkonferenz die Vorbereitung eines Friedensvertrags und die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung "aus Vertretern aller demokratischen Parteien". Die Außenminister sollten eine Delegation, nämlich die SED-Vorsitzenden Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl sowie den Vorsitzenden der Liberal-Demokratischen Partei, Wilhelm Külz, empfangen undvon ihnen entsprechende Vorschläge entgegennehmen. Der Zweite Deutsche Volkskongress, der am 17. und 18. März 1948 tagte, und dessen Eröffnung im Zeichen des 100. Jahrestags der Märzrevolution von 1848 stand, protestierte gegen die Diskussion einer Staatsgründung in den Westzonen und beschloss, im Mai/Juni 1948 ein Volksbegehren für die deutsche Einheit in allen vier Zonen durchzuführen, das in den Westzonen aber nicht erlaubt wurde. Weiterhin bestellte der Volkskongress einen 400 Mitglieder starken "Deutschen Volksrat". Er vertrat den Anspruch, ganz Deutschland zu repräsentieren (300 Delegierte kamen aus der SBZ, 100 Delegierte aus den Westzonen). Sein wichtigster Ausschuss unter der Leitung Otto Grotewohls arbeitete in den folgenden Monaten einen Verfassungsentwurf aus. Ein Ende 1946 von der SED vorgelegtes Modell einer (gesamtdeutschen) "Verfassung für die Deutsche Demokratische Republik" diente als Ausgangspunkt. Der Verfassungstext von 1946 gewährleistete außer den Grundrechten das Privateigentum, sah jedoch die Enteignung von Großgrundbesitz vor, ferner die Sozialisierung von Bodenschätzen und bestimmten Betrieben. Der Wortlaut huldigte dem Prinzip des Parlamentarismus, und zwar soweit, dass der Parlamentspräsident zugleich Staatsoberhaupt sein sollte. Der neue Verfassungsentwurf orientierte sich formal stärker am Modell der Weimarer Reichsverfassung, trug aber den von der SED propagierten gesellschaftspolitischen Zielen Rechnung. Der Verfassungsentwurf des Volksrats wurde Ende Oktober 1948 öffentlich zur Diskussion gestellt. Im März 1949, als der Deutsche Volksrat wegen der bevorstehenden Verabschiedung des Bonner Grundgesetzes den "nationalen Notstand" verkündete, sollte ein dritter Volkskongress einberufen werden, um die Verfassung zu bestätigen. Dieser Dritte Deutsche Volkskongress sollte durch Wahlen legalisiert sein. Dazu wurden am 15. und 16. Mai 1949 in der SBZ und in Ost-Berlin Wahlen angesetzt, allerdings nach dem Prinzip der Einheitsliste des "Demokratischen Blocks", in dem Parteien und Massenorganisationen zusammengeschlossen waren. 25 Prozent der Listenplätze bekam die SED, jeweils 15 Prozent erhielten CDU und LDP und entsprechend weniger die anderen Parteien und Massenorganisationen.Die Wahl war mit einer Volksabstimmung über die deutsche Einheit verbunden. Wenn die Auszählung der Stimmen korrekt war (woran viele zweifelten), dann stimmten 66,1 Prozent der 13,5 Millionen Wahlberechtigten für die Einheitsliste. Der auf dem Dritten Volkskongress (29. und 30. Mai 1949) neu gewählte Zweite Deutsche Volksrat konstituierte sich am 7. Oktober 1949 als Provisorische Volkskammer der DDR und setzte die Verfassung in Kraft. Die 330 Abgeordneten der Provisorischen Volkskammer waren nach politischem Proporz zusammengerufen worden, nicht aus freier Wahl hervorgegangen. Die SED hatte 96 Sitze, Liberaldemokraten und CDU verfügten je über 46, Nationaldemokraten und Demokratischer Bauernbund über 17 bzw. 15, die restlichen Mandate hatten der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund und Massenorganisationen wie die Freie Deutsche Jugend (FDJ) inne. Einstimmig, wie für Abstimmungsergebnisse im System des "demokratischen Zentralismus" üblich, wurde ein "Gesetz über die Provisorische Regierung der DDR" beschlossen und eine Länderkammer (34 Abgeordnete der 5 Landtage) gebildet. Otto Grotewohl, einer der beiden Vorsitzenden der SED, wurde als Ministerpräsident mit der Bildung einer Regierung beauftragt. Drei Tage später übergab in Berlin-Karlshorst der Chef der Sowjetischen Militäradministration, General Tschuikow, die von der Militärregierung ausgeübten Funktionen an die Regierung der DDR. Die SMAD wurde aufgelöst und (parallel zur Entwicklung im Westen, wo im Sommer 1949 die Militärgouverneure durch Hohe Kommissare ersetzt worden waren) durch eine Sowjetische Kontrollkommission (SKK) abgelöst. Am 11. Oktober wählten Volks- und Länderkammer gemeinsam (und wiederum einstimmig) Wilhelm Pieck, den anderen Vorsitzenden der SED, zum Präsidenten der DDR. Am folgenden Tag bestätigte die Volkskammer die Regierung und nahm Grotewohls Regierungserklärung entgegen, in der die Freundschaft zur Sowjetunion als Grundlage der Außenpolitik, die Tradition des Antifaschismus als innere Verpflichtung und die Ankündigung von Anstrengungen, in Industrie und Landwirtschaft das Vorkriegsniveau zu erreichen, als Ziel der Wirtschaftsplanung die wichtigsten Punkte bildeten. Zur Sinnstiftung und Rückbindung mit den Werktätigen besuchten am folgenden Tag die Mitglieder der neuen Regierung volkseigene Großbetriebe, um den Arbeitern die Staatsziele zu erläutern und sie zur Gefolgschaft zu verpflichten. Es war der 13. Oktober 1949, der zum ersten Mal als "Tag der Aktivisten" begangen wurde, als Jahrestag der Rekordleistung des Bergmanns Adolf Hennecke, der nach dem Vorbild des sowjetischen Arbeiters Stachanow von 1935 in einer wohl vorbereiteten Hochleistungsschicht mit einer Normüberbietung von 387 Prozent im Kohlebergbau ein sozialpolitisches Signal für den Arbeiter- und Bauernstaat gesetzt hatte.

Die Bundesrepublik war ein Ergebnis der nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden Blockkonfrontation zwischen Ost und West und besaß zunächst keine volle staatsrechtliche Souveränität. Alliierte Vorbehaltsrechte wurden im sogenannten Besatzungsstatut festgehalten. Nach dessen Bestimmungen konnten die Besatzungsmächte die Regierungsgewalt wieder an sich ziehen, wenn ihnen dies zur Aufrechterhaltung der demokratischen Staatsform oder aus Sicherheitsgründen erforderlich erschien. Grundgesetzänderungen bedurften ihrer Zustimmung; für die auswärtigen Angelegenheiten waren die Besatzungsmächte allein zuständig. Dieses Statut blieb bis 1955 gültig. Der neue westliche Teilstaat beanspruchte, alleiniger Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches zu sein. In der Präambel der als provisorisch bezeichneten Verfassung hieß es, man habe "auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden". Die Bundesrepublik bildete im Laufe der fünfziger Jahre ein stabiles demokratisches System heraus, in dem die wichtigsten Parteien untereinander grundsätzlich koalitionsfähig waren und parlamentarisch kooperierten. Auch alle Interessenverbände stellten sich - anders als in der Weimarer Republik - uneingeschränkt auf den Boden der parlamentarischen Demokratie. Auf Bundesebene bildete sich ein stabiles Regierungslager um die neu gegründeten überkonfessionellen Parteien CDU und CSU und eine von der Sozialdemokratie geführte Opposition. Nicht zu Unrecht wird von der Ära Adenauer gesprochen. Die Regierungszeit des ersten Kanzlers der Bundesrepublik Konrad Adenauer (1949-1963) war der politische Ausdruck der Wiederaufbauperiode, in der eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Modernisierung unter konservativen Vorzeichen stattfand. Währenddessen sorgten unterschiedliche Parteienkonstellationen in den Ländern und Kommunen für einigen Ausgleich und eine erheblich breitere Beteiligung und Verantwortung politischer Kräfte. Das Ziel der Wiedervereinigung - dem Anspruch nach in den Grenzen von 1937 - und die umfassende Integration in die Gemeinschaft westlicher Staaten standen im Zentrum der parlamentarischen Auseinandersetzungen. Vor allem die Frage der Wiederbewaffnung wurde in diesem Spannungsfeld diskutiert. Am Ende des Jahrzehnts stellte die Westintegration keinen Streitpunkt mehr dar. Die Grundlagen der Wirtschafts- und Sozialpolitik waren ohnehin - abgesehen von den harten Auseinandersetzungen um Mitbestimmung und Betriebsverfassung in der ersten Legislaturperiode - einvernehmlich zwischen Regierungslager und Opposition gesetzlich geregelt worden. Am Anfang der fünfziger Jahre waren die politischen Kenntnisse der Bevölkerung noch gering und autoritäre Einstellungen weit verbreitet. Der Umgang mit der Vergangenheit des Dritten Reiches wies schwere Defizite auf. Wenn Bonn dennoch nicht Weimar wurde, wie der Schweizer Publizist Fritz René Allemann 1956 erleichtert feststellte, lag dies zunächst vor allem an der wirtschaftlichen Wohlstandsentwicklung, die mit der parlamentarischen Demokratie in Zusammenhang gebracht wurde. Das Grundgesetz übernahm zwar viele Bestimmungen der Weimarer Verfassung, aber die Erfahrung, daß sich die Nationalsozialisten anfangs im Rahmen dieser Ordnung hatten durchsetzen können, führte zu einigen wichtigen Veränderungen. Neu war, daß die Grundrechte nun als unveräußerlich an die erste Stelle rückten, den Parteien ausdrücklich ein Mitwirkungsrecht bei der politischen Willensbildung des Volkes zugesprochen und sie gleichzeitig auf die demokratische Verfassung festgelegt wurden. Auf Weimarer Erfahrungen war die Einführung des Konstruktiven Mißtrauensvotums als einzigem Weg zum Wechsel der Regierung während der Legislaturperiode zurückzuführen. Auch der geringere Handlungsspielraum, der dem Bundespräsidenten zuerkannt wurde, ergab sich aus der Erkenntnis, daß der vom Volk gewählte Reichspräsident mit der Ausschöpfung seiner umfassenden Machtbefugnisse zum Scheitern der Weimarer Republik beigetragen hatte. Schließlich war dies auch der Hintergrund für den weitgehenden Verzicht auf plebiszitäre Bestimmungen im Grundgesetz. Die Möglichkeit der demagogischen Ausnutzung von Volksentscheiden sollte ausgeschlossen sein. Die Einhaltung des Grundgesetzes - vor allem der Normen der Rechts- und Sozialstaatlichkeit - wird durch das Bundesverfassungsgericht als oberstem Gericht überwacht, das seine Tätigkeit in Karlsruhe 1951 aufnahm. Es besteht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richtern, die von Bundesrat und Bundestag gewählt werden. Insbesondere die Verfassungsbeschwerde entwickelte sich zu einem wirksamen Mittel der Sicherung von Grundrechten.

Während die Sozialdemokraten und zum Teil auch die Kommunisten hinsichtlich ihrer Parteien und der Verankerung in sozialmoralischen Milieus vielfach dort anknüpfen konnten, wo ihre legale Entwicklung 1933 unterbrochen worden war, und sich die in der Weimarer Republik in verschiedenen Parteien organisierten Liberalen nun zu einem großen Teil unter dem gemeinsamen Dach der FDP befanden, können CDU und CSU als die eigentlichen Neuerungen des westdeutschen Parteiensystems angesehen werden.

CDU

Die Union, vor allem die CDU, trat von Anfang an mit einem interkonfessionellen Anspruch auf, gutgeheißen auch von der Mehrheit der katholischen Bischöfe, die sich gegen eine Wiederbelebung der alten Zentrumspartei aussprachen. Schon früh vermochte die CDU, besonders in Norddeutschland, evangelische Bevölkerungsteile zu integrieren. Allerdings bestanden Anfang der fünfziger Jahre in protestantisch-konservativen Kreisen noch erhebliche Vorbehalte gegenüber der Unionspartei, die ihnen als zu katholisch-sozial und rheinisch-westdeutsch erschien. Die Mitgliederzahl betrug Mitte und Ende des Jahrzehnts etwa 250.000 mit starkem Übergewicht der katholischen Konfession. Volksparteilichen Charakter besaß die CDU lediglich in katholisch geprägten Regionen, vor allem an Rhein und Ruhr. Erst im Oktober 1950, auf dem ersten Bundesparteitag der CDU in Goslar, schlossen sich die einzelnen Landesverbände zu einer Bundespartei zusammen. Programmatisch wurden auf der Basis eines christlichen Menschenbildes die Soziale Marktwirtschaft, die parlamentarische Demokratie und die außenpolitische Westbindung hervorgehoben. Aber wichtiger als alle Programmformulierungen (auf Bundesebene: Düsseldorfer Leitsätze 1949, Hamburger Programm 1953) war die glaubwürdige Personalisierung des eingeschlagenen Kurses durch den früheren Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer. Dieser übernahm, bald unangefochten, die inhaltliche Bestimmung der Unionspolitik. Die Partei, die bei der ersten Bundestagswahl 1949 mit der bayerischen CSU zusammen 31 Prozent der Stimmen erhalten hatte, wurde deswegen schon bald als Kanzlerpartei angesehen.

CSU

Auch die CSU, noch deutlicher als die CDU im katholischen Milieu wurzelnd, hatte sich von vornherein auf den Boden der Marktwirtschaft gestellt. Allerdings befand sich die bayerische Schwesterpartei um 1950, nach einer Phase innerparteilicher Auseinandersetzungen zwischen einem altbayerisch-bäuerlichen und radikal-regionalistischen Flügel - der sich dann zum Teil in der 1948 gegründeten Bayernpartei (BP) wiederfand - und der eher gemäßigt föderalistischen Mehrheit unter dem Parteivorsitzenden Josef Müller, auf einem Tiefpunkt ihres Einflusses. Bei der Bundestagswahl 1949 erreichte sie 29,2 Prozent, bei der Landtagswahl 1950 27,4 Prozent. Ihre Konkurrentin, die BP, erreichte bei der Bundestagswahl (in Bayern) 20,9 Prozent und bei der Landtagswahl ein Jahr später 17,9 Prozent. 1954 geriet die CSU in Bayern zum ersten und einzigen Mal in ihrer Geschichte in die Opposition, obwohl ihr Stimmenanteil mittlerweile auf 38 Prozent angewachsen war. 1956 hatte die CSU mit 43.500 Mitgliedern nur halb so viele wie 1947. Seit der zweiten Hälfte des Jahrzehnts allerdings wurde die Partei zunehmend effektiver und straffer organisiert und steigerte die Mitgliederzahlen erheblich rascher als die CDU. Die CSU präsentierte sich erfolgreich zugleich als Landes- und Bundespartei, die zum einen die forcierte Industrialisierung und Modernisierung Bayerns förderte, zum anderen den Einfluß des Freistaates in Bonn geltend machte. Das Finanzministerium, aus föderalistischer Sicht ein Schlüsselministerium, wurde von 1949 bis 1957 von Fritz Schäffer (CSU), das Postministerium sogar über zwei Jahrzehnte (1949-1969) von Ministern der CSU geführt. Als Bundesminister für Atomfragen und dann als Verteidigungsminister in der Frühzeit der Bundeswehr profilierte sich unter den jüngeren Parlamentariern der Partei vor allem der spätere langjährige Parteivorsitzende (1961-1988) Franz Josef Strauß. CDU und CSU profitierten gleichermaßen von der am Ende der ersten Legislaturperiode deutlich werdenden Popularität der Vaterfigur Konrad Adenauer. Daneben warb die Union vor allem mit dem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, der als "Vater der Sozialen Marktwirtschaft" und Begründer des "Wirtschaftswunders" herausgestellt wurde. Im Laufe des Jahrzehnts gelang es der Union zunehmend, konkurrierende Parteien im katholischen Raum wie das wiedergegründete Zentrum oder die Bayernpartei zur Bedeutungslosigkeit zu verurteilen und bürgerlich-konservative Milieus in protestantischen Regionen Norddeutschlands sowie die Wählerschaft der Vertriebenen und Flüchtlinge zu einem großen Teil zu integrieren. Bei der Bundestagswahl 1953 steigerten CDU und CSU ihren Stimmenanteil auf 45,2 Prozent, und 1957 erreichten sie erstmals (und bisher einmalig) die absolute Mehrheit mit 50,2 Prozent; die Wahl 1961 stellte mit 45,3 Prozent in etwa das Ergebnis von 1953 wieder her. In den Integrationssog der Union geriet die national-konservative Deutsche Partei (DP), die bei der ersten Bundestagswahl nur in den vier nördlichen Bundesländern, dort aber mit guten Ergebnissen, kandidiert hatte (in Bremen erhielt sie 18 Prozent, in Niedersachsen 17,8 Prozent). In Niedersachsen stellte die DP in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre mit Heinrich Hellwege sogar den Ministerpräsidenten. Die DP war auch in den von Adenauer geführten Kabinetten vertreten und unterstützte von Anfang an vor allem die Außenpolitik des Kanzlers vorbehaltlos. Nachdem sie 1953 und 1957 nur noch in den Bundestag zurückkehren konnte, weil die CDU ihr einige sichere Wahlkreise überlassen hatte, traten ihre Spitzenfunktionäre Anfang der sechziger Jahre der Union bei; die Partei löste sich auf. Auch der in den fünfziger Jahren regional wählerstarke Gesamtdeutsche Block/Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE), der in zahlreichen Landeskoalitionen und nach seinem Einzug in den Bundestag 1953 (5,9 Prozent) im Bundeskabinett mit zwei Ministern vertreten war, wurde vor allem von der Union beerbt. Seine beiden Minister, Theodor Oberländer und Waldemar Kraft, traten 1955 zur Partei des Kanzlers über.

FDP

Allein die liberale FDP, die mit Theodor Heuss als erstem Bundespräsidenten einen hervorragenden Repräsentanten der jungen Bundesrepublik stellte, behauptete ihre Rolle als eigenständige Koalitionspartnerin der Union. In wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen bestand zwar häufig eine Gemeinschaft mit mittelständischen Vertretern der CDU/CSU, aber in Fragen der Kultur-, Rechts- und Bildungspolitik setzten sich die Liberalen bisweilen von den von ihnen als klerikal empfundenen Positionen der Kanzlerpartei ab. Während die FDP zu Beginn der fünfziger Jahre teilweise nationalistische Töne anschlug, verschoben sich die Gewichte in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts vorübergehend zugunsten linksliberaler Strömungen. Die Flexibilität der Partei zeigte sich in unterschiedlichen Koalitionen in den Ländern, darunter mit der SPD in Nordrhein-Westfalen (1956 bis 1958). Nach dem Austritt von vier FDP-Bundesministern des rechten Flügels 1956 und Stimmenverlusten bei der Bundestagswahl ein Jahr später, als die Partei durch die absolute Mehrheit der Union in die Opposition verwiesen wurde, boten sich die Liberalen unter ihrem neuen Vorsitzenden Erich Mende (seit 1960) als bürgerliches Korrektiv zu CDU und CSU dar; dabei nutzten sie den Verfall der Autorität Adenauers Ende der fünfziger Jahre zur Profilierung. Sie warben als "Partei der zweiten Wahl" (Jürgen Dittberner) offensiv um die (für die parlamentarische Stärke) entscheidende Zweitstimme - diese Strategie wurde bei der Bundestagswahl 1961 mit einem Zugewinn von über fünf Prozentpunkten auf 12,8 Prozent belohnt.

