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Die politische Aufklärung

In der Frage nach der Definition von Aufklärung lässt sich nicht an den Gedanken Kants vorbeikommen. Die Schrift „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ publizierte Kant drei Monate nachdem Mendelssohns Aufsatz „Über die Frage, was heißt Aufklärung?“ bereits in der Berliner Monatsschrift erschienen war. „Entgegen seinem ausgeprägten Willen zum System, hatte Kant immer gezögert, diese scheinbar so hingeworfenen Gedanken in ein System zu bringen.“ Er selbst schaffte es bekanntlich nicht, ein politisches Gesamtwerk zu verfassen. Es scheint, dass Kants geringe Interpretation bezüglich seines politischen Denkens damit zu tun hat, dass kein System feststellbar ist und eine Unterbringung in seinen Hauptwerken praktisch nicht stattfindet, sondern in Gelegenheitsschriften Einhalt erfährt. Dies suggeriert somit auch quantitativ gesehen deren geringere Bedeutung und führt nicht zuletzt zur späteren Niederschrift in der Zeit des späten Kant.

Ein anderer Grund, weshalb Kant kein politisches Gesamtwerk zustande brachte, liegt sicherlich darin, dass er nie eine aktive Rolle in der Politik eingenommen hatte, wie beispielsweise Hume, Locke oder Montesquieu. In Kants Aufsatz „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ finden sich Ansatzpunkte für eine politische Theorie Kants, die in der Hinsicht interessant sind, weil Kant noch nicht gezwungen war, seine schriftstellerische Freiheit zu beschränken, wie es nach dem Tod Friedrichs gewesen ist und den er auch als aufgeklärten Staatslenker betitelt. Im Folgenden soll zunächst untersucht werden, was „Aufklärung“ für Kant bedeutet und inwieweit Vernünftiges handeln für einen „aufgeklärten“ oder „idealen Staat“ notwendig ist.

Für Kant stellt die Aufklärung eine historistische Epoche dar, deren Aufgabe es ist, die Menschen geistig zu emanzipieren und irrationalem Denken Einhalt zu bieten. Dabei unterscheidet Kant zwischen dem „Zeitalter der Aufklärung“ und dem „aufgeklärten Zeitalter“. Ersteres ist als reine historische Epoche anzusehen, in der gesellschaftliche Institutionen aufgeklärten Inhalt behandeln und nicht mit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gleichzusetzen ist, denn diese betitelt Kant nicht als aufgeklärt. Vielmehr wird in ihr der Mensch dazu befähigt, aus der „Unmündigkeit“ herauszutreten und sich seiner Vernunft zu bedienen, ohne sich anderen fügen zu müssen. Dies soll in vielen verschiedenen Bereichen erfolgen, beispielsweise beim staatlichen Gesetzgebungsprozess oder bei der öffentlichen Meinungsbildung. Gründe für ein Nicht-aufgeklärt-sein sind für Kant Faulheit und Feigheit, die den Menschen seiner Mündigkeit berauben. Es ist bequemer und vermeintlich sicherer, die eigenen Aufgaben anderen Menschen aufzuerlegen. Anstatt sein eigenes Handeln zu reglementieren und zu reflektieren, ist es angenehmer, Seelsorgern oder Ärzten die Verantwortung aufzubürden. Kant geht es hier nicht darum zu sagen, dass das Einholen eines medizinischen oder geistlichen Rates unrühmlich ist, das stellt er gar nicht in Frage. Es ist durchaus „aufgeklärt“, Expertenmeinungen einzuholen und sich selbst und letzen Endes auch die Gesellschaft durch Wissensaustausch voran zu treiben.

Was Kant hier jedoch kritisiert, ist zum einen das Abwälzen der eigenen Verantwortung auf andere und somit auch das Über-Gebühr-Belasten dieser, was zur Konsequenz hat, dass diese somit weniger Raum haben, um sich selbst zu entwickeln. Hier findet also eine Art Ausnutzung der Gesellschaft statt. Zum anderen soll der Mensch weiter nach dem Fortschritt streben und die „Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit“ jedes Mal aufs neue ablegen. Früher, als der Mensch naturbedingt an fremde Leitung (naturaliter maiorennes) gebunden war, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich dem Herrschenden zu unterwerfen und sein Schicksal hinzunehmen. Heute steht der Mensch in der Pflicht , sich nicht durch die Meinung oder Herrschaft anderer entmündigen zu lassen. „Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen, ist genau die falsche Vorgehensweise, die als „sehr gefährlich“ einzuschätzen ist.

Kant ist sich der „Ungemütlichkeit“, seinen eigenen Geist zu bearbeiten, um der Unmündigkeit zu entfliehen, durchaus bewusst und appelliert an jeden Menschen sich in Selbstaufklärung zu betätigen. Hinsichtlich des Begriffes „Aufklärung“ versteht Kant darunter nicht die oder eine Epoche, sondern schreibt jeder Generation eine eigene Aufklärung oder besser Aufgeklärtheit zu, jeweils in ihrem eigenen Sinne. Es findet in jeder Epoche Aufklärung statt, welche die nachfolgende Epoche als Ausgangspunkt für ihr weiteres Aufklären benutzt. Bei Aufklären und Aufklärung handelt es sich im kantischen Sinne um zwei in Relation zueinander stehende Begriffe, wobei nicht jede aufklärende Epoche als aufgeklärt gelten kann. Im Idealfall und als Ziel der Menschengeschichte wird Aufklärung und Aufklären zu ein und derselben Sache und kultiviert durch Vernunft die Gesellschaft.

Kant versteht unter dem Begriff der Aufklärung Erziehung, Bildung und sittliche Vervollkommnung des Menschen. Aufklärung bedeutet jedoch auch Freiheit im Allgemeinen. Der Mensch darf gewissentlich handeln, seine Meinung frei äußern, Überzeugungen offen kundtun, politisch handeln und gesetzgebende Organe kritisieren. Dabei steht der Mensch im Vordergrund, der aktiv seine Handlungen ausführt und seine Vernunft gebraucht. Die Aufklärung stellt ein Symbol der Menschlichkeit dar. Würde der Mensch „roh“ und ohne Vernunft handeln, so wären seine Handlungen naturgetrieben, was ein Zurückwerfen in einen barbarisch-animalischen Zustand zur Folge hätte.

Obwohl schon im 18. Jahrhundert Formulierungen wie „aufgeklärte Zeit“, „Zeitalter der Vernunft“, „erleuchtetes Zeitalter“ oder „Zeitalter der Kritik“ verwendet wurden, ist die Entstehung des Begriffs „Aufklärung“, wie bei vielen anderen Epochen auch, nicht so selbstverständlich, wie es heute erscheinen mag. Selbst bei den Anhängern und Vertretern der Aufklärung bestand keine Einigkeit. Trotz dieses vielfältigen Charakters der Aufklärung gibt es bei der Bedeutung des Begriffes kaum Probleme. Die Aufklärung bezeichnet immer ein „kritisches Denken mit dem Ziel, das Zusammenleben der Menschen in der Gesellschaft zu verbessern“. In diesem Sinn hat aufklärerisches Denken praktische Absichten. So sah es auch Kant in seinem oben schon erwähnten Aufsatz. Er verstand, warum es für die Menschen so schwer ist, „sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten“, da es für sie einfacher und risikoloser sei, sich Vormündern bzw. den Souveränen zu unterwerfen, die nach der Devise verfuhren: alles für das Volk, aber nichts durch das Volk.

Kant war zu sehr Philosoph und zu wenig politischer Praktiker, als dass er die Beseitigung der Unmündigkeit als politische Forderung betrachtet hätte. Ihn störte die Unmündigkeit nur auf einem ganz bestimmten Gebiet, auf dem Gebiet der „Religionssachen“, denn hier sei die „schädlichste…[und] auch entehrendste unter allen.“

Lessings Lebenszeit umfasst zwar nur etwas mehr als fünf Jahrzehnte, diese werden jedoch oft als paradigmatisch für das 18. Jahrhundert angesehen. Ein Grund hierfür ist, dass seine Lebenszeit beinahe gleichmäßig beide Jahrhunderthälften umgreift. Des Weiteren werden die Jahre um 1750 als wichtige Wende innerhalb der deutschen Literatur und Geistesgeschichte aufgefasst. Betrachtet man einmal die bedeutendsten politischen Ereignisse zu der Zeit, so lassen sich einige signifikante Begebenheiten finden: um 1740, als Lessing seine ersten literarischen Versuche unternahm, bestieg Friedrich II. von Preußen den Thron und Maria Theresias Regierungszeit begann. Und der Siebenjährige Krieg fiel ziemlich genau in die Mitte von Lessings Leben. Ein weiterer wichtiger Grund ist, dass Lessing zum größten Teil während der Epoche der Aufklärung lebte und seine Werke fast ausschließlich als die eines Aufklärers bezeichnet werden können. Kein anderer Schriftsteller der Aufklärerzeit hat so konsequent und effektiv die neuen Möglichkeiten von Öffentlichkeit genutzt und gefördert wie Lessing, was aus ihm einen fast konkurrenzlosen Autoren des 18. Jahrhunderts machte.

Lessing wuchs in der christlichen Tradition des väterlichen evangelisch-lutherischen Pfarrhauses auf. Als Siebzehnjähriger begann er, auf Wunsch des Vaters, ein Theologie-Studium, das er jedoch schon nach einem Jahr wieder abbrach. Trotzdem bestimmten theologische Fragen seine Werke und beschäftigten ihn hauptsächlich im letzten Jahrzehnt seines Lebens. Die Suche nach Wahrheit war für ihn auch Suche nach religiöser Wahrheit und nach Wahrheit des Glaubens. „Ich bin Liebhaber der Theologie, nicht Theologe.“, schrieb er über sich selbst.

Den Ideen der Aufklärung begegnete Lessing bereits als Student in Leipzig und als junger Schriftsteller in Berlin. So sehr er auch ‚Aufklärer’ war, so lässt er sich keiner der philosophischen Denkschulen der Zeit zuordnen - er gebrauchte seinen eigenen Verstand. Aufklärung war für ihn aktives Handeln und damit auch ein fortwährendes Selbstexperiment des eigenen Weiterlernens. Er nutzte Hypothesen, die als Denkanstöße fungieren sollten, statt ein fertiges Gedankensystem zu präsentieren; das machte die Lebendigkeit des Lessingschen Stils aus. Er kämpfte gegen erstarrte und unbefragt übernommene Positionen an und hoffte, dass das bürgerliche Publikum diese Angriffe verstand.

Der schottische Philosoph David Hume beeinflusste mit seinen aufklärerischen Ideen die britische Krone und Gesellschaft.

Hume stellte den Menschen in den Mittelpunkt seines Philosophierens. Er ging davon aus, dass die Menschen zum Handeln und Denken geboren sind. Deshalb entwickelte er mit seiner Philosophie einen Rahmen von Basisannahmen, die Erläuterungen und Anleitungen zum menschlichen Handeln und Denken gaben. Diese Basisannahmen nannte er 'principles'. Es handelt sich hier um Regeln, bzw. regelhafte Abläufe, die für Hume nicht dem Menschen als ewige Gesetze vorgegeben, sondern von einem Menschen für andere Menschen gefunden worden waren. Die Ergebnisse seiner Philosophie sollten gesellschaftsverbessernd wirken und die Wissenschaften grundlegend verändern.

Aus seinen 'principles' des 'human understanding' folgerte er, dass menschliches Wissen von kultureller Gewohnheit (custom) bestimmt werde. Der Terminus 'human understanding' bezeichnete daher die 'Interpretation der Welt durch Menschen' und nicht 'den menschlichen Verstand', wie es die Tradition der deutschen Übersetzungen unterstellt. 'Verstand‘, 'Vernunft', 'Wille' und weitere metaphysische Termini wurden von ihm durch beobachtbare Tätigkeiten bzw. Prozesse ersetzt. Die Grundlagen für seine neue Philosophie fand Hume durch Hinsehen auf Anatomie bzw. Physiologie, menschliches Verhalten und eigenes Denken. Seine Überlegungen und Schlussfolgerungen (reasonings) daraus waren die Inhalte seines Philosophierens.

Hume verwarf alle bisherigen metaphysischen Philosophien und ihre dogmatische Denkweisen, weil sie aus seiner Sicht von weitreichenden Theorien statt vom Beobachten ausgingen. Beobachten, Hinsehen auf menschliches Handeln und Denken sowie die Schlussfolgerungen bzw. seine Behauptungen daraus gehörten zur 'experimentellen Methode' seines Philosophierens. Seine Experimente unterschieden sich von denen in den Naturwissenschaften dadurch, dass sie nicht im Labor 'gemacht', sondern nur zufällig beobachtet werden und von ihm gesammelt werden konnten. Er bezog zeitgenössische medizinische Forschungsergebnisse über die menschliche Natur und deren Funktionsweise in sein Philosophieren mit ein.

Aus Hume's Sicht stellte die Physis jedem Menschen das zur Verfügung, was er zu seinem Handeln und Nachdenken brauchte. Menschliche Vorstellungen entstehen aus sich ähnelnden 'impressions' bzw. ihren Kopien den 'ideas', die auf assoziative Weise verbunden und durch Fantasieren vervollständigt werden. Die selbstverständliche Sichtweise, dass Kausalität beobachtbar sei, sei u. a. durch die spezifischen Eigenschaften des menschlichen Denkens bedingt. Daher empfahl er, eigene Wahrnehmungen, das, was Menschen sehen und fühlen und deren Mitteilungen sowohl für Menschliches als auch innerhalb der Wissenschaften sehr genau zu erforschen, anstatt voreilig davon auszugehen, dass die Dinge so sind, wie sie dem Menschen auf den ersten Blick zu sein scheinen. Seine eigenen Annahmen möchte er nur auf das beziehen, was er mit anderen gemeinsam betrachten und dadurch abgleichen könne.

Hume ging in seiner Erkenntnistheorie von der menschlichen Natur aus. Den Terminus Natur bezog er u. a. eher nebenbei auf anatomisch-physiologische Vorgänge vor allem aber auf das durch Neigungen ('passions') geprägte Handeln und die Vorstellungsweise ('understanding' bzw. 'imagination') von Menschen. Beides untersuchte er an sich und anderen. Die Reizbarkeit von Nerven war seit dem 17. Jahrhundert eine zum Teil begründbare Annahme von Anatomen und Physiologen.

Es entstanden Theorien darüber, dass und wie Nervenreize – auch Empfindungen genannt –, Reizverarbeitung im Gehirn und Muskelbewegungen zusammenhängen und durch welches Fluidum dieser Zusammenhang ermöglicht werde. Zur Bezeichnung dieses unbekannten Fluidums war der schon von Descartes benutzte metaphorische Terminus animal spirits im Gebrauch, der sich auch bei Hume findet. Die zeitgenössische Anatomie und Physiologie gingen im Hinblick auf die Reizbarkeit der Nerven davon aus, dass die menschliche Natur, um sich zu erhalten, keinen Geist brauche. Hume konstatierte in seiner Abhandlung über die menschliche Natur, dass Nervenreize ('sensations') und die mit ihnen verknüpften perceptions Grundlage menschlichen Handelns und Nachdenkens seien. Diese perceptions variieren je nach Stärke und Lebhaftigkeit.

Von diesen Annahmen ausgehend formulierte Hume die Grundthese seines Sensualismus: Alle ideas, so komplex sie auch sind, lassen sich von impressions ableiten. So verbinden Menschen zwei bereits erworbene Vorstellungen “golden” und “Berg” – die sie bereits früher kennengelernt haben -, wenn sie an einen ‘goldenen Berg’ denken. Menschen können sich ein Bild von einem ‘tüchtigen Pferd’ machen, weil sie ‘tüchtig’ aus eigenem Erleben kennen und Pferd mit 'impressions' bzw. 'ideas' verbinden. Kurz gesagt: Alles, worüber Menschen sich Gedanken machen und womit sie Vorstellungen von etwas entwickeln, stammt von Nervenreizen ('sensations'), bzw. perceptions, genauer impressions.

Die perceptions und seine auf Beobachtungen gegründeten Überlegungen (experimental reasonings='Annahmen, Behauptungen') waren der Ausgangspunkt für Humes Philosophie vom Menschen, die er Menschenwissenschaft nannte und die zu seiner Zeit innerhalb der Gelehrtenrepublik von anderen unter dem Terminus Moral Philosophy zum Thema der Zeit gemacht wurde.

Das Problem der Außenwelt besteht für ihn in der philosophischen Frage, ob die äußeren Dinge um uns herum unabhängig und verschieden von unseren Wahrnehmungen existieren. Hume behandelte dieses Problem u. a. im Abhandlung über die menschliche Natur. Er stellte fest, dass sich der Glaube an die Existenz der Außenwelt nicht durch rationale Begründungen stützen lasse. Nach seiner sensualistischen Grundthese sind die Sinne die einzige Quelle unserer Kenntnisse über die Außenwelt, und diese liefern uns nur Wahrnehmungen, aber nicht den geringsten Hinweis darauf, dass unsere Sichten oder Interpretationen von etwas außerhalb ihrer selbst verursacht werden: „Die Funktion der Sinne dürfte ungeeignet sein, um daraus die Vorstellung (idea) ableiten zu können, dass Dinge fortdauernd vorhanden sind, nachdem sie unseren Sinnen längst entschwunden sind. Wir kommen zu widersprüchlichen Aussagen, wenn wir das behaupten. (…) Die Sinne liefern nur einzelne Wahrnehmungen ohne den kleinsten Hinweis auf etwas außerhalb und von uns Verschiedenem.“

Diejenigen Wahrnehmungen, denen wir eine von uns unabhängige Existenz zuschreiben, unterscheiden sich von den übrigen durch wahrnehmbare Konstanz und Kohärenz: Werden sie eine Zeit lang nicht beobachtet (wendet man den Blick vom Schreibtisch ab), dann lassen sich davor gemachte Wahrnehmungen entweder wiederherstellen (indem man wieder zum Schreibtisch hinblickt) oder die Änderungen sind nachvollziehbar (der Schreibtisch wurde verschoben, dadurch ist aber nur seine Lage geändert, nicht etwa sein Aussehen). Humes Theorie zufolge empfinden Menschen die Tatsache, dass alle Wahrnehmungen unterbrochen erscheinen und dann in nahezu gleicher Form wieder aufgenommen werden, als Widerspruch, und sie versuchen, diesen Widerspruch durch die ihnen glaubwürdige Vorstellung ('Imagination') einer realen unabhängigen Existenz des Objekts aufzulösen.

Hume zufolge gibt es kein Selbst oder Ich . In seiner Erläuterung machte er erneut Gebrauch von seiner Grundthese des Sensualismus: Gäbe es das Selbst, bzw. Ich, so müsste sich diese Vorstellung letztlich von einem Sinneseindruck ('sensation' bzw. 'impression') herleiten lassen. Im menschlichen Kopf gibt es für Hume aber nur eine ständige Abfolge von impressions und ideas oder Bündel von 'perceptions', keinen konstanten oder einheitlichen Sinneseindruck, der alles zusammenhält und daher mit dem Ich gleichgesetzt werden könnte.

Hume verwies darauf, dass es auch andere Fälle gibt, in denen Identität zugeschrieben wird, obwohl sie im strengen Sinne gar nicht vorliegt. So wird ein Schiff, bei dem man eine Planke austauscht, immer noch als dasselbe angesehen, obgleich es nach Hume nicht mehr wirklich mit dem vorherigen Schiff gleichgesetzt werden kann, da es nach der Reparatur teilweise aus anderem Material besteht.

Hume versuchte nun aufzuweisen, wie die Abfolge der perceptions als etwas Identisches aufgefasst wird, wie es also zu der Fiktion, bzw. generalisierenden Vorstellung des Ich kommen könne. Diese Fiktion entstehe durch den engen Zusammenhang der perceptions im Menschen. Der Zusammenhang bestehe darin, dass die verschiedenen perceptions einander verursachend beeinflussen, indem nämlich impressions durch Assoziation entsprechende ideas hervorrufen und diese wiederum impressions erzeugen. Wichtig ist hierbei das Erinnern, das dem Menschen erlaubt, sich vergangene perceptions zu vergegenwärtigen. Letztlich ist es also dieser Zusammenhang der perceptions, der den Menschen dazu bringt, die Abfolge der Wahrnehmungen in einer Identität, bzw. Einheit zusammen zu fassen, die dann Ich genannt wird.

Hume vertrat in der Debatte um den freien Willen eine Form des Kompatibilismus. Seine Argumentationsstrategie beruhte insbesondere auf einem bestimmten Begriff von Freiheit. Humes Ansicht nach müssten freiheitliche Handlungen derart definiert werden, dass sie durch den Willen und den Wunsch des Handelnden verursacht wurden, nicht etwa dadurch, dass sie keine Ursache hätten, da eine Handlung ohne Ursache und Notwendigkeit nicht existiere.

Eine freiheitliche Handlung sei demnach jene Handlung, die durch interne Ursachen und nicht durch externe verursacht ist (also nicht ohne Ursache ist, sondern eine Ursache eines anderen Typs hat). Beispielsweise habe eine Person die freie Wahl in einem Zustand zu ruhen oder sich fortzubewegen, sofern sie nicht etwa als Häftling durch Ketten davon abgehalten wird. Der Wille zur Ruhe bzw. zur Fortbewegung sei eine interne, freiheitliche Ursache, während die Ketten eine externe Ursache seien, die den Handelnden zu einer Handlung zwingen. In dieser Interpretation des Begriffs von Freiheit lassen sich deterministische Konzepte mit Freiheit in einem Kompatibilismus vereinen.

Eine zunehmende Mündigkeit der Bürger war unter der Aufklärung klar erkennbar.

Zwar stellten Beamte, Universitätsprofessoren und die durch die Aufklärung häufig zu „Volkslehrern“ sich entwickelnden Pfarrleute und Prediger die Wortführer des aufgeklärten städtischen Bürgertums. Daneben und mit ihnen zunehmend durch Eheschließung verbunden, bezogen aber auch Kaufleute und Handwerksvertreter als traditionelle städtische Eliten aus der Aufklärung neue Reputation, da ihnen die Nützlichkeit für das Gemeinwesen nicht abzusprechen war, nun aber auch das ihnen zugeordnete Motiv des schnöden geldlichen Gewinnstrebens – im Zeichen einer weniger religiös geprägten Betrachtung ökonomischer Sachverhalte – sie nicht mehr aus der „guten Gesellschaft“ ausgrenzte. Das Bürgertum bildete fortan eine erweiterte Wertegemeinschaft, die Meinungsführerschaft in einer zunehmend gebildeten und reformorientierten Öffentlichkeit beanspruchte.

Ständige Orte des geselligen Beisammenseins von Gelehrten und Gebildeten, des Gedankenaustauschs und engagierter Dispute im Zeichen aufklärerischen Denkens waren die zumeist von Frauen unterhaltenen Salons mit berühmten Beispielen in Paris und Berlin. Während Freimaurer und Lesegesellschaften Frauen ausdrücklich ausschlossen, konnten sie im Rahmen der von ihnen geführten Salons an den gelehrten Erörterungen ihrer Gäste sowohl teilhaben als auch eigene Impulse setzen, beginnend bei der durch Einladung bestimmten Zusammensetzung ihrer Gäste-Runden.

Eigene Gesellschaften werden im 17. und 18. Jahrhundert innerhalb der westlichen Gesellschaften gegründet, mit dem Ziel, erzieherisch auf die Moral und das Bewusstsein einzuwirken: Öffentlich agierende Gesellschaften wie die 1691 in London gegründete Society for the Reformation of Manners und sich der Öffentlichkeit entziehende wie der Illuminatenorden oder die Freimaurerlogen, die gegenüber den religiösen Glaubensangeboten neue, dem Deismus nahestehende philosophischere unterbreiten. Außerdem trafen sich die Aufklärer in Literarischen Salons, die zumeist von gebildeten Frauen geleitet wurden.

Die Sozialisierung wird neuen Idealen unterworfen, die Suche nach einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten, in der Seelenverwandtschaften ausgelebt werden, greift aus dem Bereich freikirchlicher religiöser, auf das religiöse Empfinden ausgerichteter Gruppierungen auf die breite bürgerliche Gesellschaft über. Sich mit Gleichgesinnten fest zu assoziieren, wird ein neues Ziel bürgerlicher Individualisierung in den damit zunehmend unüberschaubaren Gesellschaften, in denen Individuen ab dem 19. Jahrhundert deutlich von Orientierungslosigkeit bedroht sind: Der Einzelne muss im Zustand der Aufklärung in den 1770ern und 1780ern zunehmend suchen, um noch Menschen zu finden, mit denen er fühlen kann.

Im späten 17. Jahrhundert kam es mit königlicher Unterstützung zur Gründung wissenschaftlicher Gesellschaften: 1660 wurde die Royal Society in London gegründet, 1666 die Académie des sciences in Paris.

Mit staatlicher Unterstützung formierten sich gelehrte Gesellschaften und Akademien als Einrichtungen, in denen Vertreter eines neuen Gelehrtentypus’ in wechselseitigem Austausch auf methodischer Grundlage nach Erkenntniserweiterung strebten. Vorreiter der Akademie-Gründungen in Deutschland war Gottfried Wilhelm Leibniz, dem 1700 mit kurfürstlicher Förderung die Schaffung einer wissenschaftlichen Akademie in Berlin gelang. Zu deren Zielen gehörte die Sammlung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse für praktische Zwecke, Impulse für Staat, Wirtschaft und Kultur sollten erarbeitet, die Sprach- und Geisteswissenschaften gefördert werden.

Bezeichnend für das Selbstverständnis vieler frühaufklärerischer Gelehrter war eine kosmopolitische Ausrichtung, wonach die ganze Welt als Heimat und alle Menschen als Brüder angesehen wurden. Reisen und Reiseberichte erlaubten Vergleiche der politischen Verhältnisse und Lebensumstände und forderten eine Abkehr von der Ethnozentrik. Der Schweizer Gelehrte Leonhard Euler zum Beispiel war erst an der Russischen Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg, dann an der Berliner Akademie, blieb beiden verbunden und wurde als technischer Beamter und Wissenschaftler lange Zeit von beiden Regierungen weiter bezahlt.

Eine andere Form gelehrter Gesellschaften stellten die von Gottsched initiierten, hauptsächlich literarisch motivierten „Deutschen Gesellschaften“ dar. Ihnen gehörten vorwiegend Pfarrer, Lehrer und Professoren aus dem gebildeten städtischen Bürgertum an, auch Studenten und einige Adlige. In diesen Gesellschaften galten für den Diskussionsstil bestimmte Regeln, wonach zum Beispiel niemand dem anderen ins Wort fallen oder vom Thema abschweifen durfte.

