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Andreas Winroth: Die Wikinger

Das Zeitalter des Nordens

Klett-Cotta, Stuttgart 2016, 368 Seiten, ISBN: 978-3-608-94927-8

Anders Winroth, Professor für mittelalterliche Geschichte an der Yale University, legt ein aktuelles Werk über die Welt und Lebensrealität der Wikinger vor, worin die neuesten Forschungsergebnisse enthalten sind. Das Buch will gegen den gängigen Mythos des barbarischen, mordlustigen, kulturlosen sowie plündernden Wikingers angehen und stellt stattdessen andere Facetten der Wikingerzeit wie ihre Religion, Kunst und Literatur dar. Winroth weist weiterhin auf die Entdeckerlust der Wikinger und ihre friedlichen Handelsbeziehungen mit anderen Ländern hin, die charakteristisch für ihren Alltag waren.

Wikinger ist der Name, den die überfallenen Menschen den gespenstischen und gefürchteten Kriegern aus dem hohen Norden gaben. Die Mittel- und Südeuropäer empfanden die wie aus dem Nichts auftauchenden Horden aus dem Norden als schreckliche Heimsuchung. Doch die Wikinger waren kein einheitliches Volk, keine ethnische Gruppe. Die Bezeichnung „Wikinger“ ist ein Schmelztiegel für verschiedene Völker aus dem Norden, die vom neunten Jahrhundert an plötzlich auf dem europäischen Kontinent in Erscheinung traten. Den Menschen in Mitteleuropa war damals gleichgültig, wer sie da genau überfiel. Für sie waren die weit übers Meer gereisten "Barbaren" alle unterschiedslos schrecklich, eben alles "Wikinger". Die Wikinger waren in Skandinavien beheimatet, sie stammten aus Norwegen, Dänemark und Schweden und fanden sich zu losen Gefolgschaften zusammen, um in Mittel- und Südeuropa Beute zu machen, Siedlungsräume zu finden und schnell reich zu werden.

Die Wikingerzeit war geprägt durch ein großräumiges Netzwerk von Freundschaften. Dies umfasste einerseits persönliche, durch rituellen Austausch von Geschenken begründete Verbindungen mit gegenseitigen Verpflichtungen, die Bindung des Einzelnen an die Sippe und die Vorfahren. Anders Winroth schreibt: „Alles fing mit den großen Festgelagen in den Hallen der norwegischen Häuptlinge an. Von hier gingen die Raubzüge der Wikinger aus: Sie wurzelten in den Treuebeziehungen und Freundschaften, die beim Essen, Trinken und Schenken entstanden.“ (S. 15) Die Konfrontation mit dem Christentum wurde durch allmählichen Wandel von kleineren Herrschaften zu stärkeren Zentralgewalten vorbereitet. Der Fortschritt im Schiffbau und die damit verbundene Mobilität sowohl im Krieg als auch beim Handel führten zu Reichtum und kultureller Blüte.

Bei Kriegszügen sind diejenigen Züge, die in privater Initiative zur eigenen Bereicherung geführt wurden, zu unterscheiden von denen, die ein politisches Ziel hatten und daher von Herrschern oder deren Konkurrenten geführt wurden. Ihnen ist gemeinsam, dass sich der Krieg durch Plünderungen bzw. Kriegsbeute finanzierte. Diese Kriege hörten keineswegs mit dem Jahr 1066 auf. Magnus Berrføtt führte noch zwischen 1098 und 1103 Kriege gegen die Orkneys, die Insel Man und Irland, bei denen Plünderungen den Krieg finanzierten und nach Möglichkeit einen Überschuss erbringen sollten. Sweyn Asleifsson, eine Figur der Orkneyinga saga, fiel 1171 bei einem Wikingerzug gegen Dublin. Das letzte Mal soll von Wikingern die Rede gewesen sein, als die Birkebeiner 1209 als Wikinger nach Schottland gezogen seien. Es handelte sich aber nur um Einzelunternehmen, die das gesellschaftliche Lebensgefühl nicht mehr dominierten.

Die Wikinger verfügten über ein markantes frühmittelalterliches Schriftsystem, das in Nordeuropa verbreitet war: „Diese skandinavischen Runen waren eine Weiterentwicklung von Schriften aus dem Mittelmeerraum, die dergestalt angewendet wurden, dass damit Inschriften vor allem in Holz, aber auch in Stein gemacht werden konnten. In ganz Skandinavien sind Tausende Runeninschriften erhalten, am berühmtesten sind die auf den Tausenden beschriebener Steine, die überall in der nordischen Landschaft herumstehen.“ (S. 286)

In der skandinavischen Geschichtsschreibung folgt auf die Wikingerzeit das „christliche Mittelalter“. Ihr voraus geht in Schweden die Vendelzeit, in Dänemark die „Germanische Eisenzeit“. Diejenigen Autoren, die neben der kriegerischen Existenz auch den Handel und das Kunsthandwerk dem Wikingerbegriff zuordnen, sehen weniger enge Grenzen und verlegen die Anfänge bereits in die erste Hälfte des 8. Jahrhunderts und das Ende erst auf die Zeit nach 1100. Andere lehnen dies ab: Damit würde das prägende Charakteristikum der zeitgenössischen Wahrnehmung, die sich im Wikingerbegriff bis in die Gegenwart erhalten hat, verschleiert; der Begriff verliere seine Brauchbarkeit. Die Wikingerzeit lief im Wesentlichen mit der karolingischen und ottonischen Zeit Kontinentaleuropas parallel.

Das Buch gibt tiefe Einblicke in die Welt der Wikinger und bietet ein differenziertes Bild der verschiedenen Ethnien in Nordeuropa, die unter dem Begriff „Wikinger“ subsumiert wurden. Ihre Leistungen im Kunst, frühmittelalterliche Literatur und Aufbau eines strategischen Handelsnetzwerks lassen das Bild des destruktiven plündernden Wikinger verblassen. Das Buch ist nicht nur für historisch und kulturell Interessierte geeignet, sondern auch für Menschen, die in eine andere, neue Welt eintauchen wollen.

 

Eintrag im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek:

ISBN: 978-3-608-94927-8 .