e-Portfolio von Michael Lausberg
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Die Vorstellungen Platons von Krieg und Frieden

Inhaltsverzeichnis

1) Einleitung

2) Krieg und Frieden in den Werken Platons

2.1) Politeia

2.2) Nomoi

3) Fazit

4) Bibliographie

4.1) Quellen

4.2) Sekundärliteratur

1) Einleitung

„Was die meisten Menschen Frieden nennen, das ist nur eine Vorstellung; in der Wirklichkeit herrscht von Natur aus ständig unerklärter Krieg von allen Städten gegen alle anderen Städte“[1]

Die Vielseitigkeit seiner Begabungen und die Originalität seiner wegweisenden Leistungen als Denker und Schriftsteller machten Platon zu einer der bekanntesten und einflussreichsten Persönlichkeiten der Geistesgeschichte. In der Metaphysik und Erkenntnistheorie, in der Ethik, Anthropologie, Staatstheorie, Kosmologie, Kunsttheorie und Sprachphilosophie setzte er Maßstäbe auch für diejenigen, die ihm – wie sein Schüler Aristoteles – in zentralen Fragen widersprachen.

Im literarischen Dialog, der den Verlauf einer gemeinsamen Untersuchung nachvollziehen lässt, sah er die allein angemessene Form der schriftlichen Darbietung philosophischen Bemühens um Wahrheit. Aus dieser Überzeugung verhalf er der noch jungen Literaturgattung des Dialogs zum Durchbruch und schuf damit eine Alternative zur Lehrschrift und zur Rhetorik als bekannten Darstellungs- und Überzeugungsmitteln. Dabei bezog er dichterische und mythische Motive und Ausdrucksformen ein, um Gedankengänge auf spielerische, anschauliche Weise zu vermitteln. Zugleich wich er mit dieser Art der Darbietung seiner Auffassungen dogmatischen Festlegungen aus und ließ viele Fragen, die sich aus seinen Annahmen ergaben, offen bzw. überließ deren Klärung den Lesern, die er zu eigenen Anstrengungen anregen wollte.

Ein Kernthema ist für Platon die Frage, wie unzweifelhaft gesichertes Wissen erreichbar ist und wie man es von bloßen Meinungen unterscheiden kann. In den frühen Dialogen geht es ihm vor allem darum, herkömmliche und gängige Vorstellungen über das Erstrebenswerte und das richtige Handeln als unzulänglich oder unbrauchbar zu entlarven, um dem Leser den Schritt von vermeintlichem Wissen zu eingestandenem Nichtwissen zu ermöglichen. In den Schriften seiner mittleren Schaffensperiode versucht er mit seiner Ideenlehre eine zuverlässige Basis für echtes Wissen zu schaffen. Solches Wissen kann sich nach seiner Überzeugung nicht auf die stets wandelbaren Objekte der Sinneserfahrung beziehen, sondern nur auf unkörperliche, unveränderliche und ewige Gegebenheiten einer rein geistigen, der Sinneswahrnehmung unzugänglichen Welt, die „Ideen“, in denen er die Ur- und Vorbilder der Sinnendinge sieht. Der Seele, deren Unsterblichkeit er plausibel machen will, schreibt er Teilhabe an der Ideenwelt und damit einen Zugang zur dort existierenden absoluten Wahrheit zu. Wer sich durch philosophische Bemühungen dieser Wahrheit zuwendet und ein darauf ausgerichtetes Bildungsprogramm absolviert, kann seine wahre Bestimmung erkennen und damit Orientierung in zentralen Lebensfragen finden. Die Aufgabe des Staates sieht Platon darin, den Bürgern dafür optimale Voraussetzungen zu schaffen und Gerechtigkeit umzusetzen. Daher setzt er sich intensiv mit der Frage auseinander, wie die Verfassung eines Idealstaates diesem Ziel am besten dienen kann.

Die folgende Arbeit hat Platons Vorstellungen von Krieg und Frieden zum Gegenstand.

Die Hauptquellen für die hier zu behandelnde Fragestellung sind Platons Werke Politeia und Nomoi, da in ihnen die wichtigsten Aussagen über Krieg und Frieden getroffen wurden.

In der Schlussbemerkung wird eine abschließende Zusammenfassung und Bewertung der Untersuchungsergebnisse durchgeführt.

Dies soll unter der Prämisse erfolgen, dass Platon die Existenz von Krieg als ein unabänderliches Faktum ansieht.[2] Die Aussagen, die in der griechischen Literatur und Philosophie vor Platon über Krieg und Frieden getroffen wurden, stimmten darin überein, dass Krieg ein natürlicher Zustand der menschlichen Gesellschaft sei.[3]

Schon bei Homer bilden Streit, Krieg und Schlachtengetümmel eine feste Einheit (Ilias 1, 127). Agamemnon warf Achill vor: „Immer hast du den Streit geliebt, Krieg und Schlachtengetümmel“ (Ilias 5,732). Kampfesmut als zentrales Thema gegen die Todesfurcht erläutert C.W. Müller: Der schöne Tod des Polisbürgers, Gymnasium 96, 1989, S. 314-341. Von einem differenzierten Bild, das Homer in der Ilias vom Krieg entwirft, spricht Bernd Effe: Der homerische Achilleus. Zur gesellschaftlichen Funktion eines literarischen Helden, Gymnasium 95, 1988, S. 1-9; vgl. dazu auch den Aufsatz von J. Latocz: Das Menschenbild Homers, Gymnasium 91, 1984, S. 12-19, hier S. 15ff. Die Notwendigkeit einer Differenzierung betont auch W. Nicolai: Rezeptionssteuerung in der Ilias, Philologus 127, 1983, S. 1-11.

In der Erga (262-212) wendet sich Hesiod mit einer Fabel an seine Zuhörer. Eine Nachtigall, in den Fängen eines Habichts, beklagt ihr bitteres Los. Der Habicht hält jedoch dagegen, dass es aus ihrer Sicht nicht zu beklagen gibt. Der Habicht ist der Stärkere, der die schwächere Nachtigall gefangen hält. Hilflos ist sie dem Raubvogel ausgeliefert. „Gehen musst du, wohin ich will, trotz deinem Gesang. Ich fresse dich, wann es mir passt, oder ich lasse dich entweichen. Für den Schwächeren ist es sinnlos, gegen einen Stärkeren zu kämpfen. Außer der Niederlage erleidet er nur noch Schande.“ Mit dieser Feststellung des Habichts endet die Fabel. Hesiod will seinen Zuhörern noch einmal verdeutlichen, was er ein paar Strophen vorher den Herrschern vorgehalten hat: das Faustrecht, das für Hesiod weitgehend die außerstaatlichen Beziehungen bestimmt (Erga 189ff). Heraklit stellt Ende des 6. Jahrhunderts fest: Der Krieg (polemos) ist der Vater aller Dinge (…) der Krieg macht die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien (B 52). Ferner behauptet Heraklit, dass der Krieg Feindliches zusammenführt, dass der Krieg Recht (dive) und Streit (eris) ist und dass alles notwendig durch Streit entsteht (B 80). Nur in einem einzigen Fragment (B 67) erwähnt Heraklit auch Frieden: „Gott ist Tag, Nacht, Winter, Sommer, Krieg, Frieden, Sattheit, Hunger. Er (der Gott) wandelt sich (wie Öl und Feuer?), mischt sich dies (Öl oder Feuer?) mit Duftstoffen, so heißt es nach dem jeweiligen Geruch.“ Durch die Worte des persischen Feldherrn Mardonios bringt Herodot seine Kritik über die vielen kriegerischen Konflikte unter den Griechen zum Ausdruck. Sie wären seiner Meinung nach auch durch Verhandlungen und Gesandtenaustausch beizulegen gewesen, würden die Griechen doch schließlich eine gemeinsame Sprache sprechen (Herodot 7,9, 2 ß). Zur Diskussion über Krieg und Frieden in den Werken von Aristophanes und Euripides siehe Ehrenberg, V.: Aristophanes und das Volk von Athen, Zürich/Stuttgart 1968, S. 299ff und de Romilly, J.: La modernité d’Euripide, Paris 1986, S. 201ff.. Aristophanes geht es um die Beendigung dieses konkreten Krieges von Griechen gegen Griechen, nicht aber um ein Plädoyer für die Abschaffung des Krieges generell. Euripides setzt der Kriegsbegeisterung der Zeitgenossen während des Peloponnesischen Krieges ein Menetekel entgegen, ohne sich der Illusion hinzugeben, der Krieg könne grundsätzlich aus dem menschlichen Bereich eliminiert werden. Der Krieg wurde auch zu Platons Zeit als naturgegebenes Element menschlicher Wirklichkeit angesehen.[4] Frieden war ein Segen für den Bürger eines Staates, der es möglich machte, ein gutes und sittsames Leben zu führen.[5]

2) Krieg und Frieden in den Werken Platons

2.1) Politeia

Unter dem Gesichtspunkt der Gesprächsführung zerfällt das Werk in zwei verschiedenartige Teile: das anfängliche Streitgespräch über die Gerechtigkeit und den Hauptteil, in dem das Modell des Idealstaats dargelegt wird und bestehende Verfassungsformen analysiert werden. Inhaltlich ist die Klammer, die das Ganze zusammenhält, die Untersuchung der Frage, worin die Gerechtigkeit besteht und was sie erstrebenswert macht. Ein Leitmotiv ist die Parallelität zwischen der Gerechtigkeit im Staat und der Gerechtigkeit innerhalb der Seele.