SPD

Nachdem 1949 - eine auf das gesamte Bundesgebiet bezogene Fünfprozentklausel galt erstmals 1953 - neben den Sozialdemokraten noch eine ganze Reihe kleinerer Parteien in den Bundestag gelangt war, die gegen die Politik der Regierung auftraten, wurde die SPD im Laufe der fünfziger Jahre zur alleinigen parlamentarischen Opposition. Ihr erster Nachkriegsvorsitzender, Kurt Schumacher, stand einer Partei vor, deren Gründungsmitglieder zu neun Zehnteln bereits vor 1933 der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung angehört hatten. Die SPD versuchte, neben der Industriearbeiterschaft verstärkt die Mittelschichten anzusprechen und sich als "Partei aller Schichten des arbeitenden Volkes" (Helga Grebing) darzustellen. Propagiert wurde von ihr ein patriotisch-national gefärbter demokratischer Sozialismus. Nationale Einheit, parlamentarische Demokratie, Sozialisierung und Planwirtschaft waren Eckpunkte sozialdemokratischer Programmatik, wobei jegliche Verbindung zu den Kommunisten, nicht zuletzt wegen der brutalen Unterdrückung oppositioneller Sozialdemokraten in der DDR, strikt abgelehnt wurde. Es gelang der SPD zunächst nicht, über die traditionelle Stammwählerschaft hinaus neue Schichten zu integrieren. Weder erreichte sie den erhofften Einbruch in die Mittelschichten, noch gewann sie kirchentreue katholische Arbeiter. Sie erhielt bei den ersten drei Bundestagswahlen jeweils lediglich um die 30 Prozent (1949: 29,2 Prozent; 1953: 28,8 Prozent; 1957: 31,8 Prozent); die Mitgliederzahl sank zunächst von 845.000 (1948) auf 589.000 (1955), dann stieg sie allmählich an auf 650.000 (1960) - immerhin hatte die SPD damit doppelt so viele Mitglieder wie die Unionsparteien. Auch nach Schumachers Tod (1952) blieben die Sozialdemokraten mit ihrem neuen Vorsitzenden Erich Ollenhauer bei ihrem Oppositionskurs gegen die Politik der Adenauer-Regierung in den Fragen der Deutschlandpolitik, der Wiederbewaffnung und der Westintegration. Nach dem Scheitern der vom späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann gegründeten neutralistischen Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP) bei der Bundestagswahl 1953 schlossen sich führende Mitglieder dieser Partei der SPD an. Durch die spektakuläre Opposition gegen die Westintegration wurde überdeckt, daß der weitaus größte Teil der Gesetze im Bundestag, besonders seit der zweiten Legislaturperiode, einvernehmlich von Regierung und Opposition verabschiedet wurde. Die zur Schau gestellte prinzipielle Opposition stach außerdem deutlich ab von der pragmatischen Politik und Verwaltung in sozialdemokratisch geführten Bundesländern, personifiziert in den "Landesvätern" Georg August Zinn (1950-1969) in Hessen, Wilhelm Kaisen (1945-1965) in Bremen und Max Brauer (1946-1953; 1957-1960) in Hamburg. Auch als Oberbürgermeister amtierten in den fünfziger Jahren zahlreiche populäre Sozialdemokraten. Erst mit ihrem Godesberger Programm (1959) löste sich die SPD - nach langwierigen Debatten - endgültig von marxistischen Vorstellungen und beschrieb sich als moderne Volkspartei ohne weltanschauliche Ausschließlichkeitsansprüche. Christliche Ethik, Humanismus und klassische Philosophie wurden - in dieser Reihenfolge - als Wurzeln des "demokratischen Sozialismus" genannt. Die Partei suchte verstärkt das Gespräch mit den Kirchen und schloß ihren Frieden mit der Bonner Außenpolitik. Am Ausgang der Ära Adenauer erschien sie als moderne Alternative zur CDU, personifiziert in ihrem jugendlich wirkenden Kanzlerkandidaten, dem Berliner Regierenden Bürgermeister Willy Brandt (1957-1966), der die Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl 1961 zu einem Stimmenanteil von 36,2 Prozent (+4,4 Prozent) führte. Alle anderen Oppositionsparteien wurden in den fünfziger Jahren marginalisiert oder verschwanden gänzlich. Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) hatte sich in den ersten Nachkriegsjahren als antifaschistisch-demokratische Kraft präsentiert und beträchtlichen Einfluß gewonnen. Sie war bis 1948 mit Ministern in den Koalitionsregierungen vieler Länder vertreten, wandte sich dann aber im Parlamentarischen Rat gegen das Grundgesetz und gegen die Bildung eines westdeutschen Teilstaats. Nachdem sie bei der ersten Bundestagswahl nur 5,7 Prozent erhalten hatte, verfolgte sie verstärkt einen von der stalinistischen SED-Führung aus der DDR vorgegebenen Kurs, in dem sich klassenkämpferisches Vokabular mit nationalistischer Agitation gegen die Westintegration mischte. Die Bundesregierung beantragte 1951 das Verbot der Partei vor dem Bundesverfassungsgericht. Bei der nächsten Bundestagswahl 1953 erhielt die KPD nur noch 2,2 Prozent der Stimmen. Ihre Mitgliederzahl sank - nach allerdings unsicheren Angaben - von etwa 300.000 Mitte 1948 auf 78.000 im August 1956, dem Monat ihres Verbots. Zu diesem Zeitpunkt waren die Kommunisten auch in der Arbeiterschaft und in den Gewerkschaften politisch nahezu gänzlich isoliert. Rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppierungen erhielten lediglich um 1950 einen gewissen Zulauf, darunter in Bayern die Wirtschaftliche Aufbauvereinigung (WAV) und in Norddeutschland die neonazistische Sozialistische Reichspartei (SRP), die bei der niedersächsischen Landtagswahl 1951 immerhin 11 Prozent der Stimmen erhielt. Die SRP wurde noch im gleichen Jahr vom Bundesverfassungsgericht verboten. Die Entwicklung des Parteiensystems hatte innerhalb von drei Legislaturperioden zu einer Konzentration auf lediglich noch drei Fraktionen im Bundestag geführt. Alle kleineren regionalen und Weltanschauungsparteien hatten in diesem Zeitraum ihre einstmalige Bedeutung eingebüßt oder waren - besonders von der Union - integriert worden. In den fünfziger Jahren stellte sich immer stärker heraus, daß die Stabilität der parlamentarischen Demokratie in beträchtlichem Maße von funktionsfähigen Vereinigungen und Verbänden im gesamten Gesellschaftssystem abhängt (siehe "Informationen zur politischen Bildung" 253 zum Thema "Interessenverbände"). Zentrale Bedeutung hatten dabei die Gewerkschaften und die Unternehmerverbände, die durch ihre autonomen Tarifabschlüsse wichtige Rahmenbedingungen für den Wiederaufbau schufen.

Arbeitnehmervertretung

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) war 1949 als Dachverband von (zunächst) 17 Einzelgewerkschaften und - in bewußter Absage an die Zersplitterung politischer Richtungsgewerkschaften vor 1933 - als überparteiliche und überkonfessionelle Einheitsgewerkschaft gegründet worden. Allerdings organisierte sich ein großer Teil der Angestellten in der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG), und im öffentlichen Dienst gab es mit dem Deutschen Beamtenbund (DBB) eine weitere starke Konkurrenz. Der DGB forderte in seinem Grundsatzprogramm die Sozialisierung wichtiger Schlüsselindustrien und eine Ausweitung der Mitbestimmung der Arbeitnehmerschaft. Unter dem Eindruck gewerkschaftlicher Drohungen und nach dramatischen Verhandlungen zwischen Konrad Adenauer und dem DGB-Vorsitzenden Hans Böckler wurde 1951 im Montan-Mitbestimmungsgesetz eine Parität in den Aufsichtsräten festgelegt (je fünf Vertreter der Unternehmer- und Arbeitnehmerseite, ein weiteres neutrales Mitglied zur Vermeidung von Pattsituationen). Dies war lediglich die Verteidigung des bereits durch alliierte Bestimmungen geschaffenen Rechtszustandes, ein "halber Sieg der Gewerkschaften" (Klaus Schönhoven). Bis zur Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes 1952 hatten sich die politischen Verhältnisse weiter zu ihren Ungunsten verschoben. In den Aufsichtsräten außerhalb des Montanbereichs erhielten die Vertreter der Arbeitnehmer nur noch ein Drittel der Sitze, und die Mitbestimmung des Betriebsrats wurde im wesentlichen auf soziale und personelle Angelegenheiten beschränkt. Die Belange der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes wurden 1955 im Personalvertretungsgesetz geregelt. Nachdem die Positionen der Gewerkschaften zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betriebsverfassungsgesetz 1952 kaum berücksichtigt worden waren, und nachdem die offene gewerkschaftliche Werbung für die Sozialdemokratie zur Bundestagswahl 1953 sich als Fehlschlag erwies, verlegte sich der DGB zunehmend auf die Verbesserung der sozialen Situation der Arbeitnehmer. In einer Art "Wachstumspakt" mit den Unternehmerverbänden erreichten die Gewerkschaften in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts durch Tarifverhandlungen, vereinzelt aber auch durch Streiks erhebliche Arbeitszeitverkürzungen und Einkommens- sowie soziale Verbesserungen. Vor allem die IG Metall, die mitgliederstärkste Einzelgewerkschaft, übernahm die "Rolle eines tarifpolitischen Eisbrechers" (Klaus Schönhoven). In ihrem Bereich, und zwar in Schleswig-Holstein, kam es auch zum längsten Streik (von Oktober 1956 bis Februar 1957); er wurde für die Verbesserung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall geführt. Die Mitgliederzahl der DGB-Gewerkschaften erhöhte sich in den fünfziger Jahren nur geringfügig, und angesichts der Ausweitung der Beschäftigung sank der Organisationsgrad sogar von 39 Prozent (1951) bis zur Mitte der sechziger Jahre auf unter 30 Prozent. Vor allem Angestellte, Frauen und Jugendliche ließen sich nur schwer organisieren.

Die grundsätzlichen außen- und innenpolitischen Entscheidungen waren zwar mit der Gründung der Bundesrepublik gefallen, aber deren politische Akzeptanz und parlamentarische Absicherung waren in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre noch umkämpft. Die Bundesrepublik stand in den ersten Jahren angesichts ihrer eingeschränkten Souveränität - außenpolitische Entscheidungen hatten sich die westalliierten Mächte noch vorbehalten - vor einem Problemdreieck:

Zwei dieser Ziele ließen sich unschwer aufeinander beziehen: Die Herstellung der - abgesehen von einigen alliierten Vorbehaltsrechten - vollen Souveränität der Bundesrepublik erfolgte im Einklang mit den ersten Schritten zur Integration in die westliche Staatengemeinschaft. Aber zwischen Westoption und rascher Wiedervereinigung bestand ein Spannungsverhältnis, das von vielen Menschen als Alternative empfunden wurde. Daß man als Teil eines wirtschaftlich und militärisch starken Westens die Wiedervereinigung erringen könne, wurde von ihnen angesichts der sowjetischen Sicherheitsinteressen bezweifelt. Aber einer Wiedervereinigung unter neutralem Vorzeichen, also unter Verzicht auf die Bindung an den Westen, standen erst recht die tatsächlichen Machtverhältnisse entgegen. Zum einen hätten dies wiederum die Westalliierten im Kalten Krieg kaum zugelassen, zum anderen fühlte sich auch die westdeutsche Bevölkerung mehrheitlich eher dem Westen, der Demokratie und der inzwischen etablierten westlichen marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung zugehörig und mißtraute verständlicherweise sowjetischen Vorschlägen angesichts der Entwicklung in der SBZ/DDR. Unter diesen Voraussetzungen formulierte die Bundesregierung eine politische Linie, bei der die schrittweise Integration in das westliche System Vorrang hatte, aber zugleich der Anspruch auf eine Wiedervereinigung "in Frieden und Freiheit" aufrechterhalten wurde. Von einer "Politik der Stärke" (Konrad Adenauer) war die Rede, mit der die Sowjetunion schließlich zu Zugeständnissen gezwungen werden sollte. Die sozialdemokratische Opposition hingegen wandte sich gegen diejenigen Maßnahmen der Westintegration, die das Ziel der deutschen Einheit aus ihrer Sicht gefährden mußten, und gegen das dabei vorgelegte rasche Tempo.

Europarat und Montanunion

Als Teilnehmerin am Marshallplan war die Bundesrepublik am 31. Oktober 1949 Mitglied der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC: Organization for European Economic Cooperation) geworden. Während diese institutionelle Verankerung im Bundestag kaum umstritten war, gab es über den Beitritt zum Europarat, den zehn westeuropäische Staaten zum Zwecke politischer Kooperation gegründet hatten, 1950 heftige Diskussionen. Sie bezogen sich vor allem darauf, daß die Bundesrepublik nur assoziiertes Mitglied und nicht stimmberechtigt sein sollte. Außerdem wollte Frankreich auch das Saargebiet aufgenommen wissen, womit die Abtrennung dieses Gebiets von Deutschland indirekt anerkannt worden wäre. Gelöst wurde der Konflikt ein Jahr später dadurch, daß die Bundesrepublik vollberechtigtes, das Saarland hingegen nur assoziiertes Mitglied wurde. Die Herstellung eines freundschaftlichen Verhältnisses zum früheren "Erbfeind" Frankreich besaß in Adenauers Politik oberste Priorität. Einen weiteren Grundstein dazu bildete der auf französische Initiative (Außenminister Robert Schuman) hin abgeschlossene Vertrag über die Montanunion (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl), der am 25. Juli 1952 in Kraft trat. Damit übertrugen sechs europäische Staaten (Frankreich, die Bundesrepublik, Italien und die Benelux-Länder) nationale Hoheitsrechte auf eine gemeinsame supranationale Gemeinschaft. Dieser Vertrag bildete den Ausgangspunkt für die weiteren Schritte zur wirtschaftlichen Integration, die in den Römischen Verträgen zur Schaffung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) zur Kooperation auf dem Gebiet der Kernforschung und der friedlichen Nutzung der Kernenergie am 1. Januar 1958 (Tag des Inkrafttretens der Verträge) ihren vorläufigen Abschluß fand.

Deutschlandvertrag und Europäische Verteidigungsgemeinschaft

Die globale Entwicklung des Kalten Krieges beschleunigte das am meisten umstrittene Element der Westintegration, die Aufstellung einer eigenen Armee im Rahmen eines westlichen Bündnisses. Im Juni 1950 hatte der Krieg in Korea begonnen, der wegen der Parallelen - auch Korea war ein geteiltes Land - die Diskussion um die Verteidigung Westeuropas neu entfachte. In einem Sicherheitsmemorandum bat Konrad Adenauer im August 1950 um eine Verstärkung der militärischen Präsenz der Westalliierten in der Bundesrepublik und sagte ein deutsches Truppenkontingent für den Fall zu, daß es zur Bildung einer europäischen Armee kommen sollte. Als Diskussionsbasis diente ein französischer Vorschlag für eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG), der sogenannte Pleven-Plan (benannt nach dem damaligen französischen Verteidigungsminister René Pleven). Mit dem Beitritt zur EVG sollte die Beendigung des Besatzungsstatuts und die Herstellung der inneren und äußeren Souveränität der Bundesrepublik verbunden sein. Der Deutschlandvertrag, der am 26. Mai 1952 in Bonn unterzeichnet wurde, beinhaltete diese Punkte. Einen Tag später wurde der daran gekoppelte EVG-Vertrag in Paris unterzeichnet, aber im Frühjahr 1953 vertagte das französische Parlament zunächst die Ratifizierung und lehnte am 30. August 1954 das Vertragswerk ab, vor allem wegen der darin enthaltenen Einschränkung der Verfügungsgewalt über die nationalen Streitkräfte. Immerhin aber war durch die ausgedehnten Verhandlungen die Bundesrepublik als Partner der Westmächte aufgewertet worden.

Streit um die Stalin-Noten

Die offizielle und von den Westalliierten unterstützte Position der Bundesrepublik hinsichtlich der Wiedervereinigung war die Forderung nach freien gesamtdeutschen Wahlen. Die Prüfung der Voraussetzungen dafür in beiden deutschen Staaten durch die Vereinten Nationen (UNO) scheiterte im Herbst 1951 an der Weigerung der DDR, die UN-Kommission einreisen zu lassen. Die ostdeutsche Regierung argumentierte vordergründig damit, daß eine deutsche Angelegenheit nur von einer paritätisch zusammengesetzten gesamtdeutschen Kommission, nicht aber von einem internationalen Gremium beraten werden könne. Insofern waren die Westmächte sehr überrascht, als sie am 10. März 1952 eine sowjetische Note mit dem Vorschlag erhielten, "unverzüglich die Frage eines Friedensvertrages mit Deutschland zu erwägen", der "unter unmittelbarer Beteiligung Deutschlands, vertreten durch eine gesamtdeutsche Regierung", ausgearbeitet werden solle. Die Alliierten sollten gemeinsam prüfen, wie eine solche gesamtdeutsche Regierung rasch geschaffen werden könne. Als Rahmen für diesen Friedensvertrag war die Wiederherstellung eines neutralen Deutschlands in den von der Potsdamer Konferenz festgelegten Grenzen mit einer eigenen Armee und entsprechender Rüstungsindustrie vorgesehen, der Abzug aller Besatzungstruppen innerhalb eines Jahres und die Gewährleistung aller demokratischen Rechte und der freien politischen Betätigung mit Ausnahme von Vereinigungen, "die der Demokratie und der Sache der Erhaltung des Friedens feindlich sind". Die Westmächte lehnten in ihrer Beantwortung der ersten Note am 25. März 1952 - mit Zustimmung von Adenauer - jegliche Verhandlung über einen Friedensvertrag vor gesamtdeutschen Wahlen ab. Diese brüske Ablehnung rief in der Bundesrepublik Kontroversen hervor. Politiker der SPD und vereinzelt aus der FDP, aber auch der damalige Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Jakob Kaiser, votierten dafür, die Ernsthaftigkeit des sowjetischen Vorschlags zumindest zu prüfen, während der Bundeskanzler die Note lediglich als Versuch Stalins wertete, den westeuropäischen Integrationsprozeß, die Bildung der EVG, zu behindern. Hinzu kamen Ängste Adenauers vor einer Einigung der früheren Verbündeten über Deutschland hinweg und zu dessen Ungunsten. Deshalb betonte er immer wieder, daß ein neutrales Deutschland und das dadurch entstehende Machtvakuum in Mitteleuropa lediglich ein strategisches Zwischenziel sowjetischer Expansionspolitik sein würde. Zwar signalisierte die Sowjetunion in einer zweiten Note am 9. April ihre Zustimmung zu freien Wahlen, und parallel zu den Beratungen über den Deutschlandvertrag und die EVG wurden bis zum 23. September 1952 noch zweimal Noten zwischen den ehemaligen Verbündeten des Zweiten Weltkriegs gewechselt, aber eine ernsthafte Prüfung der sowjetischen Vorschläge unterblieb.

