e-Portfolio von Michael Lausberg
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Völkermorde an Armeniern, Aramäern, Assyrern und Chaldäern und Griechen auf dem Gebiet der heutigen Türkei

Der bis 1856 andauernde Krimkrieg endete mit der Niederlage Russlands. Im Frieden von Paris am 30.3.1856 wurde die Unabhängigkeit der Türkei von den europäischen Großmächten garantiert, ferner wurden die Dardanellen für russische Kriegsschiffe gesperrt. Der Krieg war der bedeutendste militärisch ausgetragene Konflikt in Europa zwischen den Napoleonischen Kriegen und dem Ersten Weltkrieg und störte das europäische Gleichgewicht der Pentarchie erheblich, obwohl er oberflächlich den Status quo bestätigte. Russland war weitgehend isoliert, während Frankreich sich wieder eindeutig als gleichrangige Großmacht neben den anderen Staaten sehen konnte. Österreich setzte sich mit seiner unklaren Politik zwischen die Stühle und schädigte nachhaltig seine guten Beziehungen zu Russland.[1]

Im Frieden von Paris wurde die territoriale Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit des Osmanischen Reichs garantiert. Im Friedensvertrag wurde formuliert, „jeden Akt und jedes Ereignis, das die Integrität des Osmanischen Reiches in Frage stellt, als Frage europäischen Interesses“ zu sehen.[2] Die gemachten Eroberungen wurden gegenseitig herausgegeben, doch musste Russland unter der Bezeichnung „Grenzberichtigung“ zugestehen, dass ein Teil Bessarabiens mit der Festung Ismail mit dem Fürstentum Moldau wiedervereinigt wurde. Den Donaufürstentümern Moldau und Walachei wurde die Aufrechterhaltung ihrer alten Privilegien und Immunitäten zugesichert und diese unter die Garantie der Vertragsmächte gestellt.

Der Krimkrieg wertete jedoch das Frankreich von Napoleon III. erheblich auf. Es zeigte sich einer großen Auseinandersetzung gewachsen, kämpfte an der Seite Großbritanniens, und die Friedensverhandlungen fanden in Paris statt, unter Napoleons Leitung. Davon abgesehen blieb der Status quo bestehen, während Frankreich in der Vergangenheit versucht hatte, sich auf Konstantinopels Kosten zu profilieren.[3]

Nach dem Tode Sultan Abd ül-Medschids I. kam sein Bruder Abd ül-Asis auf den osmanischen Thron, unter dessen Regierung die inneren Schwierigkeiten im Osmanischen Reich andauerten. 1876 wurde Abd ül-Asis bei einer Revolte ermordet und Sultan Murad V. gelang zur Herrschaft, der sich jedoch als unfähig erwies und noch im selben Jahr bei einem Aufstand in der Herzegowina und in Bosnien von Abd ül-Hamid II abgelöst wurde, der bis 1909 die Geschicke des Osmanischen Reiches bestimmte. Der neue Sultan verkündete sogleich nach seiner Thronbesteigung eine von dem Großwesir Midhat Pascha und Hüseyin Avni Pascha ausgearbeitete Verfassung (Gleichheit vor dem Gesetz ohne Unterschied der Religion, Freiheit der Religionsausübung, Gewährung der Pressefreiheit, Sicherheit der Person und des Eigentums). Es wurde ein aus zwei Kammern bestehendes Parlament geschaffen, dessen Machtbefugnisse in der Legislative jedoch sehr eingeschränkt waren. Allerdings ersetzte Sultan Abd ül-Hamid die Verfassung von 1876 sehr rasch wieder, ohne sie ganz aufzuheben, durch eine autokratische Herrschaft.[4]

Aufstände von 1875/76 in der Herzegowina und in Ostrumelien führten zu Kriegen mit Serbien und Montenegro.[5] In den Geheimkonventionen von Reichsstadt und Budapest sagte Österreich-Ungarn seine Neutralität im Falle eines russisch-türkischen Krieges zu, der dann auch 1877 ausbrach. Der Frieden von San Stefano vom 3.3.1878, durch den Montenegro, Rumänien und Serbien selbständig wurden und der Russland bedeutende territoriale Gewinne brachte, wurde jedoch durch den Berliner Kongress vom 13.6.-13.7. 1878 wieder abgeändert, wobei Russland seine Gebietsgewinne teilweise aufgeben musste. Nach dem verlorenen Krieg konnte Abd ül-Hamid II. noch intensiver alle nationalen und liberalen Tendenzen durch die Verbreitung der Idee des Panislamismus, der eine Einheit aller Muslime unter Führung des türkischen Sultans forderte. Dieser Osmanismus besagte, dass alle Osmanen gleiche Bürger des türkischen Reiches unabhängig ihrer Religionszugehörigkeit seien. Es wurde ebenfalls der Panturkismus vertreten, der nach der Vereinigung aller Turkstämme strebte. Eine Aufteilung der Türkei umging Abd ül-Hamid II vor allem durch eine Annäherung an das Deutsche Reich. Einen Krieg mit Griechenland im Jahre 1897 verlief für das Osmanische Reich siegreich.[6]

Für die Massaker an den Armeniern von 1894–1896 war Sultan Abdülhamid II. verantwortlich.[7] Die Massaker begannen in der Region Sason und wurden dann auf alle armenischen Siedlungsgebiete ausgeweitet. Die Zahl der Todesopfer lag zwischen 80.000 und über 300.000. Mit Hilfe der lokalen muslimischen Bevölkerung und den Hamidiye-Einheiten wurden zudem Deportationen und Plünderungen durchgeführt und auch versucht, christliche Teile der Bevölkerung zur Konversion zum Islam zu zwingen. Im Unterschied zu dem Genozid im 20. Jahrhundert handelte es sich noch nicht um einen Versuch, sämtliche Armenier des Osmanischen Reiches zu vertreiben oder zu ermorden, sondern die alte Ordnung der Dominanz der Moslems über die Christen sollte wiederhergestellt werden.

Die Gründe der Täter lagen in der Überzeugung, man könne die lang andauernde Schwächung des Osmanischen Reiches durch eine Verwandlung in eine rein türkisch-islamische Bastion aufhalten, Obwohl sich die Massaker hauptsächlich gegen die Armenier richteten, wandelten sie sich zu allgemein antichristlichen Pogromen, wie bei dem Massaker von Diyarbakır.

Bei dem Massaker vom 1. November 1895 wurden in der Stadt Diyarbakır schätzungsweise 1.100 bis über 2.500 Armenier getötet.[8] Die Zwangskonversionen in der gesamten Provinz werden auf 25.000 geschätzt. Zahlreiche Frauen und Kinder wurden von kurdischen Stammesmitgliedern verschleppt. Mehrere Tausend Wohnhäuser und Geschäfte wurden 1895 in der Provinz niedergebrannt. Die Osmanen unterdrückten auch Revolten anderer Minderheiten, die härtesten Maßnahmen richteten sich aber gegen die Armenier. Die Verantwortlichen des Osmanischen Reiches unterschieden dabei nicht zwischen nationalistischen Dissidenten und der armenischen Bevölkerung in ihrer Gesamtheit.

Seit 1890 wächst im Osmanischen Reich die Opposition gegen die bestehende Herrschaft.[9] Der aktive Widerstand gegen Abd ül-Hamid II bildete sich insbesondere in den Städten, die bedeutendste oppositionelle Gruppe war die „Gesellschaft für Fortschritt und Einheit“, die 1889 von Studenten der militärischen Medizin-Akademie in Istanbul gegründet worden war. Verfolgungen des Sultans aufgrund eines Mordversuches an ihn im Jahre 1892 zwangen zahlreiche Gegner zur Flucht ins europäische Ausland. Seit 1906 fing in der Türkei die jungtürkische Opposition an, eine rege Untergrundtätigkeit zu entfalten. 1907 schließen sich die verschiedenen Widerstandsgruppen zum „Komitee für Einheit und Fortschritt“ zusammen, das rasch Rückhalt in der gesamten Türkei fand. Als der Sultan das Komitee zerschlagen wollte, revoltierte die makedonische Armee und die jungtürkische Revolution erzwang die Wiederherstellung der Verfassung von 1876 und das Zusammentreten des Parlaments.[10]

Eine am 31.3.1909 von Abd ül-Hamid II. durchgeführte Gegenrevolution wurde von Einheiten der Armee wieder zerschlagen, der Sultan wurde abgesetzt und auf den osmanischen Thron gelangte sein Bruder Mechmed V. Reschad (1909-1918), der gegenüber den Jungtürken kaum mehr selbständigen Einfluss besaß. Das „Komitee für Einheit und Fortschritt“ vollzog jetzt eine Türkifizierung des Reiches in allen Bereichen und setzten eine Modernisierung durch. Aber auch die Jungtürken konnten die innere Schwäche des Reiches nicht beseitigen, die sich europäische Mächte zunutze machten. 1911/12 eroberten die Italiener Tripolis und die Cyrenaika. In der Türkei richtete das Komitee eine Diktatur ein, die die Modernisierung des Reiches im Zeichen des türkischen Nationalismus vorantrieb.

Die „Balkankriege“ fanden in den Jahren 1912 und 1913 im Vorfeld des Ersten Weltkriegs statt. Als Folge wurde das Osmanische Reich in Europa bis in die heutigen Grenzen der Türkei verdrängt und musste große Gebiete an die Nachbarländer abtreten.[11]

Russland begegnete seiner diplomatischen Niederlage nach der Annexion Bosniens im Jahr 1908 durch Österreich-Ungarn mit der Schaffung des Balkanbunds zwischen Serbien und Bulgarien unter russischer Patronage.[12] Das Bündnis der beiden Balkanstaaten weitete sich mit dem Anschluss Griechenlands und Montenegros aus, wodurch sich die sicherheitspolitischen Ziele des Bündnisses änderten. Nicht Österreich-Ungarn war nun das primäre Ziel, sondern das Osmanische Reich. Die Bündnispartner Serbien und Bulgarien einigten sich darauf, einen Schiedsspruch des russischen Zaren bezüglich der Angliederung neu gewonnener Territorien zu akzeptieren. Griechenland dagegen – mit der politischen Unterstützung Großbritanniens und Frankreichs – lehnte die russische Oberhoheit ab, und wollte die Angliederung möglicher neu gewonnener Territorien durch eine internationale Konferenz regeln.[13]

Aus Unsicherheit bezüglich der Unterstützung seiner Verbündeten Frankreich und Großbritanniens in der Balkanfrage, stimmte Russland einer im Namen aller Großmächte Anfang Oktober gestellten diplomatischen Note zu, die auf dem territorialen Status quo am Balkan beharrte.

Die „Balkankriege“ fanden in den Jahren 1912 und 1913 im Vorfeld des Ersten Weltkriegs statt. Als Folge wurde das Osmanische Reich in Europa bis in die heutigen Grenzen der Türkei verdrängt und musste große Gebiete an die Nachbarländer abtreten.[14]

Russland begegnete seiner diplomatischen Niederlage nach der Annexion Bosniens im Jahr 1908 durch Österreich-Ungarn mit der Schaffung des Balkanbunds zwischen Serbien und Bulgarien unter russischer Patronage.[15] Das Bündnis der beiden Balkanstaaten weitete sich mit dem Anschluss Griechenlands und Montenegros aus, wodurch sich die sicherheitspolitischen Ziele des Bündnisses änderten. Nicht Österreich-Ungarn war nun das primäre Ziel, sondern das Osmanische Reich. Die Bündnispartner Serbien und Bulgarien einigten sich darauf, einen Schiedsspruch des russischen Zaren bezüglich der Angliederung neu gewonnener Territorien zu akzeptieren. Griechenland dagegen – mit der politischen Unterstützung Großbritanniens und Frankreichs – lehnte die russische Oberhoheit ab, und wollte die Angliederung möglicher neu gewonnener Territorien durch eine internationale Konferenz regeln.[16]

Aus Unsicherheit bezüglich der Unterstützung seiner Verbündeten Frankreich und Großbritanniens in der Balkanfrage, stimmte Russland einer im Namen aller Großmächte Anfang Oktober gestellten diplomatischen Note zu, die auf dem territorialen Status quo am Balkan beharrte.