Der Dialog wird mit einer Rahmenhandlung eingeleitet: Sokrates tritt als Erzähler auf, er berichtet einem nicht genannten Zuhörer von den Umständen und dem Verlauf des Gesprächs, das am Vortag stattgefunden hat. Mit Glaukon ist er von Athen zum Piräus hinabgestiegen, um an den neu eingeführten Bendideia, dem Fest der thrakischen Jagdgöttin Bendis teilzunehmen. Danach machten sich die beiden Männer auf den Heimweg, kamen aber nicht weit. Noch im Gebiet des Piräus stießen sie auf eine Gruppe von Festteilnehmern, die sie mit sanfter Gewalt zum Bleiben nötigte. Gemeinsam begab man sich dann ins Haus des Polemarchos, wo sich weitere Bekannte des Sokrates versammelt hatten. In dieser Runde spielte sich das Gespräch ab, dessen Verlauf Sokrates im Folgenden aus dem Gedächtnis wiedergibt.

Platons Aussagen über Krieg und Frieden in der Politeia beginnen im ersten Buch damit, dass der Gerechte seine Leistungen durch die Kriegsführung erbringt.[6] Dieser erste Versuch, den Nutzbereich des Gerechten zu bestimmen, erweist sich als zu eng,[7] denn anschließend hat Polemarchos die Schwierigkeit, den Nutzen der Gerechtigkeit im Frieden zu bestimmen.[8]

Folgt man Schubert, so scheint es in Unternehmungen die spezifische Gerechtigkeit zu sein, die den größstmöglichen Nutzen sichert.[9] In demselben Buch berichtet Platon, dass Sokrates die Zustimmung des Trasymachos zu der Behauptung erwirkt, dass vollendete Ungerechtigkeit in einem Heer es diesem unmöglich mache, einen Erfolg zu erzielen.[10] Die Ungerechtigkeit nimmt dem Heer infolge des inneren Zwistes die Fähigkeit zu folgerichtigem Handeln.[11] Platon bemerkt, dass aus Angst vor Armut oder Krieg die Menschen nicht über ihr Vermögen hinaus Kinder zeugen werden.[12]

Nun folgt Sokrates dem Wunsch des Glaukon nach einer Luxurierung des „Schweinestaates“.[13] Der neue Staat bedarf Güter über das Notwendige hinaus; dies führt schließlich zu dem Bedürfnis nach Landgewinn, dem nur durch Krieg Genüge getan werden kann.[14] Guthrie betont, dass dieser Staat mit seiner wachsenden Bevölkerung und Forderungen sein eigenes Gebiet unzureichend finden muss.[15] Man muss annehmen, dass es Nachbarn gibt, die ähnlich denken. Guthrie sieht die These Platons als zutreffend an, dass Expansion Krieg bedeutet. Dies betonen auch Cross und Woozley[16], indem sie Krieg als unausweichliche Konsequenz des Wachstums der Stadt anerkennen. Dieser Einschätzung folgt auch Craig:[17] „Der Philosoph stimmt überein, die Stadt zu erweitern und prächtig gedeihen zu lassen; obwohl ihr Tun eine unbeschreitbare Konsequenz hat: sie muß sich nun auf Krieg vorbereiten.“ Guthrie interpretiert Platon in dem Sinne, dass der Kriegsgrund der Wunsch nach uneingeschränktem materiellem Besitz sei, dasselbe wäre der Grund für das Böse in den Städten.[18] Platon stellt im Dialog „Phaidros“ fest:[19] „Kriege, Zwiste, Kämpfe schafft uns nur der Leib mit seinen Trieben, denn um den Besitz von Geld und Gut entstehen die Kriege alle, zum Gelderwerb aber werden sie nur gezwungen durch den Leib, als seine Sklaven.“ Hier in der Politeia ist jedoch der Krieg eine wichtige Kraft im Dienste der Erziehung des Wächterstandes und wird daher teilweise positiv gewertet.

Das gute Leben, das hauptsächlich auf die aus Bedürfnisbefriedigung entspringende Lust ausgerichtet ist, beschreibt Platon folgendermaßen:[20] „(…) nach Art des Viehes immer auf den Boden stehend und zur Erde und den Tischen gebückt, nähren sie sich und bespringen einander auf der Weide; und wenn sie aus habsüchtiger Begierde nach diesen Dingen ausschlagen und stoßen, so töten sie auch untereinander mit eisernen Hörnern und Hufen aus Unersättlichkeit“.

Höffe ist der Meinung, dass die Konflikte bei Platon nicht aus der Innen-, sondern aus der Außenperspektive der Polis entstehen.[21] Nach dem generellen Prinzip der Arbeitsteilung machen die Kultur- und Luxusbedürfnisse entsprechende Kultur- und Luxusberufe notwendig. Der Luxus selbst ist aber noch nicht für die Konflikte verantwortlich, sondern erst eine Nebenfolge, die Zunahme der Einwohnerschaft, deretwegen das Agrarland zu knapp wird und ein Krieg gegen den Nachbarn droht. Höffe sieht die These Platons als zutreffend an, dass die Begehrlichkeit zu mehr Ansprüchen führe.[22] Entgegen der platonischen Vorstellung nimmt Höffe an, dass die gestiegenen Ansprüche sich nicht nur durch Übergriffe auf fremden Besitz erfüllen lassen. Er betont, dass die moderne Überflussgesellschaft nicht der Zufriedenheit der Wirtschaftssubjekte zu verdanken sei, sondern deren Unzufriedenheit, verbunden mit einer explosiven Steigerung der ökonomischen Produktivität. Diese Einschätzung ist abzulehnen, da es sehr zweifelhaft ist, ob es diese Möglichkeit schon in der Antike gab. Da das Bedürfnis nach Landgewinn Krieg auslöst, wird es also auch einen Stand geben müssen, dem allein die Aufgabe der Kriegsführung und der Verteidigung übertragen wird.

Folgt man Guthrie, so sollte eine stehende Armee gebildet werden. Er ist der Ansicht, dass „eine effektive Verteidigung mehr als alles andere nach kontinuierlicher Aufmerksamkeit und Übung ruft.“[23] In dieser Beziehung pflichtet Höffe Guthrie bei, indem er feststellt:[24] „Ob offensiv zum Erwerb fremden oder defensiv zur Verteidigung des eigenen Landes – in beiden Fällen braucht es eine neuartige, bei Platon den anderen nicht mehr neben-, sondern übergeordnete Berufsgruppe.“

Eine solche Forderung nach einer Berufsgruppe ist revolutionär für das demokratische Athen des 5. vorchristlichen Jahrhunderts, wo man sich für eine ausschließlich aus Bürgern zusammengesetzte Armee entscheidet.[25] Vernant bemerkt dazu:[26] „Es gibt weder eine Berufsarmee noch fremde Söldner, noch gibt es Klassen von Bürgern, die besonders für den Waffendienst bestimmt sind: die militärische Organisation ergibt sich bruchlos als eine Fortsetzung der zivilen Organisation.“

Platon benennt die Eignung für die Aufgaben der Wächter; sie sollen gegenüber Vertrauten milde sein, gegen Unbekannte scharf.[27] Die Wächter sollten weiterhin philosophisch-wissensliebend, schnell und kräftig sein. Es kristallisiert sich heraus, dass es einen Konflikt zwischen den Neigungen der Wächter – Schärfe gegenüber Fremden, Milde gegenüber Freunden – existiert. Die Harmonie dieser beiden Neigungen ist für Platon eines der Hauptprobleme, was sein Erziehungskonzept betrifft.

Aristoteles wiest Platons Beschreibung der Natur der Wächter zurück:[28] „Es ist unzutreffend zu sagen, daß man gegen Unbekannte aggressiv sein soll, denn niemandem gegenüber darf man eine solche Haltung einnehmen.“

Canto-Speber und Brisson weisen darauf hin, dass die Erziehung, die die Wächter erhalten, derjenigen ähnlich ist, die die traditionelle Paideia in Athen ausmachte.[29]

Platon bestimmt, dass die Wächter gottähnlich werden sollten, soweit dies einem Menschen möglich sei. Sie sollten nicht klagen und jammern, sondern lernen, ein Unglück gelassen zu ertragen.[30] Weiterhin betont er, dass die Wächter nicht lachlustig sein sollte, wobei Heiterkeit und Scherz im richtigen Maße nicht verboten sein sollte. Die Wächter sollten keine anderen Berufe ausüben; sie dürfen nichts anderes tun oder nachahmen. Als Vorbild sollten vernünftige, ehrfuchtsvolle, freie Männer ihres Berufsstandes dienen.