Auf der Ebene der Rechtsdiskussion verläuft zeitgleich eine Auseinandersetzung um die als mittelalterlich empfundenen Formen der Bestrafung, die bis in das ausgehende 18. Jahrhundert in ganz Europa Anwendung fanden. Gestraft wird öffentlich, zur Abschreckung und zur Sühne der verletzten Ordnung bevorzugt am Leib des Straftäters. Dessen Zerstörung und Verstümmelung folgt der Zerstörung und Verstümmelung, die dieser der Ordnung zufügte. Der Friede wird in der adäquaten Bestrafung in einer öffentlichen Darbietung wiederhergestellt.

Neben den Bestrafungen werden die Gerichtsverfahren und die Strafgründe von den Aufklärern zunehmend kritisiert: Die Hexenverfolgungen sind vor allem ein Phänomen der Reformation. Sie fordern zwischen 1550 und 1650 in den protestantischen Gebieten die höchsten Opferzahlen. Die Prozesse, die hier geführt werden, gelten als höchst kritisierbar. Es ist in ihnen letztlich unklar, ob die Taten überhaupt begangen wurden – ob es überhaupt möglich ist, Bündnisse mit dem Teufel zu schließen und zu hexen.

Die Erpressung von Geständnissen unter Folter und fragwürdige Rechtsproben in Form von Gottesurteilen, bei denen die untersuchten „Hexen“ als schuldige wie unschuldige sterben, werden zum Gegenstand aufklärerischer Kritik. Juristen wie Christian Thomasius, dessen erste Vorlesung in deutscher Sprache 1687 in Leipzig großes Aufsehen erregte und der damit Vorbild für seinen jüngeren Kollegen Wolff in Halle wurde, wenden sich im ausgehenden 17. Jahrhundert, nach Abebben der Verfolgungswelle, vehement gegen die Hexenverfolgungen als Form öffentlichen Aberglaubens. Francis Hutcheson nimmt entsprechende Positionen im englischsprachigen Raum ein. Dass Hexerei möglich ist, wird hier am Ende bezweifelt in Beweisführungen, die ultimativ die Kirche bedrohen, da mit ihnen jeder Glaube an göttliche Interventionen hinfällig wird.

Grausame öffentliche Bestrafungen geraten im 18. Jahrhundert in die Kritik. Die Zuschauer würden hier verrohen und gerade nicht zu den feineren zivilisierteren Gefühlen angeleitet, auf die friedliche Gesellschaften angewiesen seien. Verbrecher würden nicht dadurch gebessert, dass man sie verstümmele oder hinrichte. In den 1760ern setzte mit Cesare Beccaria Dei delitti e delle pene (1764, deutsch: Von den Verbrechen und von den Strafen, 1778) die offene Diskussion der Todesstrafe als nicht mehr mit der Aufklärung vereinbare Strafform ein.

Die Staaten des 19. Jahrhunderts entzogen Hinrichtungen im weiteren Verlauf der öffentlichen Wahrnehmung und begannen verstärkt auf Gefängnisstrafen als gängige Strafform zu setzen, die den Weg in die Gesellschaft zurück bahnen sollte. Resozialisierung wird seit dem 19. Jahrhundert als Errungenschaft der Aufklärung betrachtet und verstärkt als eine der Normen diskutiert, die rechtliche Fixierung und Stabilisierung finden.

Der Faktor Arbeit bildete einen wichtigen Grundpfeiler in den Erziehungsvorstellungen der Aufklärung. In den Bildungsinstitutionen sollten Kinder und Jugendliche arbeiten lernen und diese nicht als Last empfinden, sondern als zur Identität eines jeden Menschen zugehörig. Dahinter verbarg sich das Postulat, dem Staat als nützliche und produktive Mitglieder zu dienen. Die protestantische Arbeitsethik ist gekennzeichnet durch die Vorstellung, dass bildet den Mittelpunkt des Lebens bildet, um den herum Freizeit gestaltet wird: „Arbeit muss als gottgewollter Lebenszweck betrachtet werden, sie muss so gut wie möglich verrichtet werden und Arbeit muss als Pflicht gelten, die man erledigt, weil sie erledigt werden muss" [1]

Es wurde der Versuch unternommen, Arbeitslose und „Müßiggänger“ mit erzieherischen Einflüssen zur Arbeit zu bewegen. Erwachsene wurden in Dingen unterrichtet, die ihnen eine künftige selbständige Lebensbewältigung zu versprechen schienen. Mit der Verherrlichung der Arbeit hing die allgemein verbreitete Ablehnung des Almosenwesens zusammen, das vielen Menschen den Lebensunterhalt sicherte.[2] Die Auffassung von der Arbeit als eine allgemeine Tugend der Menschen breitete sich vor allen im bildungsaffinen Bürgertum rasch aus. Die Erfassung der Kinder und Jugendlichen durch die Schule unter pädagogischen Gesichtspunkten und ihre Betreuung durch behördliche Organe unter Bezugnahme auf wirtschaftliches Profitstreben war zukunftsweisend.

Trotz aller universalistisch klingenden Emphase ist die Realisierung des im Namen des Menschen artikulierten Bildungszieles damals noch nicht konkret auf die meisten Mitglieder der Gesellschaft ins Auge gefasst worden. Sie erstreckte sich auch nicht zentral so genannte „Außenseiter“ der Gesellschaft wie Menschen mit Behinderung, Bettler_innen oder Minderheiten wie Jüd_innen sowie Sinti und Roma.[3]

Die Vorstellung, dass Kriminalität eine angeborene anthropologische Konstante der „Zigeuner“ war, war bei Polizei- und Justizbeamt_innen weit verbreitet. Der württembergische Oberamtmann Georg Jakob Schäffer gab 1787/88 eine „Zigeuner-Liste“ heraus, in der zwischen „Zigeunern von Geburt an“ und „Deutschen“ unterschied. Für Schäffer waren „Zigeuner“ Menschen mit angeborenen negativen Eigenschaften, die separat erfasst und kontrolliert werden müssten.

Aufklärungsphilosophen wie Johann Gottfried Herder und Immanuel Kant sahen Sinti und Roma auf einer niedrigeren kulturellen Stufe als die deutsche Mehrheitsbevölkerung und machten aus ihrer Abneigung keinen Hehl. Herder beschrieb Sinti und Roma in den Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit als „eine verworfene indische Kaste, die vor allem, was sich göttlich, anständig und bürgerlich nennet, ihrer Geburt nach entfernt ist und dieser erniedrigenden Bestimmung noch nach Jahrtausenden treu bleibt, wozu taugte sie in Europa, als zur militärischen Zucht, die doch alles aufs schnellste discipliniret?“.[4]

Unter Bezugnahme auf Gobineaus Rassentheorie wollte Kant Sinti und Roma an der „indischen Hautfarbe“ oder „wahren Zigeunerfarbe“ erkennen. Laut Kant fehle ihnen der „Trieb zur Tätigkeit“.[5] Sie „haben niemals einen zu ansässigen Landbauern oder Handarbeitern tauglichen Schlag abgeben wollen“ und wären lediglich „Herumtreiber“.[6]

Neben negativ zugeschriebenen Eigenschaften entwickelte sich auch eine romantisierende Sichtweise auf die „Zigeuner“. Sie wurden als Gegenentwurf zur bürgerlichen Gesellschaft inszeniert und als „edle Wilde“[7] idealisiert. Dies zeigte sich besonders in Goethes Drama Götz von Berlichingen. Auf der Flucht rettet der „Zigeunerhauptmann“ den verwundeten Götz, schützte ihn vor den Verfolger_innen und verlor dabei sein Leben. Götz stellte in dieser Szene fest: „O Kaiser! Kaiser! Räuber beschützen deine Kinder. Die wilden Kerls, starr und treu.“[8]

Der preußische Aufklärer Christian Wilhelm von Dohm setzte sich für eine Aufhebung aller Gesetze ein, die Juden sowie Sinti und Roma diskriminierten. Dies sollte jedoch nicht sofort, sondern erst nach einem Erziehungsprozess geschehen, der die „bürgerliche Verbesserung“ der Minderheiten beinhaltete. Da es sich bei „den Zigeunern“ um „eine sehr verwilderte Nation“ handele, würde die „Verbesserung“ erst nach einer Generation greifen.[9]

Von Dohm schrieb: „Die Erfahrung lehrt, daß es äußerst schwierig sey, sie an diesem festen Aufenthalt und bleibende Beschäftigung zu gewöhnen, und daß sie dem bequemen und ruhigen Leben das unsichere und beschwerliche Umherziehen vorziehen. Aber die Kinder der itzigen, zum Theil im Schoße der bürgerlichen Gesellschaft geboren, werden gewiß schon besser in dieselbe einpassen. Sollten aber auch erst die Nachkommen der itzigen Zigeuner nach mehr als einem Jahrhundert glücklichere Menschen und gute Bürger werden, so wird doch dieses unstreitig die Regierung nicht abhalten, ihre weisen Bemühungen fortzusetzen.“[10]

Das umfangsreichste deutschsprachige Lexikon erläutert in der Mitte des 18. Jahrhunderts, „Zigeuner“ seien „ein zusammen gelaufenes böses Gesindel, so nicht Lust zu arbeiten hat, sondern von Müßiggang, Stehlen, Huren, Fressen, Sauffen, Spielen u.s.w. Profession machen will.“ Es fügt hinzu, dass ihre fremde Erscheinung nicht ernst genommen werden dürfe, denn ihre Sprache hätten sie verabredet, um „communicieren zu können“, ohne dass „andere Leute sie verstehen“ und ihre Hautfarbe hätten sie einfach „durch allerhand Schmierereyen“ künstlich erzeugt.[11]

Im Jahre 1782 war in einem Zeitungsartikel zu lesen, dass in Ungarn zahlreiche „Zigeuner“ hingerichtet wurden, da sie angeblich Menschen töteten und die Leichen danach aufaßen. Später kam heraus, dass sich diese Vorwürfe als haltlos erwiesen und einen Justizskandal provozierten. Trotzdem gehörte seitdem der Vorwurf des Kannibalismus zum Standardrepertoire antiziganistischer Ressentiments.[12]

Heinrich Moritz Gottlieb Grellmann (1756-1804) wurde 1794 in Göttingen zum ordentlichen Professor ernannt. 1804 wechselte er an den Lehrstuhl für Statistik an die Universität Moskau, wo er kurz nach seinem Dienstantritt verstarb.

Grellmanns Werk „Die Zigeuner. Ein historischer Versuch über die Lebensart und Verfassung, Sitten und Schicksale dieses Volkes, nebst ihrem Ursprunge“[13] aus dem Jahre 1783 ist als Beginn der „Zigeunerwissenschaft“ im deutschsprachigen Raum anzusehen. Während er die grundlegenden Motive des religiösen Antiziganismus als Legenden entlarvte, begründete er einen Antiziganismus auf rassistischer Grundlage. Wippermann stellt zu Recht fest: „Grellmann kann daher als Schöpfer des rassistischen Antiziganismus bezeichnet werden, den es schon vor dem Rassen-Antisemitismus gab und der die konkrete ‚Zigeunerpolitik‘ schon zu einem Zeitpunkt beeinflusste, als die ‚Judenfrage‘ noch unter mehr oder weniger rein religiösen und eben nicht rassistischen Aspekten diskutiert wurde.“[14] Die von Grellmann unterstellten Verhaltensdispositionen der „Zigeuner“ wurden von ihm nicht als individuelle Ausdrucksformen gesehen, sondern als feststehendes kulturelles Verhalten auf die gesamte Gruppe , die als „Volk“ bezeichnet wurde, übertragen.

Dieses biologistische Deutungsmuster durchzieht das gesamte Buch. Dort heißt es zum Beispiel: „Oft schien ein Knabe (…) auf dem besten Wege zur Menschwerdung zu seyn, und plötzlich brach die rohe Natur wieder hervor, er gerieth in den Rückfall und wurde mit Haut und Haaren wieder Zigeuner“.[15]

Im Anschluss an andere Arbeiten vertrat Grellmann die These, dass die Sprache der „Zigeuner“ im Kern Sanskrit sei und sie ursprünglich aus Indien kämen. Daraus schloss er, dass sie von der untersten indischen Kaste, den „Sudern“ oder „Paria“ abstammen müssten.[16] So entstand das Bild von einem primitiven „orientalischen Nomadenvolk“, das sich auf der Vorstufe der so genannten Zivilisation befände. So schrieb Grellmann: „Die Zigeuner sind ein Volk des Orients und haben orientalische Denkart. Rohen Menschen überhaupt, vorzüglich aber den Morgenländern ist es eigen, fest an dem zu hängen, woran sie gewohnt sind. Jede Sitte (…) dauert unverändert fort und eine Neigung, die einmahl in den Gemüthern die Oberhand hat, ist sogar nach Jahrtausenden noch herrschend.“[17] Die „Zigeuner“ waren für Grellmann zwar primitive, aber dann doch menschliche Wesen, die aber erst zu einem späteren Zeitpunkt in den Genuss der „zivilisatorischen Vorzüge“ kommen würden. Dieser kulturelle Kolonisationsgedanke Grellmanns wurde auch von späteren „Zigeunerexperten“ übernommen und weiterentwickelt. Grellmann stellte die „Zigeuner“ als „Naturvolk“ dar, das im Gegensatz zu den weißen europäischen „Kulturvölkern“ stünde und diesen unterlegen sei: „Man denke nur, wie sehr sie von Europäern verschieden sind. Dieser ist weiß, der Zigeuner schwarz; der Europäer geht bekleidet, der Zigeuner halb nacket, jenem schaudert für Speise vor verrecktem Vieh, dieser bereitet sich davon Leckerbissen. Ueberdieß sind auch diese Menschen, seit ihrer ersten Erscheinung in Europa durch Raub, Diebstahl und Mordbrennen berüchtigt; der Europäer hegt also nicht nur Abscheu gegen sie, sondern auch Haß. Um aller dieser Ursachen willen wieß der gesittete Theil von jeher den Zigeuner von sich, (…) und nur der Einfältige machte bisweilen genauere Bekanntschaft mit ihnen, um Angelegenheiten des Aberglaubens abzuthun.“[18] Die Ausübung von Musik und Poesie seien charakteristische Merkmale ihrer Kultur: „Musik ist unter allen die einzige Kunst, an der dieses Volk wirklich einen beträchtlichen Anteil hat. Sie dichten zwar auch, und das nach Weise orientalistischer Völker, aus dem Stegreife; und sind in der Walachey sogar die einzigen Inhaber dieser Kunst, wo sie ihre Verse, gleich italiänischen Improvisatoren, immer mit Gesang und Musik begleiten.“[19]

Grellmann schrieb den „Zigeunern“ in homogenisierender Weise die Eigenschaften der Faulheit und des Müßiggangs zu: „Hier entdeckt sich zugleich der Grund, warum Armuth und Dürftigkeit ein so gemeines Los dieser Menschen ist. Es liegt in ihrer Faulheit und übermäßigen Neigung zur Gemächlichkeit. Sucht man Menschen, die im Schweiße ihres Angesichts ihr Brod essen, so wird man sie überall leichter, als unter dem Volke der Zigeuner finden. Jede Arbeit ist ihr Feind, wenn sie mühsam ist, und viele Anstrengungen erfordert.“[20]

Die von Grellmann behaupteten negativen Charakterzüge wie Müßiggang, Nomadentum, Unsittlichkeit oder Kriminalität, die ständige Konflikte mit den jeweiligen europäischen Mehrheitsgesellschaften zur Folge hätten, hielt er für angeboren.[21] Grellmann verstand sich selbst als Aufklärer und die „Zigeuner“ als erziehungsbedürftige Mängelwesen, die notfalls mit Gewalt und Zwang mit dem Ziel der völligen Assimilierung in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren seien. Er stellte dabei vor allen den ökonomischen Nutzen und das daraus resultierende staatliche Interesse an der Umerziehung der „Zigeuner“ in den Vordergrund.

Der Erkenntnisfortschritt der Naturwissenschaften (Newton) hatte die Ausarbeitung eines sowohl deistischen als auch materialistischen Weltbildes zur Folge. In der Staats- . und Rechtslehre trat an die Stelle göttlicher Legimitation des Monarchen der auf das Naturrecht gründende Gesellschaftsvertrag J.J. Rousseaus. Gegenüber dem Machtanspruch des Staates wurde das Recht des Einzelnen betont. Die auf Locke und Montesquieu zurückgehende Gewaltenteilung sollten die Grenzen der Staatsgewalt aufzeigen. [22]

Auf dieser Grundlage basierte die Idee der steten Vervollkommnung und Verwirklichung eines freiheitlich, menschenwürdiges und glückliches Dasein in einer neuen Gesellschaft, die von einem unaufhörlichen Fortschrittsoptimismus begleitet war. Der Gedanke des von der Vernunft geleiteten Fortschritts fand sich besonders in den geschichtsphilosophischen Werken Herders, Montesquieus sowie Kants wieder. [23]

Im gesellschaftlichen Leben rückte die höfische Kultur gegenüber der bürgerlichen immer mehr in den Hintergrund. Ein bürgerlicher Moralismus verdrängte den strahlenden Lebensgenuss des Rokoko.

In der bildenden Kunst wurden helle Farben und schwingende Linien aktuell; die Verweltlichung religiöser Darstellungen wurden Kennzeichen der neuen Epoche. Man versuchte, das Künstlerische verstandesmäßig zu erfassen. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das Rokoko abgelöst durch den Klassizismus, dessen Ziel in der Nachahmung antiker Kunst bestand. [24] Johann Joachim Winckelmann galt als der geistige Begründer des Klassizismus im deutschsprachigen Raum. Für Winckelmann stellte es die höchste Aufgabe der Kunst dar, der Schönheit Ausdruck zu verleihen. Hierfür fand Winckelmann die Formel „edle Einfalt, stille Größe“, die er dem Verspielten, Überladenen und Allegorischen des Rokoko entgegensetzte. [25]

In der Malerei lösten sich die Künstler von dem häufig allegorischen Programm der Barockzeit und malten Szenen aus der griechischen und römischen Antike (Johann Asmus Carstens, Anselm Feuerbach)

Im späten 18. Jahrhundert begann eine Verwissenschaftlichung der Kunst: „Erst im Jahrhundert der Aufklärung (…) begannen Künstler und Kunstschriftsteller sich dafür einzusetzen, dass historische Kunstwerke erhalten wurden, wofür dann ausgerechnet die französischen Revolutionsmuseen vorbildhaft werden konnten.“[26]

Die der Aufklärung praktizierte Kunst wird bereits in der Renaissance und im Barock eingeleitet. Die „Wiedergeburt“, die im Begriff Renaissance angesprochen wird, bezieht sich auf die erneute Anknüpfung an die klassische Antike, auf deren Menschenbild und Naturbegriff die Kunstproduktion aufbaut. In der Musik und Literatur blühen profane Werke. Die Reformation forciert die Schwächung der römisch-katholischen Kirche als wichtigstem Auftraggeber der Künstler, was auf dem Konzil von Trient mit einem ausführlichen Gegenkonzept beantwortet wird. Die Notwendigkeit einer katholischen Gegenreformation legt den Grundstock für die Explosion der künstlerischen Produktion in Musik und bildender Kunst im Barock.

In der zweiten Hälfte des 18. und am Anfang des 19. Jahrhunderts, im Zeitalter der Aufklärung, begannen die gebildeten Kreise Gemälde, Skulpturen und Architektur sowie Literatur und Musik als Kunst im heutigen Wortsinn zu diskutieren. Themenverbindend wurde die Ästhetik in Abgrenzung zum Hässlichen als Kategorie zur Qualifizierung von Kunstwerken begründet. Freiheit wurde zum Ideal für Politik, Wissenschaft sowie für die sich allmählich als eigenständige Bereiche herausbildenden Gattungen Literatur und Kunst. Der handwerkliche Aspekt künstlerischen Schaffens verlor an Bedeutung. Mit dem deutschen Idealismus stand die Idee über dem Artefakt. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für diesen Prozess war die durch die beginnende industrielle Revolution beschleunigte Säkularisierung.

Die Differenzierung zwischen Literatur und Kunst war das Ergebnis der kurz zuvor begonnenen Literaturdiskussion, die sich nicht mehr mit allen geistigen Arbeiten befasste, sondern Romane, Dramen und Gedichte als Literatur in einem gewandelten Wortsinn zusammenfasste.

Im Bestreben, ein größeres Publikum anzusprechen, wurde der Terminus Kunst zunächst auf Gemälde und Skulpturen verengt, auf Gegenstände, die in den Zeitungen und Zeitschriften – den Journalen, die es seit dem frühen 18. Jahrhundert gab – vorgestellt und beurteilt wurden. Es entstand ein verbreitetes Rezensionswesen. Die Begriffe Werk, Original und Genie als Ausdrucksformen der Individualität des Künstlers wurden durch Kant geprägt. Man unterschied zwischen inneren und äußeren Bildern. Innere Bilder waren zum Beispiel Sprache, Vorstellungen und die Ideen, äußere hingegen Einrichtungsgegenstände, Bauwerke oder handwerklich gefertigte Produkte.

Dem Freiheitsgedanken gemäß ist der bildende Künstler nicht mehr einem Auftraggeber verpflichtet, sondern produziert unabhängig für einen neu entstehenden Kunstmarkt. Damit wandeln sich zum einen die Themen, die statt religiöser und mythologischer Motive, Porträt und Allegorie nun zum Beispiel auch Schilderungen aus der Arbeitswelt des aufkommenden Industriekapitalismus umfassen.

Zum anderen entwickeln sich individuelle Stile, die nicht zuletzt als Markenzeichen, modern gesprochen als Marketinginstrument der konkurrierenden Künstler dienen. Auch Komponisten wie Mozart verabschieden sich aus festen Anstellungen bei weltlichen oder kirchlichen Fürsten. Diese neue Freiheit ist mit entsprechenden Risiken verbunden, das romantische Bild des verarmten Künstlers, verbunden mit dem Geniebegriff sind die Folgen.

Die Kunstrichtung des Rokoko hat seinen Namen nach dem Hauptmotiv seiner Ornamente erhalten, der Rocaille, dem Grotten-und Muschelwerk. Unter Rocaille im eigentlichen Sinne versteht man die wie Meeresmuscheln gerieften und ausgefransten Formen, die an kantigen Kurvenlinien ansetzen. Dieses Ornament trat um 1730 an Stelle des seit etwa 1710 üblichen Laub- und Bandwerkes, das aus kurvig geführten und verflochtenen Bändern gebildet war.

Das Rokokoornament war in der deutschen Kunst noch phantasievoller, freier, oft auch willkürlicher als im Ursprungsland Frankreich. Es setzte sich hier eher und häufiger über die dort noch beibehaltende symmetrische Anordnung hinweg. Der aus der Régence entspringende Kunststil hatte mit der Krönung Louis XV (1722) in Frankreich seinen absoluten Höhepunkt erlebt. Bestimmt wurde dieser Stil durch Motive heiterer Dekorationskunst und wurde durch asymetrische, architektonische und kunstgewerbliche Schmuckformen entfaltet.

In der Malerei ist allgemein die Tendenz zur Verweltlichung, zur sinnlicher Ästhetik und zur Darstellung intimer bis erotischer mit anzüglichen Formen versehenden Situationen beliebt. Weitere Themen waren landschaftliche Darstellungen, Phantasieporträts, Karnevalsdarstellungen und Genreszenen. Im sakralen Bereich neigte die Rokokomalerei jedoch eher zu Themen wie Andacht, Heiligenlegenden, also zum Bereich des Gefühls, des Einfühlens. In der Freskomalerei (Johann Baptist Zimmermann, Matthäus Günther, Daniel Gran) entfalteten sich nach dem Eindringen der illusionistischen, scheinperspektivisch gemalten Architektur ins Deckenbild eine große Fülle geistreicher Lösungen für das Problem von Bild und Rahmen.

Grundlegend war dabei etwa ab 1720 die Verwendung des, wie oben erwähnten Roceilleornamentes, welches zwischen Architektur- und Bildgegenstand changiert und das vermittelnde Element zwischen den Bereichen der gebauten und der gemalten Architektur einerseits sowie gemalter Architektur und gemalter Himmelsöffnung andererseits darstellte. Als Vorbild galt nun nicht mehr wie in der Renaissance die römische, sondern die griechische Kunst. In dieser wurde das nie wieder erreichte Ideal einer vollendeten Harmonie von Kultur und Natur gesehen.

Während in Frankreich früher fast ausschließlich die geistlichen und weltlichen Höfe als Auftraggeber fungierten, gab es zum ersten Mal auch Aufträge von reichen, der Bourgeoisie angehörigen, Personen. Es muss aber festgehalten werden, dass dies eher eine Seltenheit war, die aber im späteren Klassizismus immer deutlicher ihren Durchbruch erlebte. Weiterhin wichtig ist, dass das ganze europäische Rokoko stark durch italienischen und französischen Einfluss geprägt wurde, der besonders die Miniatur- und Pastellmalerei hervorbrachte. Die Farbskala erfuhr eine beträchtliche Aufhellung in Richtung des Pastells, das die Venizianerin Rosalba Carriera um 1720/21 in Paris einführte. Weiß wurde als gleichsam materialisiertes farbiges Licht beigemischt, wodurch sich die äußerst dekorativen, heiter festlichen Effekte ergaben.

Wichtige Länder des Rokoko waren Italien mit Venedig, Frankreich mit der schon damals wichtigsten Stadt Paris, Deutschland mit München, Österreich mit Wien, England und Spanien, wobei gesagt werden muss, dass die Wurzeln des Rokoko primär in Frankreich, sekundär in Italien entsprangen und sich dann auf die anderen Länder ausbreiteten. Frankreich nimmt die wichtigste Rolle der Stilepoche des Rokokos ein.

Zu einem der wichtigsten Künstler dieser Epoche avancierte der Franzose Antoine Watteau (1684-1721). Er verstand es meisterhaft den geistvollen liebenswürdigen Charme, der das hervorstechende Merkmal des französischen Rokoko darstellte, auf seinen Werken zum Ausdruck zu bringen. Er übte somit entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung dieses Stils aus. Da Watteau bereits vor Beginn der Epoche der Aufklärung verstarb, passen seine Werke nicht ins zeitliche Raster dieser Epoche. Watteau muss aber wegen seines großen Einflusses auf den entscheidenden, die Kunst in den Anfängen der Aufklärung beinflussenden französischen Rokokostils erwähnt werden.

Watteau galt als Maler der "Galanten Feste". Der französische Maler flämischer Herkunft wurde am 18. Oktober 1684 in Valenciennes geboren und kam 1702 nach Paris, wo er 1712 zur Akademie zugelassen wurde. In seinem von Krankheit und Schwermut überschatteten kurzen Leben schuf er ein erstaunlich umfangreiches Werk, das in zahllosen Nachstichen verbreitet wurde und die Rokokomalerei befruchtet hat wie kein zweites. Die leuchtende zarte Farbigkeit seiner Bilder verschwimmt zu einem kostbar schimmernden Gesamtton, in dessen duftiger Atmosphäre sich die heiter beschwingten Figuren in schwereloser Eleganz bewegen. Szenen der italienischen Komödie und der höfisch galanten Gesellschaft, meist in Parklandschaften, bilden die bevorzugten Themen.

