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Das Revokationsedikt von Fontainebleau

Die Bestimmungen des Ediktes von Nantes und des Gnadenediktes von Alais sahen für den protestantischen Kult bestimmte Einschränkungen vor. Lediglich in Orten, die eine bestimmte Anzahl von protestantischen Einwohnern besaßen, war es erlaubt, Gottesdienste abzuhalten. Diese Grundsätze konnten nachsichtig oder streng ausgelegt werden, in der Regel wurde die letztere Variante gewählt. Im Poitou wurden am 13.9.1663 in Champdeniers sowie am 5.5.1682 in La Mothe-Saint-Heraye die protestantischen Gotteshäuser abgerissen. Im September 1682 warf der Intendant von Paris den dort lebenden Hugenotten vor, dass die in ihrem Gotteshaus zu Charenton ebenso Lutheraner, Zwinglianer sowie Anglikaner tolerierten, obwohl innerhalb des französischen Staates lediglich die calvinistische Religion erlaubt sei.

Die protestantischen Prediger waren ebenfalls von der restriktiven Auslegung des Ediktes von Nantes betroffen. Das Dekret vom März 1683 erlaubte es ihnen bei drohender öffentlicher Abbitte nicht, den Übertritt von Katholiken zum Protestantismus zu dulden oder gar zu unterstützen. Die Erklärung vom 22.5.1683 enthielt die Aufforderung, dass in allen protestantischen Kirchen eine bestimmte Zahl von Plätzen für Katholiken zu reservieren sei. Die Festlegung vom August 1684 besagte, dass kein hugenottischer Pfarrer länger als drei Jahre an einem Ort seinen Beruf ausüben durfte. Am 26.12. 1684 wurde per Dekret festgelegt, dass öffentliche protestantische Gottesdienste lediglich in jenen Orten durchgeführt werden durften, in denen mindestens zehn hugenottische Familien wohnten. Im August 1685 wurde es den französischen Kalvinisten untersagt, Predigten zu halten sowie theologische Schriften oder Bücher zu verfassen. Ab dem 6. August 1685 durften protestantische Pfarrer sich nur noch in mindestens sechs Meilen Entfernung an jenen Orten ansiedeln, an denen der protestantische Kult verboten war.

Anhand dieser Maßnahmen erscheint die Bewunderung, die einer der einflussreichsten hugenottischen Prediger in dieser Zeit, Pierre du Bosc aus Caen, Ludwig XIV. in einer Abhandlung entgegenbrachte, höchst verwunderlich: [1] „(…) Held ersten Ranges, im Frieden, im Kriege, im Kabinett; (…) weise und subtil im Urteil, scharfsinnig und klar sehend in den Geschäften, unermüdlich in der Arbeit, unbesiegbar in den Schlachten, in allen schönen Künsten bewandert. (…) Die Natur allein war zu schwach für ein so großes und so wundervolles Werk. Zweiundzwanzig Jahre Unfruchtbarkeit, die seiner Empfängnis vorausgegangen sind, entreißen selbstverständlich der Natur den Ruhm seiner Geburt. Eine Kraft, über alle zweitrangigen Ursachen erhaben, hat einen so außergewöhnlichen Fürsten hervorgebracht, und die Eigenschaften, die er besitzt, sind ein unvergleichlicher Beweis dafür (…), die eindeutig das Wunder seiner Geburt bezeugen.“