Die Wächter sollten schon in ihrer Kindheit gymnastische Übungen, die Platon für unabdingbar hält, lernen.[31] In diesem Zusammenhang handeln die meisten Vorschriften Platons nicht von körperlichen Übungen, sondern von der Ernährung. Trunkenheit ist zu meiden, geröstetes Fleisch ohne jedes Gewürz zu empfehlen, Süßigkeiten sind untersagt.[32]

Dann stellt sich Platon die Frage, wie die Wahl der besten Wächter aussehen soll. Er schreibt den besten Wächtern Einsicht, Fähigkeit und Verantwortungsgefühl für den Staat zu.

Platon legt fest, dass die Philosophen aus den Reihen der besten Krieger ausgewählt werden. Die Prüfungen, die dazu bestimmt sind, diese Auswahl zu treffen, durchlaufen die Kindheit, die Jugend und das Erwachsenenalter. Bei den Prüfungen sollten die Teilnehmer drei Eigenschaften beweisen: Die Krieger müssen imstande sein, sich nicht nur am Wissen auszurichten, sondern auch Mäßigung zu üben und Mut zu zeigen, der in Verbindung mit der Mäßigung an den Tag gelegt werden sollte. Platon regte an, dass diejenigen, die zu den besten Wächtern des Staates bestimmt werden, zu Lebzeiten und nach ihrem Tod geehrt werden sollten.[33]

Weiterhin stellt Platon die Forderung auf, dass der Stand der Wächter kein Privateigentum besitzen darf.[34] Wenn den Wächter Privatbesitz gestattet wäre, würden sie ihren Pflichten nicht mehr nachkommen und damit wäre die Sicherheit des Staates gefährdet. Ihren Lebensunterhalt bekommen die Wächter von den Bürgern der Stadt.[35]

Am Anfang des vierten Buches macht Adeimantos Platon den Vorwurf, dass den Wächtern kein Glück in Form eines materiellen Vorteils zukommt.[36] Aristoteles nimmt in seiner Schrift „Politik“ den Vorwurf des Adeimantos auf:[37] „Während er den Wächtern die Glücksseligkeit entzieht, bezeichnet er es doch als Aufgabe des Gesetzgebers, den ganzen Staat glücklich zu machen. Der Staat im Ganzen kann jedoch unmöglich glücklich sein, ohne daß, wo nicht alle, so doch die meisten, oder wenigstens einige Teile sich im Besitz der Glückseligkeit befinden. (…) Wenn nun aber die Wächter nicht glücklich sind, wer dann sonst? Doch wohl nicht die Handwerker und der große Haufen der niederen Arbeiter.“

Höffe ist zuzustimmen, wenn er konstatiert:[38] „Platon lehnt das Glück gar nicht ab, er sieht es nur nicht in den abgelehnten Glücksgütern der Masse. Das Glück erfüllt sich teils darin, daß der Mensch vor allem den anderen dient und damit der Gesamtheit, teils – für den Philosophen – im Verzicht auf die irdischen Güter und Genüsse im Hinblick auf die Einigkeit des jenseitigen Glücks, wie es zuletzt der Mythos verkündet.“

Platon versucht aus dem mangelnden Interesse der Wächter am Reichtum einen Vorteil in der Außen- und Militärpolitik zu machen. Er denkt nicht, dass die Stadt sich immer oder zwangsläufig selbst erfolgreich verteidigen kann, aber das Training der Wächter könnte ein entscheidender Vorteil sein. Im weiteren Verlauf des vierten Buches betont Platon, dass der Krieg durch die Krieger allein entschieden wird, nicht durch die anderen Bewohner des Staates.[39]

Im fünften Buch macht Platon Ausführungen über die der Art nach bestehende Gleichheit der natürlichen Fähigkeiten von Mann und Frau, aus denen die Notwendigkeit zur Übernahme gleicher Pflichten und gleicher Ausbildung erwachsen. Allerdings spricht Platon davon, dass den Frauen leichtere Aufgaben als den Männern wegen der Schwäche ihres Geschlechts zugewiesen werden sollen.[40]

Den jungen Männern, die sich in Krieg und Frieden durch herausragende Leistungen auszeichnen, soll Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr mit Frauen gegeben werden, damit möglichst viele Kinder gezeugt werden, die die Tüchtigkeit ihrer Väter besitzen könnten.[41]

Platon verlangt, dass Männer und Frauen gemeinsam mit ihren Kindern in den Krieg ziehen.[42] Indem das Kind des Kriegers den Krieg miterlebt, soll es schon in frühester Jugend für seinen späteren Beruf ausgebildet werden. Außerdem sollte das Kind Vater und Mutter im Krieg dienen. Tyrtaios lieferte Platon für diese Einschätzung die geistigen Voraussetzungen:[43]

„Wacker nicht wird ja ein Mann,

tüchtig im Werke des Kriegs,

bringt er es nicht übers Herz,

den blutigen Mord vor den Augen,

nahe dem Feind zu stehen,

Kampf nur ersehend im Herz.“

Es wird klar, dass die Erziehung durch den Krieg zu einer Art „männlichem Ethos“ die vorher geschilderte Erziehung des musischen und gymnastischen Zweiges ergänzt. Platon leugnet nicht die Wichtigkeit, die die Wächter aus der Erfahrung erwerben, obwohl er in einer späteren Stelle[44] den privilegierten Status von Informationen hervorhebt, die nicht durch Erfahrung zu erwerben sind, sondern durch den Gebrauch einer unabhängigen rationalen Begabung.

Platon macht die Einschränkung, dass die Kinder lediglich an ungefährlichen Feldzügen unter der Führung von Älteren teilnehmen sollen. Vorher sollten sie die Reitkunst erlernen, um im Notfall mit ihren Betreuern vor dem Feind fliehen zu können.[45]

Nun folgt die Darstellung Platons, wie das Verhalten der Krieger untereinander aussehen soll. Er setzt als Strafe für Feigheit die Versetzung zu den Bauern und Handwerkern fest, das Freikaufen von Kriegsgefangenen ist verboten.[46]

Mit diesen beiden Feststellungen streicht Platon klar heraus, dass Unvollkommenheiten in seinem System der Ausbildung der Wächter existieren. Darauf wird deutlich, dass es keine komplett ideale Stadt mit einer komplett idealen Bevölkerung geben kann.

Diejenigen, die sich im Krieg ausgezeichnet haben, sollen laut Platon von den mitziehenden Kindern bekränzt werden und einen Händedruck erhalten. Sie dürfen jeden küssen und geküsst werden, damit sie sich in Zukunft noch mehr um Auszeichnungen bemühen.[47] Dies wird auch im „Symposion“ ausgedrückt, wo Phaidros sagt:[48] „Wenn es sich also einrichten ließe, daß ein Staat oder ein Heer nur aus Liebhabern und Geliebten bestünde, so würden sie auf das Allerbeste in ihrer Stadt hausen, indem sie sich alles Schmählichen enthalten und miteinander wetteiferten; und wenn solche dann Seite an Seite kämpften, so würden die geradezu die ganze Welt besiegen.“

Dann wird von Platon die Frage aufgegriffen, wie sich die Krieger dem Feind gegenüber verhalten sollen.[49] Er betont, dass griechische Staaten selbst keine griechischen Sklaven besitzen dürfen und andere Staaten zu derselben Handlung raten sollen, um sich gegen die „Barbaren“ zu wenden und voneinander abzulassen.[50]

Platon war nicht der erste, der auf ein „menschliches“ Kriegsrecht, wenigstens unter den griechischen Staaten, besteht. Im Peloponnesischen Krieg kam es zwar noch oft vor, dass die Bewohner eroberter griechischer Städte versklavt wurden, aber es setzte sich immer mehr die Auffassung durch, Kriegsgefangene vor der Sklaverei zu verschonen.[51]

Obwohl er seine Beunruhigung zeigt, dass Griechen Griechen als Sklaven halten, sieht er die Institution selbst als gegeben, zwar änderungsbedürftig, aber nicht als eliminierbar an. Darin ist Platon durchaus ein Mensch der Antike, denn niemals wird im Altertum die grundsätzliche Forderung erhoben, die Sklaverei müsse als Institution verschwinden.[52]

Platon sieht es als unwürdig an, die Toten nach einem Sieg auszurauben, lediglich die Waffen dürften mitgenommen werden. Die Plünderung griechischen Landes und die Verbrennung von Häusern sind verboten, das Aneignen der Jahresernte ist gestattet.[53]

Platon vermeidet hierbei eine offensichtliche Gelegenheit, um eine Vorstellung von Gerechtigkeit und anderer Tugenden auszuführen, die sich über die Grenzen einer einzigen Stadt ausdehnen könnten.