Pariser Verträge: Fortsetzung der Westintegration

Die gleiche Konstellation ergab sich, als die Nachfolger Stalins erstmals das Interesse der Sowjetunion an einem gesamteuropäischen Sicherheitssystem bekundeten und das schon in der Note vom 9. April 1952 enthaltene Zugeständnis wiederholten, die westliche Forderung nach gesamtdeutschen Wahlen prüfen zu wollen (Noten vom 23. Oktober 1954 und 14. Januar 1955). Wieder erklärte Adenauer, gegen den Protest der SPD und einer breiten öffentlichen Opposition ("Deutsches Manifest" der "Paulskirchenbewegung" am 29. Januar 1955), dies diene nur der Propaganda gegen die Integration in den Westen. Erst wenn diese abgeschlossen sei, könnten von einer dann starken Position aus erfolgreiche Verhandlungen geführt werden. Die Festlegung der Westintegration wurde im Oktober 1954 erreicht, als in Paris gleichzeitig folgende Komplexe vertraglich geregelt wurden:

Das Ergebnis - 67,7 Prozent der Saarländer stimmten am 23. Oktober 1955 gegen das Statut - kam für Frankreich völlig überraschend und führte zur politischen Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik 1957 und zu seiner wirtschaftlichen Eingliederung 1959. Großbritannien, Frankreich und die USA anerkannten in einer Erklärung, der sich die anderen NATO-Länder anschlossen, die Bundesrepublik als einzigen deutschen Staat und garantierten dessen Sicherheit ebenso wie die West-Berlins. Gefordert wurde von ihnen ferner eine friedensvertragliche Regelung für Gesamtdeutschland. Mit dem Tag des Inkrafttretens der Pariser Verträge am 5. Mai 1955 wurde die Bundesrepublik ein souveräner Staat bis auf einige, Deutschland als Ganzes betreffende, alliierte Vorbehalte. Am 9. Mai erfolgte der Beitritt zur NATO. Vorgesehen war ein militärisches Kontingent von maximal 500000 Mann. Bereits zwei Monate später trafen sich die Regierungschefs der westlichen Mächte und der Sowjetunion zu einer Gipfelkonferenz in Genf (17. bis 23. Juli 1955) und einigten sich auf die Formel, daß die deutsche Wiedervereinigung durch freie Wahlen im Einklang mit den Sicherheitsinteressen in Europa und im Einklang mit den nationalen Interessen des deutschen Volkes erreicht werden müsse. Diese Konferenz, an der Beobachterdelegationen der Bundesrepublik und der DDR teilnahmen, schien die Auffassung zu bestätigen, daß die westliche Integration die deutsche Einigung nicht behindere. Das nachfolgende Außenministertreffen am gleichen Ort (27. Oktober bis 15. November 1955) verlief allerdings ergebnislos, weil die Sowjetunion darauf bestand, vor der deutschen Wiedervereinigung ein europäisches Sicherheitssystem zu schaffen. Zwischen diesen beiden Konferenzen reiste der Bundeskanzler (auf Einladung der Sowjetunion) nach Moskau (8. bis 14. September 1955). Dort wurde die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vereinbart, und die Sowjetunion erklärte sich bereit, die letzten etwa 10000 deutschen Kriegsgefangenen freizulassen.

Hallstein-Doktrin

Ausgehend vom Anspruch der Bundesrepublik, Deutschland als einziger Staat zu vertreten, wertete es die Bundesregierung als einen unfreundlichen Akt, wenn ein Staat, der mit der Bundesrepublik diplomatische Beziehungen unterhielt, auch die DDR als selbständigen Staat anerkannte. Eine Ausnahme sollte allein die Sowjetunion bilden, die in beide deutsche Hauptstädte Botschafter entsandte. Der außenpolitische Grundsatz, keine Beziehungen zu Staaten aufzunehmen bzw. diese abzubrechen, wenn diese die DDR diplomatisch anerkannten, wurde nach dem damaligen Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Walter Hallstein, als Hallstein-Doktrin bezeichnet. Damit konnte zwar für etwa ein Jahrzehnt die internationale Anerkennung der DDR verzögert werden, aber die Bundesrepublik verzichtete dadurch auch selbst auf diplomatische Beziehungen zu ihren östlichen Nachbarn sowie zu einigen Ländern der Dritten Welt. Nachdem diese Doktrin in den sechziger Jahren weitgehend ausgehöhlt worden war, wurde sie stillschweigend aufgegeben. Diplomatische Initiativen von östlicher Seite 1957/58, darunter der Vorschlag des SED-Chefs Walter Ulbricht für eine Konföderation der beiden deutschen Staaten und einen paritätisch zusammengesetzten gesamtdeutschen Rat als Vorstufe für eine spätere Wiedervereinigung, wurden vom Westen nicht aufgegriffen. Umgekehrt ignorierte die Sowjetunion den im März 1958 von der Bundesregierung übermittelten "Globke-Plan" (benannt nach dem damaligen Staatssekretär Hans Globke). Dieser sah vor, daß der status quo für fünf Jahre aufrechterhalten werden sollte, bevor in beiden deutschen Staaten eine bindende Abstimmung über die Wiedervereinigung stattfinden würde. Die gesamtdeutsche Volksvertretung sollte dann frei entscheiden können, sich der NATO oder dem Warschauer Pakt anzuschließen. Letztlich handelte es sich auf beiden Seiten um leicht veränderte Wiederholungen der bekannten Standpunkte. Ende der fünfziger Jahre wurde immer deutlicher, daß mit dem Erfolg der Westintegration die Aussicht auf die Wiedervereinigung nicht wuchs.

Aufbau der Bundeswehr

Seit 1950 war der Aufbau einer westdeutschen Armee heftig umstritten, vor allem im Zusammenhang mit den sich daraus ergebenden Folgen für die Wiedervereinigung. Nach dem Beitritt zur NATO und dem Dienstantritt der ersten 1000 Freiwilligen am 2. Januar 1956 sowie der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht zwei Monate später wurde es dann zunächst ruhiger um die Bundeswehr. Viele Offiziere hatten zwar bereits in der Wehrmacht gedient und lebten noch in traditioneller militärischer Vorstellungswelt. Aber mit dem maßgeblich von General Wolf Graf von Baudissin entworfenen Konzept der "Inneren Führung" wurde ein Neuanfang gewagt, mit dem man zum einen die Integration der Armee in den demokratischen Staat und dessen gesellschaftliche Ordnung anstrebte und zum anderen dem Soldaten als "Staatsbürger in Uniform" die Menschen- und Bürgerrechte garantierte, soweit dies unter militärischen Erfordernissen überhaupt nur möglich ist. Die öffentliche Diskussion um die Bundeswehr wurde aber schon bald wieder belebt, als die amerikanische Strategie seit dem Herbst 1956 vorsah, die konventionellen Streitkräfte in Europa zugunsten einer Ausrüstung mit Atomwaffen zu reduzieren. Nachdem Bundeskanzler Adenauer, der die ungeminderte amerikanische Präsenz erhalten wissen wollte, dies nicht hatte verhindern können, vertraten er und Franz Josef Strauß, Nachfolger von Theodor Blank als Verteidigungsminister, seit April 1957 öffentlich die Auffassung, daß auch die Bundeswehr zumindest begrenzte Verfügungsgewalt über diese Waffen erhalten müsse. In der Bevölkerung entwickelte sich in den folgenden Monaten eine breite Protestbewegung unter dem Motto "Kampf dem Atomtod". Sie erhielt auch die Unterstützung von führenden deutschen Atomwissenschaftlern, die im "Göttinger Manifest" vom 12. April 1957 für einen deutschen Verzicht auf Atomwaffen eintraten. Weder die Protestbewegung noch verschiedene diplomatische Vorstöße, darunter der Plan des polnischen Außenministers Adam Rapacki zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa (Bundesrepublik, DDR, Polen und Tschechoslowakei), verhinderten die Stationierung von Atomwaffen auf westdeutschem Boden. Allerdings erhielt die Bundesrepublik keine Mitverfügungsgewalt über diese Waffen.

Berlin-Frage

Die Entscheidung zur Stationierung von Atomwaffen in der Bundesrepublik rückte die besondere Rolle Berlins erneut ins Zentrum der Blockkonfrontation. Denn wie 1948 bediente sich die Sowjetunion erneut des Druckmittels der Blockade von West-Berlin (siehe detaillierte Darlegung in "Informationen zur politischen Bildung" 240 zum Thema: "Hauptstadt Berlin"). Im Ergebnis bemühte sich die Bundesrepublik um eine möglichst weitgehende Eingliederung des westlichen Teils der Stadt und zeigte dort demonstrative Präsenz, während die Westmächte an der gemeinsamen alliierten Verantwortung für ganz Berlin festhielten. Die DDR wiederum bezeichnete Berlin als ihre Hauptstadt, zu der rechtens auch der westliche Teil gehöre. Ende 1958 kam es zu einer Zuspitzung des Streits um Berlin, als die Sowjetunion ultimativ Verhandlungen über das Ende der westlichen Präsenz in West-Berlin innerhalb von sechs Monaten forderte. Schließlich erfolgte mit dem Bau der Mauer durch Berlin am 13. August 1961 die hermetische Teilung der Stadt und eine Verfestigung der deutschen Zweistaatlichkeit.

Während die Deutschlandpolitik, vor allem aber die unpopuläre Wiederbewaffnung, auch in der Bundesrepublik selbst erhebliche Kontroversen ausgelöst hatten, wurden die wichtigsten Gesetzeswerke zur sozialen Ausgestaltung des westlichen Staates größtenteils einvernehmlich oder zumindest weitgehend ohne dramatische Auseinandersetzungen beschlossen, wenn man von der Auseinandersetzung um die Mitbestimmung absieht:

Am Ende der fünfziger Jahre war aus der Bundesrepublik ein politisch souveräner und sozial stabiler Staat geworden, der fest in das westliche Bündnis integriert war. Der Preis dieser Entwicklung war allerdings die Zementierung der deutschen Teilung. Die düsteren Schatten des Krieges und der Kriegsfolgen lasteten um 1950 nach wie vor auf den Menschen. Ängste, Sorgen und eine tiefsitzende Unsicherheit gehörten zum Lebensgefühl der frühen fünfziger Jahre. Man traute dem Frieden noch nicht, eine relative Mehrheit der Bevölkerung war der Auffassung, daß die Nachkriegszeit in Wirklichkeit nur eine kurze Atempause zwischen Zweitem und Drittem Weltkrieg sei. Durch den Korea-Konflikt 1950/51 war diese Befürchtung noch erheblich angewachsen. Zwei Drittel der Bevölkerung fühlten sich Meinungsumfragen zufolge durch die Sowjetunion bedroht. Erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts ging die unmittelbare Kriegsangst allmählich zurück. Neben der Unsicherheit über die Stabilität des Friedens im Kalten Krieg konnten die Menschen um 1950 noch nicht davon ausgehen, daß der wirtschaftliche Aufschwung - er setzte dynamisch erst mit dem Korea-Krieg ein - langfristiger Natur sein würde. Dies widersprach ihren Lebenserfahrungen mit den ständig wechselnden Konjunkturlagen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Sicherheitsbedürfnis

Insofern beherrschte ein besonders hohes Sicherheitsbedürfnis die Bevölkerung, die sich an der Politik im übrigen mehrheitlich wenig interessiert zeigte. Dem geringen Interesse entsprach der niedrige Informationsgrad über das neue demokratische System. Neun Zehnteln der Bevölkerung, so ermittelte das Allensbacher Institut für Demoskopie in Umfragen Anfang der fünfziger Jahre, war die Arbeitsweise des Bundestages und die Funktion des Bundesrates unbekannt. Geradezu ideal erschien in dieser Situation die respektable Vaterfigur Konrad Adenauer, dem man die Geschicke des Staates anvertrauen konnte, während man sich selbst seinen privaten Geschäften widmete. Die Bonner Koalition verstand es, die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen - Sicherheit vor der äußeren Bedrohung aus dem Osten durch die Integration in die westliche Gemeinschaft und Sicherheit vor neuer materieller Not. Die Wiederbewaffnung war zwar Anfang der fünfziger Jahre in der Bevölkerung nicht populär, aber infolge der weltpolitischen Spannungssituation und der empfundenen Bedrohung durch die Sowjetunion wuchs das Einverständnis mit der Aufstellung einer in das westliche Bündnis integrierten Armee auf etwa die Hälfte der Bevölkerung. Nach ihrer Gründung wurde die Bundeswehr in ihrer Existenz immer weniger in Frage gestellt. Auf der anderen Seite rief sie auch keine nationalistische Hochstimmung hervor, sondern wurde nüchtern als politische Notwendigkeit betrachtet. Die tatsächliche gesellschaftliche und politische Entwicklung war die beste Werbung für die Regierung und besonders für die Kanzlerpartei, während die Kritiker der Sozialen Marktwirtschaft ebenso wie diejenigen, die durch die Westintegration die deutsche Wiedervereinigung gefährdet sahen, zunehmend als Störenfriede einer erfolgreichen Politik erschienen, denen es an realistischen Gegenkonzepten ermangelte. Während die Regierungsparteien zur zweiten Bundestagswahl noch mit polemischen Plakattexten aufwarteten, die davor warnten, daß alle Wege des Marxismus nach Moskau führten, reichte 1957 die CDU-Losung "Keine Experimente!" Sie entsprach wohl wie keine zweite der mehrheitlichen Einstellung in der Bevölkerung, die wiederum zum Teil die bereits geschilderte Wahlentwicklung erklärt. Aber auch die politisch-kulturellen Traditionen müssen als wichtiger Faktor für das Wahlverhalten der fünfziger Jahre in Rechnung gestellt werden. Immer noch überwogen staatsgläubige Einstellungen, die grundsätzlich die Regierung über die Parteien stellten. Und nach wie vor dominierten autoritäre Denkmuster und ein konfliktscheues Mißtrauen gegenüber demokratischer Diskussion. Dies spiegelte sich zum Teil in den immer wieder durchgeführten Umfragen über die gewünschte Staatsform, bei denen Anfang der fünfziger Jahre noch starke Minderheiten gegen ein Mehrparteiensystem und für ein autoritäres Regime votierten. Erst am Ende des Jahrzehnts gab es einen überzeugenden Anteil von drei Vierteln der Befragten, die sich für die Demokratie aussprachen. Anfang der fünfziger Jahre waren es weniger die Demokratie und westliche liberale Werte, die der stalinistischen Diktatur politisch entgegengehalten wurden. Im Zentrum stand vielmehr die Abwehr des Bolschewismus oder Kollektivismus, der das christliche Abendland bedrohe. Damit ließ sich an die Einstellung eines großen Teils der Bevölkerung anknüpfen, die nun die Überzeugung pflegen konnte, wenigstens in dieser Frage bis 1945 auf der richtigen Seite gestanden zu haben; die mit dem Vordringen der Roten Armee verbundenen Erfahrungen sowie der Anschauungsunterricht, den die Sowjetische Besatzungszone bzw. die DDR bot, bekräftigten diesen Standpunkt. Erst mit dem Abflauen des Kalten Krieges verloren damit verbundene Feindbilder allmählich ihre Eindrücklichkeit. Selbst nach dem Kriegsende und der Aufdeckung der nationalsozialistischen Verbrechen gab etlichen repräsentativen Erhebungen im Auftrag der US-Besatzungsmacht von 1945 bis 1949 zufolge jeweils mehr als die Hälfte der Befragten an, daß der Nationalsozialismus eine gute Idee gewesen sei, die nur schlecht ausgeführt worden wäre. In der Zeit der Besatzung hatte es seitens der Alliierten eine sehr weit ausgreifende Entnazifizierung gegeben. In den drei westlichen Zonen waren mehr als sechs Millionen Verfahren anhängig, in denen etwa eine Million Personen mit unterschiedlichen Sanktionen belegt worden war. Nationalsozialistische Funktionsträger waren vor allem in der Politik, in der Kultur und im Bereich der Medien ausgeschaltet worden. Nachdem aber die Entnazifizierung in deutsche Hände übergegangen war, verlief sie bald im Sande und endete schließlich Anfang der fünfziger Jahre mit allgemeinen Amnestien. Dadurch ergab sich eine ungleiche Behandlung. Gerade weniger schwere Fälle waren anfangs mit drakonischen Strafen abgeschlossen worden, während etliche prominente Parteigänger des Regimes wenige Jahre später, als sich der rechtliche Rahmen und das politische Klima verändert hatten, nicht mehr behelligt wurden. Auch aus diesem Grund war die Entnazifizierung in der Bevölkerung nicht populär. Nach einer bisweilen verordneten Zwangspause (Internierung, Haft, Entlassung, Suspendierung usw.) kam es Anfang der fünfziger Jahre zu einer weitreichenden personellen Integration selbst belasteter ehemaliger Funktionäre in die private Wirtschaft, aber auch in den öffentlichen Dienst. Während im privaten Erwerbsleben häufig persönliche Netzwerke bestanden, die eine Integration erleichterten, wurde dies bei den Staatsdienern durch gesetzliche Regelungen befördert. In Artikel 131 des Grundgesetzes war eine Regelung für jene öffentlichen Bediensteten angekündigt worden, die 1945 aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen hatten ausscheiden müssen. In Ausführung dieses Auftrages beschloß der Bundestag im Mai 1951 - mit den Stimmen der SPD - ein Gesetz, das die öffentlichen Arbeitgeber verpflichtete, 20 Prozent ihrer Planstellen für die Einstellung dieses Personenkreises zu verwenden. Neben jenen, die vor allem aus den ehemaligen Ostgebieten vertrieben worden waren, erhielten auch etwa 150.000 Personen ihre Versorgungsansprüche und Arbeitsmöglichkeiten im öffentlichen Dienst zurück, die im Zuge der Entnazifizierung ihr Amt verloren hatten. Bei der Beantwortung der häufiger aufgeworfenen Frage, wie sich die politische Demokratie trotz personeller Kontinuitäten in wichtigen Bereichen von Staat und Gesellschaft stabilisieren konnte, wird man auf folgenden wichtigen Umstand hinweisen müssen: Zwar gab es eine weitgehende soziale Integration eines Teils der alten Funktionseliten, der Experten auf vielen Feldern der staatlichen Verwaltung, der Wirtschaft und der Kultur; aber diese hatten zum großen Teil ihre Karriere bereits während der Weimarer Republik begonnen. Sie paßten sich zudem den Regeln des neuen demokratischen Systems an; zunächst vielleicht nur äußerlich, aber vielfach allmählich auch aus innerer Überzeugung. Ohne die Mitwirkung jener qualifizierten Eliten wäre der Wiederaufbau wohl kaum so reibungslos verlaufen.Auf der anderen Seite bekannte sich Adenauer in einer Regierungserklärung im Bundestag am 27. September 1951 unmißverständlich zur Pflicht moralischer und materieller Wiedergutmachung gegenüber den Vertretern des Judentums und dem Staat Israel. Nach komplizierten Verhandlungen wurde ein Jahr später ein Wiedergutmachungsabkommen mit Israel unterzeichnet. Dieses Abkommen bildete im übrigen eine Voraussetzung für die gleichzeitigen Londoner Verhandlungen über die Anerkennung der deutschen Vorkriegsschulden sowie der Schulden, die aus der Wiederaufbauhilfe für die Westzonen nach dem Zweiten Weltkrieg resultierten. Insofern erleichterte die Verständigung mit Israel die Eingliederung der Bundesrepublik in die westliche Weltwirtschaft. Dennoch löste das Abkommen mit Israel im Bundestag heftige Debatten aus, vor allem wegen der Höhe der vereinbarten Zahlungen (etwa 3,5 Milliarden DM für eine Laufzeit von 12 Jahren). Bundeskanzler Adenauer konnte sich im Bundestag nur mit den Stimmen der SPD durchsetzen, weil sich ein Teil der Koalitionsabgeordneten der Stimme enthielt oder das Abkommen sogar ablehnte. Damit, so wurde in repräsentativen Umfragen ermittelt, drückten sie "Volkes Stimme" aus. Kurz vor Ende der ersten Legislaturperiode, am 18. September 1953, verabschiedete der Bundestag auch ein Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, das allerdings - im Unterschied zu den vorherigen zonalen Regelungen - nun diejenigen ehemaligen Verfolgten ausschloß, die sich nach Inkrafttreten des Grundgesetzes weiterhin als Kommunisten betätigten; nicht entschädigungsberechtigt waren ferner Homosexuelle sowie Sinti und Roma und die meisten der im Dritten Reich als "asozial" Verfolgten. Diese Politik ging einher mit einer strikten Abgrenzung gegenüber neonazistischen und rechtsextremen Parteien und Verbänden, wie etwa das Verbot der Sozialistischen Reichspartei zeigt. Im übrigen wachten auch die Alliierten sehr aufmerksam über solche Ansätze. Anfang 1953 verhaftete die britische Militärpolizei einstige NS-Größen, die begonnen hatten, die Landesverbände der FDP in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zu unterwandern. Die Doppelstrategie der westdeutschen "Vergangenheitspolitik" (Norbert Frei), die weitgehende soziale Integration der NS-belasteten Eliten mit strikter Abwehr neonazistischer Wiederbelebungsversuche zu verbinden, belastete die Gesellschaft, denn damit einher ging der Verzicht auf eine konkrete Analyse der noch nicht weit zurückliegenden Vergangenheit zugunsten von Funktionstüchtigkeit und gesellschaftlicher Harmonie. Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen kam nahezu zum Erliegen; im besonderen Maße setzten sich die Kirchen für die Amnestie der noch in alliierten Gefängnissen auf dem Boden der Bundesrepublik einsitzenden Häftlinge ein. Allerdings begann sich im letzten Drittel der fünfziger Jahre das Klima für die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zusehends zu wandeln. Einen wichtigen Beitrag hierzu leisteten Informationen durch dokumentarische Bücher, Zeitschriftenserien und erstmals auch durch das Fernsehen. Die 16 Folgen der TV-Serie "Das Dritte Reich" im noch einzigen bundesdeutschen Fernsehprogramm erreichten 1960/61 eine Sehbeteiligung von etwa 60 Prozent (angesichts der damaligen Verbreitung des Fernsehens entsprach dies etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung). Unmittelbaren Anlaß zu einer publizistischen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit bildeten einige Justizskandale um Verfahren, in denen antisemitische Straftäter offensichtlich begünstigt wurden (Fälle Hanns Eisele, Ludwig Zind, Friedrich Heinrich Nieland). Vor allem aber der Ulmer "Einsatzgruppenprozeß" (1958) gegen Verantwortliche der an der Ermordung einer sehr großen Zahl von Juden beteiligten Kommandos führte zu einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit. Er rückte eindrücklich die Dimension der Verbrechen im Osten und bisherige Versäumnisse der Strafverfolgung in das Bewußtsein der Bevölkerung. Einen weiteren Höhepunkt erreichte die Diskussion über die nationalsozialistische Vergangenheit nach einer antisemitischen Schmierwelle, die Ende 1959 mit der Schändung der Kölner Synagoge begonnen hatte. In den folgenden Jahren, mit der zunehmenden zeitlichen Distanz zum Dritten Reich und der Artikulation einer neuen Generation, gewann die Debatte an Intensität, begleitet von periodischen - erfolglosen - Versuchen, nun doch endlich einen "Schlußstrich" unter die Vergangenheit zu ziehen.