Für diese uneingeschränkte Huldigung Ludwigs XIV. durch einen hugenottischen Prediger existieren mehrere Erklärungsmöglichkeiten. Die These, dass es dabei um politisches Kalkül handelte, um die antihugenottische Haltung des Königs zu verändern und ihn auf die Seite der Protestanten zu ziehen, lässt sich anhand keiner Quelle belegen. Eine opportunistische Grundhaltung gegenüber dem König erscheint ebenfalls zweifelhaft. Wahrscheinlicher ist der grundsätzliche positive Bezug des Predigers auf das absolutistische Königtum in Frankreich. Eine große Zahl hugenottischer Schriften und Zeugnisse zu politischen und gesellschaftlichen Fragen trug im 17. Jahrhundert einen royalistischen Charakter. Sie wurden bestimmt durch die Lehrmeinungen an den beiden bedeutenden reformierten Akademien in Sedan und Saumur, wo die Führungskräfte der Hugenotten durch Professoren wie Pierre du Moulin sowie Moyse Amyraut im Sinne der absolutistischen Lehre erzogen wurden.[2] Weiterhin stand der französische Staatstheoretiker Jean Bodin (1529-1596)[3], der im Jahre 1576 sein Hauptwerk „Sechs Bücher über den Staat“ veröffentlichte, in denen er den Begriff der staatlichen Souveränität herausarbeitete und die Grundlagen des Absolutismus formulierte, auch noch im 17. Jahrhundert im Mittelpunkt des geistigen Lebens in Frankreich.[4] Die vorbehaltlose Treue zum König war eine weit verbreitete Erscheinung unter den hugenottischen Predigern. Selbst nach dem Revokationsedikt von Fontainebleau aus dem Jahre 1685, das die grausame Verfolgung und Ermordung unzähliger Hugenotten auslöste, blieb der Glaube an die absolutistische Herrschaft des französischen Königtums in den Köpfen zahlreicher Hugenotten weiterhin erhalten. Der hugenottische Pastor Merlat, der nach der Aufhebung des Ediktes von Nantes Verfolgungen ausgesetzt war und ins Exil in die Schweiz gehen musste, veröffentlichte im Jahre 1686 in Lausanne ein Werk mit dem Titel „Traktat über die absolute Herrschaft der Fürsten“, in dem er folgenden Standpunkt vertrat:[5] „Die Fürsten, denen Gott erlaubte, zu absoluter Herrschaft zu gelangen, sind an kein Gesetz in Bezug auf ihre Untertanen gebunden (…) Daher ergibt sich die allumfassende Straflosigkeit ihrer Handlungen unter den Menschen und die Verpflichtung der Völker, all das, was ihnen solche Fürsten an Leid auferlegen, ohne Auflehnung zu erdulden, und darin nur Gott allein zu haben, der das Recht auf Rache hätte.“

Die Gesamtheit der hugenottischen Gläubigen litten ebenso unter den gesetzlichen Maßnahmen Ludwigs XIV..[6] Die Deklaration vom April 1663 verweigerte es den erst vor kurzer Zeit zum Katholizismus übergetretenen Hugenotten, diese Entscheidung zu revidieren. Den französischen Protestanten wurde im August 1669 durch ein königliches Edikt die Emigration in Ausland verwehrt. Im Juni 1680 wurde den Protestanten per Dekret der Übertritt zur protestantischen Religion untersagt. Im November 1680 wurden die Richter dazu aufgefordert, kranken Protestanten einen Besuch abzustatten und den Versuch zu unternehmen, sie zum katholischen Glauben zu bekehren. Ein Jahr später wurde diese Bestimmung dahingehend ergänzt, dass der Richter im Falle seiner Verhinderung durch den Bürgermeister des Ortes oder der Stadt vertreten werden musste.

Ludwig XIV. ordnete am 31.01.1681 per Dekret an, dass Kinder von Protestanten, die unehelich geboren wurden, im katholischen Glauben zu erziehen wären.[7] Als Anreiz zur Konversion wurde im April 1681 festgelegt, dass zum Katholizismus übertretende Protestanten zwei Jahre lang von Truppeneinquartierungen ausgenommen wurden. Am 17. 06. 1681 entschied Ludwig XIV., dass die Kinder der Hugenotten im Alter von sieben Jahren das Recht besaßen, zum Katholizismus überzutreten. Eine Erklärung vom 30.08.1682 verbot den Hugenotten, sich außerhalb der Kirche und ohne Pfarrer zu versammeln. Die königliche Bestimmung vom 16.6.1685 besagte, dass alle Untertanen der französischen Krone nicht im Ausland heiraten durften. Am 09.07.1685 wurde den Protestanten mitgeteilt, dass es ihnen verboten wurde, katholische Bedienstete einzustellen. Das Edikt vom 20.08.1685 sah vor, dass Kindern kalvinistischer Franzosen kein Vormund eigener Konfession gestattet wurde.