Der erfolgreichste Maler des französischen Rokkoko Stils war Fracois Boucher (1703-1770). Er hinterließ an seinem Lebensende mehrere Hundert Werke. Unter diesen befinden sich kostbare Gobelins, Buchillustrationen und natürlich viele Gemälde. In diesen rückten sowohl aktuelle und gesellschaftliche Themen als auch galant erotische Schäferspiele in den Vordergrund, daher wird das Rokoko auch immer als ein teilweise intimer, erotischer, sogar manchmal als anzüglich empfundener Malereistil beschrieben. In seinem Tun wurde er von der niederländischen Landschaftsmalerei beeinflusst, am meisten prägten ihn aber die Kunstwerke seines Lebensgenossen Antoine Watteau.

Der am 29. September 1703 in Paris geborene Maler war Schüler von Francois Lemoyne und des Kupferstechers Jean-Francois Cars. 1727 reiste er für vier Jahre nach Italien, wo ihn vor allem die Werke des Tiepolos beeindruckten. Gleich nach der Rückkehr begann seine Karriere an der Pariser Akademie, deren Direktor er 1765 wurde. Bereits 1755 war er zum Leiter der Königlichen Gobelinmanufaktur ernannt worden. Durch die besondere Protektion der Madame de Pompadour, die er mehrfach porträtierte, erhielt Boucher zahlreiche Aufträge vom königlichen Hof. Seine virtuos gemalten Bilder mit ihren hellen, duftigen Farben und anmutig bewegten Figuren verkörpern exemplarisch die galante Welt des Rokoko. Boucher, der auch als Buchillustrator tätig war, starb am 30. Mai 1770 in Paris.

Die Richtung des Klassizismus neben dem Rokoko prägte die Epoche der Aufklärung in entscheidender Weise.

Die Malerei des Klassizismus entwickelte sich ab etwa 1760. Sie verkörpert einen an der Antike und der italienischen Renaissance orientierten Kunststil. Der Klassizismus in Frankreich wird aufgrund der klassischen Kunst des 17. Jahrhunderts als néo-classicisme bezeichnet. Klassizistische Werke zeichnen sich durch eine einfache und klare, gelegentlich auch strenge Formensprache aus. Als Ziel galt, durch Maß und Harmonie eine „vollkommene“, die Natur idealisierende Schönheit hervorzubringen. Die Kunstwerke sollten schön, edel und erziehend sein. Für deren Erzeugung wurden Kriterien und Regeln zugrundegelegt.

Der Klassizismus wandte sich im Zeitalter der Vernunft und Aufklärung gegen die Sinnlichkeit des zuvor herrschenden Rokoko. Seit den 1820er Jahren entstand ein Rangstreit zwischen dem Klassizismus und der beginnenden Bewegung der Romantik. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts trat der Realismus als weitere Gegenbewegung in Erscheinung.

Vertreter des Klassizismus in Frankreich sind Joseph-Marie Vien, Anne-Louis Girodet-Trioson, Élisabeth Vigée-Lebrun, François Gérard, Antoine-Jean Gros, Jacques-Louis David und Jean-Auguste-Dominique Ingres, in Deutschland Jakob Asmus Carstens, Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Anton Raphael Mengs, Gottlieb Schick und Angelika Kauffmann.

Die Maler lösten sich von dem allegorischen Programm der Barockzeit und malten Szenen aus der griechischen und römischen Antike. Die klassizistische Kunstauffassung stellte die Idee über die Realität. Aufgrund einer ihm eingegebenen Idee von Vollkommenheit müsse der Künstler die Zufälligkeiten der unvollkommenen Wirklichkeit durch den Stil seiner Gestalten korrigieren. Das Studium von musterhaften alten Kunstwerken, das Befolgen von Gestaltungsregeln, war dem Naturstudium übergeordnet. Auf Farbigkeit konnte ein strenger Klassizist im Prinzip auch verzichten.

Eine klar überschaubare und harmonische Komposition der Figuren, ein ruhiges Zeitmaß waltet in allen Gebärden. Die pastose Farbgebung des Barock verschwindet zugunsten eines flächigen Farbauftrages.

Eine unveränderliche Ordnung war der am meisten geeignete Ausdruck für konservative, die Gesellschaftsordnung stabilisierende Absichten. Ihn vertraten kunstpolitisch und praktisch die Akademie und die ihr unterstellte Kunsthochschule, die Ecole des Beaux-Arts.

Die Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts in Frankreich wird in entscheidendem Maß vom Rangstreit zwischen den Künstlern des Klassizismus und der Romantik geprägt.

In den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts gerieten die Klassizisten mehr und mehr in Konflikt mit einer neuen Generation von Künstlern, der romantischen Schule. Die neue Bewegung löste eine Gegenbewegung zur Antikennachahmung des Klassizismus aus. Sie gewann in allen Bereichen des kulturellen Lebens in Europa weltanschaulichen Einfluss. Die „Romantiker“ sahen die antike Klassik als etwas Unwiederbringliches an und suchte nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen. Harmonie und Vollkommenheit werden in ihr als verlorene Ideale betrachtet, in denen einzig sentimentale Sehnsüchte zum Vorschein treten.

Die Malerei der Romantik wandte sich gegen die geschlossene Bildform des Klassizismus und löste den gegenständlichen Kontur meist zugunsten der Farbe auf. Unter diesem Aspekt wurde in Frankreich Eugène Delacroix als der Hauptwidersacher Ingres’ angesehen.

Klassizismus und Romantik werden heute aus kunsthistorischer Sicht weniger als unversöhnlich widerstreitende Kunstformen angesehen. Sie seien vielmehr zwei eng miteinander verzahnte und einander spiegelnde Versuche, auf die ästhetischen Herausforderungen der frühen Moderne zu antworten. Insbesondere in der Malerei des Biedermeier und der Malerei der Spätromantik findet eine Überlappung statt.

In Frankreich wandte man sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von Barock und Rokoko, den Kunststilen des Absolutismus ab. Auch in der Kunst sollte der Bruch mit der alten Herrschaft der Aristokratie augenfällig werden. Jacques-Louis David und sein Schüler Ingres übernahmen die schlichten Formen der griechischen und römischen Antike in die Malerei. Davids Gemälde Der ermordete Marat von 1793 zeigt dabei ein höchst aktuelles Thema. Eine Anhängerin des französischen Königs hatte am 13. Juli 1793 den Revolutionär Marat in seiner Badewanne erstochen. Der Nationalkonvent gab darauf David den Auftrag, den Mord an Marat in einem Bild zu verewigen. Der Künstler, selbst Anhänger der Revolution, malte viele ihrer Wortführer, schuf aber auch große Leinwände mit Historien, deren mythologische und historische Themen sich auf das zeitgenössische Frankreich beziehen ließen. Kompositionell bestimmten horizontale und vertikale Linien viele seiner Werke. Theatralische Posen zeichnen seine deutlich modellierten Figuren aus. Antike Themen, die strenge Komposition und die klar gezeichneten Linien, die Davids neoklassischen Stil kennzeichnen, standen in scharfem Kontrast zur verspielten Eleganz der Kunst des Rokoko.

Davids Schüler Jean-Auguste-Dominiques Ingres wurde im frühen 19. Jahrhundert der führende Salonmaler. Wie sein Lehrer perfektionierte Ingres seine Zeichentechnik an den Skulpturen der Antike und Renaissance. Die seit der Renaissance geführte Diskussion, on Linie oder Farbe der Vorzug zu geben sei, setzte sich im 19. Jahrhundert fort. Als Ingres 1853 Präsident der Ecole des Beaux-Arts wurde, setzte sich seine zeichnerische Auffassung in weiten Kreisen durch. Schließlich lernte ein angehender Künstler sein Handwerk an Ecole oder Akademie. Ausgestellt wurde das von einer künstlerischen Jury für passend Befundene im jährlich stattfindenden Salon. Ort der unter königlicher Schirmherrschaft stehenden Ausstellung war der Salon d’Apollon im Louvre. Ihre Entscheidungen traf die Jury auf der Grundlage der Hierarchie der Gattungen: Unangefochten an erster Stelle standen die Historienbilder, da sie auch intellektuelle Anforderungen an die Künstler stellten, schließlich mussten sich Thema und malerische Umsetzung entsprechen. An zweiter Stelle folgte die Genremalerei, den geringsten Ruhm versprachen Portraits und Landschaften.

In Deutschland fasste der Klassizismus Ende des 18. Jahrhunderts Fuß. In Berlin griffen die Baumeister unter Friedrich dem Großen auf Formen der römischen und griechischen Antike zurück, so beim Brandenburger Tor. In München zog der Klassizismus mit Ludwig I und dessen Ansätzen zur Stadterweiterung ein. Eines der größten städtebaulichen Emsebles des 19. Jahrhunderts ist der Königspalast, gestaltet vom Hauptvertreter des Münchener Klassizismus, Leo von Klenze. Am Königsplatz verwirklichte Klenze zwei seiner Hauptwerke, die Glyptothek und die Propyläen.

Während in Architektur und Bildhauerei noch klassizistische und historische Tendenzen bestimmend waren, trat die Malerei als Kunstgattung hervor, in der die Romantik ihre stärkste Ausprägung fand. Die Kunst sollte Ausdruck der freien Persönlichkeit und des subjektiven Erlebens sein. Im Kontext der wachsenden Naturbegeisterung erlebte die Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert einen enormen Aufschwung. Märchen- und Sagenwelten, Ereignisse aus der mittelalterlichen Geschichte, ebenso der ferne Orient waren große Themen der romantischen Künstler. Der Rückzug in die Innerlichkeit und in ferne Zeiten und Länder lag auch in der politischen Situation begründet. Europa war in den Jahrzehnten nach der Französischen Revolution von Kriegen erschüttert. Napoleons Feldzüge hinterließen in Italien, Österreich, Preußen und Spanien Verheerungen.

Der bedeutendste deutsche Landschaftsmaler der Romantik war Caspar David Friedrich. Immer wieder zeichnete er die Landschaft seiner Heimat Pommern und die wilde Natur auf der Ostseeinsel Rügen. Er fertigte in freier Natur Skizzen an, die er im Atelier zu Landschaften komponierte. Seine Bilder zeigen häufig weite, zerklüftete Gebirge, Landschaften mit gotischen Ruinen und einzelnen isolierten Figuren. Einsamkeit in der unendlichen Weite der Natur ist auch das Thema seines wohl bekanntesten Bildes „Das Eismeer“. Seine Stimmungslandschaften sollten eine Ahnung des Göttlichen vermitteln, wie es sich in der Natur zeige. Gleichzeitig begriff er sie als Spiegel der Seele, da der Maler das wiedergebe, was sich in seinem Inneren abspielte.

Zum Teil in engem Zusammenhang mit der Philosophie wurden – ausgehend von der Offenbarungskritik – spezifische Formen der Wissenschaftskritik (Bibelkritik, Literarkritik) entwickelt. [27] Sie führten auf sehr vielen Gebieten der Wissenschaft zu entscheidenden Neuansätzen. Die Philosophie richtete ihr Interesse auf die Erkenntnistheorie und vernachlässigte die klassische Metyphysik.

In der Geschichtswissenschaft entwickelte Pierre Bayle das „Dictionnaire historique et critique“ (2. Bände 1695/96, 4 Bände 1702)[28], um über die Bestandsaufnahme des zeitgenössischen Wissens über historische Personen und Figuren hinaus eine kritische Sichtung dieses Wissens auszubilden.[29] Bayle demonstrierte damit, dass Geschichtsschreibung nicht nur in der Sammlung der Fakten bestand, sondern die Fakten selbst schon problematisch waren und ihre kritische Interpretation die Hauptaufgabe historischer Forschung bildete.[30] Ernst Cassirer bezeichnete Bayle als „eigentlichen Schöpfer der historischen Akribie“.[31] Eine deutsche Übersetzung von Bayles Lexikon erschien 1741-44 als „PeterBaylens historisches und kritisches Wörterbuch“ in Leipzig.

Marie-Jean de Concordet, ein überzeugter Aufklärer vor und während der Französischen Revolution, setze sich für die wirtschaftliche und soziale Freiheit sowie für religiöse Toleranz sowie rechtliche und erzieherische Reformen in Frankreich ein.[32] Er war Teilnehmer des Kreises der Enzyklopädisten und ab 1782 Mitglied der Akadémie francaise. Im Februar 1992 wurde er der Präsident der Gesetzgebenden Nationalversammlung und entwarf Pläne zur Schaffung eines staatlichen Bildungssystems, die „Nationalerziehung“. Diese sah die Beseitigung aller Klassenunterschiede im Bildungswesen sowie dessen Unabhängigkeit von Staat und Kirche vor. Nach der Machtübernahme der Jakobiner schrieb er 1794 die philosophische Schrift „Esquisse d’un tableau historique des progres de l’esprit humain“ (Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes“). In dieser Schrift vertrat er die Meinung, dass der Mensch von Natur aus gut sei und die Fähigkeit zur Vervollkommnung seiner intellektuellen und moralischen Anlagen besaß.

Die Idee der Universalgeschichte setzte sich durch, um den Menschen als Vernunftwesen darzustellen und den durch ihn bewirkten Fortschritt zu erfassen. Die Literatur bzw. Dichtung entwickelte sich zunehmend in eine sozialkritische Richtung. Charakteristische Gattungen wurden insbesondere die Fabel (La Fontaine), die Satire (Swift, Voltaire) sowie der Roman. In einem ersten Reformschub wird im 17. Jahrhundert die Novellistik als realistischere Kunst zunehmend akzeptabel – eine Linie verläuft hier von den Novelas Exemplares (1613) zu den Romanen Marie-Madeleine de La Fayettes, die dem psychologischen Roman der Aufklärung die Bahn brechen.

Vertreter der Aufklärung wie Christian Thomasius würdigen im selben Moment Madeleine de Scudéry als die Autorin, mit der die moderne, feinfühlige Charakterbeobachtung aufkam. Den satirischen Roman akzeptiert ein Teil der gelehrten Kritik als potentiell aufgeklärte Sittensatire sowie als effektive Kritik am hohen Roman – Miguel de Cervantes' Don Quixote setzt hier den Maßstab. Der Reformschub der Integration der Novellistik in das Gebiet des epischen Romans führte noch in den 1680ern zu einer ungeniert skandalträchtigen Romanproduktion mit politischen Skandalromanen und einer weiteren Produktion privater Offenbarungen, die beide von der neuen Charakterkunst und der Intrige als zentralem Handlungsmuster lebten und zwischen 1680 und 1720 die europäische Mode bestimmten. Aufgeklärt schien hier den Kritikern, die es wagten sich zum Roman zu bekennen, die Abkehr vom Heldentum mittelalterlicher Epik, die Abkehr von einfachen Schelmenromanen wie Till Eulenspiegel, die Auseinandersetzung mit aktuellen Sitten, die Schulung in Intrigen (als Schulung in „politischer Klugheit“), die Offenheit gegenüber aktuellen politischen Skandalen, der Realismus der neuen Romane gegenüber den Heldenwundern der Vergangenheit.

Ein zweiter Reformschub setzt mit François Fénelons Telemach (1699/1700) ein, mit dem Roman, der als erster erfolgreich als Epos der Moderne diskutiert wurde. Die kritische Diskussion forderte hier im Verlauf einen vergleichbar kunstvollen Roman, der sich am hohen Epos und seiner Fiktionalität orientierte, und persönliche Skandale mied.

Ein dritter Reformschub setzte mit Daniel Defoes Robinson Crusoe (1719) ein, einem Roman, der nicht in das Feld der Novelle mit ihren Intrigenhandlungen abglitt, die novellistischen Skandale mied, den Einzelnen im heroischen Kampf um sein Leben feierte und dabei – anders als Fénelons Roman – bürgerliche Werte diskutierbar machte, ohne sie der Lächerlichkeit der komischen Romane preiszugeben.

Von Pierre Daniel Huets Traktat über den Ursprung der Romane über die Fénelon und Defoe-Diskussion vollzieht sich eine Debatte, die dem Roman als fiktionale Kunst Anerkennung einbringt – und die ihn gleichzeitig aus dem Feld skandalöser Historien heraus bewegt. Gute Romane nutzen die Fiktionalität philosophisch und moralisch, schlechte zur puren Befriedigung der Leselust, so die neue Kritik, die den Roman im 18. Jahrhundert als Raum philosophischer Konstruktionen spannend macht. Aus Fénelons und Defoes Romanen entwickeln Autoren wie Rousseau und Goethe im Verlauf des Jahrhunderts den Erziehungsroman und den Bildungsroman. In diesen Roma macht die zentrale Figur eine Entwicklung durch, die von seinem Verhältnis zu den „verschiedenen Weltbereichen“, also seiner Umwelt, bestimmt wird. Diese Entwicklung spielt sich meistens in der Jugend des Helden ab. Die erzählte Zeit erstreckt sich über mehrere Jahre, oft sogar Jahrzehnte. Somit weist der Bildungsroman Elemente einer Biografie auf.

Der Aufbau des Bildungsromans ist häufig dreigeteilt und folgt dem Schema „Jugendjahre – Wanderjahre – Meisterjahre“. Beispielhaft lässt sich dies an Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre nachvollziehen, dieser Roman gilt als Ideal und Prototyp des deutschen Bildungsromans. Jedoch weisen nicht alle Bildungsromane diese Dreiteilung auf.

Eine zentrale Rolle bei der Entwicklung spielt – im Unterschied zum reinen Entwicklungsroman – beim Bildungsroman ein bestimmter Bildungsbegriff. Aus der Antike abgeleitet, meint der Begriff Bildung seit der Aufklärung und dem Sturm und Drang die von staatlichen und gesellschaftlichen Normen freie individuelle Entwicklung des Einzelnen zu einem höheren, positiven Ziel. Der Begriff beinhaltet zudem sowohl die Bildung des Verstandes als auch die Bildung des Nationalcharakters. Ein weiteres Kennzeichen des historischen Bildungsbegriffs ist die „Anbildung“ äußerer Einflüsse ebenso wie die Entwicklung und Entfaltung vorhandener Anlagen. Jeder Bildungsroman bezieht sich auf diesen namensgebenden Begriff.

Bildung soll beim Bildungsroman nicht nur das Thema des Romans sein, sondern auch dem Leser vermittelt werden. Ähnlich wie im didaktischen Aufklärungsroman geschieht dies durch das „missionarische Überlegenheitsgefühl eines sich selbst bewussten Erzählers, der seinen Bildungsvorsprung gegenüber Held und Leser geltend machen [kann]“. Dieser distanzierte, oft ironische Erzähler ist also neben dem Helden und dem Leser die wesentliche Figur eines Bildungsverhältnisses, das als Bildungsgeschichte bezeichnet wird.

Der Held eines Bildungsromans ist zunächst seiner Umwelt direkt entgegengesetzt. Während er noch jung, naiv und voller Ideale ist, steht ihm eine ablehnende, realistische Welt entgegen, in der nur Weniges nach seinen Vorstellungen abläuft. Jacobs spricht von einem „Bruch zwischen idealerfüllter Seele und widerständiger Realität“. Die Folgen sind Unverständnis und Ablehnung auf beiden Seiten.

Dieses Verhältnis des Helden zu seiner Umwelt setzt nun seine Entwicklung, seine Bildung, in Gang. Der Held macht in seiner Umwelt konkrete Erfahrungen, die ihn allmählich wachsen und reifen lassen. Es wird dargestellt, „wie er in glücklicher Dämmerung in das Leben eintritt, nach verwandten Seelen sucht, der Freundschaft begegnet und der Liebe, wie er nun aber mit den harten Realitäten der Welt in Kampf gerät und so unter mannigfachen Lebenserfahrungen heranreift“.

Als weiteres Merkmal des Bildungsromans sind an wichtigen Stellen, an den „Angelpunkten der Entwicklung“ Rückblicke und Reflexionen des Helden eingeschoben. Diese sollen den Roman einerseits formal gliedern, andererseits dienen sie zur Verdeutlichung der Entwicklung: Sie trennen die einzelnen Stufen dieser Entwicklung voneinander und schließen sie jeweils ab.

Als erster Bildungsroman gilt Christoph Martin Wieland um 1766 entstandene Geschichte des Agathon. Als Prototyp der Gattung setzte sich dann Goethe Wilhelm Meisters Lehrjahre durch, obwohl hier der Held nach einem adligen Bildungsideal, der gleichmäßigen Ausbildung von Körper und Geist, strebt und seine bürgerliche Herkunft verleugnet.

Der Grüne Heinrich von Gottfried Keller gilt neben Goethes Wilhelm Meister und Stifters Nachsommer als einer der bedeutendsten deutschen Bildungsromane des 19. Jahrhunderts. Keller erarbeitete zwei Fassungen (1855 bzw. 1880 erschienen), wobei die zweite, heute geläufigere Fassung im Unterschied zur ersten ausschließlich in der Ich-Form gehalten ist.

Aus den novellistischen Romanen des 17. Jahrhunderts entwickeln Samuel Richardson und Christian Fürchtegott Gellert Romane einer neuen Moraldiskussion. Philosophische Experimente kommen mit Montesquieus Lettres Persanes (1721), Jonathan Swifts Gullivers Reisen (1726), Voltaires Candide ou l’optimisme (1758 verfasst, 1759 veröffentlicht) und Jean-Jacques Rousseaus Romanen Julie ou la Nouvelle Heloise (1761) und Émile (1762) auf den Markt. Auch Diderot arbeitete an Romanen und Erzählungen, so verfasste er 1760 und 1761 den kirchenkritischen, empfindsamen Roman La Religieuse („Die Nonne“). Diderot war ein Bewunderer der Werke von Samuel Richardson und vieles aus dem Sujet des Romans Clarissa or The History of a young Lady 1748 fand seinen Weg in La Religieuse. Während er an seinem Roman Le Neveu de Rameau arbeitete, verstarb Richardson am 4. Juli 1761.

Der Roman wird im Wechselspiel zwischen neuen Reformen und Kritik am Roman zum Medium, in dem Aufklärer zentrale Diskussionen mit größtem Publikumszuspruch inszenieren können. Als neue Projektionsfläche wird das bürgerliche Leben entdeckt, das private Empfinden und schließlich die Zukunft. Waren die Zukunftsszenarien von Samuel Maddens Memoires of the Twentieth Century (1733) noch Gegenwartssatire, so ist Louis-Sébastien Mercier's L'An 2440 (1771) ein Propagandawerk der Aufklärung, das alle Lebensbereiche unter dem Aspekt ihrer möglichen Entwicklung betrachtet.

Die Literaturform des Sturms und Drang war bezeichnend für die Aufklärung.

Die von der Aufklärung angestrebte Freiheit begünstigte Literaturformen, die der vernünftig argumentierenden und gebändigten Sprache verpflichtet waren. Die Forderung nach einer „regelmäßigen“ Dichtkunst wurde von Theoretikern wie Gottsched auch während der Aufklärung mit Nachdruck vorgebracht. Die Einheit von Ort, Zeit und Handlung, eine gehobene Sprache und die Trennung der Besetzung von Tragödie und Komödie mit Adel und Bürgertum waren Postulate, die man in zahlreichen Dichterakademien die angehenden Literaten lehrte.

Doch bereits in Friedrich Gottlieb Klopstocks Oden von 1750 zeigte sich, dass dieses Reglement zu eng gefasst war. Mit dieser Demonstration gegen die rein verstandesmäßige Haltung der Aufklärung war der Grundstein für die Überwindung der Vernunftherrschaft und eine Entfesslung des Gefühlsüberschwangs, der Fantasie und der Gemütskräfte als neuer dichterischen Grundhaltung gelegt.

Diese erneuernde Bewegung, die wie ein Ruck durch die deutschsprachige Literatur ging, war in ihrem bürgerlich-jugendlichen Charakter von einem hohen Idealismus gekennzeichnet: Fülle des Herzens und Freiheit des Gefühls, Ahnung und Trieb, emotio statt ratio. Das Aufbegehren der Jugend hatte nun sein literarisches Äquivalent gefunden, eine neue Generation deutschsprachiger Schriftsteller fand in den Thesen Johann Gottfried Herders den Widerhall ihrer Erfahrungen und Gefühlswelt.

Herder, der zu einem Wegbereiter des Sturm und Drang wurde, kritisierte die Arroganz der Aufklärung gegenüber dem einfachen Volk und forderte dazu auf, auch die „Ächtheit“ und Tiefe von Volkslied und -dichtung als Kunst anzuerkennen. Auch Heinrich Wilhelm von Gerstenbergs Ugolino (1768) kann man in die Frühphase des Sturms und Drang einordnen.

Das Persönlichkeitsideal der jungen Generation in der deutschen Literatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts wendete sich gegen Autorität und Tradition. An Stelle einer erlernbaren Regelpoetik, die man in Dichterakademien lernen konnte, setzten die „jungen Wilden“ die Selbstständigkeit des Original-Genies, das sein Erleben und seine Erfahrungen in eine individuelle künstlerische Form brachte, die mit den Regeln der traditionellen Poetik sehr frei umging. Man bezweifelte die Maßgeblichkeit der ratio und begann die emotio ins Zentrum zu rücken.

Die überkommenen Regeln wurden mit Verweis auf das eigene Können und die Kraft genialer Originalität als Krücken verworfen, die das gesunde Genie der jungen Autoren nicht benötige. Nicht in eine Form sollte das Werk passen, sondern in die Welt, wie die Generation des Sturm und Drang sie erlebte, ihr Lebensgefühl widerspiegelnd.

Ein neues, innig umfassendes und sich einfühlendes Verhältnis zur Natur vereinte sich mit einer tragischen Grundauffassung vom Genie. Das Gefühl rückte ins Zentrum der literarischen Aussage. „Die Stimme des Herzens ist ausschlaggebend für die vernünftige Entscheidung.“ Dieses Zitat von Johann Gottfried Herder zeigt den Protest gegen die herrschenden Moralvorstellungen, die Entscheidungen von der Moral und nicht vom Herzen abhängig machten. Hinzu kam die Kritik am feudalen System. Dessen Überwindung hatte die Aufklärung ebenfalls zum Ziel, sah jedoch die Vernunft als höchstes Gut, während im Sturm und Drang das Gefühl an erster Stelle stand.

Die Hauptform der Dichtung in der Epoche des Sturm und Drang stellte das Drama dar. Das immer wiederkehrende Thema war der Konflikt des Naturgenies, der nach Freiheit strebenden, widerspenstigen Jugend, mit den Schranken der bestehenden Weltordnung, die die handelnden Personen als Aufrührer und Verbrecher erscheinen ließ. Formales Vorbild wurde Shakespeare anstelle der Dichter der antiken – vor allem griechischen – Welt.