Mit Ausbruch des Korea-Krieges am 25. Juni 1950 erreichte der Ost-West-Konflikt nach der Berlin-Blockade 1948/49 einen zweiten Höhepunkt. Der Angriff der Streitkräfte des kommunistischen Nordkorea - mit sowjetischer Rückendeckung und Ermunterung - auf das von amerikanischen Truppen eben erst geräumte Südkorea war für den Westen der klassische Beweis für die Aggressivität des internationalen Kommunismus. Es zeigte dessen Absicht, überall dort expansiv vorzugehen, wo westliche Schwäche dies zuließ. Korea war deshalb eine Auseinandersetzung von beispielhafter Bedeutung. Der Westen insgesamt fühlte sich herausgefordert: Von der sowjetischen Machterweiterung im Gefolge des Zweiten Weltkrieges in Osteuropa über die kommunistische Revolution in China 1949 bis zum Korea-Krieg wurde eine gerade Linie gezogen. Der nordkoreanische Angriff wurde sofort als Bedrohung der gesamten freien Welt aufgefaßt. Zwar hatte der amerikanische Außenminister Dean Acheson noch im Januar 1950 in einer Rede vor dem Nationalen Presseclub in Washington ausdrücklich erklärt, Korea gehöre nicht zum "amerikanischen Verteidigungsbereich", und damit möglicherweise Nordkorea und die Sowjetunion zu einer Fehlkalkulation veranlaßt. Dennoch reagierte der Westen jetzt mit weitreichenden Maßnahmen: Innerhalb weniger Tage wurden Teile der in Japan stationierten US-Streitkräfte nach Korea entsandt, um die südkoreanischen Verbände gegen die Invasion aus dem Norden zu unterstützen. Sie operierten dabei formell im Auftrag des UN-Sicherheitsrates, der zu dieser Zeit von der Sowjetunion boykottiert wurde, so daß Stalin gegen die Entscheidung des Rates, die amerikanische Intervention durch einen Beschluß der Vereinten Nationen zu legitimieren, kein Veto hatte einlegen können. Zudem wurden die Verteidigungsausgaben der USA 1950/51 innerhalb eines Jahres von 13,5 auf 48,2 Milliarden Dollar erhöht. Die NATO, die bis zu diesem Zeitpunkt praktisch nur auf dem Papier existiert hatte, wurde - erst jetzt - zu einer wirksamen Militärallianz mit einem amerikanischen Oberkommandierenden und der dauerhaften Stationierung amerikanischer Truppen in Europa ausgebaut. Und schließlich wurden die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland und Japans sowie ihre Integration in das westliche Bündnissystem nun energisch vorangetrieben, um ihr Potential für die gemeinsame Verteidigung zu nutzen. Der Korea-Krieg diente somit nicht zuletzt als "Katalysator" für die Wiederbewaffnung Deutschlands. So erklärte Bundeskanzler Konrad Adenauer in einem "Memorandum über die Sicherung des Bundesgebietes nach innen und nach außen" vom 29. August 1950, die Entwicklung im Fernen Osten habe "innerhalb der deutschen Bevölkerung Beunruhigung und Unsicherheit ausgelöst". Die Bundesrepublik sei daher bereit, "im Falle der Bildung einer internationalen westeuropäischen Armee einen Beitrag in Form eines deutschen Kontingents zu leisten". Die amerikanische Regierung, die ohnehin einen westdeutschen Wehrbeitrag zur Verteidigung Westeuropas anstrebte, griff den Vorschlag Adenauers bereitwillig auf und übte Druck auf Frankreich aus, eine deutsche Wiederbewaffnung im Rahmen einer Europa-Armee zu akzeptieren. Aus optischen Gründen blieb es jedoch dem französischen Ministerpräsidenten René Pleven überlassen, in einer Rede vor der Nationalversammlung in Paris am 24. Oktober 1950 das Projekt einer "Europäischen Verteidigungsgemeinschaft" (EVG) unter Beteiligung der Deutschen zu präsentieren. Grundgedanke der Europa-Armee war die Vorstellung, integrierte Verbände aus verschiedenen europäischen Ländern zu schaffen, um den traditionellen Nationalstaat im Kernbereich der Außen- und Sicherheitspolitik zu überwinden und damit zugleich den Weg in Richtung einer Politischen Union in Europa zu beschreiten. Für die Sowjetunion war diese Vorstellung allerdings schwer zu ertragen, weil sie nicht nur zu einer Verstärkung der westeuropäischen Verteidigungsfähigkeit führen mußte, sondern auch die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland einschloß. Stalin reagierte daher am 10. März 1952 - unmittelbar vor der Unterzeichnung des EVG-Vertrages - mit einer diplomatischen Note an die drei Westmächte, in der er die Wiedervereinigung Deutschlands unter der Bedingung anbot, daß die Bundesrepublik auf die Westintegration verzichtete und bereit wäre, den Status der Neutralität zu akzeptieren. In diesem Fall wollte Moskau den Deutschen sogar die Aufstellung eigener Verteidigungskräfte gestatten. ext. Ref. 

Für eine Umkehr war es jedoch längst zu spät, zumal das seit dem Zweiten Weltkrieg gewachsene Mißtrauen gegenüber der Sowjetunion leichtfertige Experimente in der Sicherheitspolitik nicht zuließ. Die "Stalin-Note" wurde daher zwar beantwortet, aber nicht mit der letzten Konsequenz ausgetestet. Keinesfalls sollte die EVG dadurch verzögert oder gar torpediert werden. Im übrigens bewies der Korea-Krieg im Fernen Osten, wie gespannt und gefährlich die internationale Lage immer noch war. Dies mußte auch George F. Kennan - der "Vater der Eindämmungspolitik" - erfahren, der am 21. Dezember 1951 von Präsident Truman zum amerikanischen Botschafter in der UdSSR ernannt wurde und bald darauf sein Amt in Moskau antrat. Neun Monate lang tat die sowjetische Regierung, als ob er gar nicht vorhanden wäre. Dann wurde er im September 1952 vom Kreml zur persona non grata (zur unerwünschten Person) erklärt, so daß Truman nichts anderes übrig blieb, als ihn wieder aus Moskau abzuberufen. Zwei Monate später fanden in den USA Präsidentschaftswahlen statt, aus denen Dwight D. Eisenhower als Sieger hervorging. Neuer Außenminister wurde John Foster Dulles, der die Eindämmungspolitik Kennans und Trumans als allzu defensiv verurteilte und den internationalen Kommunismus durch eine offensive Politik der "Befreiung" (liberation) und der "Zurückdrängung" (roll back) zu bekämpfen versprach. Die Ost-West-Konfrontation, die mit dem Korea-Krieg gerade einen weiteren gefährlichen Höhepunkt erreicht hatte, drohte sich dadurch noch mehr zuzuspitzen. Die Eisenhower-Regierung hatte ihre Arbeit jedoch kaum aufgenommen, als am 5. März 1953 die Nachricht vom Tode Josef W. Stalins eintraf. Der Diktator hinterließ seinem Land nicht nur eine ungeklärte Nachfolgefrage, sondern auch eine Fülle ungelöster innen- und außenpolitischer Probleme. Dazu gehörten vor allem die Notwendigkeit einer Umstrukturierung der sowjetischen Wirtschaft, um die Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern zu verbessern, sowie die Überwindung der internationalen Isolation, in die Stalin die Sowjetunion durch seine expansive Macht- und Interessenpolitik zunehmend geführt hatte.

Die Nachfolger Stalins unternahmen deshalb sogleich den Versuch, den Ost-West-Konflikt zu entspannen und die Beziehungen zum Westen neu zu ordnen. Äußerungen des neuen Ministerpräsidenten Georgij M. Malenkow sowie von Innenminister Lawrentij P. Berija deuteten darauf hin, daß die Sowjetunion nunmehr bereit sein würde, bestehende Probleme einvernehmlich zu regeln. In Korea kam es am 27. Juli 1953 im Vertrag von Panmunjon zur Feuereinstellung, zum Austausch der Gefangenen und zur Stabilisierung des Frontverlaufs am 38. Breitengrad. In Deutschland sah es vor der Erhebung in der DDR am 16./17. Juni sogar zeitweilig so aus, als würde die Sowjetunion eine Wiedervereinigung zu westlichen Bedingungen mit freien Wahlen und Selbstbestimmung zulassen. In der Österreich-Frage und im Indochina-Konflikt deuteten sich ebenfalls Kompromißmöglichkeiten an. Überdies konnten der sowjetische Verzicht auf eine Revision der Konvention von Montreux über die Meerengen sowie die Aufgabe des Anspruchs der UdSSR auf die türkischen Provinzen Kars und Ardahan als Gesten guten Willens seitens der neuen sowjetischen Führung verstanden werden. Malenkow erklärte dazu am 8. August 1953 vor dem Obersten Sowjet: "Wir stehen fest auf dem Standpunkt, daß es gegenwärtig keine strittige oder ungelöste Frage gibt, die nicht auf friedlichem Wege aufgrund gegenseitiger Verständigung der Beteiligten gelöst werden könnte. Dies bezieht sich auch auf die strittigen Fragen, die zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion bestehen. Wir sind nach wie vor für ein friedliches Nebeneinanderbestehen beider Systeme. Wir sind der Ansicht, daß es keinen objektiven Grund für Zusammenstöße zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion gibt." Für Eisenhower und Dulles waren diese Zugeständnisse und Erklärungen allerdings noch kein Beweis, daß die sowjetische Politik sich grundlegend geändert hatte. Zwar verlieh Präsident Eisenhower seiner Hoffnung auf eine Entspannung des Ost-West-Konflikts in einer vielbeachteten Rede vor dem amerikanischen Zeitungsverlegerverband am 16. April 1953 selbst Ausdruck. Doch schon auf den Vorschlag des britischen Premierministers Winston Churchill vom 10. Mai, die Ernsthaftigkeit der sowjetischen Entspannungsinitiativen auf einem Gipfeltreffen mit der neuen Moskauer Führung persönlich zu testen, reagierte er eher zurückhaltend, ja ablehnend. Und als sowjetische Truppen wenig später, am 17. Juni 1953, in Ost-Berlin und der DDR den Aufstand der Bevölkerung gewaltsam niederschlugen, schwenkte er wieder ganz auf die Linie von Außenminister Dulles ein, der ungeachtet der verbreiteten Entspannungseuphorie unbeirrt an seiner Politik der Stärke gegenüber der Sowjetunion festhielt. Nach Auffassung von Dulles sollte es Verhandlungen - wenn überhaupt - erst nach der Errichtung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und nach der gesicherten politischen und militärischen Integration der Bundesrepublik Deutschland in das Bündnissystem des Westens geben. Dulles lehnte deshalb nicht nur ein Ost-West-Gipfeltreffen im Sinne Churchills ab, sondern sträubte sich auch lange gegen den Kompromiß einer Außenministerkonferenz der Vier Mächte, zu der es schließlich auf Drängen Bundeskanzler Adenauers doch kam und die im Januar und Februar 1954 in Berlin abgehalten wurde. Die Berliner Konferenz bestätigte allerdings die Skepsis von Dulles. Die Sowjetunion war weiterhin nicht bereit, freie Wahlen zuzulassen und das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu respektieren. Auch die anschließend - von April bis Juli 1954 - in Genf abgehaltene erste Indochina-Konferenz war nach Ansicht von Dulles nicht geeignet, sowjetischen Entspannungswillen zu dokumentieren. Zwar half die UdSSR entscheidend mit, den Süden Vietnams einer antikommunistischen Regierung zu unterstellen und Laos und Kambodscha einen neutralen Status zu geben, um Frankreich einen "ehrenvollen Rückzug" aus Indochina zu ermöglichen. Aber dieses Entgegenkommen war nach amerikanischer Auffassung hauptsächlich taktisch bestimmt, um die Entscheidung der französischen Nationalversammlung über die Ratifizierung des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu beeinflussen, über die im Frühjahr und Sommer 1954 in Frankreich heftig gestritten wurde.

Die Vertagung der Ratifizierung des EVG-Vertrages in der französischen Nationalversammlung am 30. August 1954 auf unbestimmte Zeit kam einer Ablehnung gleich. In Frankreich war die EVG nie populär gewesen. Jean Monnet hatte deren Grundgedanken nach Beginn des Korea-Krieges auf amerikanischen Druck hin entwickelt; Ministerpräsident René Pleven hatte sie ohne Begeisterung im Oktober 1950 der französischen Nation vorgetragen. Danach hatte man eineinhalb Jahre über Einzelheiten des Vertrages gestritten, anschließend noch einmal mehr als zwei Jahre die Ratifizierung vor sich her geschoben. Jetzt war das Projekt endgültig gescheitert, weil die französischen Parlamentarier sich nicht mit der Einbuße an Souveränität im empfindlichen Bereich der nationalen Sicherheit abfinden mochten. Schlimmer noch als die Vorstellung von deutschen Truppen war die Befürchtung, nicht mehr uneingeschränkt über die eigenen Streitkräfte verfügen zu können und einem europäischen Oberkommando unterworfen zu sein. Das Scheitern der EVG machte indessen neue Verhandlungen notwendig. Die USA und auch Großbritannien hielten weiterhin an der Forderung nach einem deutschen Wehrbeitrag fest. Dabei trat der Gedanke, mit einer Europa-Armee einen Beitrag zur europäischen Einigung zu leisten, weitgehend in den Hintergrund. Innerhalb weniger Monate wurde nun die Einbeziehung der Bundesrepublik in das westliche Bündnissystem auf der Grundlage der Nationalstaatlichkeit vollzogen. Am 23. Oktober 1954 erklärte die Bundesrepublik Deutschland in den Pariser Verträgen ihren Beitritt zur Westeuropäischen Union (WEU) und zur NATO. Die WEU war erst am selben Tag aus dem "Brüsseler Vertrag" hervorgegangen, den Frankreich, Großbritannien, Belgien, Luxemburg und die Niederlande am 17. März 1948 zum gegenseitigen Beistand für den Fall "der Wiederaufnahme einer deutschen Angriffspolitik" geschlossen hatten. Im WEU-Vertrag vom 23. Oktober 1954 ersetzten die Vertragspartner den gegen Deutschland gerichteten Vertragszweck nun durch das Ziel, "die Einheit Europas zu fördern". Hinsichtlich der Verteidigungspolitik legte Artikel 5 eine Beistandspflicht für den Fall fest, daß ein Vertragsstaat in Europa das Ziel eines bewaffneten Angriffs werden sollte. Bei der Durchführung des Vertrages sollten die Vertragspartner und die Organe der WEU mit der NATO zusammenarbeiten. Eine Parallelorganisation zu den militärischen NATO-Stellen sei erwünscht. In militärischen Angelegenheiten stützte sich der WEU-Rat (als oberstes Entscheidungsorgan) auf die Auskunftserteilung und die Beratung durch die zuständigen NATO-Stellen. Diese enge Verzahnung zwischen NATO und WEU sollte einen Ersatz für die mit dem Scheitern der EVG verlorengegangene direkte Kontrolle des künftigen deutschen Militärpotentials darstellen. Dies machte es für die Nachbarn leichter - oft sogar erst möglich -, die deutsche Wiederbewaffnung zu akzeptieren, die einerseits gewollt, andererseits aber auch gefürchtet wurde. Tatsächlich blieb die WEU jedoch bis zur Neuorientierung der westlichen Sicherheitspolitik nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu Beginn der neunziger Jahre ein "Papiertiger" ohne militärische Bedeutung. Was zählte, waren der NATO-Beitritt der Bundesrepublik und die deutsche Wiederbewaffnung, nicht die flankierenden politischen und juristischen Begleitmaßnahmen, mit denen sie vorsorglich versehen wurden, um möglicher öffentlicher Kritik vorzubeugen. Mit dem Inkrafttreten der Pariser Verträge am 5. Mai 1955 wurde die politische und militärische Konsolidierung des Westens abgeschlossen. Die Bundesrepublik Deutschland wurde als souveräner Staat anerkannt und erklärte sich bereit, einen angemessenen Beitrag an den westlichen Verteidigungslasten zu übernehmen. Damit war zugleich die nach dem Scheitern der EVG für kurze Zeit aufgekeimte Hoffnung der Sowjetunion verflogen, die Aufrüstung der Bundesrepublik und ihre Eingliederung in das westliche Bündnis ließen sich in letzter Minute noch verhindern. Das Scheitern der EVG führte im Gegenteil dazu, daß der Bundesrepublik mehr nationalstaatliche Rechte zugestanden wurden, als sie politisch und militärisch im Rahmen einer EVG-Regelung erreicht hätte.