Zu Beginn des Krieges waren die bulgarischen Streitkräfte etwa 233.000 Mann stark, die serbischen rund 130.000, die montenegrinischen 31.000 und die griechischen etwa 80.000. Zusammen waren das bei Kriegsbeginn 474.000 Soldaten. Während der Kriege wurden noch zusätzliche Soldaten eingezogen: Serbien hielt letztlich 350.000 bis 400.000 Mann unter Waffen, Bulgarien 600.000 und Griechenland 300.000. Als einziger Balkanstaat unterhielt Griechenland auch eine nennenswerte Kriegsmarine. Die osmanischen Truppen auf der Balkanhalbinsel umfassten rund 290.000 Mann. Das Osmanische Reich entsandte Verstärkung aus Asien erst nach Ende der entscheidenden Kampfhandlungen. Die Gründe dafür waren, dass man sich vor einer russischen Invasion über den Kaukasus fürchtete und im Süden ein arabischer Aufstand drohte. Zudem waren die osmanischen Truppen schlechter ausgerüstet als die Soldaten des Balkanbundes und außerdem hatten sie eine völlig veraltete Kommunikationsstruktur. Wichtig war auch die Behinderung des Nachschubes durch die griechische Marine.[17]

Montenegro erklärte dem Osmanischen Reich am 25. September und am 16. Oktober das Osmanische Reich Bulgarien den Krieg. Am Tag darauf erklärten Serbien, Bulgarien und Griechenland gemeinsam dem Osmanischen Reich den Krieg.

Die folgenden militärischen Niederlagen des Osmanischen Reiches, das durch den 1912 verlorenen Italienisch-Türkischen Krieg und verschiedene Aufstände in den Balkanprovinzen schon vorher geschwächt war, belegten, dass es seine europäische Herrschaft nicht länger aufrechterhalten konnte.[18]

Am 21. Oktober 1912 wurden die osmanischen Streitkräfte beim Sarantaporos-Fluss von der griechischen Armee geschlagen und am 24. Oktober marschierten die griechischen Streitkräfte in Kozani ein. Am 31. Oktober wurden die osmanischen Truppen bei Giannitsa erneut besiegt und am nächsten Tag wurde die Stadt von den griechischen Truppen eingenommen. Die griechischen Truppen erreichten am 6. März die Hafenstadt Valona am Adriatischen Meer. Die griechische Kriegsmarine zwang die osmanische Flotte, in den Dardanellen Schutz zu suchen, und schnitt dadurch die logistische Unterstützung des osmanischen Heeres aus Kleinasien ab.[19]

Die bulgarische Armee besiegte die osmanischen Truppen in der Schlacht von Kirk Kilisse (21./22. Oktober 1912) und erneut Ende Oktober in der Schlacht von Lüleburgaz. Auf beiden Seiten sind in der Schlacht jeweils über 20.000 Soldaten gefallen, verwundet oder gefangen worden. Die Erfolge der Bulgaren veranlassten Russland sogar zu der Erwägung, ob man nicht dem Osmanischen Reich zu Hilfe kommen sollte. Truppenlandungen am Bosporus sollten eine bulgarische Kontrolle der Meerengen verhindern. Zwischen dem 4. und 8. November versuchten die Bulgaren dann ohne Erfolg, Konstantinopel einzunehmen. Bulgarien schloss daraufhin einen separaten Waffenstillstand mit der osmanischen Regierung (Hohe Pforte) am 20. November 1912. Am 2. Februar 1913 begannen die bulgarischen Verbände jedoch erneut mit militärischen Operationen nach einem Staatsstreich der Jungtürken unter Ismail Enver in Konstantinopel. Adrianopel fiel nach einer Belagerung am 26. März 1913 den bulgarischen Verbänden in die Hände, nachdem ihnen zwei serbische Divisionen zu Hilfe gekommen waren. Insgesamt gingen etwa 65.000 osmanische Soldaten in bulgarische Kriegsgefangenschaft. Am 1. Mai 1913 erreichten die Osmanen einen erneuten Waffenstillstand.

Unter Vermittlung der europäischen Großmächte wurde am 30. Mai 1913 der Londoner Vertrag geschlossen, der den Krieg beendete. Die Osmanen verzichteten auf alle europäischen Gebiete westlich der Linie zwischen Midia am Schwarzen Meer und Enez an der Ägäisküste, der Kretische Staat vereinigte sich offiziell mit Griechenland.[20]

Der Balkanbund war ein kurzlebiges Zweckbündnis gegen die Osmanen.[21] Am Ende des Ersten Balkankrieges flüchteten hunderttausende Muslime von der Balkanhalbinsel Richtung Osten. Muslimische Kleidung wurde verboten, Moscheen wurden dem Verfall preisgegeben oder in Kirchen umfunktioniert bzw. in Kirchen zurückgewandelt. Binnen weniger Monate endete die jahrhundertelange Osmanenherrschaft auf der Balkanhalbinsel.

Als weiteres Kriegsergebnis erklärte am 28. November 1912 Albanien seine Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich. Die Proklamation wurde in Windeseile abgehalten, da die in Albanien einrückenden Montenegriner, Serben und Griechen große Gebiete eroberten. Zur Zeit der Unabhängigkeitserklärung besaß Albanien nur zwischen den Städten Korça, Tepelena und Vlora eine nennenswerte Staatsmacht. Laut Londoner Vertrag wurde Albanien jedoch ein größeres Gebiet zugesprochen, das knapp die Hälfte des albanischen Siedlungsraumes umfasste.[22]

Serbien und Griechenland hatten sich schon auf die Aufteilung der albanischen Gebiete geeinigt, aber mit italienischer und deutscher Unterstützung konnte Österreich-Ungarn das verhindern. Durch die Schaffung Albaniens erreichte die Wiener Diplomatie ihr Ziel, Serbien von der Adria fernzuhalten. In der Frage des serbischen Adriazugangs bei Skutari stießen die russische und die österreichische Balkanpolitik direkt aufeinander und es kam zu einer schweren internationalen Krise.[23]

Nach der vereinbarten Waffenruhe mit den Osmanen kam es wenig später zum Streit über die Verteilung der Territorien. Die bulgarische Führung war nicht zufrieden mit den eigenen erzielten Landgewinnen und verlangte von Serbien die Abtretung von weiten Teilen des eroberten Makedoniens. Darüber hinaus überschätzte die bulgarische Regierung die Stärke der eigenen Armee und verkannte auch die strategische Lage auf dem Balkan, die sich mit dem Verteidigungsbündnis vom 19. Mai 1913 zwischen Belgrad und Athen manifestierte. Die Serben waren damit unzufrieden, dass Albanien ihren angestrebten Zugang zur Adria versperrte. Rumänien, das im Ersten Balkankrieg neutral geblieben war, agierte im Zweiten Balkankrieg selbstständig gegen Bulgarien. Das Osmanische Reich ergriff schließlich ebenfalls die Gelegenheit, während der Kriegshandlungen zwischen den serbischen, griechischen und bulgarischen Truppen verlorene Territorien zurückzugewinnen. In der Nacht vom 29. Juni 1913 griffen bulgarische Truppen gleichzeitig die griechischen und serbischen Armeen an, ohne dass Bulgarien den beiden Staaten offiziell den Krieg erklärt hatte. Die Kämpfe zwischen Serres und Saloniki endeten mit einem Sieg der vorbereiteten Verteidiger. Serbien und Griechenland erklärten Bulgarien am 8. Juli 1913 den Krieg. Am 10. Juli erklärte auch Rumänien seinem südlichen Nachbarn den Krieg und am 11. Juli folgte auch das Osmanische Reich. Die Masse der bulgarischen Streitkräfte war zu dem Zeitpunkt in heftige Kämpfe mit griechischen Verbänden verwickelt. Sie mussten sich in diesem Zweiten Balkankrieg innerhalb weniger Wochen geschlagen geben. [24]

Nach dem Waffenstillstand musste Bulgarien im Friedensvertrag von Bukarest vom 10. August 1913 fast alle im Ersten Balkankrieg erzielten Eroberungen wieder abtreten.[25]

Der größte Teil der Region Makedonien fiel an Griechenland und Serbien, der Süden der Dobrudscha ging an Rumänien und Ostthrakien mit Adrianopel zurück an das Osmanische Reich. Der Eintritt Rumäniens im Krieg gegen Bulgarien „vergiftete“ das Verhältnis zwischen den beiden Ländern für Jahre. Noch heute spürt man eine Animosität im Verhalten beider Länder zueinander. Solche Feindschaften gibt es jedoch zwischen vielen Balkanvölkern, ausgelöst vor allem durch die vielen Kriegsverbrechen. Bulgarien behielt vorerst nur einen kleinen Teil der östlichen Region Makedoniens. Mit dem Eingreifen Russlands in die Verhandlungen erhielt Bulgarien letztendlich mit dem Vertrag von Konstantinopel am 29. September 1913 mit Westthrakien doch noch einen Zugang zur Ägäis. Dies verursachte einen neuen Konflikt mit Griechenland, das die Region für sich beanspruchte. Die Osmanen hatten am Ende des Zweiten Balkankriegs mit Hilfe der Freischärler von „Teşkilât-ı Mahsusa“ – einer osmanischen, meist von der Hohen Pforte unabhängig agierenden, jedoch vom Militär unterstützten Geheimorganisation – Ostthrakien mit Adrianopel zurückerobert und wie später beim Völkermord an den Armeniern die komplette bulgarische Bevölkerung dort vertrieben oder ermordet.[26]

Die Hohe Pforte forcierte aufgrund politischer Ängste die Unabhängigkeitsbewegung in der Region Westthrakiens nicht, denn in West-, Nord-, und Ostthrakien lebten ebenfalls hunderttausende Muslime und Christlich-Orthodoxe. Der Vertrag von Konstantinopel bildete neben dem Vertrag von Bukarest den zweiten wichtigen Vertrag am Ende des Zweiten Balkankriegs. Damit wurde Westthrakien mit Einverständnis des Osmanischen Reichs Bulgarien überlassen.

Die Kriege forderten an toten und verwundeten Soldaten: Serbien 71.000, Montenegro 11.200, Bulgarien 156.000, Griechenland 48.000 und Osmanisches Reich rund 100.000.[27] Nicht einberechnet sind dabei Opfer unter den Zivilisten. Die Balkankriege waren Wegbereiter für den Eintritt der südosteuropäischen Staaten in den Ersten Weltkrieg. Das Osmanische Reich trat ebenso wie das auf dem Balkan isolierte Bulgarien an der Seite der Mittelmächte in den Krieg ein. Beide Mächte waren mit den Ergebnissen nicht zufrieden und strebten eine Revision der neu gezogenen Grenzen an.[28]

Die osmanischen Reformkräfte, die nicht zuletzt auch in Reaktion auf die Despotie des Sultans und dessen Gewaltpolitik entstanden waren und aus denen später die Bewegung der sogenannten Jungtürken hervorging, suchten einen anderen Weg. Sie sahen die Rettung des osmanischen Reiches nicht mehr nur allein in einer Reformierung und Modernisierung des Staatswesens, sondern zunehmend auch in der Entwicklung eines neuen, modernen Identitäts- und Integrationskonzepts.