Die exaltierte, ungebändigte und doch gefühls- und ausdrucksstarke Sprache des Sturm und Drang war voller Ausrufe, halber Sätze und forcierter Kraftausdrücke und neigte zum derbrealistisch Volkstümlichen. Man nahm kein Blatt mehr vor den Mund und brachte die Sprache des Volkes und der Jugend auf die Bühnen. Die Frontstellung der jungen Schriftsteller gegen eine aristokratische Hofkultur nach französischem Vorbild sowie ihre Sympathie für Begriffe wie Natur, Herz und Volk fielen bereits den Zeitgenossen auf.

Eine eigenständige „Jugendkultur“ in der Literatur war entstanden. Kritiker bemängelten, die Vernachlässigung der dramatischen Technik und Einheiten in den Werken des Sturm und Drang gehe bis zum beliebig häufigen Schauplatzwechsel, oft über den Grad bühnenmäßiger Wirksamkeit (und Darstellbarkeit) hinaus.

Die Autoren des Sturms und Drang kamen hauptsächlich aus dem Mittel- und Kleinbürgertum. Sie suchten ihre literarische Tätigkeit finanziell unter anderem durch Hauslehrer- oder Pfarrstellen abzusichern, da sie von der Literatur nicht leben konnten. Ihnen fehlte die breite soziale Resonanz, weshalb ihre Bewegung eher auf Bekannte und Freunde beschränkt blieb, mit denen man sich zu Männerbünden, wie dem Göttinger Hainbund, zusammenschloss. Zentren des Sturms und Drang waren Straßburg, Göttingen und Frankfurt am Main. Für viele, darunter Goethe und Schiller, betraf der Sturm und Drang nur einen begrenzten Abschnitt ihres Lebens und Schaffens.

Repräsentativ für diese Zeit ist das Werk Lessings „Nathan der Weise“ [33] zu nennen, der der aufklärerischen Idee der Toleranz klassischen Ausdruck gab. [34]

In seinen religionsphilosophischen Schriften argumentierte Lessing gegen den Glauben an die Offenbarung und gegen das Festhalten an den „Buchstaben“ der Bibel durch die herrschende Lehrmeinung. Dem gegenüber vertraute er auf ein „Christentum der Vernunft“, das sich am Geist der Religion orientierte. Er glaubte, dass die menschliche Vernunft, angestoßen durch Kritik und Widerspruch, sich auch ohne die Hilfe einer göttlichen Offenbarung entwickeln werde.

Um eine öffentliche Diskussion gegen die orthodoxe „Buchstabenhörigkeit“ anzuregen, veröffentlichte er in den Jahren 1774 bis 1778 sieben Fragmente eines Ungenannten, die zum so genannten Fragmentenstreit führten. Sein Hauptgegner in diesem Streit war der Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze, gegen den Lessing unter anderem als Anti-Goeze benannte Schriften von Hermann Samuel Reimarus herausgab. Außerdem trat er in den zahlreichen Auseinandersetzungen mit den Vertretern der herrschenden Lehrmeinung für Toleranz gegenüber den anderen Weltreligionen ein.

Die Handlung spielt zur Zeit des Dritten Kreuzzugs (1189–1192) während eines Waffenstillstandes in Jerusalem. Als der Jude Nathan von einer Geschäftsreise zurückkommt, erfährt er, dass seine Pflegetochter Recha von einem jungen christlichen Tempelherrn aus dem Feuer seines brennenden Hauses gerettet worden ist. Der Ordensritter wiederum verdankt sein Leben dem muslimischen Herrscher Jerusalems, Sultan Saladin, der ihn als einzigen von zwanzig Gefangenen begnadigt hat, weil er seinem verstorbenen Bruder Assad ähnlich sieht. Trotz dieser glücklichen Umstände ist der rational denkende Nathan nicht bereit, dahinter ein Wunder zu vermuten, und überzeugt auch Recha davon, dass es schädlich sei, an das Wirken von Schutzengeln zu glauben.

Saladin, in Geldangelegenheiten etwas lax, ja von fast melancholischer Gleichgültigkeit, befindet sich gerade in finanziellen Schwierigkeiten. Deswegen lässt er, auf Rat seiner berechnenderen Schwester Sittah, den vermögenden Nathan zu sich bringen, um dessen in ganz Jerusalem gerühmte Großzügigkeit auf die Probe zu stellen: Anstatt diesen direkt um einen Kredit zu bitten, gibt Saladin vor, zunächst Nathans ebenfalls überall gepriesene Weisheit testen zu wollen, und fragt ihn nach der „wahren Religion“.

Nathan, von seinem Freund Al-Hafi bereits über Saladins Geldnöte unterrichtet und vor dessen finanzieller Leichtfertigkeit gewarnt, erkennt die Falle. Er entscheidet sich, Saladin „mit einem Märchen abzuspeisen“, und beantwortet dessen Frage mit der Ringparabel (s.u.). Tief beeindruckt versteht Saladin dieses Gleichnis sofort als Botschaft von der Gleichberechtigung der drei großen monotheistischen Religionen. Von Nathans Humanität gerührt, bittet er diesen, von nun an dessen Freund sein zu dürfen. Nathan willigt gern ein und schenkt Saladin, ohne dass er darum gebeten worden wäre, obendrein ein großzügiges Darlehen.

Der Tempelherr, der Recha zwar aus den Flammen gerettet, aber bisher als bloßes Judenmädchen kaum beachtet hat, wird von Nathan mit ihr zusammengeführt, verliebt sich Hals über Kopf in sie und möchte sie auf der Stelle heiraten. Sein Name jedoch lässt Nathan noch zögern, seine Einwilligung zu geben. Der Tempelritter ist verstimmt. Als er dann von Nathans Gesellschafterin Daja, einer Christin, erfährt, dass Recha nicht Nathans Tochter, sondern nur von ihm als solche adoptiert wurde, ihre leiblichen Eltern aber Christen waren, wendet er sich um Rat suchend an den korrupten Patriarchen von Jerusalem. Obwohl der Tempelherr seine Anfrage so vorträgt, als handele es sich um einen hypothetischen Fall, will das fanatische Kirchenoberhaupt „diesen Juden“ sofort suchen und wegen Apostasie auf den Scheiterhaufen bringen lassen, ohne dessen edle Beweggründe zu berücksichtigen: „Tut nichts! Der Jude wird verbrannt“.

Durch Aufzeichnungen des Klosterbruders, der Recha einst als Kleinkind zu Nathan gebracht hat, stellt sich schließlich heraus, dass die von einem Juden erzogene Recha und der christliche Tempelherr nicht nur Geschwister – daher Nathans Vorbehalte gegen eine Heirat –, sondern auch die Kinder von Saladins Bruder Assad sind, wodurch die enge „Verwandtschaft“ der jüdischen, christlichen und muslimischen Religionsfamilie nochmals verdeutlicht wird:

Lessing stand in seiner Suche zu einem deutschsprachigen bürgerlichen Theater stark unter dem intellektuellen Einfluss der französischen Enzyklopädisten und Philosophen Denis Diderot. So sah er in dessen Le Fils naturel ou les Épreuves de la vertu, comédie suivie des Entretiens sur le Fils naturel (1757) kurz Fils naturel, den er in die deutsche Sprache übertrug, ein Vorbild für seinen Nathan den Weisen (1779). Lessing schätzte die Theaterreform von Diderot, vor allem wegen der Abschaffung der Ständeklausel, der Aufhebung des Heldenhaftigkeit der dramatischen Personen und des Verwendens prosaischer Sprache im Drama.

Diese Parabel von den drei Ringen gilt als ein Schlüsseltext der Aufklärung und als pointierte Formulierung der Toleranzidee. Sie findet sich bereits in der 73. Novelle des Il Novellino (13. Jahrhundert) und in der dritten Erzählung des Ersten Tages von Giovanni Boccaccios Decamerone. Zu den Vorlagen für Lessing zählen auch Jans des Enikels Erzählung von Saladins Tisch (13. Jahrhundert) und die Erzählung Vom dreifachen Lauf der Welt in den Gesta Romanorum. Bis ins 11. Jahrhundert lässt sich der Stoff von den drei ununterscheidbaren Ringen zurückverfolgen. Erfunden wurde er wahrscheinlich auf der Iberischen Halbinsel von sephardischen Juden.

Bei Boccaccio, Lessings Hauptquelle, geht es um einen Vater, der einen kostbaren Ring, sein wertvollstes Juwel, an denjenigen unter seinen Söhnen weitergibt, den er am meisten liebt und den er damit zum Erben einsetzt. So verfahren auch seine Nachkommen. Als Generationen später jedoch ein Vater seine drei Söhne alle gleich liebt, lässt er ohne deren Wissen zwei weitere Ringe anfertigen, sodass der Vater „kaum“ und die Söhne gar nicht mehr entscheiden können, welcher Ring der ursprüngliche ist.

Diese Handlung findet sich auch, in leicht veränderter Form, in der Schlüsselszene Lessings wieder: Saladin lässt Nathan zu sich rufen und legt ihm die Frage vor, welche der drei monotheistischen Religionen er für die wahre halte. Nathan erkennt sofort die ihm gestellte Falle: Erklärt er seine Religion zur „einzig wahren“, muss Saladin das als Majestätsbeleidigung auffassen, schmeichelt er hingegen dem (muslimischen) Sultan, muss er sich fragen lassen, warum er noch Jude sei.

Um einer klaren Antwort auszuweichen („Nicht die Kinder bloß, speist man mit Märchen ab“), antwortet er mit einem Gleichnis: Ein Mann besitzt ein wertvolles Familienerbstück, einen Ring, der die Eigenschaft hat, seinen Träger „vor Gott und den Menschen angenehm“ zu machen, wenn der Besitzer ihn „in dieser Zuversicht“ trägt. Dieser Ring wurde über viele Generationen vom Vater an jenen Sohn vererbt, den er am meisten liebte. Doch eines Tages tritt der Fall ein, dass ein Vater drei Söhne hat und keinen von ihnen bevorzugen will. Deshalb lässt er sich von einem Künstler exakte Duplikate des Ringes herstellen, vererbt jedem seiner Söhne einen der Ringe und versichert jedem, sein Ring sei der echte.

Nach dem Tode des Vaters ziehen die Söhne vor Gericht, um klären zu lassen, welcher von den drei Ringen der echte sei. Der Richter aber ist außerstande, dies zu ermitteln. So erinnert er die drei Männer daran, dass der echte Ring die Eigenschaft habe, den Träger bei allen anderen Menschen beliebt zu machen; wenn aber dieser Effekt bei keinem der drei eingetreten sei, dann könne das wohl nur heißen, dass der echte Ring verloren gegangen sei. (Auf die Frage, wann dies geschehen sein könnte, geht der Richter nicht explizit ein; auch der Ring des Vaters kann schon unecht gewesen sein). Der Richter gibt den Söhnen den Rat, jeder von ihnen solle daran glauben, dass sein Ring der echte sei. Ihr Vater habe alle drei gleich gern gehabt und es deshalb nicht ertragen können, einen von ihnen zu begünstigen und die beiden anderen zu kränken, so wie es die Tradition eigentlich erfordert hätte. Wenn einer der Ringe der echte sei, dann werde sich dies in der Zukunft an der ihm nachgesagten Wirkung zeigen. Jeder Ringträger solle sich also bemühen, diese Wirkung für sich herbeizuführen.

Im Unterschied zu Boccaccios Erzählung ist der Ring, von dem Nathan berichtet, nicht bloß „wunderschön und kostbar“, sondern er enthält einen Opal, dem in der Literatur auch Heilkraft zugewiesen wurde und der „als Symbol für die Gnade Gottes“ diente, „wenn ein Mensch, der frei von Schuld ist, ihn trägt“. Seine Wirkung tritt jedoch nur ein, wenn der Träger an sie glaubt – die Mitwirkung des Besitzers also ist entscheidend. Der Vater kann die drei Ringe nicht nur kaum, sondern wirklich gar nicht mehr unterscheiden, was ihn jedoch nicht hindert, „froh und freudig“ zu sein; er ist geradezu erleichtert in der illusionären Hoffnung, auf diese Weise alle Söhne zufriedenstellen zu können.

Zum eigentlichen Hauptteil der Erzählung wird bei Lessing die Zeit, nachdem die Söhne das Erbe angetreten haben. Der Streit der Söhne wird anschaulicher ausgemalt, um das Problem zu verdeutlichen. Ein Richter wird eingeführt, den es bei Boccaccio noch nicht gibt. Er bezieht sich auf die Wunderwirkung des echten Ringes und leitet daraus eine Aufgabe für die Besitzer ab. Sie wird entweder die Lösung bringen oder zeigen, dass die Besitzer in Bigotterie befangen waren. Als weiteres Ergebnis der Probezeit ist auch die Erkenntnis denkbar, dass alle drei Steine unecht sind und der wahre erste verlorengegangen ist.

Es wird betont, dass die Ringe und ihre Steine als solche, das heißt ohne eigenes Bemühen ihrer Besitzer, nichts bewirken und dass der Vater alle drei Söhne gleich liebte und alle drei Ringe für gleich wertvoll hielt. Des Richters Urteil, der echte Stein sei derzeit nicht erkennbar, und die sich daraus ergebende Aufgabe, jeder Sohn solle im Sinne seines Steines leben, verbietet Bigotterie, Intoleranz und Missionierung.

Die Parabel kann dahingehend verstanden werden, dass der Vater für den liebenden Gott, die drei Ringe für die drei monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam), die drei Söhne für deren Anhänger und der Richter, dem der Streitfall vorgetragen wird, für Nathan selbst stehen. Eine Aussage der Parabel wäre demnach, dass Gott die Menschen gleichermaßen liebe, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, da alle drei Religionen sein Werk und alle Menschen seine Kinder seien. Nicht schlüssig zu erklären ist nach dieser Interpretation allerdings, wie man es sich vorzustellen hat, dass Gott seinen Ring von seinem Vater geerbt haben soll (der Ring wurde bereits über Generationen hinweg weiter vererbt). Am Ende der Parabel spricht Nathan von einem anderen Richter, vor den der erste die Kinder und Kindeskinder der drei Brüder laden wird: „So lad ich über tausend tausend Jahre / sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird / ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen / als ich; und sprechen. (...)“ Diese tausend mal tausend, also eine Million Jahre, verweisen auf einen endzeitlichen Richter, in dem wiederum Gott zu sehen ist, der die endgültige Entscheidung fällt. So steht Gott als Vater und als Richter am Anfang und am Ende der Parabel – man kann auch sagen: am Anfang und am Ende der Welt, nach jüdisch-christlicher Auffassung. Die Frage, woher er selbst den „echten“ Ring hat, erübrigt sich dann.

Entscheidend sei, dass die Menschen sich nicht darauf versteifen, die „einzig wahre Religion“ zu „besitzen“, da sie das fanatisch und wenig liebenswert mache. Zwar sei es nur natürlich, dass jeder seine eigene Religion vorziehe, denn wer werde schon seinen Eltern vorwerfen, ihn zu einem „Irrglauben“ erzogen zu haben?.

Diese Bevorzugung dürfe jedoch nicht dazu verführen, den eigenen Glauben als allein selig machenden auch allen anderen gegenüber geltend machen zu wollen, da jede authentische Religion letztlich ihren Ursprung in Gott habe. Weil das Maß der Echtheit des ersten Ringes darin zu sehen sei, inwieweit er „beliebt vor Gott und Menschen“ mache, sei jeder Ring echt, der dies erfülle, und jeder unecht, der dies nicht erfülle. Da die Brüder sich untereinander misstrauen, könne keiner ihrer Ringe der echte sein. Die Gültigkeit jeder Religion sei demnach darin zu sehen, in welchem Maß sie zukünftig in der Lage ist, Liebe zu stiften.

Die Frage, welcher Ring der echte sei, müsse deshalb zurückgestellt werden, da keine der drei Religionen die Menschen so veredele, wie es der Fall sein müsste, wenn der echte Ring (die echte Religion) nicht verloren gegangen wäre, was nach Aussagen des Richters als Möglichkeit in Betracht gezogen werden müsse. Mit seiner Antwort weist also Nathan letztlich Saladins Frage nach der „einzig wahren Religion“ zurück.

Für die Philosophen, die sich im 18. Jahrhundert als Aufklärer in die Diskussion um religiöse Vielfalt und Toleranz mischten, wurde der Gedanke bestimmend, dass es in allen Religionen und Konfessionen einen rationalen Kern des Glaubens gebe. In Form des sich ausbreitenden Deismus als Vernunftreligion wurde diese Option im 18. Jahrhundert mit zunehmender Offenheit diskutiert.

In Verbindung damit ergab sich die Zusatzoption einer Gotteserkenntnis aus den modernen Wissenschaften heraus. Diese, so hieß es nun, setzen Gott als Schöpfer voraus und bestätigen seine Weisheit in den Naturgesetzen. Von der Welt als „Uhrwerk“ wurde hier in einer beliebten Metapher gesprochen, die Gott aus dem aktuellen Weltgeschehen herausdrängt und damit Berichte von Wundern diskreditiert: Die deistische naturwissenschaftliche Option ist, dass Gott die Welt mit allen Naturgesetzen geschaffen habe und nun ihrer gesetzlichen Bewegung überlasse. Neben das Bild von Gott als handelndem Gegenüber traten abstraktere Bilder von Gott als Prinzip und von Gott als nicht mehr in die Welt eingreifender, sie den Menschen überlassender Instanz.

Die gesamte Diskussion ist im Rückblick eng gebunden an eine Diskussion der Scholastik – und erwies sich gerade deshalb als Diskussion, der das Christentum kaum kritisch begegnen konnte. Definierte man Gott über die Idee seiner Vollkommenheit, so konnte man aus dieser Idee beweisen, dass es ihn geben musste: Nur ein existierender Gott sei vollkommen. Die Idee, dass die von Gott geschaffene Welt perfekt sein müsse, entfaltete sich als neues attraktives Argument in dieser Debatte im späten 17. Jahrhundert: Sie findet sich bei Anthony Ashley-Cooper, dem 3. Earl of Shaftesburg, verknüpft mit dem Gedanken, dass alle Lebewesen in der Natur in perfekt organisierten Gleichgewichten zusammenleben.

Gottfried Wilhelm Leibniz verband das Postulat in seinen Essais de théodicée mit Folgepostulaten wie demjenigen, dass es unendlich viele bewohnte Welten geben müsse: Die Welt, auf der wir leben, sei offenkundig nicht vollkommen, im Universum müsse es darum weitere bewohnte Welten geben, die gemeinsam das perfekte Universum Gottes bildeten. Shaftesbury verteidigte demgegenüber die bestehende Welt als perfekt und postulierte, dass dem Menschen letztlich lediglich das Wissen und die Perspektive fehlen würden, diese Perfektion zu erkennen. Man erfasse sie in der Regel allenfalls mit einer Ahnung, die einem ein Gefühl für die Harmonie der Schöpfung gebe.

Die „Erziehung des Menschengeschlechts“, was im Jahre 1780 erschien, war Lessings philosophisches Hauptwerk. Was die Religionsstifter der Menschheit gelehrt haben, musste schrittweise als symbolische Wahrheit der neuen Erkenntnis eingegliedert werden.

Vordergründig vergleicht Lessing in der Schrift die Entwicklung der menschlichen Vernunft mit der Entwicklung der Vernunft beim einzelnen Menschen, wobei Gott als eine Art Erzieher der Menschheit erscheint. Die göttliche Offenbarung ist dabei für das Menschengeschlecht das, was die Erziehung für den einzelnen Menschen ist. Diese „Erziehung“ erfolgt im Wesentlichen in drei Stadien:

Im ersten geschieht sie durch unmittelbare sinnliche Strafen und Belohnungen (Altes Testament); im zweiten Stadium werden durch die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele Lohn und Bestrafung ins Jenseits verlagert (Neues Testament); und in einem dritten Stadium wird es keine Belohnungen und Strafen mehr geben, weil die menschliche Vernunft so weit entwickelt ist, dass die Menschen das Gute tun, weil es das Gute ist (Ewiges Evangelium). Diese drei Stadien durchlaufen alle Völker, so dass man an ihren positiven Religionen den jeweiligen Entwicklungsstand ihrer Vernunft erkennen kann.

Die zentralen Kategorien des benutzten Vergleichs sind „Offenbarung“ und „Erziehung“ auf der einen und „Vernunft“ und „Entwicklung“ auf der anderen Seite. In der gesamten Schrift gibt es sowohl Belege für eine angenommene Dominanz der Offenbarung (§§ 7, 77), als auch für ein Primat der Vernunft (§§ 4, 65, 84, 91).

Dieser oberflächliche Widerspruch löst sich auf, wenn man die fremdgesteuerte Offenbarung (durch einen außerweltlichen Gott) und die selbstgesteuerte Vernunft (durch einen innerweltlichen Gott) nur als zwei Seiten einer dialektischen Einheit betrachtet (nahegelegt auch durch die §§ 36, 37) und die autonome menschliche Vernunft als deren tiefere Struktur begreift. Dann erscheint die göttliche Offenbarung nur als ein Bild für den jeweiligen Entwicklungsstand der menschlichen Vernunft und Gott als Bild für den innermenschlichen Imperativ zu ebendieser Weiterentwicklung, die in einer zunehmenden Konkretisierung des Bildes von der Offenbarung besteht.

Die Offenbarung wird damit zum „Noch-Nicht“ der Vernunft. Die „Erziehung“ eines „ausgewählten Volkes“ durch „göttliche Offenbarung“ steht also dafür, dass die gesamte Menschheit sich durch mythologische Erklärungen der Natur und durch die schrittweise Entmythologisierung dieser Erklärungen, d.h. rein immanent, entwickelt. Offenbarung erscheint Lessing hierbei lediglich als historisches Faktum, während die Vernunft ewig ist. Der Entwicklungsgedanke belegt nicht nur den „Glauben“ Lessings an einen innerweltlichen Gott (deus sive natura), sondern auch seine Überzeugung von einer positiven Entwicklung der Menschheit. Es ist für ihn ein Naturgesetz allen Lebens, dass eine ständige Spannung zwischen gegenwärtiger Unvollkommenheit und zukünftiger Vollkommenheit besteht, und dass die Entwicklung der Vernunft und Moral von einem zum anderen Pol verläuft.

Gleichwohl erwähnt Lessing auch den „Lästerungsgedanken“, dass der Glaube an den Fortschritt ein Irrglaube sei Nur inständiges Beten könne diesen „Lästerungsgedanken“ vertreiben.

Bei allen religionsphilosophischen Schriften Lessings ist stets ein (reales oder fiktives) Gegenüber mitzudenken. Er setzt sich mit den herrschenden Strömungen religionsphilosophischen Denkens seiner Zeit auseinander. Dabei ist ihm die Meinung des jeweiligen Dialogpartners zu wichtig, um einfach „beiseite“ gesetzt zu werden („Leibniz, von den ewigen Strafen“, 1773).

Vielmehr bemüht er sich in exoterischer Redeweise, seine Gegner auf ihrem jeweiligen „Wege zur Wahrheit zu führen“ (ebd). Insofern sind sämtliche Schriften nicht esoterisch, sondern immer als „Gegen-Schriften“ zu verstehen, bei denen man wissen muss, an wen er sich wendet, um dann indirekt daraus seine eigene Meinung zu erschließen. Diese „Taktik“ hat nichts mit Opportunismus zu tun, sondern entspringt der Hochachtung vor der Meinung des anderen, die Idee der Toleranz.

Religion und Politik, die beiden wichtigsten Erziehungsmittel, haben die Menschen schrittweise zu bessern, sie zur Herrschaft der Vernunft und der Liebe zu erziehen. Lessing verstand dies als ein ins Unendliche fortschreitender Prozess; er neigte im Zusammenhang mit dieser Idee der organischen Fortentwicklung der ganzen Menschheit dem Gedanken der Seelenwanderung zu. Das Ideal, das als Ziel an seinem Endpunkt steht, kann nie ganz erreicht werden.

Die Reaktion der Monarchien auf die Ideen der Aufklärung waren unterschiedlicher Natur: Friedrich der Große von Preußen und der österreichische Kaiser Joseph traten für den aufgeklärten Absolutismus ein, während in Frankreich alle Ansätze zu Reformversuchen brutal unterdrückt wurden.

Der aufklärerische Einfluss bezieht sich im Wesentlichen auf Vorstellungen der Frühaufklärung und die darin bedeutende naturrechtliche Staatslehre. Darin wurde der Regent nicht mehr als von Gott eingesetzter Herrscher und über jedem Gesetz stehender Souverän verstanden (Gottesgnadentum), sondern als oberster Repräsentant einer vernünftigen Staatsordnung, dessen Verpflichtung es ist, dem Allgemeinwohl zu dienen. Diese Vorstellung basierte auf einem unkündbaren Gesellschaftsvertrag, der den souveränen Herrscher in der Ausübung seiner Macht legitimierte und begrenzte. So bezeichnete sich beispielsweise Friedrich II. von Preußen (König 1740–1786) als der „erste Diener seines Staates“. Aufgeklärte Herrscher strebten (zumindest vorgeblich) an, die Judikative aus der Hand zu legen, überwachten aber das Geschehen und revidierten verschiedene Urteile der Gerichte.

Als wichtigste Vertreter des aufgeklärten Absolutismus gelten Friedrich II. von Preußen, Joseph II. von Österreich (Kaiser 1765–1790) und, bedingt durch den Einfluss Josephs und ihrer Minister, seine Mutter Maria Theresia (Erzherzogin 1740–1780) sowie Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel. Auch die russische Zarin Katharina die Große (1729–1796) verstand sich als aufgeklärte Herrscherin und bot dissidenten französischen Aufklärern wie einigen Enzyklopädisten, so etwa Voltaire Zuflucht und Veröffentlichungsmöglichkeiten, verschärfte aber gleichzeitig die Leibeigenschaft und gab dem Adel weitere Privilegien.

Aufgrund der humanitären Verpflichtung führten Herrscher des aufgeklärten Absolutismus verschiedene Reformen durch. Dies geschah unter anderem durch das „Allgemeine Landrecht“ in Preußen und durch das „Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch“ (ABGB) in Österreich. Diese Reformen leiteten den Beginn zur Rechtsstaatlichkeit sowie die Abkehr von der Willkür ein und betrafen unter anderem Folgendes:

Die aufgeklärten Herrscher ließen jedoch keine politische Mitbestimmung ihrer Untertanen in dem Sinne zu, dass diese etwas politisch gegen den Willen des Monarchen hätten erzwingen können. Auch waren die Reformen in den meisten Fällen sehr begrenzt oder nicht erfolgreich. Generell zeigt sich in ihrer Umsetzung immer wieder die schon im Begriff des aufgeklärten Absolutismus angelegte Widersprüchlichkeit.