Im Gegenzug zum NATO-Beitritt der Bundesrepublik wurde am 14. Mai 1955 der Warschauer Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand geschlossen, der die Errichtung eines Bündnisses zwischen Albanien, Bulgarien, Ungarn, der DDR, Polen, Rumänien, der Sowjetunion und der Tschechoslowakei beinhaltete. Die politische und ideologische Spaltung Europas und der Welt war damit auch militärisch institutionell vollzogen. Dies hatte jedoch keineswegs eine Rückkehr zu Formen des Kalten Krieges zur Folge, wie sie für die Zeit nach Verkündung der Truman-Doktrin und der Schdanow-Rede typisch gewesen waren. Es schien sogar die umgekehrte Entwicklung einzutreten, daß sich nach der Festigung der Blöcke nun die schon seit Stalins Tod zu beobachtende Tendenz zu einer Entspannung immer stärker durchsetzte. So unterstrich Moskau erneut seine Verständigungsbereitschaft, indem es überraschend die Möglichkeit einer Regelung der Österreich-Frage anbot. Österreich war zu dieser Zeit immer noch von den Vier Mächten besetzt. Zwar gab es - anders als in Deutschland - eine Zentralregierung in Wien. Aber die Gefahr, daß auch Österreich entlang der Grenzen zwischen der Sowjetischen Besatzungszone und den Zonen der drei Westmächte geteilt werden könnte, war nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Zumindest befanden sich die ausländischen Truppen noch im Lande, so daß eine eigenständige Entwicklung Österreichs vorerst ausgeschlossen war. Der sowjetische Vorschlag stellte daher ein weitreichendes Angebot dar. Er forderte - analog zur auf Deutschland bezogenen Stalin-Note vom 10. März 1952 - Unabhängigkeit nur um den Preis der Neutralisierung des Landes. Doch im Falle des geographisch und bevölkerungsmäßig kleinen Österreich ließen sich die Westmächte darauf ein: Nur gut eine Woche nach Inkrafttreten der Pariser Verträge und einen Tag nach Abschluß des Warschauer Paktes wurde am 15. Mai 1955 der österreichische Staatsvertrag unterzeichnet, der Österreich Neutralität, Souveränität und den Abzug der Besatzungstruppen brachte. Als ein weiteres Signal zur Verständigung konnte die Räumung der sowjetischen Flottenbasis Porkkala in Finnland verstanden werden. Außerdem übermittelte die Sowjetunion am 7. Juni 1955 eine Einladung an Bundeskanzler Adenauer, zu politischen Gesprächen nach Moskau zu kommen. Die Ablösung von Hypotheken der stalinistischen Politik wurde schließlich auch innerhalb der kommunistischen Staatengemeinschaft vorangetrieben, als der neue Erste Sekretär der KPdSU, Nikita Chruschtschow, der inzwischen Georgij Malenkow abgelöst hatte, im Mai 1955 zusammen mit dem ebenfalls neuen sowjetischen Ministerpräsidenten Nikolai Bulganin nach Belgrad reiste, um sich mit Tito auszusöhnen. Tito hatte sich 1948 Stalins Forderung nach Unterwerfung unter die Politik des Kreml widersetzt und war daraufhin aus dem Kominform ausgeschlossen worden. Alle diese Aktivitäten bereiteten das von Winston Churchill bereits im Mai 1953 geforderte Gipfeltreffen der Vier Mächte vor, das nun endlich vom 18. bis 23. Juli 1955 in Genf stattfand. Die Staats- und Regierungschefs aus den USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion lächelten hier nach der jahrelang angespannten Atmosphäre harter Ost-West-Konfrontation derart befreiend in die Kameras der Weltpresse, daß bald das Wort vom "Geist von Genf" die Runde machte. Der französische Ministerpräsident Edgar Faure sprach sogar schon vom "Ende des Kalten Krieges". Inhaltlich bot Genf jedoch kaum Grund zu Optimismus. Die alten Probleme der deutschen Teilung und der militärischen Konfrontation zwischen Ost und West blieben ungelöst und wurden zur weiteren Beratung den Außenministern übergeben. Diese trafen sich im Herbst 1955 ebenfalls in Genf und gleichfalls ohne Ergebnisse. Der Westen beharrte für Deutschland auf freien Wahlen und Selbstbestimmung, während die Sowjetunion diese Fragen auszuklammern suchte und lediglich auf eine Verminderung der Rüstungen drängte. Einzig Präsident Eisenhowers Vorschlag eines "offenen Himmels" (open skies) zur Luftüberwachung von Abrüstungsvereinbarungen konnte einen späten Erfolg verbuchen. Viele Jahre später, im Februar 1990, wurde er auf einer gemeinsamen Konferenz der NATO und des Warschauer Paktes wieder aufgegriffen. Die Genfer Konferenzen 1955 waren somit im Grunde gescheitert. Dennoch hatte sich die Stimmungslage zwischen Ost und West verbessert. Man sprach wieder miteinander und erkannte an, daß es allen Gegensätzen zum Trotz eine gemeinsame Verantwortung für den Frieden in der Welt gab und daß darüber hinaus sogar politische und wirtschaftliche Interessen bestanden, die eine "friedliche Koexistenz" der Staaten sinnvoll und nutzbringend erscheinen ließen.

Der XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 bestätigte diese Entwicklung zur Entspannung. Innenpolitisch war es der Parteitag der Entstalinisierung und der Beginn eines "Tauwetters" in der sowjetischen Kulturpolitik. Es schuf Schriftstellern und Künstlern vorübergehend größere Freiräume. Außenpolitisch führte der Parteitag zur Aufhebung der Doktrin von der Unvermeidbarkeit von Kriegen sowie zur Neuformulierung der sowjetischen Koexistenz-Doktrin, die für den weiteren Verlauf des Ost-West-Konflikts von entscheidender Bedeutung sein sollte. Die Entstehungsgeschichte der Koexistenz-Doktrin reicht zurück bis in die zwanziger Jahre, als die erwartete kommunistische Weltrevolution ausblieb und die Sowjetunion sich zum "Aufbau des Sozialismus in einem Lande" entschloß. Damit wurde von den Verfechtern der Weltrevolution akzeptiert, daß es für längere Zeit ein Nebeneinander unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen geben werde. Allerdings blieben die Koexistenzvorstellungen in der UdSSR lange Zeit vage und wurden erst zwischen 1956 und 1959 zu einer geschlossenen Doktrin ausgebaut, die danach vier zentrale Aussagen enthielt: (1) Ein friedliches Nebeneinanderbestehen von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung sei nicht nur möglich, sondern angesichts der Gefahren von Kriegen im Atomzeitalter auch unumgänglich. (2) An die Stelle militärischer Auseinandersetzung trete der wirtschaftliche Wettbewerb, in dem sich die Über- oder Unterlegenheit eines Systems erweisen müsse. (3) Ungeachtet des friedlichen Nebeneinanderbestehens von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung gehe der ideologische Kampf unvermindert weiter. (4) Das Bekenntnis zur friedlichen Koexistenz bedeute nicht die Aufgabe der weltrevolutionären Zielsetzung, sondern solle im Gegenteil die Möglichkeiten für die Weltrevolution verbessern und sei damit nur eine taktische Variante im internationalen Klassenkampf. Eingeschränkt wurde die Koexistenz-Doktrin durch die Feststellung Chruschtschows, daß sie nur im Verhältnis zu westlich-kapitalistischen Ländern gelte. In der Dritten Welt bestehe für die Sowjetunion eine Pflicht zur Solidarität mit den Völkern in ihrem antikolonialistischem Kampf. Innerhalb des sozialistischen Lagers sollten die Prinzipien des "sozialistischen Internationalismus" Anwendung finden. Voraussetzung für die Koexistenz-Doktrin war die Abkehr von der Doktrin der Unvermeidbarkeit von Kriegen, die von Lenin und vor allem von Stalin vertreten worden war. Sie hatten behauptet, der Kapitalismus werde sich nicht ohne Gegenwehr dem Sozialismus ergeben. Auf dem XX. Parteitag erklärte Chruschtschow dazu, "eine verhängnisvolle Unvermeidbarkeit der Kriege" gebe es nicht. Die Sowjetunion besitze genügend Atom- und Wasserstoffbomben, um einen Angriff der USA oder eines anderen westlichen Landes abzuschrecken, so daß der Angriff gar nicht erst geführt werde. Und wenn er doch geführt würde, werde die Sowjetunion ihn mit dem Einsatz der eigenen Vernichtungswaffen beantworten. Damit hatte die Sowjetunion einen wesentlichen Schritt getan, um ein System gegenseitiger Abschreckung zu errichten, das auf Furcht vor den Folgen eines Nuklearkrieges beruhte und deshalb zu einer begrenzten Zusammenarbeit führte. Die USA waren allerdings Anfang 1956 noch nicht bereit, sich in dieses System einzufügen. Erst als sich die Dullessche Strategie der Befreiung, die bereits am 17. Juni 1953 versagt hatte, im "polnischen Oktober" und beim Ungarn-Aufstand 1956 erneut als Illusion erwies, begann man auch in Washington, die Regeln des politischen Verhaltens zwischen Ost und West zu überdenken. 1953 - nur wenige Monate nach dem Amtsantritt von John Foster Dulles - waren die Menschen in der DDR in ihrer Hoffnung auf amerikanische Hilfe auf dramatische Weise enttäuscht worden. In Polen und vor allem in Ungarn wiederholte sich dieses Schicksal im Herbst 1956 auf tragische Weise, als die USA sich mit den Aufständischen solidarisch erklärten, aber zugleich bekundeten, daß ihre Hilfe selbstverständlich nur moralischer, nicht militärischer Art sein könne. Mehr noch als der Fehlschlag des Ungarn-Aufstandes im Oktober und November 1956, bei dem die westlichen Regierungen ohnmächtig zusehen mußten, wie sowjetische Truppen die ungarische Volkserhebung blutig niederschlugen, löste jedoch der Start eines sowjetischen Erdsatelliten am 4. Oktober 1957 einen Schock aus, der die Grundfesten der westlichen und vor allem der amerikanischen Politik zutiefst erschütterte. Denn mit dem "Sputnik", der als erster künstlicher Satellit die Erde umkreiste, ging für die USA der Nimbus der technologischen Überlegenheit verloren. Militärisch schwerwiegend war dabei die Tatsache, daß die Sowjetunion von nun an die USA mit Interkontinentalraketen bedrohte. Amerika war damit nicht länger eine durch zwei Ozeane geschützte Festung, sondern ebenso erreichbar und verwundbar wie beispielsweise die Länder Ost- und Westeuropas. Dieser Verlust der geostrategischen Sonderstellung zwang die USA dazu, die eigene Rolle in der Welt neu zu definieren. Vor allem das Verhältnis zur "anderen Supermacht" Sowjetunion bedurfte nun einer Korrektur. Die Sowjetunion hatte dafür mit ihrer Doktrin der friedlichen Koexistenz ein Beispiel gesetzt, wie Chruschtschow am Tag nach dem Start des "Sputnik" gegenüber dem diplomatischen Chefkorrespondenten der New York Times, James Reston, erklärte: "Wir sind für die friedliche Koexistenz nicht deshalb, weil wir schwach sind, nicht deshalb, weil wir die Imperialisten fürchten, sondern deshalb, weil ein neuer Krieg in Anbetracht der modernen tödlichen Waffenarten, wie thermonukleare Bomben und die Mittel zu ihrer Beförderung, wie die interkontinentale ballistische Rakete, den Untergang von Millionen und Aber-Millionen Menschen, die Zerstörung kolossaler materieller Werte, die durch die Arbeit vieler Generationen geschaffen wurden, bedeuten würde." Diesen Einsichten konnte man sich jetzt auch in Washington nicht mehr verschließen. Die Beziehungen zwischen den beiden Weltmächten, zwischen Ost und West überhaupt, mußten in Zukunft auf der Grundlage der bestehenden Grenzen und politischen Ordnungen gestaltet werden. Dies beinhaltete keineswegs eine Anerkennung oder gar Billigung der gegnerischen Politik und Ideologie. Aber es erforderte eine zumindest vorübergehende Respektierung der jeweiligen Einflußsphären. Kernwaffen und ballistische Interkontinentalraketen schufen Bedingungen, unter denen ein allmählicher Abbau des Kalten Krieges und der Übergang zur Entspannungspolitik möglich schien. Es sollte allerdings noch mehr als ein Jahrzehnt dauern, ehe sich diese Tendenz zur Entspannung nach schwerwiegenden Krisen und Konflikten, die sogar bis an den Rand eines Atomkrieges führten, schließlich auch durchsetzte. Bedeutete der Start des "Sputnik" für die USA einen Schock, so war dieser technologische Durchbruch für Chruschtschow ein Beweis der Überlegenheit des kommunistischen Systems. Er wollte deshalb die Sowjetunion aus der außenpolitischen Defensive, in der sie sich seit Stalins Tod befunden hatte, herausführen und einen neuen Vorstoß zur Erweiterung des sowjetischen Einflusses wagen. Die erste Station dieser neuen außenpolitischen Offensive war im November 1958 wiederum Berlin. In einer Rede im Moskauer Sportpalast und in diplomatischen Noten an die drei Westmächte stellte Chruschtschow am 10. bzw. 27. November 1958 den Vier-Mächte-Status der Stadt Berlin in Frage und forderte Verhandlungen mit dem Ziel, West-Berlin in eine "Freie Stadt" umzuwandeln und die westlichen Alliierten zum Abzug zu bewegen. Offenbar ging es ihm darum, der DDR die Kontrolle über die Zugangswege nach Berlin zu geben und damit der Fluchtbewegung aus der DDR über West-Berlin Einhalt zu gebieten. Die Gespräche hierüber sollten innerhalb von sechs Monaten beginnen. Andernfalls werde die Sowjetunion "einseitige Maßnahmen" ergreifen und beispielsweise einen Friedensvertrag mit der DDR abschließen. Die sowjetische Verantwortung für Berlin, insbesondere die sowjetische Verpflichtung in bezug auf einen freien Zugang nach West-Berlin, würde dann auf die DDR übergehen. Obwohl damit eine erneute Blockade drohte, um die steigende Massenflucht aus der DDR über West-Berlin in die Bundesrepublik zu stoppen, weigerten sich die Westmächte zwei Jahre lang, über das "Chruschtschow-Ultimatum" zu verhandeln. Bei seinem Treffen mit dem neuen amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy im Juni 1961 in Wien wiederholte Chruschtschow daher seine Drohung. Doch der junge Präsident änderte die westliche Haltung nicht, vielmehr bekräftigte er in einer Fernsehrede am 25. Juli 1961 die "drei Grundsätze" (three essentials) der amerikanischen Berlin-Politik, die bereits im Herbst 1958 als Antwort auf das Chruschtschow-Ultimatum formuliert worden waren:

  1. das Recht der Westmächte auf Anwesenheit in Berlin,
  2. das Recht der Westmächte auf Zugang nach Berlin,
  3. die Verpflichtung der Westmächte, die Selbstbestimmung der West-Berliner und die freie Wahl ihrer Lebensform zu gewährleisten.