Dem Panislamismus entgegengesetzt wurde zunächst der Osmanismus: ein auf Territorialität und Geschichte gründendes Integrationsmodell, das alle im osmanischen Reich lebenden Bevölkerungsgruppen einschließen sollte. In mehreren Stufen entwickelte sich in den Diskussionen der Reformer jedoch die Vision eines modernen türkischen Nationalstaats, der auf türkischer Kultur, türkischer Sprache, türkischer Geschichte und einem türkischen Territorium aufbauen würde. Daher formulierte Ziya Gökalp (1876/77-1924), der wohl einflussreiche Programmatiker der Jungtürken später, dass der Osmanismus ein geheimer Weg zur Türkisierung gewesen sei. Besondere Bedeutung gewann in diesem Prozess die Idee eines "Vatan" (Vaterland) – der Begriff wurde von Namik Kemal (1840-1888) in Anlehnung an das französische "patrie" gebildet –, das zunächst territorial ebenfalls auf die Grenzen des Osmanischen Reiches bezogen war, später aber mit einer neuen territorialen Orientierung verbunden wurde: "Turan", die Heimat aller Turkvölker. Mit dieser Neuorientierung stellte sich auch die Frage "Wem gehört das Vatan?" neu. In den Generationen der türkischen Reformer spitzten sich also die Diskussionen um die zu erreichende moderne Gestalt des Staates, in der Volk, Territorium und Herrschaft repräsentativ zusammengeschlossen würden, eng zur Frage nach der Identität der Gesellschaft zu. Die aus diesen Überlegungen abgeleitete jungtürkische Politik suchte schließlich die Einheit von Staatsvolk, Kultur und Territorium auf der Grundlage eines völkisch-kulturalistischen Traums zu verwirklichen. Die damit verbundene territoriale Vision "Turan" beschrieb ein sämtliche turksprachigen Völker einschließendes bis zu den Grenzen Chinas reichendes Land. Dabei sind in der Vision "Turan" zwei Gedanken zusammengeschlossen: Zum einen ein territorialer Anspruch, zum anderen ein Anspruch der Neugestaltung eines Volkskörpers. Denn "Turan", so formulierte es Ziya Gökalp, sei ein "sozialer Terminus, der allein Türken einschließt". Er betonte, dass eine kultur- und zivilisationsfähige Nation nicht von einer geographisch oder politisch definierten Gruppe gebildet werden könne. Im Gegenteil: Eine Nation müsse aus Individuen bestehen, die – und hier zeigt Gökalp eine große Nähe zum romantischen Konzept eines Nations- und Volkscharakters, wie er etwa von Johann Gottfried Herder entworfen worden war – eine gemeinsame Sprache, eine Religion, eine Moral, eine Ästhetik, eben: eine gleiche Erziehung und eine gemeinsame historische Erfahrung teilen. In das Zentrum seiner Überlegungen stellte er das Adjektiv halkçılık – halk bedeutet Volk. Verbunden ist diese Vision mit einem gestalterischen Gedanken, der Vision einer Ordnung, die durch gestalterisches Eingreifen geschaffen werden könne.

In der Ideologie der Jungtürken war ein türkisches Volk somit nur als "soziale Einheit" denkbar, als absolute "Harmonie" der Einzelelemente, und als Gesamtzusammenhang von Kultur und Fortschritt, Territorium und Rasse. So wurden die Armenier nicht zufällig im Rahmen der jungtürkischen Ideologie zunehmend zum grundsätzlich Nicht-Integrierbaren Anderen, zum "inneren Fremden" und "politischen Feind", zu einem Hindernis für die Verwirklichung ihrer Vision.

1908 übernahmen die Jungtürken durch eine Militärrevolte gegen den türkischen Sultan Abdülhamid II. die Macht. Von breiten Schichten aller Bevölkerungsgruppen wurde dieser Machtwechsel euphorisch begrüßt – beispielsweise ließ die armenische Partei Daschnakzuthiun, die bereits im Ausland mit jungtürkischen Organisationen zusammengearbeitet hatten, um auf einen Sturz des Sultans und eine konstitutionelle Monarchie hinzuwirken, ihre Mitglieder über die Wahlliste der Junktürken für das wiedereingesetzte Parlament kandidieren. Dieser Umsturz markierte die zentrale Wende nicht nur des politischen, sondern auch des gesellschaftlichen Bildes des Reiches. Während die Atmosphäre von Hoffnungen auf Aufbruch und Zukunft, Moderne, Fortschritt und Emanzipation erfüllt war, arbeiteten die Jungtürken über ihre Parteiorganisation Ittihat ve Terraki Cemiyeti (Komitee für Einheit und Fortschritt) auch außerhalb des Parlaments an der Stabilisierung ihrer Strukturen. Mit der Errichtung zahlreicher Suborganisationen versuchten sie alle sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereiche der Gesellschaft zu beeinflussen. Bald waren die Jungtürken auch mit einer außenpolitischen Krise konfrontiert: bis 1912 verloren sie Gebiete in Nordafrika sowie der Inselgruppe der Dodekanes in der östlichen Ägäis an Italien. Diese territorialen Verluste führten zum Sturz der jungtürkischen Regierung.

Dann kam es am 23. Januar 1913 erneut zum Machtwechsel durch einen Militärputsch unter jungtürkischer Führung. Mit diesem Staatsstreich und der Ausschaltung alter Eliten und politischer Oppositionen gelang dann der Anschluss von Militär und Regionalverwaltungen an die Organisation der jungtürkische Einheitspartei: 1913 existierte keine einzige Berufs- oder Kulturvereinigung mehr, die nicht Ittihat ve Terraki zugehörte. Ein Netz paramilitärischer Unterorganisationen wurde zudem etabliert. Sämtliche Entscheidungen wurden von nun an im Zentralkomitee der Partei getroffen, nach außen repräsentiert vom sogenannten Triumvirat Talat Paşa (1874-1921), Enver Paşa (1881-1922) und Djemal Paşa (1872-1922).

Die gesellschaftliche Stimmung war geprägt von einer Euphorie "nationaler Wiedergeburt" – mit dieser Euphorie und der Hoffnung auf territoriale Expansion sollte das Osmanische Reich dann auch als Bündnispartner Deutschlands in den Ersten Weltkrieg eintreten (29. Oktober 1914). Am Vorabend des Krieges hatten sich die Armenier nochmals an die europäischen Großmächte gewandt, da die erwarteten Veränderungen in den armenischen Gebieten weiterhin nicht erfolgten. Dieser Vorstoß und die mit ihm einhergehende politische Intervention der europäischen Großmächte, die von der Regierung des Osmanischen Reichs als Provokation aufgefasst wurde, hat sicherlich dazu beigetragen, die Entschlossenheit der Jungtürken zu einer radikalen Lösung der "armenischen Frage" zu fördern.

Im Ersten Weltkrieg versuchte man zunächst, sich in einer „bewaffneten Neutralität“ aus den Kampfhandlungen herauszuhalten. Für den Fall, dass man diese Neutralität nicht würde aufrechterhalten können, blieb nur der Anschluss an eine der beiden Mächtegruppen. Traditionell hatte man oft mit dem Deutschen Reich kooperiert (insbesondere wegen des Bagdadbahn-Projekts), aber auch mit den Entente-Mächten gab es enge Beziehungen und einen regen Handel. Auf Betreiben Enver Paschas kam es schließlich zu einem Kriegsbündnis mit Deutschland und Österreich-Ungarn, das allerdings im Kabinett umstritten war. Des Weiteren kam es zur Arabischen Revolte.

Im Osmanischen Reich begriffen führende Politiker den Weltkrieg als Chance zur Rückeroberung verlorengegangener Gebiete auf dem Balkan, zu expansionistischen Zielsetzungen in Richtung Kaukasus und Zentralasien und dazu, eine Lösung der armenischen Reformfrage zu unterbinden. Diese Frage war eng mit der orientalischen Frage verknüpft. Sie bedeutete zugleich eine ständige Möglichkeit zur Einmischung für die westlichen Mächte und Russland in die Innenpolitik des Osmanischen Reichs und konnte einen Vorwand zur Intervention liefern – mit dem Ziel der Aufteilung des Reiches.

Die osmanische Führung kündigte bald nach dem Kriegseintritt das Abkommen vom 8. Februar 1914. Mitten im Weltkrieg, am 5. September 1916, kündigte die osmanische Führung alle weiteren Verträge und Abkommen, die internationale Interventionsmöglichkeiten enthielten. Dazu gehörten der Vertrag von Paris (1856), der Berliner Vertrag (1878), die Deklaration von London (1871).

Am 14. November 1914 trat das Osmanische Reich an der Seite der Mittelmächte in den Ersten Weltkrieg gegen die Entente ein, zu der auch Russland gehörte. Getrieben vor allem von pantürkischen Vorstellungen, aber auch von dem Wunsch, die Gebiete zurückzuerobern, die das Osmanischen Reich in früheren Kriegen an Russland verloren hatte, befahl die osmanische Regierung Ende 1914 eine groß angelegte Offensive im Kaukasus. Diese endete jedoch bereits um die Jahreswende 1914/15 mit einer verheerenden Niederlage in der Schlacht von Sarıkamış. Im Zuge der russischen Gegenoffensive gingen dem Reich weitere Gebiete verloren.

Einige Armenier unterstützten die russische Armee in der Hoffnung auf Unabhängigkeit, und armenische Freiwilligenbataillone kämpften auf russischer Seite. Beides verstärkte bei der jungtürkischen Führung „das Zerrbild eines angeblichen armenischen Sabotageplans“. Obwohl die Mehrheit der armenischen Zivilisten und Soldaten gegenüber dem Osmanischen Reich loyal geblieben waren, machte die Staatsführung die Armenier nun kollektiv für die militärischen Probleme in Ostanatolien verantwortlich. Sie nahm den russischen Einmarsch als Vorwand, das Gros der armenischen Bevölkerung zu deportieren, was unter den gegebenen Umständen einem „Massenmord gleichkam“.

Wann genau das jungtürkische „Komitee für Einheit und Fortschritt“ den Beschluss fasste, die Armenier als Ganzes zu vernichten, lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit bestimmen, da entsprechende Dokumente entweder fehlen, (noch) nicht zugänglich sind oder aber nie existierten. Ein möglicher Grund dafür wird auch im konspirativen Charakter des „Komitees für Einheit und Fortschritt“ gesehen, bei dem es üblich war, wichtige Befehle mündlich zu erteilen. Die zunächst bedrohliche Kriegssituation aufgrund der verlorenen Schlacht von Sarıkamış und die Frustration der jungtürkischen Führung werden als ebenso wichtige Elemente der Vorgeschichte der Vernichtung angesehen wie die ersten osmanischen Erfolge in der Schlacht bei Gallipoli im März 1915. Im Zeitraum von Mitte März bis Anfang April 1915 dürften jedenfalls die entscheidenden Voraussetzungen für die kommenden Ereignisse geschaffen worden sein.