Die Berufstätigkeit der Hugenotten wurde seit dem Jahre 1680 immer weiter eingeschränkt.[8] Seit dem 20.02.1682 durften sie nicht mehr als Hebamme, ab dem 15.06.1682 nicht mehr als Notar, Staatsanwalt, Amtsdiener oder Polizeibeamter arbeiten. Am 21.08. 1684 wurde ihnen die Betätigung als Gutachter, am 10.07.1685 der Beruf des Notar- oder Rechtsanwaltsgehilfen untersagt. Ab dem 6.08.1685 durften die Hugenotten nicht mehr den Beruf des Arztes ausüben.

Die verschärften Maßnahmen Ludwigs XIV. gegen den französischen Kalvinismus mündeten in das Revokationsedikt von Fontainebleau vom 18.10.1685, das das Edikt von Nantes aufhob. Ludwig XIV. stellte fest:[9] „So sehen Wir nun jetzt mit dem gerechten Danke, den Wir Gott schuldig sind, dass Unsere Sorgen das vorgesteckte Ziel erreicht haben, da ja der bessere und größere Teil Unserer Untertanen von der besagten vorgeblich reformierten Religion die katholische angenommen hat. Weil denn nun dieserhalb die Ausführung des Ediktes von Nantes und alles dessen, was zugunsten der besagten vorgeblich reformierten Religion angeordnet worden ist, den Nutzen verloren hat, so haben Wir geurteilt, dass Wir nichts Besseres tun könnten (…) als das besagte Edikt von Nantes und die besonderen Artikel, die im Anschluß an dasselbe bewilligt worden sind (…) vollständig aufzuheben.“

Das Revokationsedikt von Fontainebleau untersagte jegliche Kultfreiheit der Hugenotten und tolerierte lediglich die individuelle, nicht die öffentlich praktizierte Gewissensfreiheit im französischen Staat.[10] Es sah ebenso die Zerstörung von hugenottischen Kirchen vor:[11] „Und infolgedessen wollen Wir und gefällt es Uns, dass alle Tempel derer von der besagten vorgeblichen reformierten Religion, die in Unserem Königreiche, Ländern, Gütern und Herrschaften Unserer Botmäßigkeit gelegen sind, unverzüglich zerstört werden.“ Weiterhin verbot das Edikt den protestantischen Schulen, Kinder und Jugendliche gemäß ihren konfessionellen Vorstellungen zu unterrichten:[12] „Verbieten die besonderen Schulen der vorgeblich reformierten Religion zum Unterricht der Kinder (…)“.

Hugenottische Eltern wurden dazu gezwungen, ihre Kinder im katholischen Sinne taufen zu lassen. Außerdem mussten protestantische Pfarrer, die nicht bereit waren, zum Katholizismus zu konvertieren, innerhalb von vierzehn Tagen Frankreich verlassen:[13] „Befehlen ernstlich allen Predigern der besagten vorgeblichen reformierten Religion, die sich nicht bekehren und die katholische, apostolische und römische Religion annehmen wollen, vierzehn Tage nach der Veröffentlichung Unseres gegenwärtigen Ediktes Unser Königreich und die Länder Unserer Botmäßigkeit zu verlassen.“

Das Edikt verbot es aber allen anderen Hugenotten „bei Strafe der Galeeren für Männer und Einziehung von Leib und Gut für die Frauen, aus unserem besagten Königreiche, Ländern und Gebieten unserer Botmäßigkeit auszuwandern.“[14]

Nach dem Edikt von Fontainebleau verstärkte Ludwig XIV. die Bemühungen, durch die Herausgabe von Schriften und Büchern den Katholizismus in seinem Königreich weiter zu festigen. Zwischen Oktober 1685 und Januar 1687 belieferten zahlreiche Pariser Buchhändler die königliche Verwaltung und die katholischen Missionare in ganz Frankreich mit über einer Million Büchern; darunter befanden sich 160.000 Katechismen, 128.000 Exemplare des Werkes „L’ imitation de Jesus-Christ“ und 148.000 „katholische“ Übersetzungen des Neuen Testamentes.[15]