So wird der Krieg zwischen griechischen Städten als „Bürgerkrieg“ beschrieben, wie die Zwietracht innerhalb einer Stadt beschrieben wird. Griechen werden als „verwandt“ und „befreundet“ dargestellt, wie die Mitbürger in Platons Stadt. White vertritt die These, dass die Art von Verwandtschaft zwischen Griechen vergleichbar ist mit der Verwandtschaft, die unter den Bürgern einer vereinigten Stadt herrscht, obwohl im letzteren Fall die Einigkeit und Verwandtschaft stärker ist.[54]

Platon reserviert den Ausdruck „Krieg“ für die Kämpfe mit denen, die „fremd“ und „ausländisch“ sind.[55] Er nennt sie „Barbaren“; sie sind die „natürlichen Feinde der Griechen“.[56] Eine Passage im „Menexenos“ zeigt den Unterschied zwischen innergriechischen Auseinandersetzungen und dem Konflikt mit „Barbaren“, wo ein Lobredner die Athener preist:[57] „(…) haben die Unsrigen, nachdem sie die Feinde in einer Seeschlacht besiegt haben und ihre lakedaimonischen Führer bei Spahgia gefangengenommen haben, obgleich sie sie hatten verderben mögen, indem sie glaubten, daß man gegen Stammesgenossen nur bis zum Sieg Krieg führen und nicht um der besonderen Erbitterung einer Stadt willen das Gemeinwohl der Hellenen zugrunderichten dürfe, gegen die Barbaren aber bis zur Vernichtung gehen müsse.“

Platon hebt hervor, dass die Bürger seines Staates sich so gegenüber den „Barbaren“ zu verhalten haben, wie es die Griechen jetzt praktizieren. Seine Staatsbürger werden bei innergriechischen Auseinandersetzungen immer an Versöhnung denken und den Konflikt nur so lange austragen, bis die Schuldigen des Konfliktes bestraft sind.[58] Der Gedanke, im Feind schon den Partner der kommenden Versöhnung zu sehen, dürfte einer alten Weisheit angehören. Einer der Sieben Weisen, Bias von Breine, bemerkte:[59] „Man muß lieben, als ob sie uns hassen werden, und hassen, als ob die uns lieben werden.“

Wenn die Wächter Experten im Krieg sein wollen, müssen sie zunächst Spezialgebiete erlernen, wo sie sowohl praktische als auch gedankliche Anforderungen haben, um die „intelligible Welt von a priori nötigen Wahrheiten zu untersuchen; Wahrheiten, die unabhängig von Sinnerfahrungen sind und kein Experiment widerlegen kann.“[60]

Platon sieht die Mathematik als notwendige Kenntnis für einen Krieger an.[61] Geometrie hat beim Aufschlagen des Lagers, bei der Besetzung von Plätzen, beim Sammeln des Heeres sowie bei den Heeresbewegungen in Kampf und Marsch Nutzen für den Krieg. Außerdem verspricht die bessere Kenntnis der Monats- und Jahreszeiten Vorteile für die Kriegsführung.

Im achten Buch behauptet Platon, dass die Timokratie die meiste Zeit über Krieg führen würde.[62] Die Oligarchie kann seiner Meinung nach keinen Krieg führen, weil sie dabei die breite Masse als Waffenträger einsetzen muss und diese letztlich mehr fürchtet als ihre Feinde.[63] Ohne die breite Masse würde die Oligarchie einen Krieg verlieren. Die Oligarchen betreiben mehrere Geschäfte gleichzeitig: Ackerbau, Gelderwerb und Kriegsführung, was für Platon zum Untergang des Staates führt. Gegenüber Platon vertritt Frede die These, dass die oben beschriebenen Folgen, die Platon schildert, jedoch kaum den tatsächlichen Verhältnissen und Erfahrungen von oligarchischen Staatswesen im 5. vorchristlichen Jahrhundert entsprechen dürften. Frede behauptet, dass die Oligarchie kein Staat wäre, in dem „eine Klasse von inkompetenten, körperlich schwächeren Geizkragen nur mühsam eine Herrschaft über körperlich kräftigere Arme aufrechterhält.“[64] Entgegen der platonischen Vorstellung nimmt Frede an, dass die Oligarchen Athens hochkultivierte Leute sind, die durch ihren glanzvollen Lebensstil auffallen und sich am öffentlichen Leben beteiligen.[65]

Platon vertritt die Meinung, dass in der Demokratie kein Zwang herrscht; daher existiere „auch kein Zwang zum Gehorsam, wenn du nicht willst; man zwingt dich nicht zum Krieg während eines Krieges oder zum Frieden während des Friedens, wenn du nicht Frieden halten willst.“[66] Zweifel an dieser Darstellung werden von Frede angemeldet:[67] „Warum soll es in Athen möglich gewesen sein, weder an der Herrschaft teilzunehmen, noch sich beherrschen zu lassen, wenn man nicht wollte, oder auch Krieg oder am Frieden nicht teilzunehmen, wenn die anderen es taten. (557 e ff)? In Wirklichkeit konnte sich niemand dem obligatorischen Wehrdienst entziehen.“

Dieser Einschätzung folgt auch Popper, der die Schilderung Platons als eine „lebendige, aber bis zur Leidenschaft feindselige und ungerechte Parodie des politischen Lebens in Athen“ bezeichnet.[68] Hiermit lässt sich festhalten, dass Platons Charakterisierung des Lebens in der Demokratie als nicht realistisch eingestuft werden muss.

Als letztes Stadium geht aus der Demokratie die Tyrannenherrschaft hervor. Das Hauptmerkmal der demokratischen Gesinnung, der unbeschränkte Freiheitswille, wird den Demokraten letztlich zum Verhängnis, da sich die Freiheit zur Anarchie steigert. Der demokratische Bürger ist nicht gewillt, eine Autorität über sich anzuerkennen. Die Regierenden schmeicheln dem Volk. Niemand ist bereit sich unterzuordnen. Ausländer sind den Stadtbürgern gleichberechtigt, Kinder gehorchen nicht, sie respektieren weder Eltern noch Lehrer, und sogar Pferde und Esel schreiten frei und stolz einher und erwarten, dass man ihnen aus dem Weg geht.

Dieser Zustand der höchsten Freiheit schlägt schließlich in die härteste Knechtschaft um. Den Ausgangspunkt der Wende bildet der Gegensatz zwischen Armen und Reichen, der weiterhin besteht, aber nun nicht mehr wie in der Oligarchie von der herrschenden Doktrin legitimiert wird. Die Vermögensunterschiede stehen im Gegensatz zum demokratischen Gleichheitsdenken. Die Masse der relativ Armen ist sich ihrer Macht im demokratischen Staat bewusst. Gern folgt sie einem Agitator, der eine Umverteilung des Reichtums fordert, die Reichen einer oligarchischen Gesinnung beschuldigt und entschlossene Anhänger um sich schart. Dadurch sehen sich die Besitzenden bedroht, sie beginnen tatsächlich oligarchische Neigungen zu entwickeln und trachten dem Agitator nach dem Leben. Dieser lässt sich nun zu seinem Schutz vom Volk eine Leibwache bewilligen, womit er sich eine Machtbasis verschafft. Die Reichen fliehen oder werden umgebracht. Der Weg zur Alleinherrschaft des Agitators, der nun zum Tyrannen wird, ist frei.