Der erste Schritt bestand in der Entwaffnung der armenischen Soldaten der osmanischen Armeen, die zum Teil anschließend getötet, zum Teil in Arbeitsbataillonen zusammengefasst wurden. Wenig später folgte die Hinrichtung mehrerer dieser Bataillone. Bei diesen und auch den folgenden Aktionen waren hauptsächlich die aus Kurden, freigelassenen Strafgefangenen und Flüchtlingen aus dem Balkan- und Kaukasusgebiet bestehenden Angehörigen der von Bahattin Şakir geleiteten Spezialeinheit Teşkilât-ı Mahsusa beteiligt, der vermutlich noch weitere Freiwilligenbanden (Çete) aller Art zugerechnet werden müssen.

Vor dem eigentlichen Deportationsgesetz vom 27. Mai 1915 fanden bereits im Februar und April die ersten Deportationen in Anatolien statt, die jedoch noch nicht die planmäßige Vernichtung zum Ziel hatten und sich deshalb auf die Überführung von Bevölkerungsteilen aus Adana, Zeytun und Dörtyol ins Landesinnere beschränkten. Auch in diesem Zusammenhang ist nicht völlig geklärt, wann der Entschluss gefasst wurde, die Deportationen so ablaufen zu lassen, dass sie zum Tod möglichst vieler Armenier führen mussten.

Im April 1915 erhoben sich die Armenier in Van und ließen sich nach erfolgreichem Widerstand „zahlreiche Schandtaten gegen die wehrlose muslimische Bevölkerung zuschulden kommen“. Dieser Aufstand und die revolutionäre Gewalt der Huntschak-Aktivisten galten der Zentralregierung als Rechtfertigung für ihr weiteres Vorgehen gegen das armenische Volk. Die armenisch-sozialistische Huntschak-Partei praktizierte indes die Beseitigung all jener armenischen und nichtarmenischen Repräsentanten, die ihren Zielen im Wege standen, und wollte damit staatliche Repressionen gegen die armenische Bevölkerung provozieren, um insbesondere Russland zum Eingreifen zu bewegen. Ferner gab es die sogenannten armenischen Fedajin, die von Persien oder Russland aus „in ganz Armenien Schrecken bei Türken und Kurden“ verbreiteten.

Im April und im Juni 1915 kam es auf Betreiben des Innenministers Talât Bey zu Razzien gegen die armenische Elite in Konstantinopel. Talât setzte sich gegen den Widerstand von Kollegen, die internationale Verwicklungen befürchteten, für die Entfernung der Armenier aus der Hauptstadt ein. Am 24. und 25. April 1915 wurden zunächst 235 Personen verhaftet. Laut offizieller Darstellung vom 24. Mai 1915 betrug die Zahl der Verhafteten schließlich 2.345. In den Akten des Auswärtigen Amtes des Deutschen Reiches werden weitere Verhaftungen und Deportationen von Armeniern Konstantinopels erwähnt und teilweise in Einzelheiten beschrieben. Sie geschahen im Laufe des Jahres 1915 trotz der Versicherung der osmanischen Regierung, die Armenier Konstantinopels zu schonen.

Am 27. Mai 1915 erließ die Regierung ein Deportationsgesetz, das die Sicherheitskräfte anwies, die Armenier einzeln oder insgesamt zu deportieren. Die Armee wurde beauftragt, Opposition oder bewaffneten Widerstand gegen Befehle der Regierung, gegen die Landesverteidigung oder gegen die öffentliche Ordnung unverzüglich mit äußerster militärischer Gewalt zu unterdrücken. Im Einzelnen liegen Berichte darüber vor, dass Grundstücke von Deportierten per Gesetz zwangsübertragen, Barmittel und zurückgelassene bewegliche Habe „vereinnahmt“ wurden. Es sind keine Fälle bekannt, in denen Deportierte für die Enteignung entschädigt wurden. In Häusern verbliebene Möbel und Gegenstände wurden geplündert. Vielfach wurden Gold und Schmuck unterwegs geraubt. Ein weiteres Gesetz verbot es, den Armeniern irgendwelche Nahrungsmittel abzugeben.

Bis in den Juli des Jahres 1915 hinein wurden die meisten Armenier zunächst in ihren Hauptsiedlungsgebieten an einigen Orten konzentriert, überwiegend in den Hauptstädten der betroffenen Vilayets. Sie wurden entweder gleich dort von türkischen Polizisten und Soldaten oder kurdischen Hilfstruppen ermordet oder auf Befehl Talâts ab dem 27. Mai 1915 auf Todesmärsche über unwegsames Gebirge Richtung Aleppo geschickt. Dabei ging es nicht um eine „Umsiedlung“, wie die offizielle türkische Diktion lautet.

Die Deportationen wiesen überall dasselbe Grundmuster auf: Entwaffnung, Ausschaltung der wehrfähigen Männer, Liquidierung der lokalen Führung, Enteignung, Todesmärsche und Massaker. Maßnahmen zur Wiederansiedlung wurden nicht getroffen. So lehnte das Innenministerium ein Gesuch des Gouverneurs von Aleppo ab, provisorische Behausungen für die Deportierten zur Verfügung zu stellen. Alle Angebote anderer Staaten, den Deportierten während der Märsche oder am Zielort humanitäre Hilfe zu leisten, lehnte Konstantinopel strikt ab.

Militärische Erfordernisse für die Deportationen scheiden aus, da der Verdacht auf Zusammenarbeit mit dem Feind sich nicht auf Frauen und Kinder und frontferne Armenier erstrecken konnte, die zudem direkt in die Kriegszone deportiert wurden. Die Deportationen betrafen ferner nahezu die gesamte armenische Zivilbevölkerung Anatoliens, die sich im Allgemeinen ruhig verhielt. Sie waren auch nicht die Folge eines Bürgerkrieges, da es keine zentral gesteuerte landesweite Rebellion der Armenier gab.

An der Logistik der Deportationen war auch das deutsche Militär beteiligt, wie es ein von Oberstleutnant Böttrich, dem Chef des Verkehrswesens (Eisenbahn-Abteilung) im türkischen Großen Hauptquartier, im Oktober 1915 unterzeichneter Deportationsbefehl zeigt, von dem armenische Arbeiter der Bagdadbahn betroffen waren. Die Bagdadbahn selbst und die Anatolische Eisenbahn dienten auch schon vorher dem Transport gefangener Armenier.

In den folgenden zwei Jahren wurden nach und nach auch die in den westanatolischen Provinzen lebenden Armenier – mit Ausnahme von Konstantinopel und Smyrna, wo sich der deutsche General Liman von Sanders unter Androhung von militärischen Gegenmaßnahmen gegen die Deportationen und Massaker stellte – deportiert oder ermordet.

Die Zahl der Menschen, die den Massakern und Deportationen zum Opfer fielen, lässt sich nur schwer beziffern. Das Hauptproblem dabei ist, dass die Bevölkerungsstatistik des Osmanischen Reichs in dessen letzten Jahrzehnten gravierende Mängel aufweist. So gibt es keine verlässlichen Angaben dazu, wie viele Armenier vor dem Krieg im Reich lebten. Das armenische Patriarchat bezifferte die Anzahl der armenischen Untertanen des Sultans mit rund 2,1 Millionen, die letzte osmanische Volkszählung hingegen mit 1,29 Millionen. Je nachdem, von welcher Vorkriegsanzahl man ausgeht und ob man ausschließlich die Hauptphase des Genozids 1915–1917 oder den gesamten Zeitraum bis 1923 berücksichtigt, bewegen sich die Schätzungen zwischen etwa 300.000 und 1,5 Millionen toten Armeniern.

Eine Kommission des osmanischen Innenministers bezifferte 1919 die Zahl der armenischen Opfer auf 800.000. Laut einem Bericht des US-Generals James G. Harbord (1866–1947) habe auch Mustafa Kemal, der spätere Atatürk, diese Zahl anlässlich eines von den beiden im Oktober 1919 geführten Gespräches genannt Großwesir Damad Ferid Pascha, Mustafa Kemal und der türkische Generalstab bezifferten in einem 1928 veröffentlichten Buch die Zahl der armenischen Opfer ebenfalls auf 800.000.

Raymond Kévorkian schätzte in einem 2006 erschienenen Buch, gestützt auf die Zahlen des Patriarchats, die Zahl der bereits in Kleinasien Ermordeten auf rund 880.000. Die Anzahl derer, die im Sommer oder Herbst 1915 lebend in Nordsyrien ankamen, gibt er mit 800.000 an. Etwa 300.000 weiteren in Kleinasien lebenden Armeniern dürfte es gelungen sein, zu flüchten, sich zu verbergen oder auf andere Art den Deportationen und Massakern zu entgehen. Tausende weitere, vor allem Frauen und Kinder, so Kévorkian, dürften schließlich in muslimische Familien gebracht worden sein, wo sie zur Konversion gezwungen oder zu Muslimen erzogen wurden.

Während des Genozids und in den Jahren danach wuchs die armenische Diaspora beträchtlich an. Obwohl die Jungtürken möglichst alle Armenier vernichten wollten, hatten schätzungsweise bis zu 600.000 von ihnen die Ereignisse von 1915 bis 1917 überlebt. Rund 150.000 waren den Deportationen in ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten entgangen und etwa 250.000 Menschen hatten die Todesmärsche und -lager überstanden. Zusammen mit Angehörigen anderer christlicher Minderheiten gelangten viele dieser Überlebenden zunächst in die südlich gelegenen, arabischen Reichsteile und an die Mittelmeerküste. Von dort emigrierten sie später in großer Zahl in die USA, nach Russland, Lateinamerika und Australien oder sie ließen sich in den bald darauf entstehenden Staaten des Nahen Ostens nieder. In den zu Russland gehörenden Teil Armeniens dürften etwa ebenso viele Armenier und andere orientalische Christen geflohen sein wie in den Süden des Osmanischen Reichs. Auch in Abchasien ließen sich viele Armenier nieder, wo sie bis heute die drittgrößte Bevölkerungsgruppe darstellen.

Eine große Zahl Armenier hatte zunächst auch in den westlichen Provinzen des Osmanischen Reiches überlebt, vor allem in den großen Städten. Dort hatten es die Jungtürken – wahrscheinlich wegen der Präsenz ausländischer Beobachter und Diplomaten – nicht gewagt, so offen unbarmherzig vorzugehen wie im Osten. Allerdings wurden auch viele Armenier in den chaotischen Jahren des Türkischen Befreiungskrieges, unter anderem beim Brand von Smyrna, vertrieben oder umgebracht. 1922 lebten in der Türkei schätzungsweise nur noch etwa 100.000 Armenier.

In den 1980er Jahren wurde die Zahl der in der Türkei lebenden Armenier mit rund 25.000 angegeben. Hinzu kamen bis zu 40.000 sogenannte Kryptoarmenier, also Personen, die ihre armenische Abstammung verleugneten. Rund die Hälfte beider Gruppen zählte zu den so genannten Hemşinli, deren Hauptwohngebiete zwischen Trabzon und Erzurum liegen.

Die Ereignisse von 1915 bis 1917 forderten nicht nur zahllose Menschenleben, sondern brachten für die Armenier auch ungeheure materielle Verluste mit sich. Armenisches Eigentum – Grund und Boden, Häuser und Wohnungen sowie persönliche Habe aller Art – wurde fast immer gewaltsam und entschädigungslos enteignet. Für die Täter stellte die Aneignung armenischen Besitzes zweifelsohne einen wichtigen Anreiz dar.