Die Lutheraner des Elsass blieben von den Bestimmungen des Revokationsediktes ausgenommen, was durch den Versuch der schrittweisen Eingliederung auf kulturellem und religiösem Gebiet in das Königreich begründet werden kann.[16]

Die Zwangsbekehrungen brachten jedoch nicht den gewünschten Erfolg; der katholische Glaube wurde in vielen Fällen lediglich mit einem Lippenbekenntnis angenommen, während zu Hause und an geheimen Treffpunkten weiterhin die Schriften Johannes Calvins gelesen und protestantische Gottesdienste abgehalten wurden. In den Cervennen feierten ungefähr 100 Hugenotten kurz nach ihrer Konversion zum katholischen Glauben einen geheimen Gottesdienst mit Liedern, Gebeten und Predigten. Außerdem fand in derselben Gegend am Ostersamstag 1689 ein Gottesdienst mit 4.000 Personen hugenottischen Glaubens statt. In der protestantischen Hochburg La Rochelle gelang es ebenfalls nicht, den kalvinistischen Glauben zu unterdrücken. Viele Hugenotten konvertierten formal zum katholischen Glauben, erzogen aber weiter ihre Kinder nach protestantischen Grundsätzen und trafen sich weiterhin in Privatwohnungen zu Gottesdienstfeiern.

Joutard berichtete über die zahlreichen Versuche der Hugenotten, sich dem Diktat des Katholizismus zu widersetzen:[17] „Die ‚Neubekehrten’ lauerten auf die geringste Erlahmung des Eifers der Obrigkeit; alles diente ihnen zum Vorwand, um ihren Verpflichtungen nicht nachzukommen: man hörte nicht die Glocke, die zur Messe ruft, man wurde krank, man vergaß, sein Haus für die Fronleichnamsprozession mit Blumen zu schmücken. In der Todesstunde zeigte sich besonders die Bedeutung dieses Verhaltens. Man wollte nicht zwischen der Letzten Ölung und der Ablehnung des Priesters wählen müssen. Empfing man die Sterbesakramente, ordnete man sich dem ‚Papismus’ unter; stieß man den Priester zurück, riskierte man, als rückfällig (…) angesehen zu werden und sich den schwersten Sanktionen auszusetzen: (…) Deswegen griff die Umgebung zu einer List; sie verheimlichte die Krankheit, und wenn der Priester auftauchte, war der Kranke gerade nicht greifbar, er schlief oder war abwesend.“

In einigen Dörfern gelang es den Hugenotten, in ihre nach der Gültigkeit des Edikts von Fontainebleau zwangsweise entzogenen öffentlichen Ämter zurückzukehren.[18] Dies eröffnete der hugenottischen Bevölkerung die Möglichkeit, sich teilweise offen vom Katholizismus zu distanzieren und ihre eigene Religion innerhalb bestimmter Auflagen wieder ausüben zu dürfen. Der katholische Pfarrer des Dorfes Vebron in den Cervennen stellte fest:[19] „Der Herr de Salgas, der Herr Aures und der Herr Boudon sind die Hähne dieser Gemeinde, auf die alle anderen angewiesen sind und von denen Gut und Böse abhängt; sie sind große Politiker und drehen und wenden die Dinge, wie es ihnen beliebt.“

Nur eine Minderheit der hugenottischen Pastoren schwörten ab, die übrigen und mit ihnen ca. 200.000- 300.000 Gläubige flüchteten unter lebensbedrohlichen Umständen ins protestantische Ausland. Den Ablauf dieser Emigration schildert der französische Historiker Daniel Rops:[20] „Es war eine schreckliche Flucht, eine erbarmungslose Austreibung. Man floh in Booten von den Küsten Aumis und der Bretagne, im Sturm; man floh auf den steilsten Pfaden der Alpen und des Jura, mitten im Winter. Wie viele von diesen Flüchtlingen sind gestorben? Diejenigen, die von der Polizei aufgegriffen wurden, schickte man auf die Galeeren: glücklicher waren jene dran, die auf der Stelle erschossen wurden.“