Der Tyrann macht große Versprechungen, teilt das Land unter das Volk und seinen Anhängern, erlässt Schuldentilgungen; dabei leugnet er, ein Tyrann zu sein. Obwohl er sich mit seinen Feinden im Ausland versöhnt oder sie vernichtend schlägt, beginnt er immer neue Kriege, damit er als Feldherr des Volkes auftreten kann. Diese Kriege und die sich daraus ergebenden Kriegssteuern lenken das Volk von Umsturzgedanken ab. Prätendanten und „Leute, die er wegen ihrer freien Gesinnung im Verdacht hat, daß sie seiner Herrschaft entgegentreten würden“, werden aus dem Weg geschafft, was zu neuen Kriegsunruhen führt.[69] Propagandisten stehen in Ehren; so wird der Staat der „wunderlichsten Reinigung“ unterzogen, die dem Tyrannen die verächtlichste Gesellschaft übrig lässt. Platon denkt hier immer wieder an seine Erlebnisse in Syrakus und nimmt darin das Schicksal seines Schülers und Freundes Dion voraus, der von dem jüngeren Dionysios verbannt wurde.[70]

Da der Tyrann bei den Bürgern verhasst ist, muss er seine Privatarmee mit Söldnern und freigelassenen Sklaven vergrößern. Platons aufgezählte Kennzeichen der Tyrannis haben auch nach seinem Tode ihre Bedeutungskraft nicht verloren, da Aristoteles sie in der „Politik“ ebenso verwendet.[71]

Frege sieht die Ansichten Platons über die Tyrannis als unrealistisch an.[72] So fragt sich auch Annas, wie sich der Tyrann länger als eine Woche in der Polis an der Macht hätte halten können, „der nicht nur alle anderen versklavt, sondern schließlich selbst zum Sklaven seiner niederen Lüste wird und sich freudlos und friedlos in ständiger Furcht vor Attentaten versteckt.“[73] Frege vertritt die These, dass Platons Vorstellung der Tyrannis eher an den römischen Kaiser Caligula oder Nero als an sein angebliche Vorbild Dionysios I. erinnert[74]. Somit bleibt festzuhalten, dass die Forschung in dieser Frage zu einem einheitlichen Ergebnis gekommen ist, nämlich der Wirklichkeitsferne der Diagnose Platons über die Tyrannis und den Tyrannen.

Schon in der Antike galt die Politeia als eines der wichtigsten Werke Platons. Sein Schüler Aristoteles betrachtete das Staatsmodell nicht als Gedankenexperiment, sondern kritisierte es als ernst gemeintes politisches Projekt.[75] Die tiefe Meinungsverschiedenheit der beiden Philosophen betraf nicht nur die Umsetzung des Vorhabens, sondern schon die Zielsetzung. Aristoteles hielt das Ziel, im Staat Einheit herzustellen, für prinzipiell verfehlt, denn ein Staat könne nicht in dem von Platon gemeinten Sinne eine Einheit sein. Das Vorhaben, zwecks Schaffung eines Einheitsbewusstseins Besitzunterschiede und familiäre Bindungen zu beseitigen, sei zum Scheitern verurteilt, denn Menschen ohne Privatbesitz und Familie würden ihre Loyalität nicht der staatlichen Gemeinschaft zuwenden, sondern im Gegenteil kein Interesse am Gemeinwohl und an der nächsten Generation zeigen.[76] Die Aufhebung des Privatbesitzes widerspreche einem Grundzug der menschlichen Natur und verunmögliche die Freigebigkeit. Außerdem lehnte Aristoteles die Ideenlehre ab. Er kritisierte, Platon habe es versäumt, die Erziehung und die politischen und ökonomischen Verhältnisse der Bauern und Handwerker zu klären; es müsse zu Konflikten zwischen den Erwerbstätigen und den Wächtern kommen.[77]

2.2) Nomoi

Das fiktive, literarisch gestaltete Gespräch über Staatstheorie ist Platons umfangreichste Schrift. An der Diskussion sind drei alte Männer beteiligt: der Kreter Kleinias, der Spartaner Megillos und ein Athener, dessen Name nicht genannt wird.

Das Thema des Dialogs ist die Suche nach der bestmöglichen Staatsverfassung und deren Ausgestaltung im Detail.[78] Zunächst werden Zielsetzung und Prinzipien einer umsichtigen Gesetzgebung besprochen und historische Beispiele herangezogen, dann wendet sich das Gespräch konkreten Einzelheiten der Beschaffenheit eines optimal eingerichteten Staates zu. Es wird erörtert, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Staat entstehen könnte und wie das Zusammenleben seiner Bürger zu dauerhaft zu regeln wäre. Angestrebt wird diejenige Verfassung, die den Bürgern dauerhaft die günstigsten Lebensverhältnisse gewährleistet.

Auf die Frage des Atheners nach Sinn und Zweck dreier für Kreta und zum Teil auch Sparta charakteristischer Institutionen (Syssitien, Gymnastik, Bewaffnung) folgt ein weit ausholendes Plädoyer des Kleinias.[79] Er begründet die spezifische kretische Form der Gymnastik, nämlich das Laufen, mit der Natur des Landes. Weiterhin betont er, dass die kretischen Waffen so leicht sein sollen, dass sie die Krieger nicht belasten dürften, Pfeil und Bogen seien sehr geeignet. Kleinias vertritt die These, dass der Endzweck aller kretischen Institutionen der Krieg ist, wie auch die Syssitien zeigen.[80] An ihnen wird ersichtlich, dass der Gesetzgeber auch die Bestimmungen für das Verhalten im Frieden auf den Krieg hin ausrichtet, weil das Wort „Friede“ nur eine törichte Bezeichnung für Krieg aller Staaten gegen alle sei.[81]

Kleinias’ These vom Krieg aller Städte gegen alle findet von Wilamowitz-Moellendorf für Kreta durch Inschriften bestätigt.[82] Aristoteles erwähnt in der „Politik“ zwar gegenseitige Kriege der kretischen Städte, bescheinigt aber gleichzeitig den griechischen Städten eine gewisse innenpolitische Stabilität.[83] Effenterre kritisiert Aristoteles’ Aussage von den gegenseitigen Kriegen der kretischen Städte und wertet sie als Momentaufnahme ab.[84]

Kleinias bemerkt, dass alle Güter der Besiegten den Siegern zufallen. Dieser Gedanke kommt in dieser Form auch bei Xenophon vor, als Kyros erläutert: „(…) alle Güter der Besiegten winken dem jeweiligen Sieger als Kampfpreise.“[85] Der Gedanke der Feindschaft und des Besiegens wird von der Polis über Dorf-Haus-Mann bis zum Ich weitergeführt, das „sich selbst feind“ und Schauplatz eines „Krieges in uns selbst“ ist.[86] In diesem Krieg sich selbst zu besiegen wird im Sinne der Selbstbeherrschung von Kleinias als schönster Sieg gepriesen. Kleinias’ These vom „Krieg in uns selbst“ wurzelt in Vorstellungen der griechischen Ethik, die ein „Bekämpfen“ und „Besiegen“ der Triebe fordert und so zum Begriff der Besonnenheit gelangt.[87]

Die Vorstellung von der Verwandtschaft der Polisbürger untereinander erlaubt es, die Familie als Analogie zur Polis heranzuziehen.[88] Am Beispiel einer verfeindeten Sippschaft wird das Paradoxon, dass bei einem Sieg der ungerechten Mehrheit das Ganze als „sich selbst unterlegen“ zu betrachten ist, noch einmal durchgespielt, um dann endgültig verabschiedet zu werden. Denn Thema ist die Richtigkeit von Gesetzen, die wesentlich von der Richtigkeit ihres Ziels abhängt. Dies kann nur dauerhafte Versöhnung und Freundschaft unter den Parteien sein, also gerade das Gegenteil von Krieg.[89] Auf die Staaten übertragen bedeutet dies: Ziel des Gesetzgebers muss es sein, einen inneren Krieg, der als Bürgerkrieg vom äußeren Krieg geschieden wird, durch Versöhnung der Polisbürger zu beenden oder ihn ganz zu vermeiden.[90] Schon Herodot stellte fest, dass „Zwietracht im Inneren viel schlimmer ist als ein einmütig geführter Krieg, wie Krieg schlimmer ist als Frieden.“[91]

Da die Herstellung von Frieden und Freundschaft für den Athener das Beste darstellt, die Gesetze aber stets auf das Beste zielen müssen, würde ein Gesetzgeber, der seine Gesetzgebung am Krieg statt am Frieden orientieren wollte, seine Aufgabe verfehlen.[92] Durch diesen Logos ist Kleinias’ These vom Krieg als Ziel der Gesetzgebung theoretisch widerlegt. Ihm bleibt als Argument lediglich noch der Hinweis auf die Verfassungswirklichkeit in Kreta und Sparta, deren Gesetze faktisch auf den Krieg ausgerichtet sein.[93] Damit wird das Gespräch wieder auf seinen Ausgangspunkt zurückgeworfen und muss durch einen neuen Diskussionsansatz[94] vorangebracht werden.

Die durch den Einwand des Kleinias erforderlich gewordene neue Argumentation geht hypothetisch noch einmal vom Krieg als dem Ziel der spartanischen Gesetzgebung aus, um diese im Grunde schon widerlegte Position jetzt durch die Auflistung der sich daraus ergebenen Konsequenzen in Frage zu stellen.[95]

Nun wird zunächst geklärt, welches der beiden unterschiedlichen Arten vom Krieg (äußerer Krieg, Stasis) bei der Ausrichtung der Gesetzgebung ins Auge gefasst wird. Eine fiktive Befragung des Dichters Tyrtaios, der als Vertreter kriegerischer Tapferkeit das spartanische Wertesystem vertritt,[96] ergibt, dass Tyrtaios in seiner Dichtung vor allem die Tapferkeit im äußeren Krieg lobt.[97] Ihm stellt der Athener eine Aussage des Dichters Theognis entgegen, die den im Parteienzwist sich als zuverlässig bewährenden Mann preist; diese Zuverlässigkeit deutet der Athener als umfassende Tugend, die die vier klassischen Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Besonnenheit, Einsicht und Tapferkeit vereint.[98] Damit erfährt die Argumentation eine bemerkenswerte Verschiebung: die Diskussion um das richtige Ziel der Gesetzgebung hat sich von den Zuständen der Polis und ihrer Bürgerschaft (Krieg, Stasis gegen Friede, Freundschaft) auf die in diesen Zuständen jeweils erforderlichen Tugenden des einzelnen Bürgers verlagert.