Es kam auch zum Völkermord an den Assyrern und Aramäern. Bei antichristlichen Pogromen in Diyarbakır oder Urfa starben bis zu 55.000 Aramäer und Assyrer, etwa 100.000 wurden gezwungen, zum Islam überzutreten.

Schon am 26. Oktober 1914 ordnete Innenminister Talât Pascha, besorgt wegen russischer Avancen an die orientalischen Christen, die Deportation der Nestorianer aus Hakkâri in die osmanischen Westprovinzen an, wo sie unter Moslems verteilt werden sollten. Mangels Truppen wurde die Deportation verschoben und als sich die Befürchtungen der Jungtürken, die Christen würden sich den russischen Truppen anschließen, als unbegründet erwiesen, ganz abgesagt.

Nach den osmanischen Niederlagen an der Kaukasusfront gegen Russland wandten sich osmanische Regierung, Armee sowie türkische und kurdische Milizen gegen die armenischen und andere christliche Bewohner in ihrem Reich, da diese als Verbündete und Unterstützer des christlich-orthodoxen Zarenreiches betrachtet wurden. Verlässliche Opferzahlen existieren nicht. Die Zahlenangaben zu den assyrisch-aramäischen Opfern schwanken ähnlich wie beim Armenier-Genozid stark und reichen von 100.000 bis 250.000. Darüber hinausgehende Opferzahlen beruhen auf der unreflektierten Übernahme von Angaben der Delegationen der betroffenen Volksgruppen bei den Pariser Friedensverhandlungen.

Auch im Iran wurden beim Vorstoß der osmanischen Armee nach Urmia 1915 zehntausende Aramäer und Assyrer vertrieben oder getötet. Dabei kamen rund 47.000 Assyro-Chaldäer um. Die Opferzahl unter aramäischen syrisch-orthodoxen Christen in Syrien wird für den Gesamtzeitraum von 1914 bis 1918 auf 90.000 geschätzt, allein in Midyat wurden über 25.000 Aramäer ermordet.

Viele der Opfer starben wie die Armenier bei Todesmärschen in die Syrische Wüste an Durst, Hunger, Erschöpfung oder Misshandlungen. Einige Christen konnten mithilfe ausländischer Missionare oder ihrer türkischen oder kurdischen Freunde und Nachbarn gerettet werden. Anders als im Fall der Armenier dürften die Massaker an den syrisch-orthodoxen Christen nicht Teil einer zentralen Regierungspolitik gewesen sein. Vielmehr waren die Provinzregierungen angewiesen, diese nicht wie die Armenier zu behandeln, eine Anweisung, die jedoch folgenlos blieb.

Der Völkermord an den Aramäern, Assyrern und Chaldäern ist einer der am wenigsten bekannten der modernen Geschichte. Die Heterogenität der betroffenen Volksgruppen in wirtschaftlich unbedeutendem Grenzland führte zu einer Vielzahl an lokalen Erfahrungen und selektiven Erinnerungen. Das Gesamtgeschehen des Völkermords zersplitterte so in einzelne, regionale Narrative im Schatten des weit größeren Genozids an den Armeniern. Überlebende berichteten oft nur von lokalen Konflikten mit Nomaden oder muslimischen Fanatikern; die Gründe und Zusammenhänge für Vertreibung und Massaker blieben in dieser lokalen Dimension verborgen.

Die türkische Regierung leugnet den Völkermord, wie auch im Fall der Armenier. Eine internationale Anerkennung des Geschehens, vergleichbar mit dem Armeniergenozid, gibt es bislang nicht. Das liegt an mehreren Faktoren: an der geringen Zahl und dem eher kleinen Einfluss der assyrischen Gemeinschaft in der Welt, am Fehlen eines eigenen Staates, an der Repression in Irak, Iran, Syrien und der Türkei, aber auch an fehlenden Quellen über die Geschehnisse, die sonst fast durchweg türkischen oder armenischen Ursprungs sind.

In den Jahren 1914 bis 1923 kam es zu einer Welle von Griechenverfolgungen im Osmanischen Reich. Während des Ersten Weltkrieges und der Folgejahre veranlasste die Regierung des Osmanischen Reiches die Tötung zahlreicher griechischer Bewohner der kleinasiatischen Halbinsel. Die Maßnahmen umfassten Massaker, Deportationen und Todesmärsche, schließlich die Vertreibung und Umsiedlung der Überlebenden. Gemäß verschiedenen, weit divergierenden Quellen starben mehrere hunderttausend osmanische Griechen in dieser Zeit. Einige der Überlebenden und Flüchtlinge, vor allem jene in den östlichen Provinzen (Vilâyets), flüchteten in das benachbarte Russische Reich. Nach dem Ende des Griechisch-Türkischen Krieges (1919–1922) übersiedelten die meisten der überlebenden Griechen aus dem Osmanischen Reich unter den Bedingungen des Vertrages von Lausanne 1923 nach Griechenland. Im Gegenzug wurden die meisten Türken Griechenlands in die Türkei übersiedelt.

Die Regierung der Republik Türkei – der Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches – behauptet bis heute, dass die Verfolgungen und Vertreibungen durch die Annahme der damaligen Staatsführung ausgelöst wurden, dass die griechische Bevölkerung die Kriegsgegner des osmanischen Staates aus dem Inneren unterstütze. Die Alliierten des Ersten Weltkrieges und zahlreiche ausländische Beobachter der Geschehens vertraten eine andere Auffassung und verurteilten die Massaker als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Inzwischen haben verschiedene Staaten Beschlüsse gefasst, in denen die Kampagne als Völkermord anerkannt wird, so die Parlamente von Griechenland, Zypern, Armenien, Schweden und diversen US-Bundesstaaten.

Griechen lebten bereits zur Zeit Homers in Kleinasien. Noch bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges war die Bevölkerung Anatoliens ethnisch vielfältig, die Bevölkerung schloss Türken, Griechen, Armenier, Kurden, Zazas, Tscherkessen, Aramäer/Assyrer, türkische Juden, Lasen und Aserbaidschaner ein.

Unter den Ursachen für die osmanische Kampagne gegen die griechische Bevölkerung wird die Befürchtung der osmanischen Regierung genannt, die osmanisch-griechische Bevölkerung werde den Gegnern des osmanischen Reiches helfen. Durch die Machtergreifung Eleftherios Venizelos’ hatte sich Griechenland eng mit der Triple Entente alliiert und gehörte nun also eindeutig zum gegnerischen Lager der Mittelmächte, mit denen das Osmanische Reich verbündet war. Daneben drückten einige Verantwortliche die Überzeugung aus, dass man das Osmanische Reich grundsätzlich von den verschiedenen nationalen Gruppierungen, welche die Integrität einer türkischen Staatsnation gefährden könnten, „säubern“ müsse, um einen „ethnisch reinen“ türkischen Nationalstaat zu gründen. Laut dem deutschen Militärattaché erklärte der osmanische Kriegsminister Ismail Enver im Oktober 1915, dass er vorhabe, „das griechische Problem während des Krieges zu lösen“.

Bereits im Sommer 1914 zwang die geheime Guerillaorganisation Teşkilât-ı Mahsusa, unterstützt von Beamten der Regierung und der Armee, griechische Männer im wehrfähigen Alter aus Thrakien und Westanatolien in Arbeitsbataillone, in denen Hunderttausende starben. Hunderte von Meilen in das Innere Anatoliens gesandt, wurden diese Wehrpflichtigen zu Arbeiten im Straßen- und Tunnelbau sowie zu Bau- und Feldarbeiten eingesetzt, wobei sich ihre Zahl stark verringerte – entweder durch Entbehrungen und Misshandlungen oder durch richtiggehende Tötungen und Massaker durch die türkischen Wachen. Dieses Programm der Zwangsrekrutierung wurde später auf andere Regionen des Reiches, einschließlich des Pontos, ausgedehnt.

Die Zwangsarbeit von griechischen Männern wurde begleitet von Deportationen der allgemeinen Bevölkerung, die teilweise den Charakter von Todesmärschen annahmen. Zudem wurden griechische Dörfer und Städte gezielt von Türken eingeschlossen und ihre Bewohner massakriert. Ein solches Geschehen wurde am 12. Juni 1914 aus der westanatolischen Stadt Phokaia fünfundzwanzig Meilen nordwestlich von Smyrna gelegen, berichtet; die entstellten Leichen von Männern, Frauen und Kindern seien anschließend in Brunnen geworfen worden.

Im Juli 1915 erklärte der griechische Geschäftsträger, dass die Deportationen nichts anderes „als ein Vernichtungskrieg gegen die griechische Nationalität in der Türkei sein können; durchgeführte Maßnahmen hierzu waren Zwangsübertritte zum Islam, damit, falls es nach dem Krieg erneut zu einer europäischen Intervention zum Schutz der Christen kommen sollte, so wenige wie möglich von ihnen übrig bleiben.“ In seinen Memoiren schrieb der Botschafter der Vereinigten Staaten zwischen 1913 und 1916, Henry Morgenthau: „Überall werden die Pontosgriechen in Gruppen zusammengelagert und werden, unter dem sogenannten Schutz der türkischen Gendarmerie, ins Innere des Landes transportiert – der größte Teil zu Fuß. Wie viele auf diesem Weg vereinzelt und verstreut wurden, ist nicht eindeutig bekannt, die Schätzungen reichen von 200.000 bis 1.000.000.“

Methoden der Vernichtung, welche den Tod indirekt verursachten – wie Deportationen einschließlich Todesmärschen, das Verhungern in Arbeitslagern und die Konzentrationslager – wurden als „weiße Massaker“ bezeichnet. Die türkischen Kriegsgerichte der Jahre 1919 und 1920 sahen Anklagen gegen eine Reihe von führenden türkischen Beamten für ihre Rolle bei den Massakern gegen Griechen und Armenier vor. In einem Bericht vom Oktober 1920 beschreibt der britische Offizier ein Massaker im nordwestanatolischen Iznik, indem er berichtet, dass mindestens 100 verstümmelte Leichen von Männern, Frauen und Kindern in und um eine Höhle außerhalb der Stadtmauern gebracht worden seien.

Auf die bereits systematischen Massaker an den kleinasiatischen Griechen und die begleitenden Deportationen seit 1914 folgte der Griechisch-Türkische Krieg mit der Besetzung des überwiegend griechisch bewohnten Smyrna im Mai 1919 aufgrund eines Völkerbundmandats. In diesem Krieg verübten diesmal beide Seiten ein gegenseitiges Massaker. Zwischen Mai 1919 und September 1922 verübten auch die griechischen Truppen in dem von ihnen besetzten Teil Westanatoliens begrenzte Massaker an der türkischen Bevölkerung. Die griechische Besetzung endete im September 1922, worauf eine panikartige Flucht der griechischen Bevölkerung einsetzte. Am 13. September 1922 brach im armenischen Viertel der Stadt ein Feuer aus, das sich rasch über die Viertel der Griechen und der westlichen Ausländer ausbreitete und einen großen Teil Smyrnas vernichtete. Dieses Ereignis wurde zum emblematischen Bild der kleinasiatischen Katastrophe in der griechischen Memoria.