Tatsächlich hatte Chruschtschow sein "Ultimatum" weniger offensiv als defensiv verstanden, um der DDR zu helfen, eine Lösung für ihr schwerwiegendes Flüchtlingsproblem zu finden. Seit 1949 verließen täglich Hunderte von DDR-Bürgern durch das "Schlupfloch" West-Berlin ihr Land, um im anderen Teil Deutschlands Freiheit und Wohlstand zu suchen. Es drohte ein völliger Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft, wenn die ständige Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte nicht gestoppt wurde. Durch die Umwandlung West-Berlins in eine "Freie Stadt" und die Kontrolle der Zugangswege durch die DDR wäre dieses Problem gelöst worden. Da der Westen auf das Chruschtschow-Ultimatum aber nicht einging, wurde diese "elegante" Lösung dem Osten verwehrt. Mit dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 sowie der Verstärkung der Sperranlagen zwischen der DDR und der Bundesrepublik entschied sich die östliche Seite schließlich zu einer Notlösung: der völligen Abriegelung Ost-Berlins und der DDR gegenüber dem Westen. Nur so war der Zusammenbruch des SED-Regimes durch die Massenflucht, die zuletzt etwa 1500 bis 2000 Personen täglich umfaßte, noch zu verhindern. Der Mauerbau war demzufolge ein Eingeständnis östlicher Schwäche, aber auch ein Beweis für die sowjetische Entschlossenheit, das DDR-Regime auf Dauer zu stabilisieren. Im Westen kam man jetzt nicht mehr umhin, auch auf längere Sicht von der Existenz zweier deutscher Staaten auszugehen

Die SED hatte sich bereits seit 1947 zur "Partei neuen Typs" entwickelt, obwohl diese Umformung offiziell erst mit der Ersten Parteikonferenz vom Januar 1949 bekanntgegeben wurde. Gegenüber der Gründungssituation zeigten Programm und Struktur der SED nun eine vierfache Veränderung: Die SED beanspruchte als "bewußte Vorhut der Arbeiterklasse" die Vertretung und Führung der Arbeiterschaft insgesamt. Ein Politbüro aus wenigen Spitzenfunktionären bildete den Kern der politischen Macht. Die Organisationsprinzipien dieser Partei beruhten auf dem von Lenin entwickelten Grundsatz des "demokratischen Zentralismus". Dieser wurde auf das gesamte politische Leben übertragen. Er beinhaltete formal zwar die Wählbarkeit der Funktionäre und Parteigremien durch die Mitglieder, meinte zugleich aber auch "straffe Parteidisziplin" und die bedingungslose Unterordnung der mittleren und unteren Parteigremien unter die Beschlüsse der Leitungen. Da Schlüsselpositionen (Nomenklatura) faktisch von oben besetzt und nicht von unten gewählt wurden, blieb von dem Prinzip des demokratischen Zentralismus in der Realität nur der Zentralismus übrig. Zudem war die Bildung innerparteilicher Gruppierungen mit abweichenden Positionen strikt untersagt (Fraktionsverbot). Die Partei als "höchste Form der Klassenorganisation" war verpflichtet, alle anderen politischen und gesellschaftlichen Organisationen in der DDR "anzuleiten". Das bedeutete in der Praxis die konsequente Kontrolle des gesamten politischen Lebens. Parteimitglied konnte man nicht durch einfachen Eintritt werden, sondern die Aufnahme war an eine Kandidatenzeit und an politisch-ideologische Bewährung gebunden. Die marxistisch-leninistische Partei sah ihr Vorbild in der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) und verpflichtete ihre Mitglieder damit nicht nur auf bedingungslose Unterstützung der als "großer Bruder" bezeichneten sowjetischen Vormacht, sondern auch auf die Abwehr aller Aktivitäten des westlichen "Klassenfeindes". Im Weltbild der SED gab es nur die Wahl zwischen "Fortschritt" und "Reaktion" als deren herausragende Repräsentanten die Sowjetunion und die USA galten.Mit der Umwandlung der SED zur Kaderpartei wurden die machtpolitischen Grundlagen für das stalinistische Herrschaftssystem in der DDR der fünfziger Jahre gelegt. Was der Begriff "Stalinismus" in den Ländern außerhalb der Sowjetunion inhaltlich meint, wird kontrovers diskutiert. Denn er war mit Jossif Wissarionowitsch Stalins Tod 1953 keineswegs beendet, sondern prägte das politische Leben der DDR auch noch in den folgenden Jahren. Wesentliche Merkmale des Stalinismus der frühen fünfziger Jahre lassen sich in allen "Volksdemokratien" Ostmitteleuropas und in der DDR in nahezu identischen Formen auffinden: die Einparteien-Herrschaft bei Ausschaltung jeder innerparteilichen Demokratie, die willkürliche Machtausübung durch bürokratisch und zentralistisch organisierte Apparate, die Unterdrückung jeder freien Diskussion in Staat und Gesellschaft durch politische Kontrolle, Zensur und Geheimpolizei, die zentralistische Planung und Leitung der zumindest zu großen Teilen verstaatlichten Wirtschaft durch eine riesige Wirtschaftsbürokratie, bei völliger Unterordnung der Gewerkschaften und Ausschaltung jeder wirklichen Mitbestimmung von Arbeitern und Angestellten. In der Praxis bedeutete die Neuorientierung der SED am sowjetischen Modell der "Partei neuen Typs" eine rigorose und vor terroristischen Praktiken nicht zurückschreckende Durchsetzung der Direktiven der Parteispitze in den eigenen Reihen. Dazu gehörte, daß die ursprünglich festgelegte Parität zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten in den Gremien der Partei seit 1948 aufgehoben wurde. Wer sich der von Moskau vorgegebenen "Generallinie" nicht fügte, hatte nicht nur keinen Platz mehr in den Reihen der Partei, sondern mußte auch um sein Leben fürchten. Politische Verfolgung als Instrument der machtpolitischen Herrschaftssicherung gehört zur Gründungsgeschichte der DDR. 1950/51 wurden durch eine formal als "Umtausch der Mitgliedsbücher" inszenierte Aktion circa 150.000 SED-Mitglieder (darunter insbesondere ehemalige Sozialdemokraten) aus der SED ausgeschlossen. Die Partei als "führende Kraft" wurde in kultischen Formen verherrlicht. Die SED setzte ihren keine Konkurrenz duldenden Führungsanspruch gegenüber allen anderen Parteien und insbesondere gegenüber den Massenorganisationen durch. Die "bürgerlichen" Parteien existierten zwar - anders als in der Sowjetunion - formal weiter, wurden aber durch "Säuberungen" und Einsetzung gefügiger Parteiführer gleichgeschaltet. Das betraf die christlich-Demokratische Union Deutschlands (CDU), die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD), die National-Demokratische Partei Deutschlands (NDPD) und die Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD). Die Gewerkschaften - nach Branchen aufgegliedert, aber zentralistisch im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) zusammengeschlossen - verloren ihre Funktion als Interessenorganisation der Arbeiter und Angestellten. Auch hier galt der Grundsatz des "demokratischen Zentralismus". Die SED bestimmte die Personalpolitik. Die Aufgabenstellung des FDGB wurde in der Gründungsphase der DDR immer stärker auf Erfüllung des Wirtschaftsplans und auf Kampagnen zur Produktionssteigerung ausgerichtet. Gleichzeitig wuchsen die Gewerkschaften in den fünfziger Jahren in eine Schlüsselrolle der Sozialpolitik hinein. Nicht nur das gesamte Sozialversicherungssystem, sondern auch die soziale Fürsorge im Betrieb, vom Kindergarten bis zum Feriendienst, gehörten zu den Aufgaben des FDGB, der 1950 4,7 Millionen Mitglieder hatte.Auch die zahlreichen anderen Massenorganisationen sollten als wichtiger Bestandteil des sozialistischen Herrschaftssystems unterschiedliche Schichten, Gruppen und Interessen der breiten Bevölkerung erfassen und dem Führungsanspruch der SED unterzuordnen suchen. Die staatliche Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ, 1950 1,5 Millionen Mitglieder), der Demokratische Frauenbund Deutschlands (DFD), die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF), aber selbst die soziale Hilfsorganisation "Volkssolidarität" sind hier vor allem zu nennen.Bereits zum Zeitpunkt ihrer Gründung 1949 wies die DDR alle wesentlichen Merkmale einer "Volksdemokratie" auf. Zwar trug die erste Verfassung der DDR äußerlich noch den Charakter einer bürgerlich-demokratischen Konstitution, da es jedoch keine Gewaltenteilung gab (insbesondere fehlte eine unabhängige Justiz), waren dem Rechtsstaat und der Rechtssicherheit durch das Machtmonopol der SED jeder Boden entzogen. Speziell der Artikel 6 der ersten Verfassung öffnete der politischen Willkür Tür und Tor. Wer abweichende Meinungen äußerte oder bestehende Institutionen kritisierte, konnte "wegen Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen" hart bestraft werden.Darüber hinaus sorgte die sowjetische Besatzungsmacht durch ihre Truppen, ihre Geheimpolizei und ihre "Berater" dafür, daß die deutschen Genossen die Politik ausführten, die in Moskau entwickelt wurde. Mit der Erklärung der DDR zum souveränen Staat 1955 erweiterte sich zwar der Handlungsspielraum der DDR geringfügig, der durch die Sowjetunion importierte Sozialismus blieb aber auf politische und militärische Unterstützung aus Moskau angewiesen.Der "Aufbau des Sozialismus" - offiziell im Sommer 1952 auf der Zweiten Parteikonferenz der SED proklamiert, tatsächlich aber schon seit 1948 praktiziert - fand unter politischen Bedingungen statt, die von einer extremen Furcht vor Agenten, Spionen und Saboteuren gekennzeichnet waren. Der Sozialismus sowjetischer Prägung, wie ihn Ulbricht seit 1948 vertrat, konnte nur gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchgesetzt werden. Daher wurde in den fünfziger Jahren Terror gegen politische Gegner in besonders drastischen Formen angewandt. Die SED folgte dabei der Doktrin von der "Verschärfung des Klassenkampfes" in der Phase des sozialistischen Aufbaus, die Stalin zur ideologischen Rechtfertigung seiner Repressalien in der Sowjetunion entwickelt hatte. Zwar gab es in der DDR keine Schauprozesse, die denen in der Sowjetunion der dreißiger Jahre oder denen in der Tschechoslowakei, in Ungarn und Rumänien vergleichbar gewesen wären, aber politische Prozesse waren an der Tagesordnung. Dabei bestimmten unmittelbare politische Eingriffe und völlige Willkür im Strafmaß die Verfahren. Berüchtigt wurden in diesem Zusammenhang die Waldheimer Prozesse nach Beendigung der Entnazifizierung. Als die sowjetischen Internierungslager in Deutschland aufgelöst wurden, übergaben die sowjetischen Dienststellen die Internierten deutschen Gerichten. Die sächsische Kleinstadt Waldheim wurde zum Symbol für serienweise gefällte schematische Urteile ohne geregelte Verfahren und Verteidigung. Von insgesamt 3392 Verurteilten erhielten 1829 Freiheitsstrafen zwischen 15 und 20 Jahren, 146 eine lebenslängliche Zuchthausstrafe, 32 wurden zum Tode verurteilt. Traurige Berühmtheit erlangte auch das "Gelbe Elend", das aus einem sowjetischen Sonderlager hervorgegangene Zuchthaus Bautzen I.Die Zahl der politischen Häftlinge läßt sich nur ungefähr schätzen. Anfang der fünfziger Jahre muß man von über 20.000 ausgehen. Die Zusage der SED-Führung nach dem Aufstand vom 17. Juni, 18.000 Urteile zu "überprüfen", ist ein Anhaltspunkt für diese Größenordnung. Zu den Charakteristika der frühen stalinistischen Phase der DDR gehört, daß nicht nur politische Gegner der SED - unter ihnen besonders viele ehemalige Sozialdemokraten -, sondern auch unpolitische und insbesondere religiös orientierte Menschen verfolgt wurden.

ext. Ref. 

Da die evangelische Kirche als einzige Großorganisation nicht dem Führungsanspruch der Monopolpartei unterworfen war, geriet sie ins Zentrum der Angriffe. Vor allem der Kampf gegen die "Junge Gemeinde", einen durchaus politikfernen Zusammenschluß junger evangelischer Christinnen und Christen, nahm groteske Ausmaße an und rief Erinnerungen an den "Kirchenkampf" im Dritten Reich wach. In seiner Eigenschaft als FDJ-Vorsitzender (1946-1955) bezeichnete Erich Honecker die Junge Gemeinde 1952 als "Tarnorganisation für Kriegshetzer, Sabotage und Spionage im amerikanischen Auftrag". Etwa 300 Schülerinnen und Schüler mußten wegen ihrer Zugehörigkeit zur Jungen Gemeinde im Frühjahr 1953 die Oberschulen verlassen. Ein Verbot wurde im Frühjahr 1953 vorbereitet, kam dann aber im Zuge der politischen Veränderungen in Moskau nach Stalins Tod nicht mehr zum Tragen. Mit dem "Aufbau des Sozialismus" wurde auch das Tempo der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Umgestaltung erheblich beschleunigt. Zugleich wurde die Abschottung der DDR vom Westen vorangetrieben. Unmittelbar nachdem in Bonn die Deutschland- und EVG-Verträge unterzeichnet worden waren, erließ die DDR-Regierung am 27. Mai 1952 eine Verordnung "über die Einführung einer besonderen Ordnung an der Demarkationslinie". Fortan wurde die Westgrenze (mit Kontrollstreifen, Schutzstreifen und Sperrzone) scharf bewacht.Zur politischen Umgestaltung gehörte auch die Abschaffung des Föderalismus. Die fünf Länder wurden durch 14 Bezirke und 217 Kreise ersetzt. Aber nicht nur der politische Druck auf die Bevölkerung wurde härter. Auch wirtschaftlich hatte die ehrgeizige und völlig überzogene Zielsetzung mit einseitiger Bevorzugung der Schwerindustrie gegenüber der Konsumgüterversorgung und mit dem Beginn der Kollektivierung der Landwirtschaft (Übergang von der privatbäuerlichen zur genossenschaftlichen Organisation) fatale Folgen. Verbunden mit steigenden Rüstungslasten und einer wachsenden Militarisierung der Gesellschaft (Kasernierte Volkspolizei als Vorstufe einer Armee) ergab sich Ende 1952 eine Krisensituation, die bald außer Kontrolle geriet. Diese Konstellation gehört zur Vorgeschichte des ersten großen Aufstandes im sowjetischen Machtbereich nach 1945, der Erhebung vom 17. Juni 1953 in Ost-Berlin und in der ganzen DDR.Als Stalin im März 1953 starb, herrschte in Moskau zunächst Unklarheit über die politische Linie. Stalins Nachfolgern wurde jedoch schnell bewußt, daß eine politische und ökonomische Kursänderung notwendig war. In der DDR sperrte sich die SED-Führung zunächst gegen eine solche Entspannung und setzte ihren Kampf um Erhöhung der Arbeitsnormen (Arbeitsleistung pro Zeiteinheit) bei der Arbeiterschaft ebenso fort wie die politischen Auseinandersetzungen mit der Kirche. Erst im Mai 1953 erzwang die Moskauer Führung die Durchsetzung des "Neuen Kurses", weil sie die Krisensituation in der DDR realistischer einschätzte als die deutschen Genossen. Die erst 1990 im Wortlaut bekanntgewordenen Direktiven beinhalteten vor allem eine Änderung der Politik gegenüber Bauern und Mittelstand, eine bessere Konsumgüterversorgung, die Einstellung des Kampfes gegen die Kirche und einen anderen Umgangsstil der politischen Führung gegenüber der Bevölkerung.Zu dieser Zeit machten sich unter den Arbeitern in der DDR vereinzelt jedoch bereits Unruhen in Form von kurzen Arbeitsniederlegungen und Protesten bemerkbar. Am 9. Juni 1953 verkündete das Politbüro offiziell den "Neuen Kurs" und stellte damit beträchtliche Situationsverbesserungen für die Bevölkerung in Aussicht, hielt jedoch an der vorgesehenen Erhöhung der Normen für die Arbeiter um 10 Prozent fest. Rein volkswirtschaftlich betrachtet war diese Forderung nach Steigerung der (viel zu niedrigen) Arbeitsproduktivität zwar richtig, wenn es mit der Wirtschaft aufwärts gehen sollte. Das Festhalten an der geplanten Normerhöhung bei gleichzeitigen politischen Lockerungen und Zugeständnissen an den Mittelstand und die Bauern (Wiederzulassung geschlossener Einzelhandelsgeschäfte, Aufhebung von Zwangsmaßnahmen bei der Steuereintreibung, Rückkehrangebote für "Republikflüchtlinge", Wiederzulassung relegierter Oberschüler und Studenten) schufen aber eine explosive Situation, aus der sich der Aufstand vom 17. Juni entwickelte.Die ersten, die auf die Straße gingen, waren die Bauarbeiter der Stalin-Allee in Berlin, des Vorzeigeprojektes künftiger "sozialistischer Wohnkultur". Sie zogen am Vormittag des 16. Juni in einem Demonstrationszug vor das Haus der Ministerien und verlangten nach Verhandlungen mit der Regierung. Als einziger fand sich Industrieminister Fritz Selbmann zu einer Rede vor den Massen bereit, in der er unter anderem die Rücknahme der Normerhöhung verkündete. Die Stimmung war jedoch bereits so politisiert, daß er ausgepfiffen wurde. Es gab Rufe nach Rücktritt der Regierung und Generalstreik. Die Nachricht von der Demonstration verbreitete sich durch Kuriere und westliche Medien rasch über nahezu die ganze DDR.An den folgenden Tagen, vom 17. bis 21. Juni, entwickelten sich - nach heutigem Kenntnisstand - in über 560 Orten der DDR Demonstrationen, Streiks, Belegschaftsproteste, Gewalttätigkeiten. Die Schwerpunkte lagen in den traditionellen Hochburgen der deutschen Arbeiterbewegung (insbesondere Halle-Bitterfeld, Leipzig). Als am Mittag des 17. Juni sowjetische Panzer in Berlin und anderen Städten rollten und der Ausnahmezustand verhängt wurde, ging der offene Teil der Aufstandsbewegung (mit etwa 50 Toten) schnell zu Ende, die Unruhen in den Betrieben und zum Teil auch auf dem Lande dauerten in verschiedenen Formen jedoch noch stellenweise bis in den Monat Juli.Die Forderungen der Aufständischen waren keineswegs einheitlich. Dennoch wurden überall neben sozialpolitischen und wirtschaftlichen Zielen nachdrücklich politische Forderungen gestellt, die auf freie Wahlen, Rücktritt der Regierung, Einheit Deutschlands und politische Freiheit zielten. In einem Schüttelreim in Merseburg wurden diese Forderungen nach Ablösung der politischen Spitze (Parteichef Walter Ulbricht, Staatspräsident Wilhelm Pieck und Ministerpräsident Otto Grotewohl) gebündelt: "Spitzbart, Bauch und Brille, sind nicht des Volkes Wille".Nach der Niederschlagung des Aufstandes begann die Verfolgung der "Rädelsführer". Nach einem sowjetischen Bericht vom Herbst 1953 waren insgesamt 7663 Personen im Zusammenhang mit dem Aufstand verhaftet worden, der größte Teil aber wurde wieder freigelassen. 1240 Teilnehmer wurden verurteilt (darunter 1090 Arbeiter). Später kamen noch mehrere hundert Ermittlungsverfahren hinzu, so daß insgesamt 1526 Angeklagte verurteilt wurden (davon zwei zum Tode, drei zu lebenslänglicher und 13 zu 10 bis 15 Jahren Zuchthausstrafe).Das Bild vom 17. Juni hat sich nach der Erschließung neuer Quellen seit 1990 deutlich gewandelt. Vor allem ist die Breite der Streik- und Aufstandsbewegung klarer sichtbar geworden. Zwar ist unstrittig, daß die Arbeiterschaft die Initiative ergriff und der Motor der Unruhe war, aber auch Teile des städtischen Mittelstands, der Landbevölkerung und selbst der Intelligenz (Geistesarbeiter) schlossen sich an. Aus der starken Betonung der politischen Forderungen ist auch die Charakterisierung des Aufstandes als "gescheiterte Revolution" abgeleitet worden. So kontrovers die Urteile im einzelnen nach wie vor sein mögen, die zentrale Bedeutung dieses Ereignisses für die DDR - aber auch für die gesamtdeutsche Geschichte - ist unstrittig. Die SED versuchte daher, den Aufstand zum "faschistischen Putsch" umzuinterpretieren.Welche langfristigen Folgen hatte diese tiefgreifende Systemkrise von 1953? Zum einen ist die gewaltsame Niederschlagung einer spontanen Revolte eine nachhaltige Risikoerfahrung für die Bevölkerung gewesen. In künftigen Krisen sollte sich diese Erfahrung auf das politische Verhalten auswirken. Daß in der Entstalinisierungskrise von 1956 die Arbeiter in der DDR anders als in Polen oder Ungarn im wesentlichen ruhig blieben, hing damit zusammen. Zum anderen aber war der Aufstand der "führenden Klasse" gegen ihre "Vorhut" für die SED ein Schockerlebnis, das bis zum Ende des Arbeiter-und-Bauern-Staates nachwirkte. An der politischen Linie, die 1952 auf der Zweiten Parteikonferenz formuliert worden war, hielt die SED zwar auch künftig fest. Insofern bedeutete der "Neue Kurs" keine prinzipielle Richtungsänderung. In der politischen Praxis aber ging man vorsichtiger und flexibler vor. Durch rechtzeitige Zugeständnisse sollte ebenso wie durch die Organisation von Kampfbereitschaft (der 1952 begonnene Aufbau von Betriebskampfgruppen wurde systematisch vorangetrieben) eine Wiederholung derartiger systemerschütternder Krisen verhindert werden. Die Angst der Machtelite vor der aufmüpfigen Basis aber blieb. Noch am 31. August 1989 fragte der DDR-Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, seine Untergebenen: "Ist es so, daß morgen der 17. Juni ausbricht?"Der "Neue Kurs" trug zwar zu einer gewissen Beruhigung und innenpolitischen Stabilisierung bei, so daß die Zahl der Flüchtlinge in die Bundesrepublik 1954 deutlich sank (184.000 gegenüber 331.000 im Jahre 1953). Der Schock des Aufstandes veranlaßte die SED jedoch zugleich zu einer gezielten Auswechslung des Personals in den eigenen Reihen und in den Massenorganisationen. So schieden 60 Prozent der 1952 gewählten SED-Bezirksleitungen und 70 Prozent der Ersten und Zweiten Kreissekretäre aus. Beim FDGB wurden insgesamt rund 71 Prozent des Leitungspersonals (auf allen Ebenen) ersetzt.Im Konflikt mit der evangelischen Kirche eröffnete die Einführung der Jugendweihe 1954 eine neue Kampffront. Beide Kirchen lehnten zunächst die Teilnahme an dieser atheistisch geprägten staatlichen Zeremonie für Jugendliche strikt ab und verweigerten denen, die daran teilnahmen, die kirchliche Konfirmation bzw. Kommunion. Auf lange Sicht ging dieser Kampf jedoch für die evangelische Kirche verloren, während die zahlenmäßig nur sehr kleine katholische Kirche an der Unvereinbarkeit festhielt. Für die Familien hatte das oft erhebliche Konsequenzen. Jugendliche, die die Jugendweihe verweigerten, mußten mit erheblichen Nachteilen für ihr schulisches und berufliches Fortkommen rechnen, so daß ihre Eltern sich häufig dem staatlichen Druck beugten. Zwischen 1956 und 1959 stieg der Anteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Jugendweihe von 26 auf 80 Prozent, 1959 ging nur noch etwa ein Drittel der Jugendlichen eines Jahrgangs zur Konfirmation. In den sechziger Jahren sahen sich daher die evangelischen Landeskirchen zu einer weicheren Haltung veranlaßt und duldeten die Teilnahme an der staatlichen Zeremonie auch für kirchliche Konfirmanden.Da die Regierung einige Preise für Lebensmittel, die außerhalb der offiziellen Kartenzuteilung in den Geschäften der Handelsorganisation (HO) erhältlich waren, senkte sowie die Produktion der Schwerindustrie zugunsten der Konsumgüterindustrie reduzierte, und da die Sowjetunion ab 1954 ihre Reparationen in der DDR einstellte, verbesserte sich die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung langsam, wenngleich der Lebensstandard weit hinter den Versprechungen der SED und hinter dem Niveau Westdeutschlands zurückblieb.Im Frühjahr 1956 wurde die SED überraschend mit einer neuen politischen Krise konfrontiert, die der 20. Parteitag der KPdSU und die berühmte Geheimrede des sowjetischen Parteichefs Nikita Chruschtschow (1894-1971) in vielen kommunistischen Staaten Europas auslöste. In dieser Rede rechnete Chruschtschow mit Stalins Verbrechen zwar sehr unzureichend, aber doch in einer Offenheit ab, die die stalinistischen Partei- und Staatschefs der osteuropäischen Länder und der DDR zutiefst schockierte und verunsicherte. Schon im März 1956 wurden Auszüge dieser Rede in der jugoslawischen Presse veröffentlicht, am 4. Juni 1956 machte das amerikanische Außenministerium den vollen Text bekannt. Das Idol des "Großen Vaterländischen Krieges" und der kommunistischen Weltbewegung war plötzlich vom Denkmalsockel gestoßen.In Polen und Ungarn rief die - nur auf die Person Stalins und den "Personenkult" konzentrierte - Entstalinisierung schwere innere Erschütterungen hervor. Ulbricht, der als getreuer Gefolgsmann Stalins und der Sowjetunion galt, versuchte durch eine Flucht nach vorn einer neuen Unruhe vorzubeugen. Er schloß sich äußerlich der Verdammung Stalins und des "Personenkults" an und erklärte, Stalin gehöre nicht zu den "Klassikern des Marxismus". Er kritisierte "dogmatische Erscheinungen", wandte sich aber gegen eine "rückwärtsgewandte Fehlerdiskussion". Immerhin wurden mehrere hohe Parteimitglieder rehabilitiert, gegen die 1953 Parteistrafen verhängt worden waren. 15.000 politische Gefangene erhielten Amnestie, etwa 3300 ehemalige Kriegsgefangene, die in der Sowjetunion wegen Kriegsverbrechen verurteilt und 1955 in die DDR gebracht worden waren, wurden begnadigt.Die mit dem 20. Parteitag der KPdSU 1956 verbundenen Hoffnungen auf innenpolitische Reformen und einen erneuerten Sozialismus verbreiteten sich insbesondere unter den Intellektuellen der DDR, während die Arbeiter eher zurückhaltend blieben. Unter Künstlern, Wissenschaftlern und Schriftstellern gab es kritische Diskussionen und Forderungen nach grundlegenden Veränderungen. Einzelne Wirtschaftswissenschaftler kritisierten die übermäßige Zentralisierung der DDR-Wirtschaft, von den Universitäten kam der Ruf nach mehr Mitbestimmung und Einschränkung des Russischunterrichts sowie der Pflichtkurse in Marxismus-Leninismus. Die Redaktion der DDR-Zeitung "Wochenpost" faßte in einem Brief an das Politbüro die Stimmung in dem Satz zusammen: "Die These, daß wir keine Fehler gemacht haben, verwirkt uns das Vertrauen der Massen, die ganz genau wissen, daß wir Fehler gemacht haben."