Friedrich II. von Preußen galt damals als „Prototyp“ des aufgeklärten Monarchen. Der preußische König hatte ein relativ klar ausgeformtes aufklärerisches Selbstbild, welches sich vor allem in den sog. „Rheinsberger Jahren“ zwischen seiner Hochzeit und seiner Thronbesteigung ausprägte. In dieser Zeit wird ein Einfluss insbesondere durch Christian Wolff, Samuel von Pufendorf und Christian Thomasius sowie den kontinuierlichen Kontakt mit Voltaire gesehen. Seine Haltung drückte sich unter anderem in seiner toleranten Religionspolitik aus.

In seiner Regierungszeit von 1740 bis 1786 initiierte Friedrich II. eine ganze Reihe von Reformen, die von aufklärerischem Denken zumindest beeinflusst waren. In diesem Zusammenhang sind die Reformen des Justizwesens hervorzuheben. Noch im Jahr des Amtsantritts wurde die Folter weitgehend abgeschafft und Einschränkungen bei der Anwendung der Todesstrafe vorgenommen. In der Rechtsprechung wurde eine Proportionalität von Verbrechen und Strafen angestrebt und der Strafvollzug sollte humanisiert werden. Erste Reformen betrafen eine Neuordnung der Prozessordnung, die die Verschleppung von Verfahren verhindern sollte. Auch manifestierten sich die Reformbemühungen im Justizwesen im nach dem Tod Friedrichs veröffentlichten Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten. Im Bildungsbereich wurde die allgemeine Schulpflicht eingeführt, die sich allerdings nach Friedrichs Vorstellungen vor allem auf den Adel bezog.

Als 1685 mit der Rücknahme des Edikts von Nantes die Religionsfreiheit der Protestanten in Frankreich widerrufen wurde, hatte dies nicht nur in England historisch bedeutsame Folgen. Der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm (Der große Kurfürst) stellte mit dem Edikt von Potsdam die Weichen in seinem Herrschaftsbereich nunmehr nachhaltig in Richtung auf eine tolerante Religionspolitik. Die Grundlage für die Ansiedlung war das am 25.10.1685 erlassene Edikt von Potsdam des Kurfürsten Friedrich Wilhelm „betreffend diejenigen Rechte, Privilegia und andere Wohlthaten, welche Se. Churfürstl. Durchl. Zu Brandenburg den Evangelisch-Reformierten Frantzösischer Nation, so sich in Ihren Landen niederlassen werden, wegen der Jurisdiction und sonst, dasselbst zu verstatten gnädigst entschlossen seyn“.[35]

Das Edikt legte in vierzehn Artikeln die Rahmenbedingungen für die Ansiedlung der Glaubensflüchtlinge in Brandenburg-Preußen fest.[36] Zunächst regelte es die Unterstützung auf der Flucht, die Hilfeleistung bei der Einwanderung und die Niederlassung:[37] „Das Edikt schrieb die Wege vor, die von den Hugenotten einzuschlagen waren; die Sammelorte hießen Amsterdam, Frankfurt am Main und Hamburg. Von dort aus sollten die Vertriebenen, durch kurfürstliche Kommissare empfangen, nach den von ihnen gewählten Orten weitergeleitet werden. Es schlägt ihnen eine Reihe von Städten als zur Ansiedlung besonders geeignet vor und befiehlt, dass sie dort gut aufgenommen und mit allem zur Ansiedlung Nötigen versehen werden sollen.“

Weiterhin verbot das Edikt von Potsdam der autochthonen Bevölkerung in Brandenburg-Preußen, den hugenottischen Flüchtlingen Nahrungsmittel zu verweigern. Ihr aus Frankreich mitgebrachter Besitz durfte ungehindert nach Brandenburg-Preußen eingeführt werden.

Der Kurfürst übergab den Flüchtlingen verfallene oder verlassene Häuser als erbliches Eigentum.[38] Außerdem erhielten sie von Friedrich Wilhelm die notwendigen Materialien zum Wideraufbau der Häuser und wurden von allen Abgaben befreit. Beim Bau eines Hauses überwies die kurfürstliche Verwaltung den Hugenotten geeignete Baustellen mit den dazugehörigen Gärten und Wiesen sowie die benötigten Baumaterialien; dazu kam eine zehnjährige Abgabenfreiheit.

Im Edikt von Potsdam erteilte der Kurfürst den Flüchtlingen das Bürgerrecht und gewährte ihnen den Eintritt in die Zünfte. Manufakturgründungen von hugenottischen Kaufleuten wurden durch umfangreiche Privilegien und finanzielle Zuwendungen unterstützt.

Das Edikt beinhaltete ebenso das Recht der Ausübung der reformierten Religion in französischer Sprache und die Ernennung von eigenen Geistlichen:[39] „In einer ieden Stadt wollen wir gedachten Unsern Frantzösischen Glaubens-Genossen einen besonderen Prediger halten, auch einen bequemen Ort anweisen lassen, woselbst das exercitium Religionis Reformatae in Frantzösischer Sprache, und der Gottesdienst mit eben denen Gebräuchen und Ceremonien gehalten werden sol, wie es biß anhero bey den Evangelisch Reformierten Kirchen in Franckreich bräuchlich gewesen.“

Ein weiteres Privileg des Ediktes war die standesgemäße Gleichstellung der eingewanderten hugenottischen Adeligen mit dem einheimischen Adel.

Im Artikel 10 des Ediktes von Potsdam gewährte der Kurfürst Friedrich Wilhelm den Hugenotten in den Städten einen Richter zur Schlichtung interner Auseinandersetzungen:[40] „So viel die Jurisdiction und Entscheidung der zwischen offt gedachten Frantzösischen Familien sich ereignender Irrungen und Streitigkeiten betrifft, da sind wir gnädig zufrieden, und bewilligen hiermit, dass in den Städten, wo selbst verschieden Frantzösische Familien vorhanden, dieselbe iemand ihres Mittels erwägen mögen, welcher bemächtiget seyn soll, dergleichen differentien ohne eigene Weitläufftigkeit, in der Güte zu vergleichen und abzuthun.“

Ein Kollegium aus hugenottischen Richtern und deutschen Magistratsangehörigen kümmerte sich um Streitigkeiten zwischen deutschen und französischen Personen:[41] „Daferne aber solche Irrungen unter Teutschen an einer, und Frantzösischen Leuten anderer Seite sich ereignen. So sollen selbige durch den Magistrat eines ieden Orts und diejenige welche die Frantzösische Nation zu ihrem Schieds-Richter erwählen wird, zugleich und gesamter Hand untersuchet, und summariter zu Recht entschieden und erhöret werden, welches dann auch als dann statt haben soll, wann die unter Frantzosen allein vorfallende differentien, dergestalt wie oben erwehnet, in der Güte nicht beygeleget und verglichen werden können.“

Das Edikt von Potsdam sprach den Glaubensflüchtlingen zwar weitgehende Rechte und Privilegien zu, von einer Selbstverwaltung der Hugenotten war darin nicht die Rede. Erst im Laufe der Zeit entwickelte sich die hugenottische Gemeinde zu einer festen Gemeinschaft mit eigenständigem Charakter.[42]

Am 23.11.1685 wurde in Berlin ein Kommissariat für die Angelegenheiten der hugenottischen Flüchtlinge innerhalb des Generalkriegskommissariats gegründet, das als Kontrollorgan die Durchführung der Bestimmungen des Potsdamer Ediktes kontrollieren sollte.[43] Der erste Vorsitzende des Kommissariats wurde Marshall Joachim Ernst von Grumbkow (1637-1690), sein Stellvertreter war der ehemalige brandenburgische Gesandte in Frankreich, Ezechiel Freiherr von Spanheim (1629-1710). Die hugenottischen Vertreter Graf d’Espence und du Bellay d’Ancle gehörten ebenfalls dem Kommissariat an.

Alle nach Brandenburg-Preußen emigrierten Flüchtlinge mussten sich dort kurz nach ihrer Ankunft melden; erst nach der genauen Feststellung ihrer Verhältnisse besaßen sie einen Anspruch auf die im Edikt von Potsdam erteilten Vergünstigungen und Privilegien. Für die hugenottischen Exulanten war in den meisten Fällen der damalige Leiter der französischen Gemeinde von Berlin, de Gaultier, der erste Ansprechpartner, der den Kontakt zum Kommissariat herstellte.[44]

Nachdem die hugenottischen Glaubensflüchtlinge bei einem französischen Richter bzw. Oberrichter den Untertaneneid geschworen hatten, lebten sie als Untertanen des Kurfürsten bzw. des Königs in Brandenburg-Preußen. Sie nahmen eine gewisse Sonderstellung gegenüber der deutschen Bevölkerung ein, da sie unter der Schirmherrschaft der Hohenzollern eine innere kirchliche und juristische Selbstverwaltung aufbauen durften.[45]

Bei der rechtlichen und verwaltungsmäßigen Eingliederung der hugenottischen Kolonien in das brandenburg-preußische Staatswesen lassen sich zwei Entwicklungslinien voneinander unterscheiden. Zuerst erfolgte zwischen den Jahren 1685 und 1690 die Herausbildung einer eigenständigen Gerichtsbarkeit als Teil des Sonderstatus der hugenottischen Kolonien. Danach erhielten die französischen Kolonien bis zum Jahre 1720 die wesentlichen rechtlichen Grundlagen für den Ausbau ihrer eigenen Gerichtsbarkeit und Selbstverwaltung. Bis zur juristischen Auflösung der Kolonien im Jahre 1809 kam es zu keinen wesentlichen Veränderungen in der Rechtsprechung und Verwaltung der hugenottischen Kolonien.

Seine einladende Toleranzzusicherung bewirkte unmittelbar den Zuzug von bis zu 20.000 aus Frankreich geflüchteten Hugenotten in seinen Herrschaftsbereich, von denen allein 40 Prozent sich in der Residenzstadt Berlin niederließen, sodass um 1700 nahezu jeder fünfte Berliner ein Hugenotte war. Diese Réfugiés verhalfen dem vom Dreißigjährigen Krieg gebeutelten Brandenburg-Preußen zu einem beachtlichen Wirtschaftsaufschwung und wirkten zudem kulturell bereichernd.

Die Kombination aus machtpolitischen Zielen, wirtschaftlichen Interessen und dem Bedürfnis, verfolgten Glaubensbrüdern zu helfen, motivierte die jeweiligen Landesherren, den aus Frankreich emigrierenden Hugenotten Aufnahme zu gewähren.

Da die protestantischen Landesherren die Hugenotten als Stabilisierungsfaktor des absolutistischen Systems betrachteten, unterstützten sie aktiv deren Einwanderung. Die hugenottischen Einwanderer galten als loyale Staatsbürger, die im Laufe der Zeit zu einer Stütze des absolutistischen Herrschaftssystems wurden:[46] „Im Jahre 1700 wurden sie per Gesetz preußische Staatsbürger. Ihren Sonderstatus behielten sie bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Dabei fühlten sich die Refugies allzeit als bewusste und loyale Bürger des Gastlandes, obwohl sie auf ihrer Sprache und Kultur weiterhin bestanden.“

Kurz nach der Veröffentlichung des Potsdamer Ediktes im Jahre 1685 wurden ca. 500 hugenottische Soldaten in das preußische Militär aufgenommen, wo sie nach und nach Schlüsselpositionen besetzten.

Eine zentrale Rolle spielten auch wirtschaftliche Überlegungen. Unter den emigrierten Hugenotten befanden sich viele Intellektuelle (Pfarrer, Ärzte, Literaten) sowie hervorragend ausgebildete Handwerker und Manufakturisten, die in den vom Dreißigjährigen Krieg verwüsteten Gebieten für eine Belebung der Wirtschaft sorgten. Es ist unumstritten, dass es ohne die Mithilfe der Hugenotten nicht möglich gewesen wäre, eine kurzfristige Steigerung der Wirtschaftskraft in den protestantischen Aufnahmestaaten zu erreichen:[47] „Zweifellos hätte unter weisen Regierungen, auf die Länge gesehen, alles auch so neues Leben gewonnen; aber es ist eindeutig klar, dass die Refugies die Fortschritte wenigstens um ein halbes Jahrhundert beschleunigt haben.“ Die Aussage von Cohn-Bendit und Schmid unterstützt diese These:[48] „Der Aufschwung Berlins von einem gottverlassenen Ackerbaustädtechen zur späteren Kapitale wäre ohne die Hugenotten ebenso wenig möglich gewesen wie etwa die Blüte der manufakturellen Betriebe im Gebiet zwischen Kassel und dem Weserland.“

Die konfessionelle Solidarität der protestantischen Landesherren bei der Aufnahme der hugenottischen Flüchtlinge ist ebenfalls ein entscheidender Faktor. Die Hilfsbereitschaft des Kurfürsten für die in Berlin eingewanderten Hugenotten in Form von Geldspenden und Unterbringungsmöglichkeiten machte eine tiefe Verbundenheit mit seinen Glaubensbrüdern ersichtlich. Friedrich Wilhelm gewährte nicht nur den Hugenotten, sondern auch Protestanten der verschiedensten Richtungen Zuflucht in Brandenburg-Preußen. In der Zeit vom ausgehenden 17. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wurden in Brandenburg-Preußen mehr als 30 Verfügungen über die Niederlassung von protestantischen Flüchtlingen erlassen bzw. bestätigt.[49]

Bei der Ansiedlung der Hugenotten in Hessen standen weitestgehend ökonomische Motive im Vordergrund. Das erste Aufnahmeprivileg für Glaubensflüchtlinge aus den Spanischen Niederlanden in Hessen-Kassel aus dem Jahre 1604 deutete schon die Vorrangstellung der wirtschaftlichen Gründe der Aufnahme an. Landgraf Moritz bemühte sich vor allem um die Anwerbung von Handwerkern und Fabrikanten, denen die Aufnahme in die Zünfte und die Gilden des Landes in Aussicht gestellt wurde.

Noch vor der Veröffentlichung des Ediktes von Fontainebleau legte Landgraf Karl I. die Grundlagen der Einwanderung der Hugenotten mit dem Edikt vom 18.04.1685 vor. Der Hauptteil des Ediktes bestand aus wirtschaftspolitischen Bestimmungen, hugenottische Handwerker und Fabrikanten waren die meist gesuchten Berufsgruppen.

Im zweiten Edikt vom 01.08.1685 wurden die den Hugenotten in Aussicht gestellten ökonomischen Vergünstigungen erweitert. Das am 12.12.1685 veröffentlichte dritte Edikt enthielt weitere Zugeständnisse an ansiedlungswillige Manufakturisten.

Für den Markgrafen Christian Ernst von Brandenburg-Bayreuth spielten bei der Aufnahme von Glaubensflüchtlingen in Erlangen sowohl konfessionell-solidarische Motive als auch ökonomische Gründe eine Rolle. Einerseits wollte er seinen verfolgten französischen Glaubensbrüdern Unterstützung gewährleisten, andererseits verfolgte er das Ziel, in seinem Herrschaftsgebiet mit Hilfe der Hugenotten neue Industrien anzusiedeln.

Insgesamt gesehen lassen sich die Gründe für die Einwanderung der Hugenotten in die protestantischen Staaten Deutschland nur multifaktoriell erklären, eine Kombination aus machtpolitischen, ökonomischen und konfessionell-karikativen Zielen ist anzunehmen.

Bei der Frage nach den Aufnahmebedingungen der hugenottischen Flüchtlinge muss man unterscheiden zwischen Bestimmungen von überregionalem Charakter wie das Edikt von Potsdam aus dem Jahre 1685 oder die drei Aufnahmeedikte des Landgrafen Karl I. von Hessen-Kassel und Dekreten von regionaler Bedeutung, die entweder von den Herrschern Brandenburg-Preußens an die jeweiligen Magistrate verschickt oder von den zuständigen Landesherren festgesetzt wurden.

Landgraf Karl I. von Hessen-Kassel legte die Grundlage für die Einwanderung der hugenottischen Glaubensflüchtlinge durch die Veröffentlichung des Ediktes vom 18.04.1685. Neben der rechtmäßigen Gleichstellung mit der alteingesessenen Bevölkerung sicherte der Landgraf den Flüchtlingen die uneingeschränkte Ausübung ihres Glaubens zu. Beim Auftreten von Konflikten unter den Exulanten war die Regierung in Kassel oder der jeweilige Magistratsbeamte der Stadt oder des Dorfes zuständig. Im Jahre 1686 gründete der Landgraf eine Französische Kommission, die für die Verwaltungs- und Gerichtsangelegenheiten der Hugenotten verantwortlich war.

Das Hauptaugenmerk des Ediktes lag auf ökonomischen Privilegien für die Flüchtlinge. Karl genehmigte sowohl die freie Einfuhr von Hausrat und Betriebseinrichtungen als auch die uneingeschränkte Gewerbeausübung in Hessen-Kassel. Außerdem mussten die hugenottischen Einwanderer zehn Jahre lang keine öffentlichen Abgaben entrichten. Im Edikt schlug Karl den Hugenotten ausschließlich Ansiedlungsorte vor, deren Bevölkerungszahl durch den Dreißigjährigen Krieg stark dezimiert worden war. Mit den Edikten vom 01.08.1685 und vom 12.12.1685 erweiterte der Landgraf die schon existierenden wirtschaftspolitischen Vergünstigungen für die Exulanten.

Die verschiedenen Vertreter der Landesherren reisten zu den Durchgangszentren Frankfurt/Main, Amsterdam, Den Haag und Genf, um dort bevorzugt Handwerker und Fabrikanten unter den hugenottischen Flüchtlingen anzuwerben.

Die Privilegien, die bei der regionalen Ansiedlung der Hugenotten von besonderer Bedeutung waren, lagen in den Zugeständnissen der religiösen Freiheit, der ökonomischen Starthilfe und der Übergabe von Grundbesitz an die Glaubensflüchtlinge. Nach dem Tod eines Landesherrn mussten diese Privilegien von jedem nachfolgenden Herrscher neu bestätigt werden.

Zur Bereitstellung von Bauplätzen und Ackerland kaufte der jeweilige Landesherr den Einwohnern der umliegenden Gemeinde verschiedene Ländereien ab. Um hugenottische Einwanderer in Todenhausen anzusiedeln, entschädigte Landgraf Karl die deutschen Nachbargemeinden durch finanzielle Zuwendungen.

Beim Aufbau der hugenottischen Kolonien waren auch die Bewohner der benachbarten Städte und Dörfer beteiligt. Bis zur endgültigen Fertigstellung der Wohnhäuser wurden die Flüchtlinge provisorisch in den umliegenden Dörfern untergebracht. Die für die Ansiedlung in Gethsemane vorgesehenen zwanzig hugenottischen Familien wurden bis zum Abschluss der Baumassnahmen in der Nachbargemeinde Heimboldshausen beherbergt. In dieser Zeit wurden sie durch Geld- und Sachspenden des Landgrafen sowie aus England und den Niederlanden unterstützt.

Bei der Auswahl ihres neuen Wohnortes legten viele hugenottischen Exulanten großen Wert auf ausgezeichnete ökonomische Ausgangsbedingungen. Ein wichtiger Grund für die Ansiedlung zahlreicher Hugenotten in der Erlanger Neustadt lag in den florierenden Handelsbeziehungen nach England und den Niederlanden.

Da viele Hugenotten vor ihrer Flucht aus Frankreich militärische Ämter bekleideten, siedelten sie sich bevorzugt in preußischen Städten an, wo Regimenter des Kurfürsten stationiert waren. Als Friedrich II. durch ein Dekret alle pensionierten hugenottischen Offiziere dazu aufforderte, ihren Wohnsitz nach Potsdam zu verlagern, folgten viele Exulanten dieser Anweisung, wodurch die Zahl der französischen Gemeindemitglieder in Potsdam deutlich anstieg. Kurfürst Friedrich Wilhelm gründete in Prenzlau eine aus hugenottischen Adeligen bestehende Kompanie der Grands Mousquetaires. Dies förderte die Entwicklung von Handwerk und Gewerbe in der Stadt, was zu einem Zuwachs der Einwohnerzahl Prenzlaus führte. In Brandenburg an der Havel fanden viele Hugenotten ein neues Betätigungsfeld im Regiment „Graf Waldeck“.

Der ausgezeichnete Ruf der Universität in Frankfurt/Oder veranlasste viele hugenottische Gelehrte, sich dort niederzulassen. Durch die Gewährung von Stipendien unterstützte Kurfürst Friedrich Wilhelm diese Entwicklung. Die Anwesenheit von Pastoren, die in französischer Sprache Gottesdienste abhielten, stellte eine wesentliche Grundvoraussetzung für den Verbleib vieler Hugenotten in Frankfurt/Oder dar. Friedrich Wilhelm gründete an der Hochschule einen Lehrstuhl für französische Sprach- und Literaturwissenschaften und übertrug einigen Hugenotten eine Lehrtätigkeit an der Viadrina. Zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses unterstützte er mit finanziellen Zuwendungen das Friedrichsgymnasium, wo viele Kinder aus Hugenottenfamilien unterrichtet wurden.

Vor allem in den ersten Jahren nach der Ansiedlung hatten viele hugenottischen Gemeinden mit vielerlei Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Glaubensflüchtlinge in der Erlanger Neustadt waren nicht in der Lage, ihre Wohnhäuser selbst zu finanzieren, da die Darlehen des Markgrafen Christian Ernst sehr gering ausfielen. In Strasburg lebte die Mehrheit der Hugenotten zunächst in unzureichend bewohnbaren Häusern. Außerdem waren sie in den ersten Jahren ihrer Ansiedlung zur Finanzierung ihres Lebensunterhaltes hauptsächlich auf Spenden der französischen Gemeinde in Berlin sowie auf Zuschüsse der kurfürstlichen Verwaltung angewiesen.

Der jeweilige Landesherr gestattete den hugenottischen Glaubensflüchtlingen, eine eigene Gemeinde zu gründen und überließ ihnen -in vielen Fällen vorübergehend- eine Kirche oder eine Kapelle zur Ausübung ihrer Religion. Neben der Bezahlung eines Predigers übernahm der jeweilige Landesherr vielfach den Lohn sowohl des Kantors als auch des Küsters. In der Regel kam es einige Jahre nach der hugenottischen Ansiedlung zu dem Bau einer größeren Kirche.

Bereits 1689 wurde in Berlin das noch immer bestehende Französische Gymnasium gegründet. Indem Französisch als Sprache der internationalen Diplomatie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Latein ablöste, wurde es in der gebildeten Öffentlichkeit überhaupt gängig und wurde die französische Kultur vorbildhaft. Dabei wirkten die Hugenotten in den Gastländern als Vermittler und trugen beispielsweise zu verfeinerten Umgangsformen und neuen Essgewohnheiten bei.

Die Entwicklung Berlins und Potsdams zu Zentren der europäischen Aufklärung ist anteilig auch auf die Anwesenheit französischer Intellektueller zurückzuführen: Die Mitglieder der Königlich-preußischen Akademie der Wissenschaften bestanden zu gut einem Drittel aus Hugenotten. Kulturtransfers gab es auch in umgekehrter Richtung: So machte Isaac de Beausobre von Berlin aus Schriften Samuel Pufendorfs in Frankreich bekannt. Pufendorf, der an das naturrechtliche Denken von Hugo Grotius anknüpfte, wechselte 1688 vom Stockholmer an den Berliner Hof, wo er für den Großen Kurfürsten als Ratgeber und Verfasser einer brandenburgischen Geschichte tätig war. Die von seinem Auftraggeber erfolgreich betriebene Ausweitung der staatlichen Autorität in den verstreuten preußischen Territorien rechtfertigte er, indem er der Freiheit der Stände die notwendige Mittelausstattung des Staates als zwingendes Erfordernis entgegenhielt.

Herrschaftsausbau im Sinne der Staatsraison und Ansätze zu einer aufklärerischen Herrschaftspraxis lagen also in Brandenburg-Preußen bereits beieinander, lange bevor Friedrich II. (der Große) als Urenkel des Großen Kurfürsten sich anschickte, zum Sinnbild des aufgeklärten Monarchen zu werden. In seiner Persönlichkeit kontrastierte Friedrich gegenüber dem eigenen Vater, dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., beträchtlich.

Als musisch begabter Querflöten-Virtuose und Komponist eigener Musikstücke sowie als dem literarischen Interesse ausgiebig frönender Intellektueller mit großer Gewandtheit in der französischen Sprache hatte Friedrich II. bereits vor seinem Herrschaftsantritt 1740 das Interesse Voltaires geweckt und korrespondierte mit ihm. Sogar auf Feldzügen war im Lager häufig sein Flötenspiel zu hören, und für ruhige Stunden ließ er eine mobile „Feldbibliothek“ mitführen.

Den Ruf des Aufklärers auf dem Thron erwarb er sich aber hauptsächlich als religiös ungebundener Freigeist, der jedem Menschen ausdrücklich zugestand, „nach seiner Façon“ (oder Konfession) selig zu werden, und durch das die eigene Vorrangstellung relativierende Bekenntnis, mit dem er sich als König zum „Ersten Diener des Staates“ erklärte. Mit seiner Wendung gegen die Folter, der angeordneten Milderung des Strafenregimes und der Zurückdrängung der Todesstrafe setzte er gleich zu Beginn seiner Herrschaft menschenrechtliche Achtungszeichen. Für das Rechtswesen ließ er eine neue, grundlegende Ordnung entwerfen; doch trat das von ihm auf den Weg gebrachte Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten erst nach seinem Tode in Kraft.

Andererseits zeigten sich in wichtigen Bereichen des preußischen Staatswesens die Grenzen seines aufklärerischen Wirkens und Wollens. Die adligen Gutsbesitzer wurden in ihrer bevorrechtigten gesellschaftlichen Stellung noch gestärkt: Das Patrimonialgericht blieb ihnen erhalten; die militärischen und amtlichen Führungsstellen wurden im Wesentlichen unter ihnen aufgeteilt. Friedrichs II. außenpolitischer Expansionskurs war allein von machtpolitischen Motiven im Sinne der Staatsraison bestimmt.