Der Krieger des Theognis ist in zweifacher Hinsicht dem Krieger des Tyrtaios überlegen:[99]

  1. er bewährt sich im schlimmsten und größten Krieg, ist also ein „tüchtiger Krieger“;
  2. er besitzt die vier Kardinaltugenden, während die Tapferkeit hiervon nur den dritten Teil bildet und sich sogar mit dem Gegenteil der drei anderen Tugenden verbinden kann.

Aus den bisherigen Überlegungen ergibt sich als erster und wichtigster Grundsatz, dass richtige Gesetzgebung auf die Tugend, und zwar auf die größte Tugend in Gestalt der vollkommenen Gerechtigkeit zielt.

Eine weitere Stelle des ersten Buches sagt aus, dass ein mit Laster, Feigheit und Unwissen versehener militärischer Nichtfachmann ungeeignet als Befehlshaber eines Heeres ist. Weiterhin existiert eine Forderung nach einem völlig furchtlosen und jeder Aufregung unzugänglichen Feldherrn an der Spitze des Heeres.[100]

Platon schildert nun die Bedingungen der letzten Flutkatastrophe.[101] Es gibt keinen Krieg oder Aufruhr, weil die Menschen aufgrund ihrer Einsamkeit freundlich zueinander waren. Weiterhin gibt ihnen auch der Lebensunterhalt keine Veranlassung zu kämpfen. Deshalb bleiben sie vor besonderer Armut bewahrt und demgemäß auch vor Streit, dessen Quelle die Armut ist. Andererseits können sie wegen des Mangels von Gold und Silber auch nicht reich werden.[102] Der Athener ist der Meinung, dass in einem Gemeinwesen, dem Reichtum und Armut fremd sind, eine ehrenwerte Gesinnung zu finden ist. Die Einheit im Staat wird sowohl durch extremen Reichtum als auch durch extreme Armut gefährdet, vorzuziehen ist die Mitte.[103] Der Tugend ist besonders der Reichtum abträglich, daher die wiederholte Verurteilung des Reichtums und der Geldgier.[104] Die Forderung nach einem mäßigen Besitz findet sich auch bei Euripides.[105]

Platon behauptet, dass viele Generationen, die weder Reichtum noch Armut kannten, im Vergleich zu den jetzt lebenden Menschen weniger Kenntnis, vor allem in den Kriegskünsten besaßen. Dafür sollen sie einfältiger, tapferer, besonnener und gerechter gewesen sein. Somit stellt der Athener der technisch-zivilisatorischen Rückständigkeit auf den ersten Blick eine im Vergleich zur Gegenwart höhere Sittlichkeit der Frühzeit gegenüber.[106] Schöpsdau kritisiert, dass die Sittlichkeit der Frühzeit nicht auf Bewusstheit oder philosophischer Einsicht, sondern auf naiver Unmittelbarkeit beruht. Außerdem wird diese unterstützt durch die äußeren Bedingungen der situationsbedingten Freundschaft und dem Fehlen von Gold und Silber. Insofern behauptet Schöpsdau, dass diese Menschen die Stufe der vollen Tugend noch nicht erreicht haben.[107]

Am Ende des sechsten Buches führt Platon aus, dass Männer im Alter von 20-60 Jahren zum Kriegsdienst verpflichtet werden sollten.[108] Er legt fest, dass Frauen im Zweifelsfall vom Ende der Kinderzeugungen bis zu ihrem 50. Lebensjahr Dienst im Heer leisten sollten. Spiele wie Opfer, Gesänge oder Tänze sollten zum Inhalt des Lebens werden, so dass man die Götter ehrt und die Feinde im Kampfe besiegt.[109]

Für Platon wird also der Frieden zur Übungsschule für den Krieg, indem mit allen größeren Opfern und Festen immer kriegerische Übungen verbunden sind.[110] Es wird die Forderung erhoben, dass die Jugend die Kunst des Bogenschießens und Speerwerfens erlernen sollte.[111] Den Frauen sind dieselben Übungen vorgeschrieben; sie müssen Reiten, Bodenschießen und die übrigen Waffenkünste lernen. Dann stellt Platon eine detaillierte Beschreibung der gymnastischen Aufgaben vor.[112] Übungen im Bogenschießen, in der Schildführung, der Kampf in voller Rüstung, die taktischen Bewegungen, das Aufschlagen des Lagers und die Reitkunst sind als Pflicht anzusehen. Für diese Fächer muss es öffentliche Lehrmeister geben, die von den Bürgern der Stadt bezahlt werden.[113] Die weiblichen Krieger sollen kämpfen wie Vögel, die für ihre Jungen den Kampf gegen die stärksten Tiere aufnehmen und bereit sind, zu sterben. Platon behauptet, dass „die Ringübungen in der Tat unter allen Körperbewegungen dem kriegsmäßen Kampf am aller allernächsten verwandt sind sowie darüber, daß man diese Ringübungen um des Krieges willen treiben müsse, nicht aber umgekehrt.“[114] Er bezeichnet gymnastische Übungen als Tanzkunst und unterscheidet dabei zwei Gattungen: die friedliche und die kriegerische Tanzweise.[115] Die kriegerische Tanzweise trägt den Namen Pyrrhiche (Waffentanz).[116] Dabei werden Körperbewegungen nachahmend dargestellt, einerseits die berechneten Körperwendungen, durch die man sich vor Schlägen schützt, andererseits die auf den Angriff zielenden Körperstellungen, wie es für das Bogenschießen oder das Speerwerfen erforderlich ist.[117] Mit Morrow ist festzustellen, dass spartanische und kretische Jungen diesen Tanz schon in ihrer frühesten Jugendzeit erlernen.[118]

Im achten Buch berichtet Platon, dass an einem oder mehreren Tagen in jedem Monat Feldübungen stattfinden sollen.[119] Die Tüchtigsten in diesen Feldübungen sollen laut Platon verherrlicht werden, die Verlierer dagegen getadelt.[120] Als Übungsmethoden stellt sich Platon den Kampf gegen eine leblose Puppe oder ein Schattengefecht gegen sich selber vor. Wenn jemand bei einer Feldübung ohne Vorsatz getötet wird, sollte der Täter für schuldlos erklärt werden.[121] Dies erklärt Platon damit, dass bei den Übungen Gefahr simuliert werden muss, um einen Prüfstein zu haben, die tapferen Krieger von den mutlosen zu unterscheiden.

Wenn jemand im Zorn seinen Mitmenschen verletzt oder dadurch der Staat geschädigt wird, in dem der Verletzte nicht gegen die Feinde kämpfen kann, so ist der Täter gegenüber dem Staat ersatzpflichtig.[122] Er muss die soldatischen Pflichten des Invaliden übernehmen; geschieht dies nicht, wird er wegen Entziehung vom Kriegsdienst angeklagt.

Das wichtigste Gesetz des Kriegswesens ist laut Platon das Befolgen der Anweisungen des Befehlshabers. Eine in sich geschlossene Gemeinschaft soll gebildet werden, da es das beste Mittel ist, den Feind zu besiegen.[123]

Platon betont, dass jeder Bürger Kriegsdienst leisten muss; Deserteure im Krieg sollten wegen Verletzung der Dienstpflicht angeklagt werden.[124] Das dafür zuständige Gericht wird aus allen Teilnehmern des Feldzugs gebildet, jede Waffengattung bildet ein besonderes Gericht. Wenn derjenige für schuldig befunden wird, soll er sich weder in Wettkämpfen messen, noch einen anderen wegen Entziehung vom Kriegsdienst anklagen dürfen. Außerdem soll er vom Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt werden.[125]

Platon vertritt die Ansicht, dass nach dem Feldzug Preise für die Tapferkeit an Bewerber verteilt werden sollten. Der Siegspreis ist für alle ein Kranz aus Olivenzweigen, den jeder im Tempel einer Kriegsgottheit als Weihgeschenk niederlegen kann.[126]

Zum Schluss kommt Platon auf die Unsterblichkeit der Seele zu sprechen. Sie bildet aus seiner Sicht den Hintergrund der Bemühungen um Tugend und Tüchtigkeit, stellt sie in einen größeren Zusammenhang und verleiht ihnen einen tieferen Sinn, den es sonst wegen der Kürze des Lebens nicht gäbe.