Der Historiker Arnold J. Toynbee vertrat die Auffassung, dass es die griechische Besatzung war, welche zur Gründung der türkischen Nationalbewegung von Mustafa Kemal und damit zu einer Verschärfung der Nationalitätenfrage geführt hatte: „Die Griechen des Pontos und die Türken in den griechisch besetzten Gebieten waren in gewissem Grade Opfer der ursprünglichen Fehlkalkulation der Herren Venizelos und Lloyd George in Paris.“ Toynbee stellte die Massaker somit in den Kontext der irredentistischen Politik Griechenlands, nach der überwiegend griechisch besiedelte Gebiete von der Fremdherrschaft befreit werden sollten.

Im Jahre 1917 wurde als Reaktion auf die fortgesetzten Deportationen von und Massaker eine Hilfsorganisation mit dem Namen Hilfskomitee für die Griechen Kleinasiens gegründet. Das Komitee arbeitete in Kooperation mit dem amerikanischen Near East Relief, um Hilfe für die osmanischen Griechen in Thrakien und Kleinasien zu verteilen. Die Organisation wurde im Sommer 1921 aufgelöst, aber die griechische Hilfsarbeit wurde von anderen Organisationen fortgesetzt.

Druck von internationaler Seite wurde vor allem auf die deutschen Botschafter Hans Freiherr von Wangenheim und Richard von Kühlmann, den deutschen Vize-Konsul in Samsun Kuchhoff, den österreichischen Botschafter János von Pallavicini und den österreichischen Konsul in Samsun Ernst von Kwiatkowski sowie den inoffiziellen Agenten in Ankara, den Italiener Tuozzi; das Deutsche Kaiserreich und Österreich-Ungarn waren Verbündete des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg. Ebenso berichteten verschiedene Geistliche und politische Aktivisten von den Geschehnissen, allen voran der deutsche Missionar Johannes Lepsius und Stanley Hopkins vom American Committee for Relief in the Near East. Die Berichte nennen systematische Massaker, Vergewaltigungen sowie Niederbrennungen von griechischen Dörfern und beschreiben die damit verbundenen Absichten der türkischen Beamten, namentlich der türkischen Premierminister Mahmud Sevket Pascha, Rafet Bey, Talat Pascha und Enver Pascha.

Zudem berichteten auch die Korrespondenten der New York Times umfassend über Massaker, Deportationen, einzelne Morde, Vergewaltigungen, Niederbrennungen von ganzen griechischen Dörfern, Zerstörung griechisch-orthodoxer Kirchen, Pläne zur Bildung von Arbeitsbataillonen, Plünderungen, Terrorismus und andere Grausamkeiten an griechischen, armenischen Bürgern, aber auch an britischen und amerikanischen Bürgern und Regierungsbeamten. Weitere Medien berichteten über die Ereignisse der Zeit unter ähnlichen Titeln.

Henry Morgenthau, der Botschafter der Vereinigten Staaten im Osmanischen Reich von 1913 bis 1916, bezichtigte die „türkische Regierung“ einer Kampagne von „abscheulicher Terrorisierung, grausamer Folter, Treiben von Frauen in Harems, Vergewaltigung von unschuldigen Mädchen, den Verkauf vieler von ihnen für jeweils 80 Cent, dem Deportieren und Ermorden Hunderttausender und dem Verhungernlassen weiterer Hunderttausend nach der Vertreibung in die Wüste, sowie die Zerstörung tausender Dörfer und vieler Städte – alles Teil einer vorsätzlichen Ausführung eines Schemas zur Vernichtung der armenischen, griechischen und syrischen Christen der Türkei.“

Verschiedene Quellen beziffern die griechischen Todesopfer in der Pontos-Region von Anatolien mit Zahlen zwischen 300.000 bis zu 360.000. Die Schätzungen für die Zahl der Todesopfer kleinasiatischer Griechen als Ganzes reichen deutlich höher.

Laut den Berichten der Internationalen Liga für die Rechte und Freiheit der Völker zwischen 1916 und 1923 wurden bis zu 350.000 griechische Pontosgriechen in Massakern, Vertreibungsaktionen und Todesmärschen getötet. Die Professorin für Geschichte, Merrill D. Peterson, bestätigt, dass die Zahl der Todesopfer unter den Pontosgriechen bei 360.000 liegt.

Auf der Konferenz von Lausanne Ende 1922 wird der britische Außenminister Lord Curzon aufgezeichnet mit den Worten, dass „eine Million Griechen deportiert, getötet wurden oder gestorben sind.“

Der Artikel 142 des Vertrages von Sèvres von 1920, der im Anschluss an den Ersten Weltkrieg ausgehandelt wurde, bezeichnete das türkische Regime als „terroristisch“ und enthielt Bestimmungen, die dazu dienen sollten, „das im Laufe der Massaker des Krieges gegen Einzelne in der Türkei verübte Unrecht so weit als möglich wiedergutzumachen.“ Der Vertrag von Sèvres wurde von der türkischen Regierung niemals ratifiziert und letzten Endes durch den Vertrag von Lausanne ersetzt. Dieser Vertrag wurde begleitet von einer allgemeinen Amnestie und ohne jegliche Bestimmung in Bezug auf Bestrafung der Kriegsverbrechen.

Im Jahr 1923 führte der Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei zu einer nahezu vollständigen Beseitigung der ethnischen griechischen Präsenz in der Türkei und zu einer analogen Beseitigung der ethnischen türkischen Präsenz in weiten Teilen Griechenlands. Nach Angaben der griechischen Volkszählung von 1928 hatten zu diesem Zeitpunkt 1.104.216 osmanische Griechen Griechenland erreicht. Während die Bevölkerung Griechenlands im Jahre 1921 noch 5.050.000 Einwohner betragen hatte, war sie durch die kleinasiatischen Flüchtlinge auf 6.010.000 angestiegen.

Ausgenommen vom Bevölkerungsaustausch waren insgesamt 110.000 Griechen der Türkei sowie 106.000 Türken in Griechenland. Die verbliebenen Griechen verließen die Türkei später infolge des Pogroms von Istanbul von 1955, die Anzahl der Griechen in der Türkei wird heute zwischen 2.000 und 2.500 Personen geschätzt. Die Anzahl der Westthrakientürken in Griechenland beläuft sich aktuell auf 80.000 bis 120.000 Personen.

Es ist bis dato unmöglich, genau zu wissen, wie viele griechische Einwohner der Türkei zwischen 1914 und 1923 verstarben und wie viele ethnische Griechen aus Anatolien nach Griechenland oder in die damalige Sowjetunion vertrieben wurden.

Dieses Genozid hat auch Nachwirkungen um das Ringen um Zypern zwischen Griechenland und der Türkei. Im Friedensvertrag von Lausanne am Ende des griechisch-türkischen Kriegs von 1919 bis 1922 erkannte die Türkei die britische Annexion an und leistete formellen Verzicht auf Zypern. 1925 wurde Zypern Kronkolonie.

Seit der Jahrhundertwende verstärkte sich unter den griechischen Zyprioten der Wunsch nach Anschluss - Enosis - an Griechenland. Die Menschen hofften, dass die britische Regierung in einem Akt von Großmut - ähnlich wie im Fall der Ionischen Inseln 1864 - Zypern an das Mutterland abtreten würde. Aber diese glaubte, aus militärischen Gründen (Sicherung der Life Line durchs Mittelmeer) nicht auf Zypern verzichten zu können. 1931 schlug sich der Enosis-Wunsch zum ersten Mal sichtbar in größeren Unruhen nieder. Die Kolonialmacht unterdrückte diese und regierte die Insel bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs diktatorisch. Die griechische Regierung verhielt sich gegenüber dem griechisch-zypriotischen Wunsch nach Enosis äußerst zurückhaltend; die britische Schutzmacht sollte nicht verärgert werden. Im Zweiten Weltkrieg spielte Zypern keine Rolle, aber nach Ausbruch des Kalten Krieges und der Gründung der NATO und der CENTO (Central Treaty Organization oder Bagdad-Pakt) erlangte Zypern als Royal-Air-Force-Stützpunkt für Atombomber und Ausgangspunkt für Spionageflüge (U2) große Bedeutung. Vor diesem Hintergrund stand für London fest, dass Zypern als Ganzes britische Basis bleiben müsse.

Der Norden der Insel hat 294.406 (2011) und der Süden 766.400 (2005) Einwohner. Hinzu kommen 7500 britische Militärangehörige und weitere 7000 Zyprer in Akrotiri und Dekelia und 917 Angehörige der UNFICYP. Danach betrug die Bevölkerung Zyperns 1.038.461 Menschen. Hinzu kommen etwa 60.000 Arbeitskräfte aus EU-Ländern, die vor allem vor 2008 angeworben wurden. Die auf der Insel lebenden etwa 778.000 Zyperngriechen machen etwa 72 % der Bevölkerung aus.

1950 hielt die orthodoxe Kirche Zyperns ein inoffizielles Plebiszit über die Enosis ab. Die Enosis („Vereinigung“) bezeichnet die Vereinigung der mehrheitlich von Griechen bewohnten Territorien mit dem griechischen Staat. Die erste Enosis war der Beitritt der Republik der Ionischen Inseln zu Griechenland im Jahr 1864.Erfolgreich war die Enosis-Bewegung auch 1881 mit dem Anschluss Thessaliens und Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Vereinigung Kretas, des südlichen Teils des Epirus und des südlichen Teils Makedoniens mit dem griechischen Staat.

Die Weiterführung der Vereinigungsbestrebungen, die vor allem von Eleftherios Venizelos betriebene Megali Idea, erlitt jedoch mit der Niederlage Griechenlands 1922 im Griechisch-Türkischen Krieg einen entscheidenden Rückschlag. Heute unterstützt keine bedeutende politische Gruppierung mehr den Enosis-Gedanken. Außerhalb Griechenlands existieren ohnehin keine griechischsprachigen Bevölkerungsmehrheiten mehr und die Republik Zypern hat als Staat mittlerweile ein eigenes Selbstverständnis. Heute werden mit Enosis vorwiegend die Bestrebungen der griechischen Zyperer zum Anschluss der Insel Zypern an Griechenland seit dem Zerfall des Osmanischen Reiches bezeichnet. Die Enosis wurde anfangs vor allem von der EOKA und dem Präsidenten Makarios III. vorangetrieben. Mit der Unabhängigkeit der Republik Zypern und der gewaltsamen Errichtung einer Militärjunta in Griechenland endete der Rückhalt bei der Mehrheit der griechisch-zyprischen Bevölkerung.

Im Ergebnis stand eine überwältigende Mehrheit für die Vereinigung mit Griechenland, was aber von der britischen Regierung ignoriert wurde. Der neugewählte Erzbischof Zyperns Makarios III. gab sich damit nicht zufrieden und zwang die Regierung Griechenlands unter Ministerpräsident Alexandros Papagos mit der Drohung zum Handeln, den Fall Zyperns vor die UNO zu bringen. Als Papagos zu verstehen gab, dass er beabsichtige, die Zypernfrage vor die UNO zu bringen, konterte der britische Premierminister Anthony Eden mit der Feststellung, Zypern sei auch eine Angelegenheit der Türkei. London versuchte, die griechischen Ambitionen durch türkische zu neutralisieren, also die Mutterländer gegeneinander auszuspielen. Die Türkei reagierte umgehend auf die britische Offerte: Falls sich am Status von Zypern etwas ändere, sei der Friedensvertrag von Lausanne hinfällig, und Zypern müsse an die Türkei zurückgegeben werde. Durch das britische taktische Manöver wurde Ankara zum Mitspieler im Poker um Zypern; zugleich löste London mit dieser Taktik einen neuen griechisch-türkischen Konflikt aus. Aber Großbritannien betrieb seine divide et impera-Politik nicht nur gegenüber Athen und Ankara, sondern spielte nun auch die Volksgruppen auf Zypern gegeneinander aus.