Katharina die Große prägte den aufgeklärten Absolutismus in Russland. Im Zarenreich kam Katharinas Ehemann als Zar Peter III an die Macht. Das Bild der Regierung Peters III. wurde später von seiner Gattin und Nachfolgerin negativ gezeichnet: So soll sich Peter III. noch während der Trauertage angeblich unangemessen albern benommen haben. Dies verärgerte demnach sowohl Katharina als auch große Teile des russischen Volkes. Katharina forderte ihren Gatten „zur Mäßigung“ auf, auch und im Besonderen in der Politik. Doch die ersten Staatshandlungen Peters III. waren ein Sonderfrieden mit Preußen, der zwar das Ende des Siebenjährigen Krieges bedeutete, für Russland allerdings Nachteile brachte, und die Einführung eines umfangreichen aufgeklärten Reformprogramms, wodurch er sich die Feindschaft der konservativen Kräfte des Landes zuzog.[50]

Katharina und ihre Vertrauten planten daraufhin einen riskanten Staatsstreich. Sie versicherte sich zuerst der Unterstützung einiger Garderegimenter, in denen unter anderen die Gebrüder Orlow dienten, dann ließ sie sich am 9. Juli 1762 zur Zarin ausrufen, während Zar Peter III. für abgesetzt erklärt wurde. Katharina rückte mit der Garde nach Peterhof, wo Peter III. sich zu der Zeit aufhielt, vor. Peter III. flüchtete zunächst nach Kronstadt, kehrte allerdings zurück und unterschrieb anschließend in Oranienbaum seine Abdankungsurkunde. Katharina wurde noch am gleichen Tag in der Kasaner Kathedrale von Sankt-Petersburg durch den Metropoliten Setschin zur Alleinherrscherin Russlands erklärt.[51]

Peter III. wurde gefangengenommen und kam am 17. Juli 1762 unter ungeklärten Umständen ums Leben. Nachdem sich die Lage im Lande nach Peters Tod wieder beruhigt hatte, wurde Katharina II. in der Himmelfahrtskathedrale des Moskauer Kremls zur Zarin von Russland gekrönt, worauf sie das Land 34 Jahre lang regierte. Da Katharina II. nicht wieder in den Siebenjährigen Krieg eintrat, sondern sich an den von Peter III. mit Preußen geschlossenen Friedensvertrag hielt, verlieh ihr der preußische König Friedrich II. am 22. November 1762 den Orden vom Schwarzen Adler.[52]

Das zentrale Ziel ihrer Innenpolitik war die Etablierung der Staatsgewalt in allen Orten des Riesenreiches. Die Reform des Jahres 1775 – eines der wichtigsten innenpolitischen Projekte Katharinas II. – hat dem Russischen Kaiserreich eine neue Verwaltungsstruktur verliehen: Es wurde in 40 Gouvernements eingeteilt und bekam eine neue Lokalverwaltung. Diese war insofern neuartig, als sie lokale Eliten – vor allem den Adel und die Kaufmannschaft – stärker in die Verwaltung mit einbezog und neue Aufgabenfelder der staatlichen Tätigkeit erschloss, etwa das Bildungswesen, die Armenfürsorge oder die medizinische Versorgung der Zivilbevölkerung.

Schon bald nach ihrer Machtübernahme, am 14. Oktober 1762, erließ Katharina ein Manifest, in dem der Kaiserliche Senat ausdrücklich die Erlaubnis erhielt, Ausländern die Ansiedlung im Land zu gestatten. Da die Veröffentlichung dieses ersten Manifestes nicht die erhoffte Resonanz im Ausland hatte, unterschrieb Katharina II. das Manifest vom 22. Juli 1763, mit dem sie tausenden deutschen Bauern die Ansiedlung in den Ebenen beiderseits der Wolga ermöglichte. Sie versprach den Siedlern Religionsfreiheit, Steuerfreiheit und das Verfügungsrecht über ihr Land. Man spricht in diesem Zusammenhang von den Wolgadeutschen.

Katharina führte zusammen mit Graf Sievers 1775 die groß angelegte Gouvernementsreform durch. Dank dieser Reform wurde erstmals eine einheitliche Verwaltung mit Statthalterschaften, Gouvernements und Kreisen eingeführt. Historisch betrachtet stellte sie einen wesentlichen Einschnitt in der russischen Verwaltungsgeschichte dar. Katharina gründete ab 1764 erste Volksschulen und Gymnasien in den Städten sowie Ingenieurfachschulen. Im Gegensatz zu Zar Peter dem Großen trieb sie besonders die Gründung von Volksschulen voran.[53]

In allen russischen Bezirksstädten gab es gegen Ende ihrer Regierungszeit eine Volksschule und in jeder Provinz bis auf den Kaukasus ein Gymnasium. Der Schulbesuch war freiwillig und kostenfrei. Unter der Herrschaft von Katharina stieg die Zahl der staatlichen Schulen von sechs im Jahr 1781 auf 316 im Jahr 1796. Zu diesem Zeitpunkt kamen 22 Prozent der Schüler aus dem Mittelstand, und 30 Prozent waren Bauernkinder. Katharina begründete zudem Wohlfahrtsprojekte wie die Einrichtung von Hospitälern und Obdachlosenasylen.

Katharina II. pflegte einen regen Briefwechsel mit Voltaire und Cesare Beccaria über Fragen der Gewaltenteilung und eine Reformierung des Strafrechts im Sinne der Aufklärung. Katharina II. hatte Denis Diderot schon im Jahre 1762 nach Russland eingeladen, dort sollte er die Enzyklopädie vollenden. 1765 kaufte sie ihm pro forma seine Bibliothek ab und stattete ihn mit Geld für Neuanschaffungen aus. 1773 hielt er sich für einige Monate am Hof von Sankt Petersburg auf, wohin nach seinem Tod 1784 auch die Bibliothek verbracht wurde.[54]

1767 berief Katharina eine Kommission zur Abfassung eines Projekts für ein neues Gesetzbuch (Gesetzgebende Kommission), in die gewählte Vertreter aus allen Landesteilen berufen wurden. Aufgabe war allerdings weniger die Schaffung einer einheitlichen Rechtsprechung für die unterschiedlichen Völker des riesigen Reiches, vielmehr verfolgte die Kaiserin das Ziel, das Land besser kennenzulernen, um seine Verwaltung den unterschiedlichen Gegebenheiten anzupassen. Die Ergebnisse der Kommissionsarbeit sind vor allem in die Vorbereitungen der Verwaltungsreform des Jahres 1775 eingeflossen. Die Kommission selbst wurde bei Ausbruch des türkisch-russischen Krieges 1768 aufgelöst. Ein Jahr vor ihrer Auflösung verlieh sie Katharina die Titel „die Große“ und „Mutter des Vaterlandes“.

Im Toleranzedikt vom 17. Juni 1773 versprach sie die Duldung aller religiösen Bekenntnisse. Davon ausgenommen war allerdings die große Zahl von Juden, die seit der Ersten Teilung Polens ihre Untertanen waren.

Obwohl sie der Gedankenwelt der Aufklärung nahestand und Russland für die europäische Kunst und Literatur öffnete, konnte sie in ihrem politischen Alltag nur in eng gesteckten Grenzen handeln. Auch wenn Katharina nie versucht hat, die von Philosophen herausgearbeiteten politischen und gesellschaftlichen Modelle in die Realität umzusetzen, war ihre Politik deutlich vom Gedankengut der Aufklärung geprägt.

Der aufgeklärte Absolutismus Katharinas II. steht in einer Reihe mit seinen westeuropäischen Pendants. Zentrale Inhalte aufgeklärt-absolutistischer Projekte kennzeichneten auch die Herrschaft Katharinas II.: Konsolidierung der Staatsgewalt und innerer Staatsausbau sowie Allgemeinwohl.

Ihrer kritischen Haltung gegenüber der Leibeigenschaft zum Trotz tat sie nur wenig, um die Verhältnisse der Bauern zu verbessern. Die Lage der Bauern verschlechterte sich während ihrer Regentschaft dramatisch, sie verloren sogar das Recht, sich über ihre Herren zu beschweren. Lediglich der Rechtsweg stand ihnen offen. Gleichzeitig stärkte sie allerdings die Privilegien des Adels, da Katharina durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen war und sich ständiger Unterstützung durch den Adel sicher sein musste.[55]

So hatte die Kaiserin auch mit massiven sozialen Unruhen zu tun, allen voran dem Pugatschow-Aufstand (1773–1775).

Katharina II. baute den Machtbereich Russlands in einem Maße aus wie kein russischer Herrscher vor ihr. In zwei russisch-türkischen Kriegen 1768–1774 sowie 1787–1792 eroberte sie den Zugang zum Schwarzen Meer und weite Küstengebiete. Im Ergebnis der drei Teilungen Polens gewann Russland eine Million km² Landgebiete und sechs Millionen Menschen dazu. Katharinas „Griechisches Projekt“, das heißt die Eroberung Konstantinopels und die Neugründung des Byzantinischen Reiches unter russischer Herrschaft (Griechischer Plan), scheiterte am einseitigen Kriegsaustritt Österreichs im letzten der beiden Türkenkriege Katharinas sowie an der gleichzeitigen Gefahr des Angriffs der Schweden.

Dennoch konnten nach der Annexion der Krim 1783 und der Zerschlagung des Krimkhanats weite Teile der heutigen Südukraine als Provinz Neurussland erschlossen und besiedelt werden. Auch auf dem diplomatischen Parkett Europas konnte Katharina II. Erfolge erzielen. Durch ihre Vermittlerrolle im Frieden von Teschen wurde der Bayerische Erbfolgekrieg beendet. Während des Unabhängigkeitskrieges der USA brachte sie eine gegen England gerichtete Koalition für bewaffnete Neutralität zum Schutz des neutralen Handels zustande.

In der Geschichtswissenschaft entwickelte Pierre Bayle das „Dictionnaire historique et critique“ (2. Bände 1695/96, 4 Bände 1702)[56], um über die Bestandsaufnahme des zeitgenössischen Wissens über historische Personen und Figuren hinaus eine kritische Sichtung dieses Wissens auszubilden.[57] Bayle demonstrierte damit, dass Geschichtsschreibung nicht nur in der Sammlung der Fakten bestand, sondern die Fakten selbst schon problematisch waren und ihre kritische Interpretation die Hauptaufgabe historischer Forschung bildete.[58] Ernst Cassirer bezeichnete Bayle als „eigentlichen Schöpfer der historischen Akribie“.[59] Eine deutsche Übersetzung von Bayles Lexikon erschien 1741-44 als „PeterBaylens historisches und kritisches Wörterbuch“ in Leipzig.

Marie-Jean de Concordet, ein überzeugter Aufklärer vor und während der Französischen Revolution, setze sich für die wirtschaftliche und soziale Freiheit sowie für religiöse Toleranz sowie rechtliche und erzieherische Reformen in Frankreich ein.[60] Er war Teilnehmer des Kreises der Enzyklopädisten und ab 1782 Mitglied der Akadémie francaise. Im Februar 1992 wurde er der Präsident der Gesetzgebenden Nationalversammlung und entwarf Pläne zur Schaffung eines staatlichen Bildungssystems, die „Nationalerziehung“. Diese sah die Beseitigung aller Klassenunterschiede im Bildungswesen sowie dessen Unabhängigkeit von Staat und Kirche vor. Nach der Machtübernahme der Jakobiner schrieb er 1794 die philosophische Schrift „Esquisse d’un tableau historique des progres de l’esprit humain“ (Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes“). In dieser Schrift vertrat er die Meinung, dass der Mensch von Natur aus gut sei und die Fähigkeit zur Vervollkommnung seiner intellektuellen und moralischen Anlagen besaß.

Die Idee der Universalgeschichte setzte sich durch, um den Menschen als Vernunftwesen darzustellen und den durch ihn bewirkten Fortschritt zu erfassen. Die Literatur bzw. Dichtung entwickelte sich zunehmend in eine sozialkritische Richtung. Charakteristische Gattungen wurden insbesondere die Fabel (La Fontaine), die Satire (Swift, Voltaire) sowie der Roman. Repräsentativ für diese Zeit ist das Werk Lessings „Nathan der Weise“ [61] zu nennen, der der aufklärerischen Idee der Toleranz klassischen Ausdruck gab. [62]

Die „Erziehung des Menschengeschlechts“, was im Jahre 1780 erschien, war Lessings philosophisches Hauptwerk. Was die Religionsstifter der Menschheit gelehrt haben, musste schrittweise als symbolische Wahrheit der neuen Erkenntnis eingegliedert werden. Religion und Politik, die beiden wichtigsten Erziehungsmittel, haben die Menschen schrittweise zu bessern, sie zur Herrschaft der Vernunft und der Liebe zu erziehen. Lessing verstand dies als ein ins Unendliche fortschreitender Prozess; er neigte im Zusammenhang mit dieser Idee der organischen Fortentwicklung der ganzen Menschheit dem Gedanken der Seelenwanderung zu. Das Ideal, das als Ziel an seinem Endpunkt steht, kann nie ganz erreicht werden.

Die Reaktion der Monarchien auf die Ideen der Aufklärung waren unterschiedlicher Natur: Friedrich der Große von Preußen und der österreichische Kaiser Joseph traten für den aufgeklärten Absolutismus ein, während in Frankreich alle Ansätze zu Reformversuchen brutal unterdrückt wurden.

Die Unabhängigkeitserklärung der USA und die Französische Revolution waren dann entscheidend von den Gedanken der Aufklärung bestimmt.

Die Aufklärung erfuhr auch in Deutschland ihre besondere, der geschichtlichen Lage entsprechende Ausprägung. Sie war insgesamt, vor allem auch in ihrem Verhältnis zur Religion, weniger radikal als die französische.

Friedrich der Große von Preußen (1712-1786) hat nicht nur mittelbar auf die deutsche Aufklärungsbewegung eingewirkt, indem er deutsche und französische Gelehrte an seinen Hof holte. Der „Philosoph von Sanssouci“ gehört auch selbst zu ihren führenden Geistern. Seine im 19. Jahrhundert gesammelt herausgegebenen Werke, die 30 Bände füllen, enthielten eine Reihe philosophischer Abhandlungen. Ein besonderes Wesensmerkmal der deutschen Aufklärung war folgendes: Ihre Stärke lag nicht so sehr im Aufstellen neuerer philosophischer Systeme: ihr historisches Verdienst lag in der Betonung des Vorrangs der praktischen, sittlichen Vernunft und ihrem tief reichenden Einfluss auf das allgemeine Denken und das praktische Leben.

Die Aufklärung brachte dem Erziehungswesen völlig neue Impulse. [63] Sie forderte eine Hinwendung zu naturgemäßer Pädagogik, die von Vernunft und sittlicher Lebensweise gekennzeichnet war. Die Erziehung wurde auf alle Angehörigen der Bevölkerung ausgedehnt, vor allem auf die Bildung von Frauen sowie die Weiterbildung von Erwachsenen. Wissenschaftliche Verfahrensweisen wurden auch auf praktische Tätigkeiten (Realbildung, landwirtschaftliche und gewerbliche Erziehung) ausgedehnt.

Das 18. Jahrhundert hat die Erziehung in vielfacher Weise unter den Gesichtspunkt von Beruf und Arbeit gerückt. Arbeitslose und „Müßiggänger“ versuchte man mit erzieherischen Einflüssen zur Arbeit zu bewegen. Man unterrichtete Erwachsene in Dingen, die ihnen eine künftige selbständige Lebensbewältigung zu versprechen schienen. Das Textilgewerbe spielte im Umkreis dieser Arten von Arbeit die wichtigste Rolle.

Die Aufgabe der Erziehung hat sich in verschiedenen Schularten einen Ort ihrer Realisierung verschafft: Industrieschule, Handelsschule, Handelsakademie, Realschule usw.. [64]Auf die Konzeptionen, die den verschiedenen Schularten zugrunde lagen, kann hier nicht näher eingegangen werden.

Für alle pädagogischen Neuerungen des 18. Jahrhunderts, die das Arbeits- und Berufsleben betrafen, galt, dass sie nicht öffentlich gewesen sind und keine Schulpflicht bestand. Zur Ausbildung dieser Charakteristika ist es erst im 19. Jahrhundert gekommen. Die Lebensdauer der zahlreichen neuartigen pädagogischen Einrichtungen ist oft sehr kurz gewesen: „Handel und Gewerbe besitzen noch nicht jenen Entwicklungsstand, der die theoretische Ergänzung der praktischen Betriebsunterweisung durch schulische Institutionen erfordert. Industrie, Handel und Handwerk bekunden nur ungenügendes oder kein Interesse an einer Schulträgerschaft, so daß den neuen Gründungen der Rückhalt aus den Bereichen fehlt, für die sie pädagogische Vorarbeit leisten.“ [65]

Mit der Verherrlichung der Arbeit hing die allgemein verbreitete Ablehnung des Almosenwesens zusammen, das vielen Menschen den Lebensunterhalt sicherte. Man sah es als unakzeptabel an und war so sehr von der positiven Bewertung des Arbeitsbegriffes durchdrungen, dass man sich nicht damit abfinden konnte. Das gesamte 18. Jahrhundert war die Zeit, in der sich die Auffassung von der Arbeit als einer allgemeinen Tugend der Menschen verbreitete. [66]

Es hat zur Zeit der Aufklärung bereits ein weit verbreitetes Interesse an der wirksamen Verhinderung von Armut in den bürgerlichen Schichten gegeben. Diese Züge der bürgerlichen Beachtung an öffentlichen Dingen sind nicht erst für die spätere Aufklärung charakteristisch gewesen. Allerdings prägten sie sich in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts besonders stark aus. Die religiöse Motivation, Rechtfertigung und Absicht war bei den meisten Anhängern der Aufklärung nicht mehr zu finden. Selbst wenn sie noch zu finden war, trat sie in den Hintergrund. Dafür gab es eine Ursache, die im aufklärerischen Verhältnis zur Religion begründet war. Nützlich zu sein und zu helfen – diese Tätigkeiten wurden so angesehen, dass es keines Rekurses auf religiöse Vorstellungen bedurfte, um sie zu rechtfertigen. Es hatte sich das Empfinden ausgebreitet, dass der Rückgriff auf Religiöses unangebracht wäre, wenn es z.B. um die gerechte Regelung des Armenwesens ging.

Ein gutes Beispiel für pädagogische Leistungen, die es auf dem Gebiet der sozialen Fürsorge im 18. Jahrhunderts bereits gegeben hat, findet man in der Hamburgischen Armenreform aus dem Jahre 1788. [67] Die pädagogischen Unternehmungen in Hamburg hatten deshalb Erfolg, weil mehrere Faktoren zusammentrafen, die an anderen Orten Deutschlands nicht in einer so günstigen Kombination aufgetreten sind. Einerseits fanden die Erziehungsideen und der Erziehungsoptimismus der Aufklärung unter wohlhabenden und politisch einflussreichen Patriziern Anklang. Andererseits hatten sie, da der Handel ihrer Heimatstadt florierte, genügend Geld für ihre fortschrittlichen Experimente zur Verfügung.

Rousseaus Gedanken haben in der europäischen Geisteswelt außerordentlich gewirkt, am tiefsten aber wohl in Deutschland. Während er in Frankreich besonders die soziale und politische Bewegung beeinflusste, ist er in Deutschland auf literarischem und pädagogischem Gebiet der große Anreger gewesen.[68] Es haben sich pädagogisch zunächst die aufklärerischen Züge seines Denkens ausgewirkt. Sie förderten vor allem jene schulreformatorischen Bestrebungen der deutschen Aufklärung, die sich um 1770 in dem Kreise der so genannten Philanthropen („Menschenfreunde“) verdichteten. Zu ihnen gehörten Personen wie Basedow, Salzmann, Campe, Trapp oder von Rochow.[69] Basedows Schule „Philanthropin“ in Dessau war ein Kristallisationspunkt dieser Tendenzen.

Durch sie strömte der pädagogische Geist der Aufklärung, wie er sich im Zusammenhang mit der rationalistischen Philosophie und der volkstümlichen Aufklärungsliteratur entwickelt hatte, nun auch in das praktische Schulleben und die Schulorganisation hinein.

Philanthropine oder „Werkstätten der Menschenfreundschaft“ [70] standen am Beginn moderner Schulreform. Sie waren Ausdruck eines pädagogischen Protestes gegen die zurückgebliebene Schulrealität in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland. Ihre programmatische Aufgabe bestand darin, neue und alternative schulpädagogische Impulse zur Reorganisation von Bildung und Erziehung zu entwickeln. Theoriegeschichtlich waren für die Genese des pädagogischen Programms des Philanthropismus die Schriften von John Locke (1632-1704) [71], Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769) [72], Johann Andreas Cramer (1723-1788) [73] und Martin Ehlers (1732-1800) verantwortlich.

Die Philanthropen wollten also eine „vernünftig-natürliche“ Erziehung. An der Bildung des Intellekts ist ihnen ebenso gelegen wie an Naturnähe und Einfachheit aller Lebensverhältnisse. Körperliche Ertüchtigung, Abhärtung und Landleben spielten eine große Rolle; auf die Philanthropen geht der Turnunterricht zurück.[74] Auch die Sexualerziehung wurde von ihnen sehr beachtet, allerdings einseitig-rationalistisch auf frühe Belehrung abgestellt.

Ganz im Gegensatz zu Rousseau wollten sie den Erwerbssinn wecken und die Berufsfähigkeit direkt steigern. Ihr Bestreben war es, dass der Mensch möglichst schnell zum tüchtigen, praktischen und aufgeklärten Bürger wurde.

Die Erziehung war an Interesse und Vermitteln von Lust geprägt, Strafen waren verpönt. Ein ganzes System von Belohnungen, von Tugendnägeln und –biletts bis hin zu besonderen Tugendorden wurde ausgebildet. Dem Bemühen der Philanthropen um Lebensnähe und kindgerechte Lerninhalte verdankte eine neue Literaturgattung ihre Existenz: das Jugendschrifttum.

Die Philanthropine haben trotz ihrer nur kurzen Existenz – mit Ausnahme von Schnepfenthal – für die Geschichte des pädagogischen Denkens und für die Geschichte der Schule eine nachhaltige Wirkung und Bedeutung gehabt. Dafür sind vor allem die folgenden Aspekte maßgebend:

  1. In der Pädagogik der Philanthropine wurde ein pädagogischer Paradigmenwechsel nicht nur gedacht, sondern auch in die Tat umgesetzt. Nicht der Unterrichtsinhalt oder der Fächerkanon standen im Mittelpunkt, sondern der neugierige und selbsttätige und dadurch lernende und sich bildende junge Mensch. Lernen können und sich dadurch selber verändern und ausbilden zu können, war die große Entdeckung der Anthropologie der Aufklärung.
  2. Philanthropine waren keine Standesschulen für Standeserziehung (wie z.B. die Adelsschulen), sondern standen jungen Leuten aller Stände und jeden Herkommens offen.
  3. Leistung wird nur erbracht, wenn es dafür Motive gibt. Die philanthropischen Pädagogen waren in erster Linie Psychologen, und sie wussten aus Erfahrung, dass Lernen und Leistung sozialpsychologische Grundlagen benötigt: die Weckung von Neugier und Ermutigung von eigenen Erkundungen und Erprobungen, eine Sicherheit bietende pädagogisch förderliche Atmosphäre und bestätigende Erfolgserlebnisse, Vorbilder und Regeln.
  4. Die Philanthropine haben ein Bild des Lehrers geprägt, das nicht dasjenige des Hauslehrers, des Schulmeisters oder des nüchternen Gelehrten war, sondern des Freundes, Begleiters und Beraters der ihm anvertrauten Menschen.

Basedows „Vorstellung an Menschenfreunde und vermögende Männer über Schulen und Studien und ihren Einfluß in die öffentliche Wohlfahrt, mit einem Plan eines Elementarbuchs der menschlichen Erkenntnis“ aus dem Jahre 1768 enthielt einen kompletten Schulreformplan, in dem er die religiöse Toleranz der Schule (gemeint waren Staatsschulen mit Religionsunterricht im Hauptbekenntnis des Landes, die auch Andersgläubigen offen stehen sollten) eine zentrale staatliche Oberbehörde für das Schulwesen und einen einheitlichen Aufbau des Schulwesens. Besonders trat er dabei für Lehrerseminare, Schulbücher und den Eltern und Lehrern in die Hand zu gebende Hilfsbücher ein. Als erster Beitrag erschienen von ihm ein „Methodenbuch“ und Teile eines „Elementarbuches“, das 1774 als „Elementarwerk“ herauskam.

Er wurde 1771 nach Dessau berufen und eröffnete dort mit seinem Mitarbeiter Wolke das „Philanthropin“ als Musteranstalt.

Kant lobte das Dessauer Philanthropin als „Pflanzschule der guten Erziehung“ in seinen Vorlesungen und rief in der „Königsbergischen gelehrten und politischen Zeitung“ öffentlich zu ihrer Unterstützung auf: „Sie (die Schulen M.L.) müssen umgeschaffen werden, wenn etwas Gutes aus ihnen entstehen soll (…). Nicht eine langsame Reform, sondern eine schnelle Revolution kann dies bewirken. Und dazu gehört nichts weiter, als nur eine Schule.“ [75]

Die Kritik an den herrschenden Schulverhältnissen war ein hervorstechendes Merkmal: „Der Schulstaub liegt seit Jahrhunderten! Jung und Alt, was darin wandeln und athmen muß, wird krank im Gehirn; eine zähe Rinde, durch welche Wahrheit und Gutes kaum durchdringt, setzt sich um die Werkstatt der Vernunft. In der Brust entsteht eine Schwindsucht der Zufriedenheit und der Liebe zu Menschen, selbst schon in Frühlingsjahren. (…) Erbarmt euch Freunde der Frühlingsjahre!“ [76]

Die Verheißungen der philanthropischen Pädagogik entsprachen den Hoffnungen und Erwartungen der Befürworter der Aufklärung im 18. Jahrhundert: „Natur, Schule, Leben: ist Freundschaft unter diesen dreien, so wird der Mensch, was er werden soll, aber nicht sofort kann: fröhlich in der Kindheit, munter und wissbegierig in der Jugend, zufrieden und nützlich als Mann.“ [77] Zur Verwirklichung dieses pädagogischen Ideals sollten neue Unterrichtsmethoden im Philanthropin, insbesondere aber zukünftige Lehrer unterrichtsnah ausgebildet werden. Nachweislich entwickelte sich das Dessauer Philanthropin bis 1785 zum wichtigsten Orientierungspunkt.