Einen Hinweis auf die Unsterblichkeit bietet das Verhältnis der Seele zu den Übeln, von denen sie betroffen ist. Das Merkmal der vergänglichen Dinge ist, dass die Übel, die sie befallen, sie nicht nur schädigen, sondern auch zerstören können. So zerstört eine Krankheit den Leib, der Mehltau das Getreide, die Fäulnis das Holz, der Rost das Eisen. Diesen Übeln entsprechen bei der Seele Ungerechtigkeit, Zuchtlosigkeit, Feigheit und Unwissenheit. Der Unterschied zu den materiellen Objekten ist jedoch, dass die schädlichen Faktoren die Seele zwar moralisch schwer beeinträchtigen, aber nicht auflösen können. Sie geht daran nicht zugrunde, sie stirbt nicht an der Ungerechtigkeit.[127]

Anlass zu Kritik bieten die ausgeprägt autoritäre Züge des Gesetzeswerks, die seither immer wieder angeprangert worden sind. Als anstößig empfunden wird vor allem das umfassende Mandat des Staates zur moralischen Erziehung der Bürger auch mit Zwangsmitteln. Dazu gehören die tiefen Eingriffe der Behörden in den persönlichen Lebensbereich der Bürger, die Strenge der Strafbestimmungen und die umfassende Kontrolle des Staates.

3) Fazit

Die Darstellung der beiden Dialoge zeigen, dass es keine Unvermeidlichkeit des Krieges in Platons Augen gibt. Dabei muss betont werden, dass Platon dadurch geprägt wurde, dass allein Athen sich durchschnittlich in mehr als zwei Dritteln der Jahre zwischen den Perserkriegen und seiner Niederlage gegen Philipp von Makedonien bei Chaironeia im Jahre 338 v. Chr. im Kriegszustand befand und dass es während dieses ganzen Zeitraumes nicht ein einziges Mal eine Friedensperiode von zehn Jahren erlebte. Für Platon ist Krieg zwar eine Realität, aber es finden sich bei ihm Erwägungen über den Frieden als Ziel und Ideal. Für Platon wird also der Frieden zur Übungsschule für den Krieg, indem mit allen größeren Opfern und Festen immer kriegerische Übungen verbunden sind.

Der Staat muss militärisches Training für Männer und Frauen organisieren, um die Sicherheit seiner Bürger gegen einen möglichen Aggressor zu gewährleisten. Platon stellte fest, dass ein Unterschied zwischen innergriechischen Auseinandersetzungen und Konflikten mit „Barbaren“ existiert. Da sie natürliche Feinde sind, nennt man einen Kampf zwischen „Barbaren“ und Griechen Krieg, der bis zur völligen Vernichtung der „Barbaren“ geführt werden soll. Ein Kampf zwischen griechischen Staaten wird dagegen als Zwist unter Freunden betrachtet, wobei Platon ausdrücklich erwähnt, dass innergriechische Konflikte besonders schlimm seien und im Notfall vermieden werden sollten.

Platon verlangt, dass Männer und Frauen gemeinsam mit ihren Kindern in den Krieg ziehen. Indem das Kind des Kriegers den Krieg miterlebt, soll es schon in frühester Jugend für seinen späteren Beruf ausgebildet werden.

Krieger müssen von Berufs wegen mutig sein, doch für den Umgang mit der eigenen Bevölkerung benötigen sie zusätzlich eine andere, entgegengesetzte Eigenschaft, die Sanftmut. Die gleichzeitige Entwicklung beider Qualitäten erfordert eine sorgfältige, auf Charakterbildung abzielende Erziehung. Dies wird bei der Erziehung der Wächter realisiert. Platon betont, dass jeder Bürger Kriegsdienst leisten muss; Deserteure im Krieg sollten wegen Verletzung der Dienstpflicht angeklagt werden.

Es ist überraschend, dass Platon in seiner Auseinandersetzung über Krieg und Frieden nicht auf die Aussagen des Sophisten Antiphon (480-411 v. Chr.) eingeht, die die Gleichheit von Griechen und „Barbaren“ betonen und als wesentlich toleranter einzuordnen sind als die Meinung vieler gelehrten Zeitgenossen des 5. Jahrhunderts v. Chr im antiken Griechenland. In seinem “Buch von der Wahrheit” verkündet Antiphon:[128] „Wir wissen nicht mehr, wen wir achten sollen und wen nicht. In dieser Hinsicht sind wir gegeneinander Barbaren geworden. Von Natur aus sind alle gleich, ob Barbaren oder Griechen. Das folgt aus dem, was von Natur aus für alle Menschen notwendig ist. Wir atmen alle durch Mund und Nase und wir essen alle mit den Händen.“

Von zentraler Bedeutung ist Platons Definition der Gerechtigkeit als Ordnungsprinzip in der Seele und infolgedessen auch im Staat. Dadurch unterscheidet sich sein Gerechtigkeitsbegriff grundlegend von allen Ansätzen, die Gerechtigkeit mit Bezug auf soziales Verhalten definieren. Zwar ergibt sich für Platon aus dem Vorhandensein gerechter Ordnung zwangsläufig ein tugendhaftes soziales Handeln, doch konstituiert dieses nicht die Gerechtigkeit, sondern ist nur eine Auswirkung von ihr.

Eine wesentliche Neuerung in der Politeia ist die Einführung des Modells der dreigeteilten Seele. In früheren Werken hatte Platon die Seele als Einheit behandelt. Die eingehende Begründung des neuen Modells, das die irrationalen Kräfte in der Seele erklären soll, ist wohl auf die Neuartigkeit des Gedankens zurückzuführen.