Die SED ging jedoch nach kurzem Zögern zielstrebig und rücksichtslos gegen alle Abweichler vor und beendete bis zum Frühjahr 1957 das kurze "Tauwetter". Die spektakulärste Aktion war die Verhaftung des Philosophen Wolfgang Harich, der als Kopf einer kleinen unorganisierten Gruppe von Redakteuren und Kulturschaffenden grundlegende Veränderungen nach polnischen und ungarischen Vorbildern gefordert hatte. In einem Schauprozeß wurde er 1957 zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, etliche andere Parteiintellektuelle erhielten ebenfalls mehrjährige Haftstrafen. Es folgten Verfahren gegen sieben "partei- und staatsfeindliche Gruppierungen" an Universitäten und Hochschulen mit insgesamt 87 Personen.Mit dieser Machtdemonstration gelang es der SED zwar, die Unruhe unter Teilen der Intelligenz zu unterdrücken. Aber auch in der Parteispitze hatten sich Ulbrichts Gegner zu Wort gemeldet, die auf eine flexiblere Haltung in der Deutschlandpolitik und in der Haltung gegenüber den "revisionistischen" Intellektuellen drängten. Erst im Februar 1958 erreichte Ulbricht ihre Ausschaltung. Der zweite Mann in der Parteiführung, der Kaderchef Karl Schirdewan, erhielt eine "strenge Rüge" und wurde aus dem Zentralkomitee der SED entfernt. Ebenso ging es dem Chef der Staatssicherheit, Ernst Wollweber. Damit war es Ulbricht gelungen, seine Führungsposition in der Partei zu festigen. 1960 übernahm er nach dem Tode des Staatspräsidenten Wilhelm Pieck den Vorsitz im neugeschaffenen Staatsrat und im ebenfalls neugegründeten "Nationalen Verteidigungsrat", dem wichtigsten Gremium für die innere und äußere Sicherheit der DDR. Bis zum Ende der sechziger Jahre hielt Ulbricht damit alle Fäden der Politik der SED in seinen Händen.Die langwierige, aber konsequente Überwindung der Herrschaftskrise im Gefolge des 20. KPdSU-Parteitages veranlaßte die SED-Führung zur abermaligen Tempobeschleunigung bei der sozialistischen Umgestaltung. Der V. Parteitag der SED 1958 und die Bitterfelder Autorenkonferenz 1959 wurden in dieser Hinsicht Marksteine in der Partei- und Kulturgeschichte des SED-Staates. Angesichts relativ günstiger Wirtschaftsdaten und erheblich sinkender Fluchtzahlen 1958 und 1959 verkündete der Parteitag als "Hauptaufgabe" die "Vollendung der sozialistischen Produktionsverhältnisse" und die Parole vom "Einholen und Überholen" Westdeutschlands im Pro-Kopf-Verbrauch der werktätigen Bevölkerung bei allen wichtigen Lebensmitteln und Konsumgütern. 1959 wurde der noch laufende Fünfjahrplan entsprechend dem Planungsrhythmus der Sowjetunion durch einen neuen Siebenjahrplan ersetzt, der den Weg zu diesem utopischen Ziel in wirtschaftliche Daten umsetzte und nun sogar ins Auge faßte, die Bundesrepublik auch in der Arbeitsproduktivität, die dort um ca. 30 Prozent höher lag, einzuholen. Der Plan mußte jedoch bereits 1962 wegen falscher Einschätzung der Kapazitäten vorzeitig wieder abgebrochen werden.Einschneidende Veränderungen setzte die SED mit der weiteren Zurückdrängung des privaten Mittelstandes durch. Ein großer Teil der noch privaten kleinen Industrie- und produzierenden Handwerksbetriebe wurde in halbstaatliche Betriebe umgewandelt, um eine bessere Steuerung und Einbeziehung in die Wirtschaftsplanung zu ermöglichen. Noch gravierender aber war der Entschluß, in kurzer Zeit die 1952 begonnene, nach dem 17. Juni 1953 aber verlangsamte Kollektivierung der Landwirtschaft zu Ende zu führen. In einer riesigen Kampagne, verbunden mit physischem und psychischem Druck, wurden die privaten Bauern zum Eintritt in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) gezwungen. Seit Ende 1959 versuchten Scharen von SED-Agitatoren, die Bauern von den Vorzügen der LPG zu überzeugen. Wo das nicht gelang, half die Stasi durch Verhaftungen nach. Am 4. März 1960 meldete als erster der Bezirk Rostock, der unter der Parole "De Appel is riep" angetreten war, die Vollkollektivierung. Rund 450.000 Bauern und Bäuerinnen traten in den ersten drei Monaten des Jahres 1960 den bereits bestehenden oder neugegründeten LPG bei. Damit war eine radikale Veränderung der Landwirtschaft eingetreten. Einzelbäuerlichen Besitz gab es - neben den kirchlichen Ländereien, die von der Kollektivierung ausgenommen waren - nur noch als Randerscheinung. Die rund 19.000 LPG bewirtschafteten circa 85 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche, sechs Prozent gehörten den Staatsgütern.Auch wenn langfristig ein Gewöhnungsprozeß an die neue Organisationsform der Landwirtschaft einsetzte und die sozialpolitischen Vorteile unübersehbar waren, wie beispielsweise geregelte Arbeitszeit, Urlaub, Altersversorgung, führten die überstürzten und gewaltsamen Formen der Kollektivierung nicht nur zu einem erneuten dramatischen Anstieg der Flüchtlingszahlen, sondern auch zu einer akuten Versorgungskrise, die ihrerseits die Fluchtbewegung weiter anheizte. "Die Ziffern in Bezug auf Nichterfüllung des Planes in der Landwirtschaft sind schlimm", erklärte Ulbricht im Politbüro am 6. Juni 1961, "vielleicht steht in der Presse etwas anderes, das ist möglich, aber die Ziffern, die ich habe, die sind echt."Zudem fiel die erneute Versorgungskrise in eine Zeit verstärkter außenpolitischer Spannungen, die durch Chruschtschows Berlin-Ultimatum ausgelöst worden waren. In einem Schreiben an die Westmächte vom 10. Oktober 1958 hatte Chruschtschow, um in seinem Sinne Bewegung in die festgefahrene "deutsche Frage" zu bringen, den Viermächtestatus Berlins in Frage gestellt und angekündigt, die Kontrolle über die Zufahrtswege nach Berlin an die DDR zu übertragen. Später drohte er mit Umwandlung West-Berlins in eine "selbständige politische Einheit", eine entmilitarisierte freie Stadt und mit dem Abschluß eines Friedensvertrages, den beide deutsche Staaten unterzeichnen sollten. Zwar wurde das Ultimatum vom November 1958 zum Rückzug westalliierter Truppen aus Berlin innerhalb von sechs Monaten zurückgenommen, aber die Drohung gegen Berlin blieb. Hektische diplomatische Verhandlungen charakterisierten die Jahre zwischen dem Berlin-Ultimatum von 1958 und dem Mauerbau 1961. Erst mit der Rede des seit Anfang 1961 amtierenden amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy vom 25. Juli, in der klare Aussagen über die amerikanische Berlin-Politik formuliert wurden, war diese Phase der außenpolitischen Unsicherheit halbwegs beendet.Die innere Situation der DDR verschärfte sich angesichts der doppelten Wirtschafts- und außenpolitischen Krise derart, daß der Zusammenbruch absehbar schien, wenn nicht einschneidende Maßnahmen erfolgten. Die Sowjetunion und ihre osteuropäischen Verbündeten wollten die Lösung, die die SED schon seit 1958 unter dem Stichwort "Operation Chinesische Mauer" ins Auge gefaßt hatte, zunächst vermeiden: die vollständige Abriegelung West-Berlins von der DDR. Anfang August erhielt Ulbricht auf einer Konferenz der Führer der kommunistischen Parteien in Moskau schließlich grünes Licht für den Mauerbau. Noch am 15. Juni 1961 hatte Ulbricht in einer Pressekonferenz vor westlichen Journalisten erklärt: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten."Es ist nicht ohne bittere Ironie, daß zu den außenpolitischen Voraussetzungen für den Mauerbau Kennedys Rede vom 25. Juli 1961 gehörte, in der der amerikanische Präsident drei Grundsätze formulierte, deren Verletzung zum militärischen Konflikt führen könne: Sicherung des Zugangs der Westalliierten und der Westdeutschen von der Bundesrepublik nach Berlin, Lebensfähigkeit der Stadt, Anwesenheit westlicher Truppen in Berlin. Da sich diese Forderungen de facto auf West-Berlin bezogen, auch wenn allgemein von Berlin die Rede war, bedeutete die Abriegelung des Westteils keine unmittelbare Verletzung der amerikanischen Interessen. Für die Öffentlichkeit jedoch war der 13. August ein tiefer Schock und eine gravierende Zäsur in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

In der Nacht vom 12. zum 13. August 1961 marschierten entlang der innerstädtischen Demarkationslinie Volkspolizei, Nationale Volksarmee und Betriebskampfgruppen auf und riegelten die Grenze zunächst durch Stacheldraht ab, der bald darauf durch eine Mauer aus Hohlblocksteinen und Betonpfählen ersetzt wurde. Eine lange vorbereitete, komplizierte Aktion wurde technisch präzise innerhalb weniger Tage realisiert. Die Tatsache, daß zunächst ein Stacheldrahtzaun gezogen wurde, läßt darauf schließen, daß sich die Initiatoren des Risikos durchaus bewußt waren. Die Reaktion des Westens auf die Verletzung des Viermächtestatus Gesamtberlins ließ sich noch nicht genau kalkulieren. Die westliche Antwort fiel jedoch überraschend zurückhaltend aus. Es dauerte zwei Tage, bis sich auf heftige Vorwürfe des Berliner Regierenden Bürgermeisters, Willy Brandt, die westlichen Stadtkommandanten überhaupt zu einem Protest bewegen ließen. Um so größer war die Erbitterung der Berlinerinnen und Berliner. Um die Erregung der Bevölkerung zu besänftigen und wenigstens eine symbolische Geste der Verteidigungsbereitschaft zu zeigen, kam am 17. August General Lucius D. Clay, der legendäre Vater der Luftbrücke von 1948, zusammen mit dem amerikanischen Vizepräsidenten Lyndon B. Johnson in die deutsche Hauptstadt und sicherte den Westberlinern die Unterstützung der USA zu. Eine geringfügige Verstärkung der amerikanischen Garnison in Berlin sollte diese politische Geste unterstreichen. Intern machte jedoch der amerikanische Präsident deutlich, daß es sich um eine grundlegende "sowjetische Entscheidung" handelte, "die nur ein Krieg rückgängig machen könnte". Die Mauer blieb und wurde ebenso wie die gesamte innerdeutsche Grenze durch Kontrollstreifen, Hundelaufanlagen und Selbstschußgeräte perfektioniert. Das letzte Schlupfloch war versperrt, Deutschland brutal und offenbar definitiv geteilt. Nach den Memoiren des westdeutschen Botschafters in Moskau, Hans Kroll, hat Chruschtschow dem Mauerbau zugestimmt, um den ökonomischen Zusammenbruch der DDR zu verhindern, auch wenn ihm bewußt war, daß die Mauer eine "häßliche Sache" sei, die eines Tages wieder verschwinden müsse, wenn die Gründe ihrer Errichtung entfielen. Sie entfielen bekanntlich nicht. Die Gründe lagen sowohl in dem enormen Wohlstandsgefälle zwischen Bundesrepublik und DDR als auch in der fehlenden politischen Legitimation des SED-Regimes und in der blinden Entschlossenheit, die forcierte sozialistische Umgestaltung des zweiten deutschen Staates fortzusetzen. Die Existenz der DDR war damit an die Mauer gebunden, die von der Sowjetunion und vom Warschauer Pakt politisch abgesegnet worden war. Erst als diese Rückendeckung 1989 überraschend entfiel, konnte auch die Mauer fallen. Insgesamt sind nach Ermittlungen der westdeutschen "Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter" von 1949 bis 1989 bei Fluchtversuchen aus der DDR 899 Menschen getötet worden. 255 starben an der Grenze um West-Berlin, 371 an der innerdeutschen Grenze und 189 in der Ostsee, die übrigen an den DDR-Grenzen zum Ausland. Aus der Rückschau lassen sich die Langzeitwirkungen des Mauerbaus deutlicher erkennen. Einerseits begann nun ein Stabilisierungs- und Modernisierungsprozeß. Im Inneren gab es auf der Basis der - im wörtlichen Sinne - Ausweglosigkeit neue Formen des Arrangements zwischen Regime und Bevölkerung. Andererseits bildete die vollständige Abgrenzung die Voraussetzung für die Weiterführung eines sozialistischen Experiments, das ohne tiefgreifende Reformen auf die Dauer nicht lebensfähig war. Die groteske offizielle Bezeichnung der Mauer als "antifaschistischer Schutzwall" hat dieses Problem propagandistisch zuzudecken versucht. In der DDR stellte sich nach anfänglicher großer Verbitterung ein allmählicher Prozeß der Gewöhnung an das Unvermeidliche ein. Ein verstärkter Rückzug ins Private war die Folge, den auch die SED in Grenzen akzeptierte. Die deprimierende Grunderfahrung des "Eingeschlossenseins" entwickelte aber auf lange Sicht auch bequeme Seiten. Der "vormundschaftliche Staat" (Rolf Henrich) setzte zwar enge Grenzen und reduzierte radikal die Bewegungsfreiheit, er schuf aber gleichzeitig unter der Bedingung politischer Anpassung ein Höchstmaß an sozialer Sicherheit.