Eine Provokation für die Gegner aufgeklärter Geisteshaltung war die im Philanthropin praktizierte Erziehung zur Menschenfreundschaft und religiösen Toleranz. Er wandte sich scharf gegen den Einfluss der Kirche auf die Schule und forderte darum ein staatliches Erziehungs- und Studienkolleg als Aufsichtsbehörde über die Erziehung. Die pädagogische Praxis besaß den Anspruch, dass sie „von jedem Gottesverehrer (er sei Christ, Jude, Mohammedaner oder Deist) gebilligt werden konnte.“ [78] Der gesamte Unterricht und alle Lehrbücher des Philanthropins sollten „frei sein von theologisierenden Entscheidungen für Christentum wider Juden, Mohammedaner und Deisten oder für diese und jene Kirche wider die sogenannten Dissidenten derselben, welche an einigen Orten Ketzer heißen (…). Denn der kosmopolitische Unterricht muß allgemein sein und von der Geistlichkeit keiner Art widerraten werden können.“ [79]

Die Realisierung des Programms der Erziehung zur Menschenfreundschaft und Toleranz im Unterricht und im Internatsleben des Philanthropins hatte die bürgerliche Intelligenz und Teile des aufgeklärten Adels im Blick. Deshalb war der philanthropische Unterricht auch nicht als Standesbildung für zukünftige Gelehrte geeignet. Gemeinnützige und utilitaristische Unterrichtsinhalte waren zur Vorbereitung auf Berufe wie Kaufmann, Jurist, Arzt, Beamter, Offizier, Architekt usw. gedacht. Die Eltern der Philanthropisten sollten auch den wesentlichen Teil der Finanzierung des Privatinstitutes erbringen. Durch freiwillige Beiträge, Schulgeld in beträchtlicher Höhe (250 Rthl. pro Schüler im Jahr) und andere Einnahmen der Schule (Verkauf von Erziehungsschriften) sollten Unabhängigkeit und Freiheit des Philanthropins gesichert werden. Trotz hoher Spenden von Einzelpersonen, insbesondere auch durch den Dessauer Fürsten, hatte das Philanthropin aber in jeder Phase seiner Entwicklung finanzielle Sorgen.

Die Existenz der philanthropischen Musterschule war eine Kampfansage an das herrschende Verständnis von Schule und Lernen, denn Basedow empfahl, den Unterricht möglichst angenehm zu gestalten. Bildungsinhalte waren der muttersprachliche Unterricht, moderne Sprachen, Geographie, Geschichte, Zeichnen, Mathematik und Naturkunde, handwerklich-praktische Unterweisung, Gartenarbeit, Wandern und Turnen. Es existierten über 40 Lernspiele, fächerübergreifender Unterricht, alle Sprachen sollten wie die Muttersprache erlernt werden. Dabei wurden die vom Lehrer des Philanthropins Christian Hinrich Wolke (1741-1825) entwickelte Versinnlichungsmethode und die Forderung anschauender Erkenntnisse wichtig.

Außerdem wurde im Dessauer Philanthropin großen Wert auf eine Veränderung des traditionell hierarchischen Verhältnisses zwischen Lehrern und Schülern gelegt. [80] Dies sollte eine Verbesserung des Lernklimas bewirken. Vorbild für die neue Sicht des Lehrer-Schülerverhältnisses war die idealisierte bürgerliche Familie, in der verständnisvolle Eltern mit gehorsamen Kindern freundschaftlich zusammenlebten. Das Internatsleben hatte Ansätze zur Selbstverwaltung der Schüler. Belohnungen (Meritentafeln, Lobbillets) und Ehrenstrafen spielten eine große Rolle, und man liebte feierliche Arrangements und Schaustellungen aller Art. Wie groß die Anteilnahme bedeutender Zeitgenossen war, wird durch die Tatsache bewiesen, dass zu einem öffentlichen Examen u.a. von Rochow und Campe erschienen.

Laut den Schülerlisten des Philanthropins haben insgesamt 187 Schüler die Musterschule für eine unterschiedlich lange Zeit besucht. Die Schülerliste belegt den europäischen Charakter des Philanthropins, denn es kamen 23 Schüler aus Livland, 7 aus Russland, 5 aus Kurland, 16 aus Österreich, Portugal und den Niederlanden. Weitere 50 Schüler kamen aus anderen europäischen Ländern.

Abgesehen von den finanziellen Problemen des Philanthropins waren die oft in persönlichen Kränkungen abgleitenden, destruktiven Streitereien unter den Pädagogen für den späteren Niedergang der Musterschule verantwortlich.

Overhaff bemerkte zu Basedows Schulgründung:[81] „Sie entwickelte sich zur wohl wirkungsmächtigen Schulneugründung in Deutschland seit Errichtung des pietistischen Pädagogiums der Franckeschen Stiftungen in Halle 1696. Eine Besonderheit des Philanthropins ist zudem, dass es Kindern aller Konfessionen offen steht und auch Juden als gleichberechtigte Schüler zulässt. In Königberg sammelte Kant Spenden und schickte ostpreußische Schüler nach Dessau. Für ihn war Basedows Institut ‚die Stammmutter aller guten Schulen’“.

Campes pädagogische Wirkung manifestierte sich in dem von ihm initiierten und herausgegebenen Sammelwerk „Allgemeine Revision des gesamten Schul- und Erziehungswesens. Von einer Gesellschaft praktischer Erzieher.“[82] In diesem Werk sind die maßgeblichen Strömungen pädagogischen Reformdenkens im ausgehenden 18. Jahrhundert dokumentiert: eine mechanisch-rationalistische, eine psychologisch-anthropologische und eine ästhetisch-humanistische Strömung, die zum Neuhumanismus und seinem Humanitätskonzept überleiteten.[83] Die theoretischen und praktischen Bezugspunkte waren „Natur“ und „Erfahrung“; sie thematisierten die physische, geistige, emotionale und moralische Entwicklung des heranwachsenden Menschen. 1776 wurde Campe Prediger an der Heiliggeistkirche in Potsdam, trat dann aber im Dessauer Philanthropinum die Stelle eines „Educationsrathes“ an. Ein Jahr später wurde er Leiter der Anstalt, verließ aber kurz darauf Dessau, um in Hamburg seine eigene Erziehungsanstalt zu gründen. Hier arbeitete er in ländlicher Umgebung von Billwerder nach Rousseauschem Vorbild als Erzieher reicher Kaufmannssöhne und gab Jugend- und Erziehungsschriften heraus.

Zentral war für ihn die Bedeutung der Sittlichkeit:[84] „(…) So ist nämlich von dem weisen und guten Urheber aller Dinge die menschliche Natur, und so ist von ihm auch der allgemeine Zusammenhang zwischen den menschlichen Schicksalen eingerichtet und angeordnet worden, daß das sittlich Gute, wo es sich findet, angenehme, das sittlich Böse hingegen unangenehme Folgen, und zwar für denjenigen selbst haben muß, in welchem es sich befindet. So unmöglich es ist, daß körperliche Gesundheit ohne Wohlbehagen für den Gesunden stattfinden können: ebenso unmöglich ist es auch, daß irgendein sittliches Seelenübel auf der einen und irgendein Fortschritt zu größerer sittlicher Vollkommenheit auf der anderen Seite, jenes ohne unangenehme, dieses ohne angenehme, sie begleitende oder auf sie folgende Empfindungen bleiben kann. Das ist die ausgemachteste aller Erfahrungen, in welcher alle auf sich und ihren Zustand achtende Menschen zu allen Zeiten und in allen Ländern immer und ohne Ausnahme übereingekommen sind.“

Das von Christian Gotthilf Salzmann 1784 gegründete und danach schrittweise ausgebaute Philanthropin in Schnepfenthal bei Gotha wurde zur erfolgreichsten Musterschule des 18. Jahrhunderts, weil hier die pädagogische Praxis im philanthropischen Schulalltag ausgebaut wurde und deshalb die Schule von Salzmanns Nachkommen bis 1945 weitergeführt werden konnte.[85] Vor seiner Schulgründung hatte Salzmann als Liturg und Religionslehrer am Dessauer Philanthropin gearbeitet und von dort wichtige innovative Reformelemente nach Schnephenthal mitgebracht. Dazu reflektierte er in der Gründungsschrift: [86] Diese Verbindung mit dem Dessauischen Institut war mir außerordentlich wichtig. Ich kam auf einen Platz, wo selbstdenkende Erzieher schon seit einigen Jahren mit fast unumschränkter Freiheit gearbeitet hatten und noch arbeiten, und wurde dadurch in den Stand gesetzt, zu beurteilen, was in der Erziehungskunst ausführbar oder nicht ausführbar, warum dieser Plan gelungen, ein anderer gescheitert, wodurch diese Anstalt so weit gekommen, und aus was für Ursachen sie nicht noch weiter gekommen sei.“

Für Salzmann war es entscheidend, dass eine Reform von Schule und Erziehung im philanthropischen Geist empirisch existent war und mentalitätsverändernde Wirkungen heben konnte.[87] Der wichtigste finanzielle Förderer der Schnepfenthaler Erziehungsanstalt war Herzog Ernst II. von Gotha-Altenburg. Als einen weiteren, außergewöhnlichen Vorzug von Schnepfenthal unterstrich Salzmann die Erziehung zur Sauberkeit und das Erlernen geselliger Umgangsformen. Zentral war für ihn auch eine Gesundheitserziehung der Kinder, die neben einer bekömmlichen Ernährung in dem Wissen bestand, selbst gesund zu essen. Er legte großen Wert über die allgemeinen Bestrebungen der Philanthropen hinaus auf die körperliche Betätigung. Neben turnerischen Übungen sollte Gartenarbeit geleistet werden – als Symbol hing über der Tür in Schnepfenthal ein Spaten.

Wo immer möglich, sollte der Unterricht durch sinnliche Gestaltung in der Natur oder, wo dies nicht möglich war, durch anschauende Erkenntnis im Unterricht mit Hilfe von Kupferstichen handlungsbezogen inszeniert werden. [88]

Kinder und Schülerorientierung hatten ihren festen Platz im philanthropischen Alltag der Musterschule. Die Selbsttätigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Schüler wurden in vielfältig pädagogisch inszenierten Situationen immer wieder neu herausgefordert.

Grundsätzlich stand aber bei allen pädagogischen Überlegungen die Individualität jedes Schülers im Mittelpunkt. Dabei wurde im Schulalltag die Anerkennung unterschiedlicher Meinungen für Lehrer und Schüler zu einem Diktum: [89] „Und wenn die besten und weisesten Menschen sich miteinander verbinden, so hat doch jeder seinen eigenen Gesichtspunkt (…), wie jeder Mensch sein eigenes Gesicht hat.“. Die Gleichbehandlung der Kinder ohne Rücksicht auf Vermögen oder Stand der Eltern dokumentierte die für die Zeit moderne und bürgerliche Perspektive der Schnepfenthaler Schule: [90] „Gleiche Kleidung, Wohnung, Kost, gleicher Unterricht und gleiche Vergnügungen. Geld, Stand und alle Schmeicheleien der Äußerlichkeit und des Zufalls entscheiden hier nichts.“

Schnepfenthal war bekannt geworden; Gelehrte wie Klopstock, Wieland, Jean Paul, Goethe und Fichte machten sich ein eigenes Bild von den Erziehungsmethoden. Bis zu Salzmanns Tod im Jahre 1811 wurden 272 Schüler am Schnepfenthaler Philanthropin eingeschult. Von diesen waren 79 adliger Herkunft. 67 Schüler kamen aus dem Ausland, die Herkunftsorte waren Amsterdam, London, Kopenhagen, Lissabon, Genf, Bordeaux, Moskau, Boston und Baltimore. Die einheimischen Schüler kamen aus allen Regionen Deutschlands.[91]

Von Salzmann stammten neben seiner Heimpraxis weit über 100 Bände volkspädagogischer Schriften, die er zum Teil fortlaufend in seinem etwa 30 Jahre lang erscheinenden Wochenblatt „Der Bote aus Thüringen“ veröffentlicht hat. Er bediente sich dabei der verschiedensten Stilformen: es waren volkstümliche Erzählungen, Briefe, Anekdoten Lieder usw. Durchweg handelte es sich um tendenziöse pädagogische Schriften, auch seine Romane waren von vornherein als unterhaltend-belehrende Bücher gedacht.

Neben der Einfachheit und dem Ländlich-Naturhaften spielten bei Salzmann das Wirtschaftliche, klares Denken und entschiedenes Handeln, sozialer Aufstieg, äußerer Erfolg und auch religiöse Innerlichkeit eine entscheidende Rolle.

Bei ihm kamen – wie überall in der Aufklärung – das Ästhetische und das Irrationale entschieden zu kurz.

In dem für bäuerliche Leser gedachten Roman „Konrad Kiefer“ aus dem Jahre 1794 äußerte sich Salzmann speziell über Fragen der Kindererziehung. [92] Im „Konrad Kiefer“ war nichts zu finden von Esprit und Radikalismus, wohl aber von bürgerlicher Ehrbarkeit und Moral. Statt Konstruktion und Experiment wurde hier ein Bild natürlicher Familienerziehung gegeben. Es wurde gezeigt, dass gute Erziehung nicht vom Geld abhing und wie Luft und Bewegung, der Umgang mit Tieren und das rechte Verständnis der Eltern den Menschen wachsen ließen. Der Ansatzpunkt für die religiöse Erziehung sollte nicht der Bibeltext oder der Katechismus sein, sondern die moralische Erzählung. Mit Erzählungen und Spielstunden wurde Konrads Unterricht gewürzt. Er wurde früh zum selbständigen Wirtschaften mit Geld angehalten. Nach der Schulzeit begann seine eigentliche Selbsterziehung durch nützliche Bücher und strebsame Gesellschaft.

Salzmanns pädagogisch bedeutendste Schrift war das der „Erziehung der Erzieher“ gewidmete „Ameisenbüchlein“. Mit dieser Schrift leistete er einen wesentlichen Beitrag zur Literatur über die Bildung des Erziehers und Lehrers. Salzmann pries hier die Erziehung als die edelste und segensreichste Aufgabe des Menschen. Niemand konnte so unmittelbar und so durchgreifend Gutes stiften wie der Erzieher; denn von dem Leben, an dem er formte, hing auch die Entwicklung der allgemeinen Verhältnisse und der menschlichen Werke ab. Da nach Salzmanns Auffassung die Kinder dem Guten noch am nächsten standen, waren sie auch mehr als alle anderen für das Gute empfänglich, und auch der Erzieher selbst verjüngte und veredelte sich durch die Arbeit an dem jungen, relativ unverdorbenen Leben. Als ersten Grundsatz für die pädagogische Arbeit stellte Salzmann den Satz auf:[93] „Von allen Fehlern und Untugenden seiner Zöglinge muß der Erzieher den Grund in sich selbst suchen. Das ist eine harte Rede, werden viele denken; sie ist aber wirklich nicht so hart, als sie es bei dem ersten Anblick scheint. Man verstehe sie nur recht, so wird die scheinbare Härte sich bald verlieren. Meine Meinung ist gar nicht, daß der Grund von allen Fehlern und Untugenden seiner Zöglinge in dem Erzieher wirklich läge, sondern ich will nur, daß er ihn in sich suchen soll. Sobald er Kraft und Unparteilichkeit genug fühlt, dieses zu tun, ist er auf dem Wege, ein guter Erzieher zu werden.“

Der Erzieher sollte sich stets dessen bewusst sein, dass die Natur aus sich selbst heraus wachsen musste, dass die rechte Erziehung ihr nur Anreiz zu geben hatte und dass ihr Ziel der selbständige Mensch war. Statt abstrakter Geistigkeit und lebensfremden Wissen benötigte der Erzieher Kenntnis des Naheliegenden und praktische Fähigkeiten: ein unmittelbares Verhältnis zur Natur, zur Heimat, zum Volksleben, praktische Lebenskunde, Gemüt, die Gabe des lebendigen, kindertümlichen Sprechens, des Bastelns und Spielens, kurz: die Kunst des lebendigen Umgangs mit Kindern.[94]

Zum weiteren Kreise der Philanthropen gehört, wenn auch nicht unmittelbar mit dem Dessauer Philanthropin verbunden, Friedrich Eberhard von Rochow (1734-1805), Gutsherr in Reckahn bei Brandenburg. Aus der unermüdlichen Sorge um seine Landleute heraus ist er ein Reformer des Landschulwesens geworden.[95] Er hat besonders durch seine Musterschule in Reckahn, durch seine Lehrbücher für Lehrer und Kinder und durch seine Forderungen für den Landlehrerstand gewirkt, war aber im Grunde darüber hinaus aufklärerischer Sozialreformer.

Er gehörte in die Bestrebungen für das Landvolk hinein, die die ganze zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts durchziehen und in denen auch Pestalozzi wurzelte. Sie erwuchsen aus dem durch den merkantilistischen Geist des Absolutismus (Anfänge der Industrie, Bevorzugung der Stadt) herbeigeführten katastrophalen Niedergang des flachen Landes auf wirtschaftlichem wie kulturellem Gebiet. Von Rochow forderte, um den Menschen aus diesem Elend herauszuhelfen, geregelte Armenfürsorge, Armenhäuser, Versicherungen, Abschaffungen der Gespanndienste und verwirklicht einen Teil dieser Gedanken auf seinen eigenen Gütern. Er forderte zum anderen – gerade auch um jenen Reformen den vollen Erfolg zu sichern – wirkliche Aufklärung und geistig-sittliche Erziehung für das Landvolk durch eine gute Schule. [96]

Für die Schule stellte er dabei vier Forderungen auf:

  1. Die Schule sei reine Staatsschule und für alle Kinder da, auch für Bauernkinder.
  2. Alles Lebensnotwendige gehörte als Stoff in die Schule hinein, für das Landvolk auch Viehzucht, Okulieren, bäuerliche Berufskunde.
  3. Diese Stoffe waren in lebendiger Frage und Antwort (sokratisch-entwickelnde Methode) und mit Hilfe kindertümlicher Schulbücher zu verarbeiten.
  4. Auch das Land benötigte einen voll ausgebildeten, hauptamtlich tätigen, ausreichend bezahlten Lehrerstand und mustergültige Schulhäuser.

Die von von Rochow in seiner Gutsherrschaft im Dorf Reckahn bei der Stadt Brandenburg 1773 erbaute Landschule war die erste philanthropische Musterschule überhaupt.[97] Ihre bildungsgeschichtliche Bedeutung und Leistung liegt in der Übertragung des philanthropischen Bildungs- und Schulprogramms auf die ländlichen Verhältnisse. Wie der Philanthropismus insgesamt, so hat auch die Reckahner Schule die Sozialverfassung der ständischen Gesellschaft nicht in Frage gestellt. Gleichwohl war das der Schulreform zugrunde liegende und durch von Rochow vertretene Menschenbild von einer positiven Sicht der unteren Klassen geprägt.

Vom Januar 1774 bis zu von Rochows Tod im Jahre 1805 vermerkte das Schülerverzeichnis in Reckahn 302 Einschulungen, 108 der eingeschulten Kinder waren Mädchen, 194 Jungen. Die 117 Eltern der Kinder arbeiteten zu 65% in der Land- und Forstwirtschaft, 10% waren Handwerker und 20% waren Bedienstete beim Gutsherrn oder der Kirche.

Zahlen und Besucherberichte belegten eindeutig die Vorbild- und Anregerfunktion der philantropischen Schule in Reckahn, die bis weit in das 19. Jahrhundert reichte.

Zunächst schuf er 1772 in dem „Versuch eines Schulbuchs für Kinder der Landleute oder zum Gebrauch in Dorfschulen“ ein Handbuch für Lehrer, das in kindertümlicher Form Gespräche und Lehrstücke über alles brachte, was der Lehrer in der Dorfschule behandeln sollte. Er ergänzte es dann durch ein spezielles Lesebuch für Kinder, den „Bauernfreund“. Es sollte die Lücke zwischen Fibel und Bibel ausfüllen und die Grundlage für den ganzen Schulunterricht sein. Es war schon zu seiner Zeit das bekannteste, meistgebrauchte Lesebuch (in ca. 100.000 Exemplaren verbreitet) und wurde noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts benutzt. Damit trug von Rochow vom Didaktisch-Schulischen her zur Schaffung der Kinder- und Jugendliteratur bei.[98]

In Rochows „Katechismus der gesunden Vernunft“ findet man eine Anleitung zum selbständigen Denken: „Frage: Was heißt lernen? Antwort: Sich Erkenntnis der Wahrheit verschaffen oder sich selbst zum Nützlichen tüchtig machen. Beispiel: (…) Bis an den Tod kann und soll der Mensch lernen, das ist zunehmen an nützlicher Erkenntnis, und immer tüchtiger werden oder zunehmen an Tugend und Geschicklichkeit zu guten Werken“. (…) Frage: Was heißt Vernunft? Antwort: Die (…) Fähigkeit, verständig werden zu können. Frage: Was heißt urteilen? Antwort: Darüber, ob etwas uns und anderen gut und böse, schädlich oder nützlich (…) vorkommen soll, entscheiden. Man kann nicht urteilen, ohne zu denken. (…) Wer schnell urteilt, ohne gehörig zu denken, der bemerkt oft zu seinem großen Schaden, daß er geirrt habe. Solche Urteile nennt man Vorurteile. (…) Durch richtige Erkenntnis lernt man recht urteilen. – Frage: Was heißt Verstand? Antwort: Die durch Lernen und Üben zum zweckmäßigen Gebrauch oder recht angewandte Vernunft. Wer viel Nützliches versteht, der hat Verstand. – Frage: Was heißt abergläubig sein? – Antwort: Wirkungen behaupten oder erwarten, dazu die Ursachen fehlen.“

Ferner gestaltete er durch seinen Mitarbeiter Bruns die Schule in Reckahn zu einer Musteranstalt. Zu ihr kamen lange Jahre hindurch viele Pädagogen, um ihren Geist kennen zu lernen und weiterzuverbreiten. Dank von Rochows Einfluss wurde 1778 auch das Lehrerseminar in Halberstadt gegründet.

Ebenfalls mehr der theoretischen und schriftlichen Arbeit als der parktisch-erzieherischen Tätigkeit zugewandt war Ernst Christian Trapp (1745-1818).[99] Er gilt als der Theoretiker unter den Philanthropen. Sein „Versuch einer Pädagogik“ aus dem Jahre 1780 stellt den ersten Versuch einer wissenschaftlichen Begründung auf pädagogischem Gebiet dar.

Nach dem erfolgreichen Abschluss seines Studiums in Philosophie und Pädagogik holte ihn Joachim Heinrich Campe an das Philanthropinum nach Dessau. Dort war er als Hauptrezensent für die „Allgemeine Deutsche Bibliothek“ von Friedrich Nicolai verantwortlich. Die neu geschaffene Universitätsprofessur für Pädagogik in Halle, mit der er 1779 betraut wurde, war ein auf den philanthropenfreundlichen Minister Zedlitz zurückgehender Versuch, eine einheitliche Lehrerbildung an der Universität aufzubauen und von dort aus den Geist des Philanthropismus in das gesamte Schulwesen zu leiten. Damit zog die Pädagogik als selbständiges Lehrfach in die Universität ein. Das Pädagogische Seminar, bisher Teil des Theologischen Seminars, wurde verselbständigt, damit die Pädagogik von der Theologie losgelöst und der von den Philanthropen vertretene Staatsschulgedanke weiter durchgesetzt wurde.

Im Jahre 1783 gab Trapp seinen Lehrstuhl wieder auf und verließ aufgrund von Streitigkeiten die Universität Halle in Richtung Trittau, wo er die Leitung der dortigen Lehranstalt, die von Joachim Heinrich Campe gegründet wurde, übernahm.[100] Drei Jahre später wurde Trapp vom Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel in das Schuldirektorium des Herzogtums Braunschweig berufen. Dort bestand seine Aufgabe darin, zusammen mit Johann Stuve und Joachim Heinrich Campe das Schulwesen des Herzogtums zu reformieren. Trotz viel versprechender Ansätze scheiterte das Reformvorhaben an den Widerständen der kirchlichen und ständischen Körperschaften

Das Wesentliche an Trapps pädagogischer Theorie war der Versuch, die Pädagogik auf eine empirische Experimentalpsychologie statistischer Art zu gründen.[101] Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Ermüdung usw. sollten in den verschiedenen pädagogischen Situationen genau beobachtet und protokolliert werden, und daraus sollten klare Grundsätze für die Erziehung und den Unterricht abgeleitet werden.

Trapp befasste sich als erster mit der systematischen Hinwendung zu den empirischen Quellen der Erziehungslehre und der wissenschaftlichen Pädagogik – der systematischen Beobachtung der Schüler und systematischen Protokollierung der Ergebnisse -, in noch rudimentärer Form.

So hieß es in seinem Werk „Versuch einer Pädagogik“: [102] „§ 25. Unsere Regeln sind oft aus armseligen, einseitigen, krüppelhaften, zufälligen Erfahrungen abgeleitet, manchmal noch dazu unrichtig abgeleitet: und aufs Beobachten sind wir, soviel ich weiß, besonders in Absicht auf die Erziehung, noch nie recht eingegangen. § 26. Und doch kommt hierauf soviel an. Denn wenn wir die gehörige Anzahl richtig angestellter pädagogischer Beobachtungen und zuverlässiger Erfahrungen hätten, so könnten wir ein richtiges und vollständiges System der Pädagogik schreiben, dergleichen bisher nicht vorhanden ist.“

Trapp wollte einen Einblick in die innere Seele des Kindes bekommen: [103] „ § 29. (…) Man gebe mehreren Kindern von einerlei Alter verschiedene Gegenstände, Spielzeug, Bücher, Modelle, Gemälde usw. und lasse sie damit nach Belieben schalten und walten. Nun gebe man acht auf die Verschiedenheit ihrer Äußerungen, Empfindungen, Handlungen, Erfindungen usw. (…) Man mache dies Experiment mit Kindern von zwei bis sechszehn Jahren oder noch weiter. (…) In allen Arten und Schulen lassen sich unzählige und sehr wichtige Beobachtungen machen. Aber man denke ja nicht, daß ich dem Lehrer zumute, sie alle zu machen. (…) Ein Beobachter müßte nun auf jede, auch die allerkleinste Bewegung der Kinder, auf ihre Ursachen und Folgen acht geben und sie alle gezählt in ihr Protokoll tragen.“

Trapp erkannte vier Punkte, die als Erziehungsregeln gelten sollten:[104] „§ 69. Aus allem, was bisher über die menschliche Natur und die menschliche Gesellschaft gesagt ist, scheint mir zu folgen, daß sich alle daraus abgeleitete und noch abzuleitende Erziehungsregeln auf folgende vier Hauptstücke bringen lassen:

  1. Der Tätigkeit freien Spielraum und zweckmäßigen Anlaß geben;
  2. Verhüten;
  3. Gewöhnen;
  4. Unterrichten.

Ferner scheint mir daraus zu folgen, daß diese vier Hauptregeln in Ausübung gebracht werden müssen; daß man also z.B. nie unterrichte, ohne der Tätigkeit der Jugend Freiheit und Beschäftigung zu geben und die Jugend nie tätig sein lasse, ohne sie zugleich zu unterrichten und in beiden Fällen die nötigen Gewöhnungen und Verhütungen veranstalte, so wie diese wieder von Unterricht und Tätigkeit begleitet sein müssen.“

Neben seiner empirisch-experimentiellen Methode lag Trapps Wirkung in der Aufforderung, dass Lehrer eine akademische Ausbildung genießen sollten sowie die Einwände gegen den Einfluss der Theologen auf das Schulwesen. Mit seiner Forderung nach Aufhebung der Trennung zwischen „künftigen Gelehrten“ und „Nicht-Studierenden“, kann er als frühester Apologet einer Einheitsschule gesehen werden.