Diejenigen Hugenotten, die bei ihrem Versuch, Frankreich zu verlassen, von den königlichen Behörden festgenommen wurden, wurden zum Galeerendienst verurteilt. Diese Maßnahme kam häufig einem Todesurteil gleich, denn über die Hälfte der Sträflinge verstarb aufgrund der schlimmen körperlichen Belastungen und der räumlichen Enge, die die Ansteckungsgefahr für Krankheiten erheblich steigerte, auf den Galeeren.

Die Zahl der „galeriens pour la foi“ („Galeerensträflinge aus Glaubensgründen“) betrug 1450 Personen.[21] Selbst auf den Galeeren waren die Hugenotten exorbitanten Schikanen ausgesetzt. In den Jahren 1699 und 1700 zwangen die Offiziere und katholischen Schiffsgeistlichen der Galeeren „La Superbe“, „La Favorite“ und „La Magnanime“ die protestantischen Galeerensträflinge dazu, während einer katholischen Messe niederzuknien und ihre Mütze abzunehmen. Diejenigen Hugenotten, die sich bei diesem Ereignis, das als „affaire du bonnet“ (Mützenaffäre) bekannt wurde, weigerten, den Anordnungen zu gehorchen, wurden auf übelste Weise misshandelt.[22]

Viele Hugenotten hielten trotz Schikanen und Folterungen unbeirrt an ihrem Glauben fest. Das sich im Laufe der Zeit auf den Galeeren entwickelnde Zusammengehörigkeitsgefühl unter ihnen führte im Jahre 1699 zu Gründung einer geheimen Organisation der protestantischen Galeerensträflinge.[23] Diese „Eglise des confesseurs qui souffrent pour la verite de l’Evangile („Kirche der Bekenner, welche für die Wahrheit des Evangeliums leiden“) verfügte über Sympathisanten in der Hafenstadt Marseille und in anderen französischen Metropolen, über die sie Briefe, Bibeln und protestantische Schriften aus den niederländischen Generalstaaten beziehen konnten.[24] Die hugenottische Organisation unterstand einem Direktorium, das aus sieben Personen bestand. Zu den Aktivitäten der protestantischen Organisation gehörte nicht nur regelmäßiger Religionsunterricht, sondern auch die Missionstätigkeit bei katholischen Sträflingen.

Die Flüchtlinge ließen sich vornehmlich bei Glaubensbrüdern in den niederländischen Generalstaaten, in England, in der Schweiz, in den protestantischen deutschen Territorien, insbesondere Brandenburg-Preußen und Hessen, sowie in Skandinavien nieder. Unter diesen Migranten befanden sich überproportional viele Intellektuelle (Pfarrer, Künstler, Literaten, Verleger usw.) sowie hoch qualifizierte Handwerker und Fabrikanten, was für den französischen Staat zu dieser Zeit einen enormen geistigen und wirtschaftlichen Verlust bedeutete. Ein Beispiel dafür stellte die nordfranzösische Stadt Metz dar:[25] „Die Auswanderung so vieler wohlhabender Familien, reicher Kaufleute, leitender Persönlichkeiten der blühenden Gewerbe war ein verhängnisvoller Schlag für das Gedeihen der Stadt und des Metzer Landes. Die Einwohnerzahl sank in erschreckender Weise. Die Güter sanken erheblich im Wert, da viele Häuser unbewohnt blieben und viele Arbeitskräfte für die Bebauung des Landes fehlten (…). Der Handel ging gewaltig zurück.“

Meyer unterschätzte die Auswirkungen der hugenottischen Auswanderung, wenn er feststellte:[26] „Dennoch fiel diese Menschen- und Kapitalflucht nicht so sehr ins Gewicht, denn die Immigration von englischen und vor allem irischen Katholiken nach Frankreich glich die Verluste weitgehend aus. Diese Einwanderung fiel geringer aus, verteilte sich auch über einen längeren Zeitraum und ersetzte den Verlust von Protestanten zwar nicht ganz, doch brachte sie Menschen und Kapital ins Land, die eine gewisse wirtschaftliche Blüte der französischen Häfen im 18. Jahrhundert ermöglichten.“

