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Boris Palmer: Wir können nicht allen helfen

Ein Grüner über Integration und die Grenzen der Belastbarkeit

Siedler Verlag, 3. Auflag, München 2017, ISBN: 978-3-8275-0107-3

Das Thema Flüchtlingspolitik und seine Begleiterscheinungen wurden in den letzten Jahren wie kaum ein anderes in der BRD kontrovers, hysterisch und teilweise mit rassistischen Untertönen öffentlich diskutiert. Es ist auch eines der zentralen Wahlkampfthemen in der heißen Phase der Bundestagswahl. Nun legt der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen), seine Erfahrungen und Gedanken über den Kurs in der Flüchtlingspolitik vor. Dort benutzt er den in den letzten Jahren viel gebrauchten Belastung-Topos: „Ja, es gibt natürlich Grenzen der Belastbarkeit. Deutschland kann nicht auf Dauer jedes Jahr so viele Flüchtlinge aufnehmen wie im Herbst 2015. Und: Wir müssen immer wieder genau prüfen, welche Belastungsgrenzen wir überschreiten.“ (S. 44)

Dabei reiht er sich in die Reihe der Politikerinnen und Politiker ein, die immer wieder betonen, dass durch Zuwanderung die „Belastungsgrenzen“, d.h. die „Grenzen der Aufnahmefähigkeit“ oder die „Integrationsfähigkeit“ der „deutschen Bevölkerung“ oder „Deutschlands“ erreicht oder schon überschritten sind. Wo diese „Belastungsgrenzen“ liegen oder wer diese wann und warum festsetzt, wird dabei bewusst offen gelassen. Dieser emotional bestimmte Diskurs in der Migrationspolitik wird seit Jahrzehnten immer wieder von bürgerlichen Politikern zu bestimmten Hochzeiten diskutiert, was natürlich nur den extremen Rechten in ihrer Hetze gegen Migration und interkulturelle Gesellschaft in die Karten spielt.

Auch in anderen Argumentationssträngen schimmert der „pragmatische Humanismus“ von seinem Parteifreund und Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Wilfried Kretschmann, hervor. Es handelt sich dabei um die von Kretschmann angestrebten „neuen Grundlinien grüner Flüchtlingspolitik in Zeiten der Massenzuwanderung.“, die ein „Fordern und Fördern“ neben einer schnelleren Abschiebung und die Ausweitung der so genannten „sicheren Herkunftsländer“ beinhalten. Kretschmann führte auch Maßnahmen im eigenen Bundesland ein, die Beschlüssen der Partei zuwider laufen: Auf eine Ausweitung der Wohnfläche pro Flüchtling verzichtete Baden-Württemberg, ebenso auf den Grundsatz, Flüchtlinge dezentral in kleinen Einheiten unterzubringen. Stattdessen hat das Bundesland mit einer zentralen Registrierungsstelle in Heidelberg die Aufnahme besonders straff organisiert. Dieses Credo und die Maßnahmen Kretschmanns führten zu heftiger Kritik eines Teils der Partei und auch zu Parteiaustritten.

Palmers These, nur wenn die Probleme offen benannt werden, kann den „Rechtspopulisten“ das Wasser abgegraben werden, ist etwas abenteuerlich. Wie alle anderen Parteien auch haben Bündnis 90/Die Grünen die „Argumente“ der AfD und der Flüchtlingsfeinde teilweise übernommen und sind der rechten Stimmung im Land hinterhergelaufen. Dass die nochmalige Verschärfung der Asylgesetzgebung von weiten Teilen der Partei mitgetragen wurde, ist der beste Beweis dafür.

Boris Palmer und seine Thesen zum Umgang mit Geflüchteten, zur Migrationspolitik und zur Integration sind der beste Beweis, wie weit sich Bündnis 90/Die Grünen in den letzten Jahrzehnten nach rechts bewegt haben, sie nennen es selbst pragmatisch, realpolitisch oder sachorientiert. Diese „Streitschrift für mehr Mut und Realismus in der Politik“ ohne „Illusionen, Tabus und Denkblockaden“. soll wohl kurz vor der Bundestagswahl die Position von Bündnis 90/Die Grünen zur künftigen Flüchtlingspolitik erläutern, zugleich die Kretschmann-Linie gegenüber der noch verbleibenden Parteilinken stärken und um Stimmen aus der bürgerlichen Mitte für die Partei zu werben.

 

Eintrag im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek:

ISBN: 978-3-8275-0107-3 .