Durch die Abkehr vom Bösen, Schauernden und Abgründigen gelangt der aufgeklärte Mensch zu einem Optimismus, der ihn dazu anregen sollte, lachend und heiter durch die Welt zu wandern. Auf dem Weg durch das Leben erkannte jener dann die Einfachheit der Welt und beschäftigte sich mit Themen, auf die er geradezu spielerisch einfache Lösungen (er-)fand.

Erstmals sollte der Mensch nicht nur ein Teil der Gesellschaft sein. Vielmehr stellte er die Gesellschaft selbst dar, in der er nicht seinem Schicksal ausgeliefert war, sondern es eigenhändig „schmiedete“. Über ganz Europa schwappte eine Welle der Euphorie für Wissen, Verstand und Bildung. In allen Bereichen entwickelte sich dabei ein Verlangen sein eigenes Wissen weiterzugeben, zu lehren und zu erziehen. Vor allem Staatsmänner, Dichter und Pfarrer entdeckten eine Lehrerperson in sich, die nach einfachen Erklärungen zur Weitergabe an das Volk trachtete. Einfachheit statt Komplexität, und damit vollkommene Verständlichkeit, sollten zu einem gebildeten und aufgeklärten Bürgertum führen. Einen großen Stellenwert erkannten die Philosophen wie Johann Heinrich Pestalozzi und Jean-Jacques Rousseau in den Kindern. Die Erziehung zum eigenständigen und eigenverantwortlichen Denken sollte so früh wie nur möglich im Leben eines Menschen stattfinden. Rousseau fordert dazu am Anfang des ersten Buches aus „Emile oder Über die Erziehung“ folgendes: „Pflege und tränke das junge Gewächs, bevor es stirbt; eines Tages werden seine Früchte deine Wonne sein.“ Er sah im Kind und seinen Fähigkeiten die Chance eine bessere Gesellschaft und einen besseren Staat insgesamt entstehen zu lassen, der allgemein und gerecht handeln sollte.

Die Erziehung stellte für John Locke eine essentielle Tätigkeit in der modernen Zeit dar. Vor allem der Erziehung der Kinder räumt er den größten Stellenwert ein und verweist zugleich auf die Pflichten und die Verantwortung, welche die Eltern dabei tragen. Er bedauert aber, dass sich leider nicht allzu viele Menschen damit auseinandersetzen, obwohl nach ihm „das Wohl und der Wohlstand der Nation“ in hohem Maße davon abhängen, wie die nächste Generation erzogen wird. Sein Hauptaugenmerk legt Locke auf seine Erziehung des Gentleman. Dieser Status wird getragen von der führenden Gesellschaftsschicht, welche in öffentlichen Ämtern und im Staatsdienst ihre Berufung findet. Diese Menschen, die sich als Gentlemen bezeichnen dürfen, haben nach Locke eine edle und vollkommene Erziehung genossen, durch die sie auch Andere dazu bewegen können, ihrem Beispiel zu folgen. Sie müssen dabei nicht unbedingt wissenschaftlich gebildet sein, denn das stand bei Locke nicht an vorderster Stelle. Vielmehr sollte der Mensch erzogen statt ausgebildet werden, tugendhaft statt hochintelligent und Lebenskünstler statt Wissenschaftler sein. Sein Gentleman kann ohne Gefahr auf einen Teil der Bildung verzichten und sich auf die allgemeine Klugheit und das Benehmen konzentrieren, ohne dabei befürchten zu müssen, in seiner Persönlichkeit oder in seinem Beruf Schaden zu erleiden.

Daraus lässt sich auch erkennen, dass er sich auf den Leitspruch „res non verba“ berief, also den Dingen zugewandter war, als der Sprache. Er betrachtete die Diskussion als pure Zeitverschwendung, da sie letztendlich nur wenig oder gar nichts besagt. Die Kunst zu Diskutieren vergleicht er mit der ebenso unsinnigen Fähigkeit Knoten in ein Spinnennetz zu flechten.

Mit Hilfe seiner Erziehungsansätze versucht John Locke nicht das junge Wesen wissenschaftlich zu prägen, sondern dessen Geist und Verstand zu öffnen und vorzubereiten, um ihm die Voraussetzungen zum Erlernen einer Wissenschaft zu geben.

Ohne Zweifel spricht Locke bei seinem Gentleman nicht von den Armen und den Menschen, die der Gesellschaft zur Last fallen. Diese sollten zum Beispiel in der Wollindustrie einer erbarmungslosen und streng religiös geführten Disziplin unterliegen und so ihren Teil in die Gesellschaft beitragen. Hieran erkennt man schnell, dass Locke der erste Aufklärer war, weil er sich nur mit dem höheren Bürgertum abgab. Die unteren Schichten fielen durch sein Raster und wurden wie beschrieben als Arbeiter in den Bienenstock der Gesellschaft eingereiht.

Und doch hatten seine Ansätze großen Erfolg. Seine „Gedanken über Erziehung“ von 1693 wurden für die pädagogische Entwicklung im 18. Jahrhundert ausschlaggebend und für viele Teilbereiche wie das Schulwesen übernommen und weiterhin optimiert.

Fußnoten

  1.  ↑ Himanen, P.: Die Hacker-Ethik und der Geist des Informations-Zeitalters, München 2001 S. 27
  2.  ↑ Schindler, I.: Allgemeine Brauchbarkeit und Gemeinnützigkeit. Das Menschenbild der Aufklärungspädagogik, Saarbrücken 1988, S. 56f
  3.  ↑ Häberlein, M./Schwanke, I./Wiebel, E./Zürn, M.: Fremde in der frühneuzeitlichen Stadt, in: Mitteilungen des Instituts für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg, 10 (Oktober 2002), S. 9-42, hier S. 25f
  4.  ↑ Herder, J.G.: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, Band 16, Riga 1784-1791, zitiert in Fricke, T.: Die Zigeuner im Zeitalter des Absolutismus. Bilanz einer einseitigen Überlieferung, Pfaffenweiler 1996, S. 553
  5.  ↑ Weischedel, W. (Hrsg.): Immanuel Kant. Von den verschiedenen Rassen der Menschen, Band 9, Darmstadt 1968, S. 24
  6.  ↑ Weischedel, W. (Hrsg.): Immanuel Kant. Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien, Band 8, Darmstadt 1968, S. 157
  7.  ↑ Die idealisierte Figur des edlen Wilden soll einen von der (europäischen) Zivilisation unverdorbenen „Naturmenschen“ darstellen. Trotz dieser positiv gedeuteten Verharrung im „Naturzustand“ wird dieser Mensch weiterhin als „wild“ betrachtet, der im Gegensatz zu dem europäischen „Kulturmenschen“ auf einer „minderwertigen“ Kulturstufe steht.
  8.  ↑ Zitiert aus Ulmschneider, H.: Götz von Berlichingen: Ein adeliges Leben der deutschen Renaissance, Sigmaringen 1974, S. 73
  9.  ↑ Von Dohm, C.W.: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, Berlin/Stettin 1781, S. 18
  10.  ↑ Ebd., S. 21f
  11.  ↑ (Zedler, J.H.: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste, Band 62, Leipzig 1749, S. 525f
  12.  ↑ Hille, A.: Identitätskonstruktionen. Die „Zigeunerin” in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts, Würzburg 2005, S. 137f
  13.  ↑ Grellmann, H.M.G.: Die Zigeuner. Ein historischer Versuch über die Lebensart und Verfassung, Sitten und Schicksale dieses Volkes, nebst ihrem Ursprunge, Dessau/Leipzig 1783. Eine zweite veränderte Auflage erschien 1787 in Göttingen.
  14.  ↑ Wippermann, „Wie die Zigeuner“. Antisemitismus und Antiziganismus im Vergleich, a.a.O., S. 101
  15.  ↑ Grellmann, Die Zigeuner, a.a.O., S. 11
  16.  ↑ Solms, W.: Warum die Sinti und Roma keine „ZigeunerInnen“ sind, in: Heft der Flüchtlingsräte (Hrsg.): Antiziganismus, München 2010, S. 17-19, hier S. 17
  17.  ↑ Grellmann, Die Zigeuner, a.a.O., S. 3
  18.  ↑ Ebd., S. 9
  19.  ↑ Ebd., S. 117
  20.  ↑ Ebd., S. 80ff
  21.  ↑ Ebd., S. 74
  22.  ↑ Engel, M.: Faktoren der Aufklärung, Kirchberg a. d. J. 1989, S. 33f
  23.  ↑ Ebd. S. 49
  24.  ↑ Dönike, M.: Pathos, Ausdruck und Bewegung. Zur Ästhetik des Weimarer Klassizismus 1796-1806, Berlin 2005, S. 15f
  25.  ↑ Leppmann, W.: Johann Joachim Winckelmann. Ein Leben für Apoll, Berlin 1996, S. 13
  26.  ↑ Grasskamp, W.: Ist die Moderne eine Epoche? Kunst als Modell, München 2002, S. 24
  27.  ↑ Schmidt, J. (Hrsg.): Aufklärung und Gegenaufklärung in der europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart, Darmstadt 1989, S. 197f
  28.  ↑ Gawlick, G./Kreimendahl, L. (Hrsg.): Historisches und kritisches Wörterbuch, Hamburg 2002
  29.  ↑ Vgl. dazu Jaumann, H.: Frühe Aufklärung als historische Kritik. Pierre Bayle und Christian Thomasius, in: Neumeister, S. (Hrsg.): Frühaufklärung, München 1994, S. 149-170
  30.  ↑ Deligne, A.: Pierre Bayle als Républicain des Lettres. Über das Projekt seines kritischen Wörterbuches (1692), in: Fontius, M./Schneiders, W. (Hrsg.): Die Philosophie und die Belles-Lettres, Berlin 1997, S. 83-101, hier S. 84f
  31.  ↑ Cassirer, E.: Die Philosophie der Aufklärung, 2. Auflage, Darmstadt 1973, S. 269ff
  32.  ↑ Reichardt, R.: Reform und Revolution bei Concordet. Ein Beitrag zur späten Aufklärung in Frankreich, Bonn 1973, S. 15ff
  33.  ↑ Ritscher, H.: Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise, 9. Auflage, Diesterweg 1979
  34.  ↑ 1777 veröffentlichte Lessing die Schriften des aufklärerischen Wissenschaftlers Herrmann Samuel Reimaurus, der die Auferstehung Christi leugnete. Der einflussreiche Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze und andere Theologen kritisierten daraufhin Reimaurus und Lessing. Obwohl Lessing die Ansichten von Reimaurus nicht teilte, verteidigte er die Herausgabe seiner Schriften, da er sich für eine freie Diskussion über diese Themen einsetzte. Sein Arbeitgeber, der Herzog Karl von Braunschweig, intervenierte in diesem Streit und verbot Lessing die öffentliche Auseinandersetzung. Daraufhin behandelte Lessing das Problem in seinem Drama „Nathan der Weise“ (1779). Darin treffen zur Zeit der Kreuzzüge drei Vertreter der großen monotheistischen Weltreligionen in Jerusalem aufeinander, der moslemische Sultan Saladin, der jüdische Händler Nathan und ein christlicher Tempelritter. An zentraler Stelle des Dramas stellt Saladin dem Juden Nathan eine Fangfrage. Er will wissen, welche Art von Religion Nathan für die richtige hält. Nathan antwortet daraufhin mit der Ringparabel. Durch Nathans Mund verkündet Lessing damit seine aufklärerische Einstellung zum Streit der Religionen. Es komme nicht auf die Dogmen der Religionen an, sondern es gehe vielmehr um die Verwirklichung der religiösen Lehren im Leben, um die Praxis. Anstatt im Namen der Religionen Kriege zu führen, solle jeder Gläubige nach den Maximen seiner Religion Gutes tun. Laut Lessing ist das Streben nach dem Guten der Inhalt jeder der drei Religionen. Untereinander aber sollen die Religionen Toleranz üben. Die Ringparabel gilt als ein Schlüsseltext der Aufklärung und als pointierte Formulierung der Toleranzidee. Vgl. dazu Hildebrandt, D.: Lessing. Biographie einer Emanzipation, Berlin 1982, S. 68ff
  35.  ↑ Zitiert nach: Wilke, J.: Rechtsstellung und Rechtssprechung der Hugenotten in Brandenburg-Preußen (1685-1809), in: von Thadden/Magdelaine, Die Hugenotten 1685-1985, a.a.O., S. 100- ?, hier S. 100
  36.  ↑ Das Edikt von Potsdam wurde im Gegensatz zu anderen Edikten aufgrund der besonderen Situation, in denen sich die Flüchtlinge befanden, relativ kurzfristig verfasst. Bei der Ausarbeitung des Inhalts stützte sich der Kurfürst Friedrich Wilhelm unter anderem auf die Pfarrer Francois de Gaultier und Jacques Abbadie der französischen Gemeinde in Berlin. Sie machten den Kurfürsten und seine Berater mit Augenzeugenberichten über die Situation der Flüchtlinge vertraut.Vgl. dazu auch Mengin, E.: Das Edikt von Potsdam. Das Edikt von Fontainebleau, Paris 1963
  37.  ↑ Zitiert nach Tritt, I.: Der kulturgeographische Einfluß der Glaubensvertriebenen in Berlin, Berlin 1966, S. 3
  38.  ↑ Ebd.
  39.  ↑ Mengin, E.: Das Recht der französisch-reformierten Kirche in Preußen, Berlin 1929, S. 192
  40.  ↑ Zitiert nach: Wilke, Rechtsstellung und Rechtssprechung der Hugenotten in Brandenburg-Preußen, in: von Thadden/Magdelaine, Die Hugenotten 1685-1985, a.a.O., S. 100
  41.  ↑ Zitiert nach: Ebd.
  42.  ↑ Ebd. S. 101
  43.  ↑ Gahrig, Unterwegs zu den Hugenotten in Berlin, a.a.O., S. 30
  44.  ↑ Ebd.
  45.  ↑ Wilke, J.: Rechtstellung und Rechtssprechung der Hugenotten in Brandenburg-Preußen (1685-1809), in: von Thadden/Magdelaine, Die Hugenotten 1685-1985, a.a.O., S. 100- ???, hier S. 102
  46.  ↑ Spaich, Fremd in Deutschland. Auf der Suche nach Heimat, a.a.O., S. 72
  47.  ↑ Zitiert aus Emmon/Reclam, Memoires pour servir a L’Histoire des refugies francaise dans les Etats du Roi, Bd. 6, 1787, S. 5
  48.  ↑ Cohn-Bendit, D./Schmid, T. : Heimat Babylon. Das Wagnis der multikulturellen Demokratie, Hamburg 1993, S. 209
  49.  ↑ Jersch-Wenzel, S.: Ein importiertes Ersatzbürgertum, in: von Thadden/Magdelaine, Die Hugenotten 1685-1985, a.a.O., S. 160-171, hier: S. 161 f
  50.  ↑ Mörke, O.: Die Diskussion um den Absolutismus als Epochenbegriff. Ein Beitrag über den Platz Katharinas II. in der europäischen Politikgeschichte, in: Eckhard Hübner, E./Kusber, J./Nitsche, P (Hrsg.): Rußland zur Zeit Katharinas II. Absolutismus – Aufklärung – Pragmatismus, Köln 1998, S. 9–32, hier S. 13
  51.  ↑ Donnert, E.: Katharina II., die Große (1729–1796). Kaiserin des russischen Reiches. Regensburg/Darmstadt 1998, S. 45ff
  52.  ↑ Donnert, E.: Katharina II., die Große (1729–1796). Kaiserin des russischen Reiches. Regensburg/Darmstadt 1998, S. 56
  53.  ↑ Mörke, O.: Die Diskussion um den Absolutismus als Epochenbegriff. Ein Beitrag über den Platz Katharinas II. in der europäischen Politikgeschichte, in: Eckhard Hübner, E./Kusber, J./Nitsche, P (Hrsg.): Rußland zur Zeit Katharinas II. Absolutismus – Aufklärung – Pragmatismus, Köln 1998, S. 9–32, hier S. 19
  54.  ↑ Donnert, E.: Katharina II., die Große (1729–1796). Kaiserin des russischen Reiches. Regensburg/Darmstadt 1998, S. 109
  55.  ↑ Mörke, O.: Die Diskussion um den Absolutismus als Epochenbegriff. Ein Beitrag über den Platz Katharinas II. in der europäischen Politikgeschichte, in: Eckhard Hübner, E./Kusber, J./Nitsche, P (Hrsg.): Rußland zur Zeit Katharinas II. Absolutismus – Aufklärung – Pragmatismus, Köln 1998, S. 9–32, hier S. 23
  56.  ↑ Gawlick, G./Kreimendahl, L. (Hrsg.): Historisches und kritisches Wörterbuch, Hamburg 2002
  57.  ↑ Vgl. dazu Jaumann, H.: Frühe Aufklärung als historische Kritik. Pierre Bayle und Christian Thomasius, in: Neumeister, S. (Hrsg.): Frühaufklärung, München 1994, S. 149-170
  58.  ↑ Deligne, A.: Pierre Bayle als Républicain des Lettres. Über das Projekt seines kritischen Wörterbuches (1692), in: Fontius, M./Schneiders, W. (Hrsg.): Die Philosophie und die Belles-Lettres, Berlin 1997, S. 83-101, hier S. 84f
  59.  ↑ Cassirer, E.: Die Philosophie der Aufklärung, 2. Auflage, Darmstadt 1973, S. 269ff
  60.  ↑ Reichardt, R.: Reform und Revolution bei Concordet. Ein Beitrag zur späten Aufklärung in Frankreich, Bonn 1973, S. 15ff
  61.  ↑ Ritscher, H.: Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise, 9. Auflage, Diesterweg 1979
  62.  ↑ 1777 veröffentlichte Lessing die Schriften des aufklärerischen Wissenschaftlers Herrmann Samuel Reimaurus, der die Auferstehung Christi leugnete. Der einflussreiche Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze und andere Theologen kritisierten daraufhin Reimaurus und Lessing. Obwohl Lessing die Ansichten von Reimaurus nicht teilte, verteidigte er die Herausgabe seiner Schriften, da er sich für eine freie Diskussion über diese Themen einsetzte. Sein Arbeitgeber, der Herzog Karl von Braunschweig, intervenierte in diesem Streit und verbot Lessing die öffentliche Auseinandersetzung. Daraufhin behandelte Lessing das Problem in seinem Drama „Nathan der Weise“ (1779). Darin treffen zur Zeit der Kreuzzüge drei Vertreter der großen monotheistischen Weltreligionen in Jerusalem aufeinander, der moslemische Sultan Saladin, der jüdische Händler Nathan und ein christlicher Tempelritter. An zentraler Stelle des Dramas stellt Saladin dem Juden Nathan eine Fangfrage. Er will wissen, welche Art von Religion Nathan für die richtige hält. Nathan antwortet daraufhin mit der Ringparabel. Durch Nathans Mund verkündet Lessing damit seine aufklärerische Einstellung zum Streit der Religionen. Es komme nicht auf die Dogmen der Religionen an, sondern es gehe vielmehr um die Verwirklichung der religiösen Lehren im Leben, um die Praxis. Anstatt im Namen der Religionen Kriege zu führen, solle jeder Gläubige nach den Maximen seiner Religion Gutes tun. Laut Lessing ist das Streben nach dem Guten der Inhalt jeder der drei Religionen. Untereinander aber sollen die Religionen Toleranz üben. Die Ringparabel gilt als ein Schlüsseltext der Aufklärung und als pointierte Formulierung der Toleranzidee. Vgl. dazu Hildebrandt, D.: Lessing. Biographie einer Emanzipation, Berlin 1982, S. 68ff
  63.  ↑ Dammer, K.-H.: Zur Integrationsfunktion von Erziehung und Bildung, Hamburg 2008, S. 8ff
  64.  ↑ Blankertz, H.: Die Geschichte der Pädagogik, Wetzlar 1982, S. 54
  65.  ↑ Dörschel, A.: Geschichte der Erziehung im Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Auflage, Berlin 1996, S. 112
  66.  ↑ Maul, P.: Formen der sozialen Intervention im 18. Jahrhundert, Köln 1991, S. 54
  67.  ↑ Mittelstraß, J.: Neuzeit und Aufklärung, Berlin 1970, S. 173
  68.  ↑ Overhoff, J.: Die Frühgeschichte des Philanthropismus von 1715-1771, Berlin 2003, S. 21ff
  69.  ↑ Vgl. dazu Schmitt, H.: Pädagogen im Zeitalter der Aufklärung: Die Philanthropen, in: Tenorth, H.-E. (Hrsg.): Klassiker der Pädagogik, Band 1, München 2003, S. 119-143
  70.  ↑ Basedow, J. B.: Das in Dessau errichtete Philanthropin, eine Schule der Menschenfreundschaft und guter Kenntnisse für Lernende und junge Lehrer, arme und reiche, Leipzig 1774, in: Benner, D./Kemper, H.: Quellentexte zur Theorie und Geschichte der Reformpädagogik, Weinheim 2000, S. 84-92, hier S. 84
  71.  ↑ Vgl dazu Wohlers, H. (Hrsg.): John Locke: Gedanken über Erziehung, Stuttgart 1990 oder Stille, O.: Die Pädagogik John Lockes in der Tradition der Gentlemen-Erziehung, Erlangen/Nürnberg 1970
  72.  ↑ Engbers, J.: Der „Moral Sense“ bei Gellert, Lessing und Wieland, Heidelberg 2001
  73.  ↑ Cramer, J.A.: Allgemeines Gesangbuch auf Königlichen Befehl zum öffentlichen und häuslichen Gebrauche in den Gemeinden des Herzogthums Schleswig, des Herzogthums Hollstein, Altona 1780
  74.  ↑ Vgl. dazu Berrett, H.: Die pädagogische Neugestaltung der bürgerlichen Leibesübungen durch die Philanthropen, Stuttgart 1960
  75.  ↑ Kant, I.: An das gemeine Wesen, in: Groothoff/Reimers, Ausgewählte Schriften zur Pädagogik und ihrer Begründung, a.a.O., S. 62-65, hier S. 62
  76.  ↑ Basedow, Das in Dessau errichtete Philanthropin, eine Schule der Menschenfreundschaft und guter Kenntnisse für Lernende und junge Lehrer, arme und reiche, a.a.O., in: Benner/Kemper: Quellentexte zur Theorie und Geschichte der Reformpädagogik, a.a.O., S. 85
  77.  ↑ Ebd. S. 86
  78.  ↑ Basedow, J.B.: Philanthropisches Archiv 1776, in: Benner/Kemper: Quellentexte zur Theorie und Geschichte der Reformpädagogik, a.a.O., S. 93-151, hier S. 116
  79.  ↑ Ebd. S. 117
  80.  ↑ Finzel-Niederstadt, W.: Lernen und Lehren bei Herder und Basedow, Köln 1986, S. 32
  81.  ↑ Overhaff, J.: Die Zeit 16/2003
  82.  ↑ Campe, J.H. (Hrsg.): Allgemeine Revision des gesamten Schul- und Erziehungswesens. Von einer Gesellschaft praktischer Erzieher, 16 Bände, Hamburg, Wolfenbüttel, Wien, Braunschweig 1785-1792, Neudruck Vaduz 1979
  83.  ↑ Fertig, L.: Campes politische Erziehung. Eine Einführung in die Pädagogik der Aufklärung, Darmstadt 1977, S. 12f
  84.  ↑ Campe, J.H.: Theophron oder der erfahrene Ratgeber für die unerfahrene Jugend, Wien 1809, S. 28
  85.  ↑ Herrmann, U.: „Das Exempel wirkt“. C.G. Salzmanns psychologisch-pädagogische Lehre vom entwickelnden, erziehenden und bildenden Umgang mit Kindern, in: Neue Sammlung 44 ,(2004), S. 23-37, hier S. 35
  86.  ↑ Salzmann, C. G.: Noch etwas über die Erziehung nebst Ankündigung einer Erziehungsanstalt, Leipzig 1784. Wiederabgedruckt in N.N. (Hrsg.): Pädagogische Schriften, Langensalza 1887, S. 121-194, hier S. 148
  87.  ↑ Burggraf, G.: Christian Gotthilf Salzmann im Vorfeld der Französischen Revolution, Berlin 1966, S. 152
  88.  ↑ Schmitt, H.: Vom Naturalienkabinett zum Denklehrerzimmer. Anschauende Erkenntnis im Philanthropismus, in: Oelkers, J./Tröhler, D. (Hrsg.): Die Leidenschaft der Aufklärung, Weinheim 1999, S. 103-124, hier S. 112
  89.  ↑ Salzmann, C.G.: Reisen der Salzmannschen Zöglinge, 5. Bde, Leipzig 1784/1787, S. 154
  90.  ↑ Salzmann, C.G.: Nachrichten aus Schnepfenthal für Eltern und Erzieher, Leipzig 1786, S. 278
  91.  ↑ Verzeichnis der sämtlichen Schnepfenthäler Zöglinge von 1784-1884, in: Festschrift zur Hundertjährigen Jubelfeier der Erziehungsanstalt Schnepfenthal, Schnepfenthal 1884, S. 207-214
  92.  ↑ Pfauch, W.: Chr. G. Salzmann – der Bauherr von Schnepfenthal, in: Pädagogische Rundschau 48 (1994), S. 301-314, hier S. 309
  93.  ↑ Salzmann, C.G.: Ameisenbüchlein oder Anwendung zu einer vernünftigen Erziehung der Erzieher, Schnepfenthal 1806, S. 3f
  94.  ↑ Pfauch, Chr. G. Salzmann – der Bauherr von Schnepfenthal, in: Pädagogische Rundschau 48, a.a.O., S. 306
  95.  ↑ Freyer, M.: Rochows „Kinderfreund“, Hamburg 1989, S. 8
  96.  ↑ Siegert, R.: Aufklärung und Volkslektüre, Berlin 1978, S. 152
  97.  ↑ Vgl. dazu Von Rochow, F.E.: Geschichte meiner Schulen, Schleswig 1795
  98.  ↑ Hurrelmann B.: Jugendliteratur und Bürgerlichkeit, Münster 1974, S. 10
  99.  ↑ Fuchs, M.: Das Scheitern des Philanthropen Ernst Christian Trapp, Weinheim 1985, S. 13f
  100.  ↑ Scholz, G.: 250. Geburtstag von Ernst Christian Trapp, dem ersten Pädagogik-Professor Deutschlands, in: Kölner Zeitschrift für Wirtschaft und Pädagogik, Heft 19, Dezember 1995, S. 127-148, hier S. 133ff
  101.  ↑ Ebd. S. 45
  102.  ↑ Fritzsch, T. (Hrsg.): Ernst Christian Trapp: Versuch einer Pädagogik, Leipzig 1913, S. 33
  103.  ↑ Ebd. S. 36ff
  104.  ↑ Ebd. S. 151