Die Einwohnerzahl Frankreichs betrug zum Zeitpunkt des Todes Ludwigs XIV. im Jahre 1715 etwa 18 Millionen Menschen; dies waren ungefähr 2 Millionen weniger als zur Zeit der Ermordung Heinrichs IV.[27] Dieser Bevölkerungsrückgang, der vor allem durch die Emigration der Hugenotten begründet werden kann, wirkte sich äußerst nachteilig auf das wirtschaftliche Leben in Frankreich aus. Seit dem Jahre 1690 geriet das von Colbert[28] ausgebaute französische Manufaktursystem in eine Krise. Im Jahre 1715 war die finanzielle Lage Frankreichs derart katastrophal, so dass der Staatshaushalt um 18 Jahresbudgets überzogen werden musste.[29]

Außerdem vernachlässigt Meyer in seiner Argumentation den Bereich des geistigen Lebens in Frankreich, der sehr stark unter der Emigration der Hugenotten litt.

In abgelegenen Gebieten Frankreichs wie den Cervennen spielte der Protestantismus trotz des Revokationsediktes weiterhin eine große Rolle. Während des Spanischen Erbfolgekrieges kam es zu Aufständen der hugenottischen Camisarden (1702-1704), die schließlich von den königlichen Truppen besiegt wurden.[30] Die Zentren des Aufstandes waren die Dörfer Le Mas Soubeyron, St. Jean du Gard, Florac, Castelnau-Valence sowie Le Trabuc. Die weit verzweigten Höhlensysteme in den Cervennen dienten vielen Hugenotten während den Verfolgungen als Versteck.[31]

Es bleibt festzuhalten, dass die religiöse Einheit des Landes, was ein wesentliches Ziel des Revokationsediktes von Fontainebleau darstellte, nicht erreicht wurde.[32]

Der Feststellung von Thaddens ist zuzustimmen, dass das Revokationsedikt und die dadurch resultierende Emigration der Hugenotten einen tiefen Einschnitt in die Geschichte Frankreichs bedeuteten.[33] Das Revokationsedikt brachte die seit längerer Zeit schwelende Krise des absolutistischen Staates zum offenen Ausbruch. Des Weiteren wurde der Protestantismus als Faktor des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebens in Frankreich für längere Zeit ausgeschaltet. Die Flucht der Hugenotten aus Frankreich bedeutete eine der ersten großen Emigrationen in der Geschichte der Neuzeit.[34]