Griechenland beruft sich in Bezug auf Zypern immer wieder auf das hellenistische Erbe. Nach der Eroberung von Tyros hatte Alexander der Große einen Angriff auf Zypern geplant, bevor er gegen Ägypten vorging (Arrian 2, 18). Nach dem Fall von Byblos schickte Soloi drei Schiffe für die makedonische Flotte, nach der Schlacht bei Issos gingen die Könige von Zypern geschlossen zu Alexander über und sandten 332 v. Chr. 120 Schiffe nach Sidon (Arrian 2, 20). Alexander schickte diese neu erworbene Flotte gegen Tyros, auf dem rechten Flügel die Zyprioten unter Andromachos, auf dem linken Pnytagoras von Salamis und Krateros. Es kam jedoch nicht zur Seeschlacht. Bei der Belagerung von Tyros wurden auch zypriotische Arbeiter eingesetzt.

Als Alexander 331 v. Chr. nach Mesopotamien zog, stellten Zypern und Phönikien jeweils 100 Schiffe zum Schutz des Peloponnes (Arrian 3, 6). 321 v. Chr. verbündeten sich vier Könige von Zypern mit Ptolemaios I. Soter und hielten die Insel gegen Antigonos. Ptolemaios verlor die Insel 306 und 294 an Demetrios Poliorketes, danach verblieb sie bis 58 v. Chr. im Ptolemaierreich. Zypern wurde durch einen ägyptischen Statthalter regiert und war während der Machtkämpfe des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. teilweise ein eigenes Königreich. Mit Athen und Alexandria bestanden enge Handelsbeziehungen. Unter Antiochus Epiphanes wurde ein „Cypriarch“ erwähnt, der anscheinend eine Abteilung zyprischer Söldner im Dienste dieses Herrschers befehligte.

Bereits unter den Ptolemäern gab es eine Versammlung von ganz Zypern, die religiöse Aufgaben wahrnahm. Ihr Versammlungsort war in Paphos. Sie ist bis in die Zeit von Caracalla, vielleicht auch Macrinus nachgewiesen. Ihr oblag auch der Kult des vergöttlichten Herrschers, es gab keinen eigenen Cypriarchen.

1955 begann der Kampf der griechisch-zypriotischen Untergrundorganisation EOKA (Nationale Organisation zypriotischer Kämpfer) unter dem ehemaligen griechischen Offizier Georgios Grivas, der auf Zypern geboren war; der politische Führer der EOKA war Makarios. Die türkischen Zyprioten misstrauten den Enosis-Bestrebungen, denn sie fürchteten, dass der Anschluss an Griechenland zu Diskriminierungen führen könnte. Sie wollten den Status quo aufrecht erhalten und wandten sich daher verstärkt Großbritannien zu. Dies gab der britischen Regierung die Möglichkeit, Inselgriechen gegen Inseltürken auszuspielen.

Um eigene Kräfte zu sparen, stellte sie zur Bekämpfung der EOKA eine Polizeispezialeinheit aus türkischen Zyprioten auf, deren Einsatz zwangsläufig zur Konfrontation mit der EOKA führte. Mit britischer Duldung baute der türkische Generalstab ebenfalls eine bewaffnete Untergrundorganisation (zunächst VOLKAN, später TMT, die türkisch-zypriotische Gegenorganisation zur EOKA) auf. Militärischer Führer war stets ein türkischer Offizier; der politische Führer war Rauf Denkta, seither der Repräsentant der türkischen Militärs auf Zypern. Die politischen Ziele der türkischen Seite wandelten sich während des Konflikts vom anfänglichen Wunsch nach Beibehaltung des Status quo zur Teilung der Insel, türkisch Taksim. 1958 kam es zu ersten Zusammenstößen zwischen der TMT und der EOKA. Zugleich bemühten sich beide Organisationen, funktionierende Kooperationsmodelle der beiden Volksgruppen zu zerstören. So ermordeten TMT-Anhänger zwei türkisch-zypriotische Führer der linken Gewerkschaften und terrorisierten Mitglieder des linken Gewerkschaftsbundes. Ein von der türkischen Regierung inszenierter Anschlag auf das Pressebüro des türkischen Konsulats in Nikosia ließ die Unruhen in einem Maße eskalieren, dass von bürgerkriegsähnlichen Zuständen gesprochen werden darf. Zugleich begann aber auch innerhalb der Volksgruppen ein Kampf gegen "Abweichler".

Das Ausspielen der Mutterländer löste 1956 den griechisch-türkischen Minoritätenkonflikt aus, zu dessen Opfer die Istanbuler Griechen wurden. Es entwickelte sich so etwas wie ein System kommunizierender Röhren: Wann immer Unruhen auf Zypern ausbrachen, kam es zu Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Griechen Istanbuls. Die britische Kolonialpolitik des divide and rule löste letztendlich jene beiden anderen Konflikte aus, die bis heute die Region plagen.

Mit der Gründung der Republik Türkei im Jahr 1923 verstummte die Diskussion um die Völkermorde. Nahezu alle in den Istanbuler Prozessen verurteilten Personen wurden rehabilitiert. Damit begann eine Politik staatlich propagierter Leugnung des Geschehens durch die Republik Türkei. Vor allem der Völkermord an den Armeniern wird als solcher bestritten und geleugnet. Bis heute wird die Qualifizierung der Ereignisse der Jahre 1915/16 als Genozid von der offiziellen Türkei bestritten. Insbesondere eine Vernichtungsabsicht der damaligen Regierung des Osmanischen Reiches wird zurückgewiesen. Häufig wird auch das Argument angeführt, die Deportationen seien eine kriegsnotwendige Maßnahme gewesen, da die Armenier sich während des Ersten Weltkriegs mit Russland solidarisiert und so das Osmanische Reich verraten und gefährdet hätten. Oftmals werden die Deportationen als Antwort auf armenische "Terrorakte" oder "Gräuel" gegen Türken aber auch gegen Griechen und Juden beschrieben, wobei regelmäßig behauptet wird, die Zahl der ermordeten Armenier läge weitaus niedriger als die Zahl der von Armeniern getöteten Türken, oder die Deportationen werden als ein Akt der Notwehr deklariert, zudem als eine Maßnahme, die eine lange Tradition in Kleinasien habe.

Der Völkermord wird von der türkischen Regierung und großen Teilen der türkischen Öffentlichkeit und Wissenschaft in Abrede gestellt. Die Opfer seien Begleiterscheinungen eines von den Armeniern angefangenen Bürgerkriegs. Nach gängiger Ansicht hätten armenische Gruppen den Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum Anlass genommen, sich gegen das Osmanische Reich zu erheben, und dabei zahlreiche Massaker an der türkischen Bevölkerung verübt. Insbesondere wird dabei auf den Aufstand von Van hingewiesen. In dieser Zwangslage habe das Reich seine Existenz bedroht gesehen und aus militärischen Gründen die Umsiedlung (tehcir) der gesamten armenischen Bevölkerung beschlossen. Am 27. Mai 1915 habe die Türkei ein Deportationsgesetz verabschiedet. Die Armenier sollten entschädigt und in die osmanischen Territorien im heutigen Syrien oder Irak umgesiedelt werden. Infolge der Kriegswirren seien durch Massaker, Überfälle, Hunger und Seuchen etwa 300.000 Armenier umgekommen. Einen Befehl Talât Paschas oder des Komitees für Einheit und Fortschritt, die Armenier zu töten, habe es nicht gegeben. Im Gegenteil, es sei vorgesehen gewesen, die Kolonnen der Deportierten zu beschützen und zu versorgen.

Historische Quellen wie die Memoiren des damaligen amerikanischen Botschafters in Istanbul, Henry Morgenthau, und das „Blue Book“ von Toynbee und Bryce werden als nicht neutral und die Andonian-Dokumente als Fälschung betrachtet. Aspekte der türkischen Haltung werden von einigen nichttürkischen Wissenschaftlern unterstützt.

Hikmet Özdemir, Leiter der Armenienabteilung der Türkischen Historischen Gesellschaft, bestreitet ebenfalls, dass es einen Genozid gab. In einem Gespräch mit der Zeitung Die Welt sagte er unter anderem: „Wenn jemand ein Dokument zeigt, aus dem hervorgeht, daß die Regierung die Vernichtung der Armenier beabsichtigte, dann akzeptiere ich das. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Die Armenier kämpften gegen uns, und ihre Deportation wurde aus militärischen Gründen notwendig. Dabei geht aus allen Dokumenten hervor, daß die Regierung um den Schutz der Zivilisten bemüht war, sogar die Vertreibung vom Winter auf den Frühling verschob, um die Menschen zu schonen. Daß so viele starben, war Folge der Kriegswirren, der Witterung, der primitiven Umstände.“

In der Türkei gibt es zunehmend eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Armeniergenozid und der offiziellen Bestreitung als Genozid. Die osmanischen Archive des Ministerpräsidialamts der Türkei werden von der Türkei zwar als frei zugänglich bezeichnet, jedoch wird die Arbeit für Wissenschaftler in den Archiven durch Restriktionen erschwert und nicht alle Dokumente sind veröffentlicht. Im Jahre 2008 gab es im Internet die Unterschriftenkampagne „Ich bitte um Entschuldigung“, an der sich auch Prominente beteiligten.

Der Artikel 301 des türkischen StGB (Beleidigung des Türkentums) wird bis heute dazu eingesetzt, die öffentliche Anerkennung des Genozids an den Armeniern strafrechtlich zu verfolgen. Türkische Schüler lernen spätestens ab dem 10. Schuljahr, dass es keinen Völkermord an den Armeniern gegeben hat und dass Armenier einen Völkermord an den Türken begangen hätten. Diese türkische Geschichtsschreibung muss von den Schülern auswendig gelernt werden.

Zu den politischen Parteien, die mit besonderem Nachdruck die These vom „angeblichen Völkermord“ vertreten, also den Genozid verleugnen, gehören insbesondere die Arbeiterpartei und die Partei der Nationalistischen Bewegung.

Der 2007 ermordete armenische Journalist Hrant Dink wurde 2005 wegen „Beleidigung des Türkentums“ zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die türkische Schriftstellerin Elif Shafak wurde im Jahr 2006 freigesprochen. Eine fiktive Figur ihres Romanes Der Bastard von Istanbul hatte den Völkermord aus armenischer Sicht kritisiert.

Der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk wurde im März 2011 wegen Verstoßes gegen den Artikel 301 zu einer Schadenersatzzahlung an sechs Kläger verurteilt, die sich durch seine Äußerungen zu den Tötungen von Armeniern aus dem Jahr 2005 beleidigt fühlten. Die Verurteilung Pamuks stieß inner- und außerhalb der Türkei auf heftige Kritik.

Insgesamt haben über 20 Staaten die Massaker als Völkermord entsprechend der 1948 beschlossenen und 1951 in Kraft getretenen Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes anerkannt. Die jeweiligen Regierungen der Türkei versuchen trotz politischer Forderungen seitens der Oppositionsparteien und der armenischen Minderheit nach Anerkennung des Genozids durch politischen und diplomatischen Druck, andere Staaten davon abzuhalten, die Geschehnisse als Völkermord anzuerkennen. So berief die Regierung im März 2010 ihren Botschafter aus Washington zurück, nachdem der US-Kongress die Ereignisse als Völkermord klassifiziert hatte. Die Bewertung der Ereignisse spielt insbesondere im Verhältnis zu Armenien eine zentrale Rolle.