4) Bibliographie

4.1) Quellen

4.2) Sekundärliteratur

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Fußnoten

  1.  ↑ Leg. 626a
  2.  ↑ Ostwald, M.: Peace and war in Plato and Aristotle, in: Scripta classica Israelica, Vol. XV, 1996, S. 108-118, hier: S. 116
  3.  ↑ Vgl. Momigliano, A.: Some observations on causes of war in ancient historiography, in: Secondo contributo alla storia degli studi classici, Roma 1960, S. 13-38 oder Garlan, J.: War in the ancient world, London 1975, S. 17ff
  4.  ↑ Siehe Vernant, J.-P. (Hrsg.): Problemes de la guerre en Grece ancienne, Paris/La Haye 1968, S. 10 oder Dover, K.J.: Greek popular morality in the time of Plato and Aristotle, Oxford 1974 S. 161ff. Dover geht von der Annahme aus, dass der Krieg im Rahmen des männlich orientierten Wertehorizontes der ganzen Antike schon insofern unentbehrlich war, als er das eigentliche und vorrangige Betätigungsfeld für diejenige Tugend darstellte, die in den Augen der Griechen den Mann in erster Linie auszeichnet: die Tapferkeit. Es geht in der Antike immer nur um sektorale Eingrenzungen dieses Grundsatzes, wie z.B. den im 4. Jahrhundert v. Chr. aufkommenden Gedankens eines dauerhaften, innergriechischen Friedens mit Zielrichtung gegen die persische Großmacht, um das kritische Aufzeigen seiner möglichen Konsequenzen, um das Vermeiden von Übersteigerungen, nicht aber um seine grundsätzliche Infragestellung. Vgl. dazu de Romilly, J.: Guerre et paix entre cités, in: Vernant, S.-P. (Hrsg.): Problemes de la guerre en Grece ancienne, Paris/La Haye 1968, S. 211-228, hier S. 216ff
  5.  ↑ Spiegel, N.: War and peace in classical Greek literature, London 1990, S. 203
  6.  ↑ Rep. 332 e 3-6
  7.  ↑ Schubert, A.: Platon – Der Staat. Ein einführender Kommentar, Paderborn 1995, S. 15
  8.  ↑ Rep. 332 e 12 – 333 a 1
  9.  ↑ Schubert, Platon – Der Staat, a.a.O., S. 16
  10.  ↑ Rep. 351 c 8-12
  11.  ↑ Rep. 351 e 11-352 a 2
  12.  ↑ Rep. 273 b 7-9
  13.  ↑ Rep. 372 d,f
  14.  ↑ Rep. 373 d,e
  15.  ↑ Guthrie, W.C.K.: A history of Greek philosophy, Band IV., Cambridge 1975, S. 447f
  16.  ↑ Cross, R.C./Woozley, A.D.: Plato’s Republic. A philosophical commentary, London 1964, S. 95
  17.  ↑ Craig, L.H.: The War Lover, Toronto 1994, S. 6
  18.  ↑ Guthrie, A history of Greek philosophy, a.a.O., S. 449
  19.  ↑ Phaidros 66 d
  20.  ↑ Rep. 586 a ff
  21.  ↑ Höffe, O. (Hrsg.): Platon. Politeia, Berlin 1997, S. 81
  22.  ↑ Ebd., S. 82
  23.  ↑ Guthrie, A history of Greek philosophy, a.a.O., S. 449
  24.  ↑ Höffe, Platon. Politeia, a.a.O., S. 81
  25.  ↑ Canto-Speber, M./Brisson, L.: Zur sozialen Gliederung der Polis, in: Höffe, Platon. Politeia, a.a.O., S. 88-101, hier S. 96
  26.  ↑ Vernant, Problemes de la guerre en Grece ancienne, a.a.O., S. 17
  27.  ↑ Rep. 375 e 1-3
  28.  ↑ Pol VII 7 (1328 a 8)
  29.  ↑ Canto-Speber/Brisson, Zur sozialen Gliederung der Polis, in: Höffe, Platon, Politeia. a.a.O., S. 88-101, hier S. 99
  30.  ↑ Rep. 383 c 4-6
  31.  ↑ Rep. 403 c 13-14
  32.  ↑ Rep. 404 c-e
  33.  ↑ Rep. 413 c 5 – 414 a 5
  34.  ↑ Rep. 416 d 5
  35.  ↑ Rep. 416 d 8-11
  36.  ↑ Rep. 419 a
  37.  ↑ Pol. 1264 b 16ff
  38.  ↑ Höffe, Platon. Politeia, a.a.O., S. 74
  39.  ↑ Rep. 429 b
  40.  ↑ Rep. 457 a 13-15
  41.  ↑ Rep. 460 b 1-5
  42.  ↑ Rep. 466 e 4-5
  43.  ↑ Tyrtaios 9,10 ff
  44.  ↑ Rep. 475 e – 476 d / 476 d – 480 a
  45.  ↑ Rep. 467 e
  46.  ↑ Rep. 468 a 10-12
  47.  ↑ Rep. 467 b 9 – c 4
  48.  ↑ Symp. 178 e
  49.  ↑ Rep. 469 b 6-7
  50.  ↑ Rep. 469 c 1-5
  51.  ↑ Schmidt, L.: Die Ethik der alten Griechen, Band II, Stuttgart 1964
  52.  ↑ Vogt, J.: Die Struktur der antiken Sklavenkriege, Wiesbaden 1957, S. 8
  53.  ↑ Rep. 470 a 7- b 2
  54.  ↑ White, N.P.: A companion to Plato’s Republic, Oxford 1979, S. 150
  55.  ↑ Rep. 470 c 3-4
  56.  ↑ Rep. 470 c 6-8
  57.  ↑ Men. 242 d
  58.  ↑ Rep. 471 a-b 5
  59.  ↑ Zitiert aus Wilk, R.: Über die Herkunft des platonischen Versöhnungsgedankens, Berlin 1961, S. 8f
  60.  ↑ Cross/Woozley, Plato’s Republic, a.a.O., S. 255
  61.  ↑ Rep. 527 d 1-5
  62.  ↑ Rep. 548 a 1-4
  63.  ↑ Rep. 551 d 11 – e 2
  64.  ↑ Frede, D.: Die ungerechten Verfassungen und die ihnen entsprechenden Menschen, in: Höffe, Platon.Politeia, a.a.O., S. 255-266, hier S. 260
  65.  ↑ Ebd., S. 261
  66.  ↑ Rep. 557 e 4-8
  67.  ↑ Frede, Die ungerechten Verfassungen und die ihnen entsprechenden Menschen, in: Höffe, Platon.Politeia, a.a.O., S. 261
  68.  ↑ Popper, K.: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Band 1, Tübingen 1992, S. 52
  69.  ↑ Rep. 567 a 5 - 9
  70.  ↑ Frede, Die ungerechten Verfassungen und die ihnen entsprechenden Menschen, in: Höffe, Platon.Politeia, a.a.O., S. 262
  71.  ↑ Pol 1313 b, 28ff
  72.  ↑ Frede, Die ungerechten Verfassungen und die ihnen entsprechenden Menschen, in: Höffe, Platon.Politeia, a.a.O., S. 262
  73.  ↑ Annas, S.: An introduction to Plato’s Republic, Oxford 1981, S. 304
  74.  ↑ Frede, Die ungerechten Verfassungen und die ihnen entsprechenden Menschen, in: Höffe, Platon.Politeia, a.a.O., S. 263
  75.  ↑ Klages, M.: Politische Theorie, Frankfurt/Main 1992, S. 64
  76.  ↑ Blößner, N.: Dialogform und Argument. Studien zu Platons ‚Politeia‘, Stuttgart 1997, S. 67
  77.  ↑ Arends, J. F. M.: Die Einheit der Polis. Eine Studie über Platons Staat. Brill, Leiden 1988, S. 14
  78.  ↑ Hülser, K.: Platon für Anfänger. Der Staat. Eine Lese-Einführung, München 2005, S. 12
  79.  ↑ Leg. 625 c 6 – 626 b 2
  80.  ↑ Leg. 625 e 7 – 8, auch Aristoteles sieht im Krieg den Endzweck der kretischen und spartanischen Verfassung (Pol. 7, 2 1324 b 4 – 9, 7, 14 1333 b 12 ff)
  81.  ↑ Leg 625 d 9 – 626 a 4
  82.  ↑ von Wilamowitz-Moellendorf, U.: Platon I. Sein Leben und seine Werke, 5. Auflage, Berlin 1959, S. 523
  83.  ↑ Pol 2, 9 1269 a 39ff
  84.  ↑ Effenterre, H.: La Crete et le monde grec de Platon a Polybe, Paris 1948, S. 104
  85.  ↑ Xen. Kyr. 2,3,2
  86.  ↑ Leg. 626 e 4-5
  87.  ↑ Polenz, M.: Griechische Freiheit. Wesen und Werden eines Lebensideals, Heidelberg 1955, S. 73ff
  88.  ↑ Leg. 627 b 3-4
  89.  ↑ Leg. 628 a 1-3
  90.  ↑ Leg. 628 a 9- c 5
  91.  ↑ Hdt. 8, 3, 1
  92.  ↑ Leg. 628 c - e
  93.  ↑ Leg. 626 a-b
  94.  ↑ Leg. 625 a 1 ff
  95.  ↑ Leg. 628 e 2-5
  96.  ↑ Schöpsdau, K.: Platon. Nomoi. Buch I.-III., Göttingen 1994, S. 169
  97.  ↑ Leg. 629 b 6 – e 8
  98.  ↑ Leg. 630 a 8 ff
  99.  ↑ Leg. 630 a 2-b 5
  100.  ↑ Leg. 640 a 7 – b 10
  101.  ↑ Leg. 677 a 1 – 679 e 5
  102.  ↑ Leg. 679 b 5 - 7
  103.  ↑ Leg. 719 e, 729 a
  104.  ↑ Leg. 695 e 5 ff, 697 b 2 ff
  105.  ↑ Eur. Hec. 238
  106.  ↑ Leg. 679 d 3 – e 4
  107.  ↑ Schöpsdau, Platon. Nomoi. Buch I.-III., a.a.O., S. 366
  108.  ↑ Leg. 785 b
  109.  ↑ Leg. 803 d 1 – e 4
  110.  ↑ Stallay, R.F.: An introduction to Plato’s Laws, Oxford 1983, S. 104
  111.  ↑ Leg. 804 c 7 f
  112.  ↑ Leg. 813 d 6 – 815 a 4
  113.  ↑ Leg 813 e 3 - 4
  114.  ↑ Leg. 814 c 8 – d 6
  115.  ↑ Leg. 814 e f
  116.  ↑ Leg. 815 a 4
  117.  ↑ Leg. 815 a-b
  118.  ↑ Morrow, G.R.: Plato’s Cretan city. An historical interpretation of the Laws, Princeton 1960, S, 33
  119.  ↑ Leg. 829 b 2 - 6
  120.  ↑ Leg. 829 c 1 -5
  121.  ↑ Leg. 831 a 2-6
  122.  ↑ Leg. 878 c 6-9
  123.  ↑ Leg. 942 a 6 – b 9
  124.  ↑ Leg. 943 a 5-7
  125.  ↑ Leg. 943 b 6-8
  126.  ↑ Leg. 943 c 5-9
  127.  ↑ Sheppard, D.J.: Plato’s Republic. An Edinburgh Philosophical Guide, Edinburgh 2009, S. 47
  128.  ↑ Zitiert aus Diels, H.: Die Fragmente der Vorsokratiker, 5. Auflage, Berlin 1957, S. 76ff. Eine gute Zusammenfassung der Fragmente Antiphons bietet Zinsmaier, T.: Wahrheit, Gerechtigkeit und Rhetorik in den Reden Antiphons, in: Hermes 126, 1998, S. 398-422