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Fußnoten

  1.  ↑ Leonard, E.G.: Histoire generale du protestantisme, Paris 1961, Bd.2, S. 363
  2.  ↑ Desel, J./Mogk, W.: Hugenotten und Waldenser in Hessen-Kassel, Kassel 1978, S. 17
  3.  ↑ Der aus Angers stammende Bodin hob in seinen Werken die souveräne Macht als Merkmal der staatlichen Gewalt hervor. Für ihn war der jeweilige Herrscher lediglich an die Beachtung bestimmter Grundsätze des natürlichen und göttlichen Rechtes gebunden. Er konnte das positive Recht nach seinen eigenen Anschauungen beliebig verändern. Vgl. dazu Köller/Töpfer, Frankreich, a.a.O., S. 254 oder das Werk von Kamp, M.E.: Die Staatswirtschaftslehre Jean Bodins, Bonn 1949
  4.  ↑ Schunk, Geschichte Frankreichs, a.a.O., S. 26
  5.  ↑ Zitiert aus Joutard, 1685-Ende und neue Chance für den französischen Protestantismus, in: von Thadden/Magdelaine, Die Hugenotten 1685-1985, a.a.O., S. 15
  6.  ↑ Bluche, Im Schatten des Sonnenkönigs, a.a.O., S. 320
  7.  ↑ Ebd. S. 321
  8.  ↑ Ebd. S. 322
  9.  ↑ Deutscher Hugenottenverein (Hrsg.): Das Edikt von Nantes. Das Edikt von Fontainebleau, Flensburg 1963, S. 90
  10.  ↑ Sieburg, Geschichte Frankreichs, a.a.O., S. 141
  11.  ↑ Das Edikt von Fontainebleau. 300-Jahrfeier Oktober 1985. Vortrag von Pfarrer Albrecht Prüfer im Französischen Gymnasium, in: Die Hugenottenkirche, 39. Jg., Nr.10, Oktober 1986, S. 38 f
  12.  ↑ Ebd.
  13.  ↑ Ebd.
  14.  ↑ Deutscher Hugenottenverein, Das Edikt von Nantes. Das Edikt von Fontainebleau, a.a.O., S. 91 f
  15.  ↑ Bluche, Im Schatten des Sonnenkönigs, a.a.O., S. 317
  16.  ↑ Schunk, Geschichte Frankreichs, a.a.O., S. 66
  17.  ↑ Joutard, 1685-Ende und neue Chance für den französischen Protestantismus, in: von Thadden/Magdelaine, Die Hugenotten 1685-1985, a.a.O., S. 20
  18.  ↑ Ebd.
  19.  ↑ Poujol, R.: Histoire d’un village cevenal : Vebron, Aix-en-Provence 1983, S. 132
  20.  ↑ Zitiert aus Spaich, H.: Fremd in Deutschland. Auf der Suche nach Heimat, a.a.O., S. 66
  21.  ↑ Bluche, Im Schatten des Sonnenkönigs, a.a.O., S. 311
  22.  ↑ Ebd.
  23.  ↑ Ebd. S. 312
  24.  ↑ Ebd.
  25.  ↑ Zitiert aus: Erbe, H.: Die Hugenotten in Deutschland, Essen 1937, S. 25
  26.  ↑ Meyer, Geschichte Frankreichs, a.a.O., S. 358
  27.  ↑ Sieburg, Geschichte Frankreichs, a.a.O., S. 147
  28.  ↑ Jean-Baptiste Colbert (1619-1683) bekleidete seit dem Jahre 1661 den Posten des Oberintendanten der Finanzen in Frankreich. Durch grundlegende administrative, ökonomische und finanzielle Reformen schuf er die Voraussetzungen für die Außen- und Kolonialpolitik Ludwigs XIV. Er war einer der führenden Vertreter des Merkantilismus und förderte den französischen Außenhandel und die industrielle Entwicklung des Landes. Außerdem wurde er von Ludwig XIV. zum Oberintendanten der schönen Künste ernannt und gründete im Jahre 1666 die Academie des Sciences. Vgl. dazu Cole, C. W.: French Merkantilism 1683-1700, 2. Auflage, New York 1965; Scoville, W.C.: The Presecution of Huguenots and French Economic Development 1680-1720, Los Angeles 1960, S. 444 f ; Schumpeter, J. A.: Geschichte der ökonomischen Analyse, 2. Bde, Göttingen 1989 oder Mager, W.: Frankreich vom Ancien Regime zur Moderne, 1630-1830. Wirtschafts-, Gesellschafts- und politische Institutionengeschichte, Stuttgart 1980
  29.  ↑ Treue, W.: Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit im Zeitalter der industriellen Revolution 1700-1960, Stuttgart 1962, S. 89
  30.  ↑ Vgl. dazu Almeras, C.: La revolte des Camisardes, Paris 1960 oder Ducasse, A.: La guerre des Camisardes. La resistance huguenotte sous Louis XIV., Paris 1962
  31.  ↑ Gahrig, Unterwegs zu den Hugenotten in Berlin, a.a.O., S. 22
  32.  ↑ Schunk, Geschichte Frankreichs, a.a.O., S. 85
  33.  ↑ von Thadden, R./Magdelaine, M.: Die Hugenotten 1685-1985, München 1985, S. 7
  34.  ↑ Spaich, Fremd in Deutschland. Auf der Suche nach Heimat, a.a.O., S. 66