Großbritannien hielt Istanbul ab 1920 unter Belagerung. Nach dem Ersten Weltkrieg war die britische Regierung die Hauptverantwortliche dafür, dass die osmanische Nachfolgeregierung der Jungtürken nationale Militärkriegsgerichte (Istanbuler Prozesse) errichtete, die u. a. die Schuldfrage der in den Kriegsjahren von den Jungtürken gebildeten Zentralregierung klären sollte. Da die britische Regierung die nationalen Prozesse als „Augenwischerei“ bewertete, führte sie ab Mai 1919 mehrere jungtürkische Intellektuelle nach Malta ins Exil ab. Ziel war es, internationale Kriegsgerichtshöfe zu erstellen, deren Errichtung allerdings scheiterte. Die britische Regierung betrachtet die vorgebrachten Beweise als nicht ausreichend dafür, die Ereignisse als Genozid zu klassifizieren.

Der britische Kronanwalt Geoffrey Robertson veröffentlichte im Jahre 2009 einen Bericht namens „Was there an Armenian Genocide?“ und enthüllte anhand von Dokumenten des Foreign and Commonwealth Office (FCO), wie Minister über viele Jahre hinweg durch Falschaussagen zum Völkermord an den Armeniern das britische Parlament bezüglich der faktischen Wahrheit dieses Genozids getäuscht haben, um eine Anerkennung des Genozids seitens der britischen Regierung zu verhindern und somit das strategisch sowie politisch wichtige Verhältnis zur Türkei nicht zu gefährden.

Im Dezember 2011 verabschiedete die französische Nationalversammlung ein Gesetz mit dem Inhalt, dass „die öffentliche Preisung, Leugnung oder grobe Banalisierung von Genoziden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen“ mit Haft- oder Geldstrafen geahndet werden kann. Darunter fällt auch der Genozid an den Armeniern. Die französischen Abgeordneten rügten die „unerträglichen Versuche“ der Republik Türkei, Druck auf das französische Parlament auszuüben. Als Reaktion zog die türkische Regierung ihren Botschafter aus Frankreich ab. Das Gesetz wurde im Januar 2012 durch den französischen Senat bestätigt und muss noch vom Staatspräsidenten unterschrieben werden, bevor es in Kraft treten kann. Das französische Gesetz löste nach seiner Bestätigung durch den Senat heftige Kritik und Drohungen gegenüber Frankreich von Seiten der Türkei aus. Das Gesetz wurde im Februar 2012 vom französischen Verfassungsrat als verfassungswidrig erklärt, da es gegen die Meinungsfreiheit verstoße. Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy kündigte daraufhin eine veränderte Fassung des Gesetzes an.

Der türkische Politiker Doğu Perinçek, der in der Schweiz den Völkermord an den Armeniern als „internationale Lüge“ bezeichnet hatte, wurde von den Schweizer Gerichten wegen Verstosses gegen die Rassismus-Strafnorm zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Dezember 2013 urteilte der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, dass damit das Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt wurde. Demnach müssen die Staaten eine offene Debatte über die Geschichte zulassen und auch Minderheitenmeinungen schützen.

Der Völkermord hat auch Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen zwischen der Republik Türkei und der im Jahr 1990 auf dem Gebiet der ehemaligen Armenischen Sowjetstaates gegründeten Republik Armenien. Am 21. September 1991 erklärte sich Armenien von der sich in Auflösung befindlichen Sowjetunion für unabhängig. Das Parlament, die Nationalversammlung, wird alle vier Jahre gewählt. Es gibt nur eine Kammer mit 131 Abgeordneten. Die bedeutendsten Parteien sind die Republikanische Partei Armeniens, die mit Andranik Markarjan bis zu dessen Tod am 25. März 2007 den Premierminister stellte und die Armenische Revolutionäre Föderation (gegründet 1890). Erstgenannte stellt seit den letzten Wahlen 2007 mit den Parteien Blühendes Armenien und Rechtsstaat eine Fraktionsgröße von 79 Sitzen und die Regierungskoalition. Ministerpräsident ist Tigran Sargsjan, ein ehemaliger Vorsitzender der Zentralbank der Republik Armenien.

Am 6. Oktober 1991 wurde Lewon Ter-Petrosjan zum ersten Präsidenten der armenischen Republik gewählt. Am 22. September 1996 wurde er wiedergewählt. Seine Popularität sank jedoch zunehmend. Im Februar 1998 wurde er zum Rücktritt gezwungen, weil er im Krieg um die Region Bergkarabach zusätzliche Zugeständnisse an Aserbaidschan zur Lösung des Konflikts machte. Lewon Ter-Petrosjans Minister, angeführt von Premierminister und späterem Nachfolger im Präsidentenamt Robert Kotscharjan, lehnten einen Friedensplan ab, den internationale Vermittler im September 1997 vorgeschlagen hatten und den Lewon Ter-Petrosjan und Aserbaidschan befürworteten. Kotscharjan gewann 1998 die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen. Seine Wiederwahl 2003 war von Unregelmäßigkeiten und Protesten von Demonstranten begleitet. Im Januar 2006 trat auf Grundlage des Referendums vom 27. November 2005 eine Änderung der Verfassung von 1995 in Kraft, wodurch das Parlament mehr Rechte erhielt, was vom Europarat schon seit langem gefordert worden war. So darf der Präsident zwar weiterhin den Ministerpräsidenten ernennen, welcher fortan jedoch vom Parlament bestätigt werden muss. Die Todesstrafe wurde im September 2003 abgeschafft.

Bei der Präsidentenwahl am 19. Februar 2008 kam es zu Ausschreitungen, die laut offiziellen Angaben acht Todesopfer und zahlreiche Verletzte forderten. Laut den Angaben von Human Rights Watch, Freedom House gab es insgesamt 10 Todesopfer und ca. 350 Verletzte. Berichten zufolge setzte die Polizei Gummiknüppel, Eisenstangen, Leuchtspurmunition, Tränengas und Elektroschockpistolen (Taser) ein. Anhänger der Opposition und ihres Kandidaten Lewon Ter-Petrosjan protestierten tagelang gegen angebliche Wahlfälschungen. Ihr Kandidat kam auf nur 21,5 % der Stimmen, während Amtsinhaber Sersch Sargsjan mit 49,9 % der Stimmen bereits im ersten Wahlgang fast eine absolute Mehrheit erreichte. Beobachter der OSZE stellten zwar Unregelmäßigkeiten fest, konnten jedoch keinen Wahlbetrug feststellen. Die Regierung verhängte einen vierwöchigen Ausnahmezustand und ging mit massiver Waffengewalt gegen die Demonstranten der Opposition vor. Zurzeit befinden sich trotz Protests der internationalen Gemeinschaft noch immer 79 Oppositionspolitiker in politischer Gefangenschaft. Auf Grundlage von Empfehlungen des Europarats respektive der Venedig-Kommission wurde danach in Armenien das Versammlungs-, Medien- und Wahlrecht reformiert und Änderungen im Strafgesetzbuch beschlossen.

Seit dem Konflikt um die Region Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbeidschan im Jahr 1993 gibt es keine diplomatischen Beziehungen zwischen der Republik Türkei und der Republik Armenien. Zudem hält die Türkei die Grenzen zur Republik Armenien geschlossen, was sich überaus negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung Armeniens auswirkt. Erst in jüngster Zeit erfährt diese folgenreiche geschichtspolitische Haltung eine Relativierung sowie eine Aufarbeitung durch zivilgesellschaftliche Initiativen und kritische Wissenschaftler in der Türkei.

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Fußnoten

  1.  ↑ Clewing, K./Schmitt, O. J. (Hrsg.): Geschichte Südosteuropas, vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart, Regensburg 2012, S. 34
  2.  ↑ Hanioğlu, M. S.: A Brief History of the Late Ottoman Empire, Princeton 2008, S. 132
  3.  ↑ Kafadar, C.: Between Two Worlds. The Construction of the Ottoman State, Berkeley 1996, S. 162
  4.  ↑ Kennedy, H.: The Great Arab Conquests. How the Spread of Islam changed the World we live in, Philadelphia PA 2007, S. 76
  5.  ↑ Endreß, G.: Der Islam – Eine Einführung in seine Geschichte. Beck, München 1997, S. 72
  6.  ↑ Kreiser, K.: Der Osmanische Staat 1300–1922, München 2008, S. 140
  7.  ↑ Kafadar, C.: Between Two Worlds. The Construction of the Ottoman State, Berkeley 1996, S. 176
  8.  ↑ Kornrumpf, H.J/Kornrumpf, J.: Fremde im osmanischen Reich 1826–1912/13, Stutensee 1998, S. 46
  9.  ↑ Findley, C. V.: The Turks in World History. Oxford 2005, S. 76
  10.  ↑ Woodhead, C.: The Ottoman World, London 2012, S. 152
  11.  ↑ Hanioğlu, M. S.: A Brief History of the Late Ottoman Empire, Princeton 2008, S. 155
  12.  ↑ Clewing, K./Schmitt, O. J. (Hrsg.): Geschichte Südosteuropas, vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart, Regensburg 2012, S. 38
  13.  ↑ Kornrumpf, H.J/Kornrumpf, J.: Fremde im osmanischen Reich 1826–1912/13, Stutensee 1998, S. 53
  14.  ↑ Hanioğlu, M. S.: A Brief History of the Late Ottoman Empire, Princeton 2008, S. 155
  15.  ↑ Clewing, K./Schmitt, O. J. (Hrsg.): Geschichte Südosteuropas, vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart, Regensburg 2012, S. 38
  16.  ↑ Kornrumpf, H.J/Kornrumpf, J.: Fremde im osmanischen Reich 1826–1912/13, Stutensee 1998, S. 53
  17.  ↑ Endreß, G.: Der Islam – Eine Einführung in seine Geschichte. Beck, München 1997, S. 152
  18.  ↑ Hellmann, M.: Byzanz und die osmanische Herausforderung, Berlin 1999, S. 135
  19.  ↑ Kreiser, K.: Der Osmanische Staat 1300–1922, München 2008, S. 167
  20.  ↑ Ágoston, G. /Masters, B. (Hrsg.): Encyclopedia of the Ottoman Empire. New York 2008, S. 154
  21.  ↑ Barker, T. M.: Doppeladler und Halbmond. Entscheidungsjahr 1683, Graz u. a. 1982, S. 145
  22.  ↑ Ende, W./Steinbach, U. (Hrsg.): Der Islam in der Gegenwart, München 2005, S. 135
  23.  ↑ Hanioğlu, M. S.: A Brief History of the Late Ottoman Empire, Princeton 2008, S. 177
  24.  ↑ Endreß, G.: Der Islam – Eine Einführung in seine Geschichte. Beck, München 1997, S. 187
  25.  ↑ Kornrumpf, H.J/Kornrumpf, J.: Fremde im osmanischen Reich 1826–1912/13, Stutensee 1998, S. 73
  26.  ↑ Ende, W./Steinbach, U. (Hrsg.): Der Islam in der Gegenwart, München 2005, S. 153
  27.  ↑ Hanioğlu, M. S.: A Brief History of the Late Ottoman Empire, Princeton 2008, S. 162
  28.  ↑ Ágoston, G. /Masters, B. (Hrsg.): Encyclopedia of the Ottoman Empire. New York 2008, S. 167f