Die Deutschlandpolitik umfasste jenen Bereich politischer Konzeptionen und Aktionen, der sich aus der Tatsache der deutschen Teilung und insbesondere der Existenz zweier deutscher Staaten zwischen 1949 und 1990 ergab. Die Deutschlandpolitik war dabei sowohl im programmatischen Anspruch ihrer Akteure als auch in der politischen Wirklichkeit zwischen Außen- und Innenpolitik angesiedelt. Auf der einen Seite war die Deutschlandpolitik stets in die Ost-West-Beziehungen und die Bündnispolitik der beiden Blöcke eingebettet, auf der anderen Seite stand sie in einem engen Bezug zur Innenpolitik des jeweiligen deutschen Staates und insbesondere deren Legitimationsbedürfnissen. Daher verknüpften sich in der Deutschlandpolitik eine Vielzahl von politischen, juristischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekten. Die eigentliche Ursache für die deutsche Teilung war die Welteroberungspolitik des Dritten Reiches, die eine sehr heterogene Allianz zwischen den westlichen Demokratien und der kommunistischen Sowjetunion hervorrief. Nach dem Sieg dieses Zweckbündnisses über das Großdeutsche Reich im Mai 1945 hielten die Alliierten zunächst offiziell an der politischen und wirtschaftlichen Einheit Ds fest. Doch die wachsenden Interessengegensätze zwischen den Siegermächten führten 1947/48 zum Kalten Krieg, der in D die Etablierung von gegensätzlichen wirtschaftlichen und politischen Systemen in den drei westlichen Besatzungszonen und der sowjetischen Besatzungszone zur Folge hatte. Die Konsequenz dieser Entwicklung war schließlich am 23.5.1949 die Konstituierung der BRD und am 7.10.1949 die Ausrufung der DDR. Deutschlandpolitik in den 50er Jahren bestand auf Seiten beider deutschen Staaten darin, sich jeweils als eigentlicher deutscher Kernstaat zu verstehen, den Legitimitätsanspruch des Kontrahenten zu bezweifeln und seine Stabilität zu untergraben. Die DDR stilisierte sich zum antifaschistischen Deutschland und prangerte faschistische Kontinuitäten in der BRD an. Die BRD sprach der DDR die demokratische Legitimität ab und beanspruchte für sich, für alle Deutschen zu sprechen. Die führenden Repräsentanten der DDR, W. Pieck und W. Ulbricht, bemühten sich im Rahmen gesamtdeutscher Kontaktversuche erfolglos um die Aufwertung und Anerkennung ihres Staates; die BRD beharrte auf ihrem Alleinvertretungsanspruch und setzte ihn auf internationaler Ebene mit der Hallstein-Doktrin durch. Bundeskanzler K. Adenauer strebte an erster Stelle die Wiedergewinnung der Souveränität und damit verbunden die Westintegration der BRD an, die Wiederherstellung der deutschen Einheit war diesen Zielen nachgeordnet (Außenpolitik). Die meisten Politiker und große Teile der Öffentlichkeit in Westdeutschland erwarteten die baldige Wiedervereinigung durch einen Kollaps der DDR und setzten auf die wirtschaftliche und soziale Anziehungskraft der BRD (Magnettheorie K. Schumachers) und eine Politik der Stärke (Adenauer). Diese Erwartungen waren, wie der Arbeiteraufstand vom 16./17.6.1953 und die ökonomische Krise der DDR zu Ende der 50er Jahre zeigten, nicht unbegründet.

Durch den Bau der Berliner Mauer und die Errichtung von kaum überwindbaren Grenzanlagen im August 1961 gelang es der Führung der DDR, ihr wirtschaftliches und politisches System zu stabilisieren. Gleichzeitig leiteten die beiden Weltmächte, auch im Gefolge der Berlin- und der Kuba-Krise, Bemühungen um eine Entspannung zwischen den Blöcken ein. Diese veränderten Rahmenbedingungen mussten sich auch auf die Deutschlandpolitik auswirken. Als erster bundesdeutscher Politiker propagierte E. Bahr im Juli 1963 einen "Wandel durch Annäherung". W. Brandt leitete zunächst als Regierender Bürgermeister von Berlin und dann seit 1966 als Bundesaußenminister in der Großen Koalition eine Politik der "kleinen Schritte" in der Deutschlandpolitik ein, durch welche die menschlichen Folgen der staatlichen Teilung Ds gemildert werden sollten. So wurde im Dezember 1963 ein Passierscheinabkommen ausgehandelt, das den Westberlinern erstmals seit dem Mauerbau wieder einen Besuch ihrer Verwandten und Freunde in Ost-Berlin ermöglichte. Die Bundesregierung der Großen Koalition bemühte sich in der zweiten Hälfte der 60er Jahre um Verständigung mit der Sowjetunion und den übrigen osteuropäischen Staaten. Der DDR verweigerte sie jedoch weiterhin die Anerkennung, erklärte sich aber zu informellen Kontakten bereit. So waren die 60er Jahre auch in der Deutschlandpolitik eine Zeit des Suchens nach neuen Lösungen. Die Übernahme der Bundesregierung durch eine SPD-FDP-Koalition im Oktober 1969 leitete eine Wende in der Deutschlandpolitik ein. Bundeskanzler Brandt erkannte in der Regierungserklärung erstmals die DDR an, auch wenn er an der Einheit der deutschen Nation festhielt: "Auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren, sind sie doch füreinander nicht Ausland". Die sozialliberale Bundesregierung ging von den realen Verhältnissen in D aus, um diese schrittweise zu verändern. Die DDR-Führung hingegen hielt zunächst an ihrer Maximalforderung einer völkerrechtlichen Anerkennung fest und ging erst auf Druck der Sowjetunion und nach Ablösung Ulbrichts durch E. Honecker auf Verhandlungs- und Kompromissbemühungen ein. Das Ergebnis war schließlich der Grundlagenvertrag vom 21.12.1972, der zum Fundament der Deutschlandpolitik in den 70er und 80er Jahren wurde. In diesem Vertrag erkannten sich die beiden deutschen Staaten staatsrechtlich an, hielten aber an einem Sonderstatus der innerdeutschen Beziehungen fest. Sie strebten weitere vertragliche Regelungen auf den Gebieten von Wirtschaft, Verkehr, Umwelt und Kultur an. Große praktische Bedeutung hatten vor allem die Vereinbarungen über den in den Jahren des Kalten Krieges immer wieder neuralgischen Transit zwischen Westdeutschland und Westberlin. Gleichzeitig stimmten die beiden deutschen Staaten in der Präambel des Grundlagenvertrages darin überein, dass sie in der Frage der Nation und der deutschen Staatsbürgerschaft (Staatsangehörigkeit) unterschiedlicher Auffassung waren. Nicht alle mit dem Abschluss des Grundlagenvertrages verbundenen Hoffnungen erfüllten sich. Die Enttarnung eines DDR-Spions im Kanzleramt führte 1974 nicht nur zum Rücktritt Brandts, sondern auch zu einem Klimasturz in den zwischen-deutschen Beziehungen. Während der BRD insbesondere an den im Grundlagenvertrag avisierten innerdeutschen Verbesserungen gelegen war, stellte die DDR vor allem die Aspekte ihrer internationalen Statusverbesserung heraus und schottete sich innenpolitisch durch eine rigorose Abgrenzungspolitik ab. So erweiterte die neue Deutschlandpolitik zwar den internationalen Handlungsspielraum beider deutschen Staaten, doch in zwischendeutscher Hinsicht war sie eher von begrenztem Erfolg. Obwohl die CDU/CSU zuvor die neue Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition bis vor das Bundesverfassungsgericht angefochten hatte, hielt sie nach ihrer Regierungsübernahme im Herbst 1982 an den Grundzügen dieser Politik fest. Zusammen mit der DDR- Führung unter E. Honecker bemühte sich die Bundesregierung unter H. Kohl Anfang der 80er Jahre um eine Begrenzung des Schadens, der durch die Nachrüstungskrise zwischen den Militärblöcken drohte. Als eine vertrauensbildende Maßnahme gewährte die Bundesregierung auf Anregung von F.J. Strauß im Juni 1983 der DDR eine Bürgschaft für einen Milliardenkredit. Im Rahmen der durch den Amtsantritt M. Gorbatschows 1985 verbesserten internationalen Großwetterlage konnte schließlich im September 1987 Honecker als Staatsratsvorsitzender der DDR erstmals die BRD besuchen. Bei seinem Empfang in der Bundeshauptstadt Bonn bemühte sich die Bundesregierung unter Kohl um Konzilianz in praktischen Fragen, hielt aber entschieden an dem Wiedervereinigungspostulat des Grundgesetzes fest. Insgesamt war die Deutschlandpolitik der Bundesregierung Kohl in den 80er Jahren durch Kontinuität auf der Ebene des Umgangs mit dem anderen deutschen Staat und stärkeres Beharren auf der "offenen deutschen Frage" charakterisiert. Nicht die deutschlandpolitischen Bemühungen und Deklamationen der wechselnden Bundesregierungen, sondern die internationalen Veränderungen im Sowjetblock sowie die inneren Krisen und Protestbewegungen in der DDR haben 1989/90 zum Zusammenbruch des zweiten deutschen Staates und damit zur deutschen Vereinigung geführt. Auch wenn die Deutschlandpolitik der BRD in den 40 Jahren der Teilung das Ziel der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Ds nicht erreichte, so trug sie doch dazu bei, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen in beiden deutschen Staaten nicht völlig verblasste. Nach der staatlichen Vereinigung Ds am 3.10.1990 ist die Deutschlandpolitik als Handlungsfeld zwischen zwei Staaten und ihren Regierungen hinfällig geworden. Das Zusammenwachsen der alten und neuen Bundesländer ist heute eine innenpolitische Aufgabe, die von den politisch Verantwortlichen angeleitet, aber letztlich von den Deutschen in Ost und West im Prozess der deutschen Vereinigung verwirklicht werden muss.

Fußnoten

  1.  ↑ Schöneburg, K.-H./Mand, R.: Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Band 1: 1945-1949, Berlin (Ost) 1966, S. 16
  2.  ↑  ↑ Olsen, G.: Germany after the Second World War, Boston 1991, S. 18
  3.  ↑ Danyel, J./Groehler, O./Kessler, M.: Antifaschismus und Verdrängung. Zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in der DDR, in: Kocka, J./Sobrow, M. (Hrsg.): Die DDR als Geschichte. Fragen-Hypotheken-Perspektiven, Berlin 1994, S. 148-152, S. 149
  4.  ↑ Ebd.
  5.  ↑  ↑ Von Siegler, H.: Archiv der Gegenwart, Jahrgänge 1945-1963, Bonn/Wien/Zürich 1963, hier 1945, S. 247
  6.  ↑ Eisenhower, D.: Kreuzzug in Europa, Amsterdam 1948, S. 503
  7.  ↑ Danyel, J./Groehler, O./Kessler, M.: Antifaschismus und Verdrängung. Zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in der DDR, in: Kocka, J./Sobrow, M. (Hrsg.): Die DDR als Geschichte. Fragen-Hypotheken-Perspektiven, Berlin 1994, S. 148-152, S. 149
  8.  ↑ Schöneburg, K.-H./Mand, R.: Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Band 1: 1945-1949, Berlin (Ost) 1966, S. 17
  9.  ↑ Die deutsch-polnische Grenze wurde zunächst von der BRD nicht anerkannt. Trotz des Warschauer Vertrages gab es in Polen immer wieder Zweifel, ob Deutschland nicht doch eines Tages gebietsrevisionistisch und revanchistisch argumentieren könnte. Als im Zuge der sich anbahnenden „Wiedervereinigung“ 1990 insbesondere in der Republik Polen die Sorge wuchs, das vereinte Deutschland könne eine Revision der deutschen Ostgrenzen fordern, verlangten die vier Siegermächte als Voraussetzung für ihre Zustimmung zur deutschen Einheit die endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als rechtmäßige Staatsgrenze zwischen Deutschland und Polen. Diese Anerkennung wurde im Zwei-plus-vier-Vertrag verankert und im deutsch-polnischen Grenzvertrag vom 14. November 1990 in einem völkerrechtlichen Vertrag bekräftigt. Durch diesen am 16. Januar 1992 in Kraft getretenen Vertrag gab die Bundesrepublik Deutschland alle Ansprüche auf die Ostgebiete des Deutschen Reiches auf, die östlich dieser Linie lagen und seitdem auch völkerrechtlich zu Polen gehören.
  10.  ↑ Von Siegler, Archiv der Gegenwart 1945, a.a.O., S. 379
  11.  ↑ Leonhard, W.: Die Revolution entlässt ihre Kinder, Köln/Berlin 1955, S. 11
  12.  ↑ Danyel, J./Groehler, O./Kessler, M.: Antifaschismus und Verdrängung. Zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in der DDR, in: Kocka, J./Sobrow, M. (Hrsg.): Die DDR als Geschichte. Fragen-Hypotheken-Perspektiven, Berlin 1994, S. 148-152, S. 148
  13.  ↑ Schöneberg, K.: Das Schicksalsjahr 1945, München 1999, S. 34
  14.  ↑  ↑ Ebd., S. 48f
  15.  ↑ Anfang 1943 war die militärische Lage zunehmend schlecht, in Nordafrika waren die Achsenmächte in die Defensive geraten und an der Ostfront war die 6. Armee in Stalingrad eingekesselt. Goebbels drängte auf eine Intensivierung der Kriegswirtschaft (des sogenannten totalen Krieges) und schlug Hitler in einer Denkschrift vor, „Faulenzer und Parasiten“ wie die „Töchter der Plutokraten“ zur Arbeit in der Kriegswirtschaft zu zwingen und die Zivilwirtschaft durch Stillegungsverfügungen zuvorderst für Luxusgaststätten, Modesalons und Läden zugunsten der Kriegswirtschaft zu verkleinern. Beeinflusst von der Dolchstoßlegende war Hitler jedoch der Ansicht, dass das deutsche Volk der Wehrmacht in den Rücken fallen könnte, wenn die Zivilgesellschaft in ihrem Konsum allzu sehr beschränkt würde. Goebbels spekulierte auch darauf als Manager des totalen Krieges zum zweiten Mann im NS-Staat aufzurücken. Er plante die Sportpalastrede zu dem Zweck auf Hitler Druck auszuüben. Indem er das Volk auf radikale Maßnahmen vorbereitet, glaubte er Hitler auf seine Linie festlegen zu können. Die Rede selbst war detailliert inszeniert, Goebbels hatte das Publikum auf treueste Parteianhänger hin handverlesen, Sprechchöre studierten Slogans ein, eine Hundertschaft wurde instruiert, wann und wie lange sie applaudieren sollten.
  16.  ↑ Ebd., S. 52
  17.  ↑ Ebd., S. 56
  18.  ↑ Ebd., S. 78
  19.  ↑ Zitiert aus Graml, H.: Die Allierten und die Teilung Deutschlands. Konflikte und Entscheidungen 1941-1948, Hamburg 1985, S. 100f
  20.  ↑  ↑ Schöneburg, K.-H./Mand, R.: Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Band 1: 1945-1949, Berlin (Ost) 1966, S. 102
  21.  ↑ Ebd., S. 105
  22.  ↑ Ebd., S. 108
  23.  ↑ Ebd., S. 115
  24.  ↑ Schöneburg, K.-H./Mand, R.: Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Band 1: 1945-1949, Berlin (Ost) 1966, S. 16
  25.  ↑
     ↑ Ebd., S. 18
  26.  ↑ Hohlfeld, J.(Hrsg.): Dokumente der deutschen Politik und Geschichte von 1948 bis zur Gegenwart, 8 Bände, Berlin 1951ff, S. 3
  27.  ↑ Ebd. S. 8f
  28.  ↑ Danyel, J./Groehler, O./Kessler, M.: Antifaschismus und Verdrängung. Zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in der DDR, in: Kocka, J./Sobrow, M. (Hrsg.): Die DDR als Geschichte. Fragen-Hypotheken-Perspektiven, Berlin 1994, S. 148-152, S. 148
  29.  ↑ Zitiert aus Müller, P.: Deutschland 1945-1949, Berlin 1997, S. 78f
  30.  ↑ Leonhard, W.: Die Revolution entlässt ihre Kinder, Köln/Berlin 1955, S. 29
  31.  ↑ Ebd., S. 87
  32.  ↑ Ebd., S. 88
  33.  ↑ Schöneburg, K.-H./Mand, R.: Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Band 1: 1945-1949, Berlin (Ost) 1966, S. 24
  34.  ↑ Zitiert aus Schubarth, W./Schmidt, T.: „Sieger der Geschichte“. Verordneter Antifaschismus und die Folgen, in: Heinemann, K.-H./Schubarth, W. (Hrsg.): Der antifaschistische Staat entlässt seine Kinder. Jugend und Rechtextremismus in Ostdeutschland, Köln 1992, S. 12-18, hier S. 13
  35.  ↑ Hohlfeld, Dokumente der deutschen Politik und Geschichte von 1948 bis zur Gegenwart, a.a.O., S. 26ff
  36.  ↑ Ebd., S. 31f
  37.  ↑ Ebd., S. 33
  38.  ↑ Schöneburg, K.-H./Mand, R.: Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Band 1: 1945-1949, Berlin (Ost) 1966, S. 109
  39.  ↑ Ebd., S. 33
  40.  ↑ Zitiert aus Moseley, I.: Die Friedenspläne der Allierten, New York 1997, S. 32
  41.  ↑ Bauerkämper, A. (Hrsg.): „Junkerland in Bauernhand“? Durchführung, Auswirkungen und Stellenwert der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone, Berlin 1996, S. 46
  42.  ↑ Danyel, J./Groehler, O./Kessler, M.: Antifaschismus und Verdrängung. Zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in der DDR, in: Kocka, J./Sobrow, M. (Hrsg.): Die DDR als Geschichte. Fragen-Hypotheken-Perspektiven, Berlin 1994, S. 148-152, S. 148
  43.  ↑ Leonhard, W.: Die Revolution entlässt ihre Kinder, Köln/Berlin 1955, S. 27
  44.  ↑ Müller, Deutschland 1945-1949, a.a.O., S. 59ff
  45.  ↑ Ebd., S. 75
  46.  ↑ Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (Hrsg.): Dokumente zur Berlinfrage,München 1959, S. 34
  47.  ↑ Ebd., S. 43
  48.  ↑ Müller, Deutschland 1945-1949, a.a.O., S. 122f
  49.  ↑ Schöneburg, K.-H./Mand, R.: Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Band 1: 1945-1949, Berlin (Ost) 1966, S. 36
  50.  ↑ Ebd., S. 40